Stärkung von Kreativen ist verfassungsgemäß
Gegen die geplante Reform des Urhebervertragsrechts hat der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers verfassungsrechtliche Bedenken (PDF) geltend gemacht und im Interview mit iRights.info erläutert. Er vertritt die Auffassung, die im Referentenentwurf des Justizministeriums vorgesehenen Regelungen griffen zu stark in die Berufsfreiheit der Verleger*innen ein. Sie seien in ihrer Wirkung „näher an einer Berufszulassungs- als einer Berufsausübungsregelung“.
Im Entwurf wird ein Rückrufrecht für Urheber*innen nach Ablauf von fünf Jahren vorgeschlagen. Urheber*innen könnten also zum Beispiel zu einem Verlag wechseln, der ihnen für ihr Werk bessere Konditionen bietet. Allerdings nicht bedingungslos: Der Rückruf ist nur möglich, „sofern sich ein anderer Vertragspartner zur Nutzung nach dem Rückruf verpflichtet hat“. Hinzu kommt noch ein Vorkaufsrecht des bisherigen Verlags. Die Regelung soll die „individualrechtliche Stellung der Kreativen“ stärken.
Mölllers verfassungsrechtlichen Bedenken beziehen sich darauf, dass die Arbeit von Verwertern auf Verträgen mit Urheber*innen basiert: Es sei „in Rechnung zu stellen, dass die Verträge zwischen Verwertern und Urhebern auch für die Verwerter quasi konstitutiv für ihre Berufsausübung sind. Deren Kern besteht in der Pflege solcher Vertragsbeziehungen.“
Reform des Urhebervertragsrechts
Mit einem ersten Entwurf (PDF) hat das Justizministerium im September 2015 eine Reform des Urhebervertragsrechts eingeleitet. Erklärtes Ziel ist es, die Stellung von Urhebern gegenüber Verwertern zu verbessern. So sollen
- die Regelungen unter anderem klarer festschreiben, dass mehrfache Verwertung eines Werks separat zu vergüten ist,
- Urheber das Recht erhalten, einen Vertrag mit Verwertern nach fünf Jahren zurückzurufen, Verwerter zu Auskunft und Rechnungslegung verpflichtet werden,
- Urheberverbände rechtlich gegen unangemessene Vergütungen vorgehen können (Verbandsklagerecht).
Die letzte umfangreiche Reform am Urhebervertragsrecht stammt aus dem Jahr 2002, als ein Anspruch auf „angemessene Vergütung“ und Vorschriften für gemeinsame Vergütungsregeln eingeführt wurden. Mehr zum Thema Urhebervertragsrecht.
Richtig ist zunächst, dass der bisherige Inhaber des Nutzungsrechts nach dem Entwurf dem Risiko unterliegt, dass Urheber*innen das übertragene ausschließliche Nutzungsrecht zurückrufen. Möllers bezweifelt, „ob die Eingriffe überhaupt von den Rechtsgütern gedeckt sein können, auf die der Entwurf sich beruft. So erscheint zweifelhaft, ob eine so weitgehende Destabilisierung der Vertragsbeziehungen, die auch die vertrauensstärkende Wirkung von Verträgen unterminiert, noch vom Anliegen der Vertragsparität gedeckt sein kann. Vertragsparität schützt das Entstehen von Rechtsbindungen zwischen gleichberechtigten Parteien. Die Entstehung solcher Bindungen wird durch den Entwurf aber eher verhindert als ermöglicht“.
Ungleiche Verhandlungsmacht
Aus meiner Sicht ist der Ansatz im Referentenentwurf mehr als berechtigt. Allerdings würde ich ein bedingungsloses Rückruf- oder Kündigungsrecht noch sinnvoller finden. Erst dadurch kommt es wirklich zu einer Vertragsparität zwischen Gleichberechtigten. Dass heute Urheber*innen regelmäßig im Rahmen von Vertragsverhandlungen strukturell überlegenen Verlagen gegenüberstehen, wird kaum noch bestritten. Gerade vor dem Hintergrund der Systematik des Urheberrechts ist das ein unhaltbarer Zustand.
Vermittler – also zum Beispiel auch Verlage – können ein urheberrechtliches Werk nur zum Gegenstand ihres Berufs machen, soweit Urheber*innen sie überhaupt dazu ermächtigen. Ihre Berufsausübung findet also nur aus abgeleitetem Recht statt, den ihnen eingeräumten Verwertungsrechten. Theoretisch – und durch das Internet zum Teil auch praktisch, wie etwa Selfpublisher zeigen – könnten Urheber*innen ihr Werk auch selbst verwerten. Denn Urheber*innen steht das ausschließliche Verwertungsrecht zu. Sie können einem anderen – zum Beispiel einem Verlag – das einfache oder das ausschließliche Recht zur Nutzung übertragen. Sie müssen es aber nicht. Ein ausschließliches Nutzungsrecht berechtigt nun diesen Dritten – also zum Beispiel einen Verlag – das Werk der Urheber*innen unter Ausschluss aller anderen Personen zu nutzen.
Berechtigte Stärkung der Urheber*innen
Wenn aber nicht bestritten wird, dass Urheber*innen derzeit im Rahmen von Vertragsverhandlungen strukturell Verwertern unterlegen sind und Verlage nur aus abgeleitetem Recht der Urheber*innen überhaupt tätig sein können, dann ist eine Einschränkung der Vertragsfreiheit durch eine Stärkung der Rolle der Urheber*innen gerechtfertigt: durch ein Grund des Allgemeinwohls und als Gebot der Gerechtigkeit, gerade vor dem Hintergrund des Beteiligungsgrundsatzes, der den Anspruch auf angemessene Vergütung begründet.
Es sei einmal daran erinnert, dass das Recht auch an anderer Stelle Begrenzungen für die Dauer von Verträgen vorsieht, zum Beispiel bei Telefon- und Internetanbietern. Das Bundesverfassungsgericht hat darüber hinaus im Streit um gemeinsame Vergütungsregeln festgestellt, dass der Gesetzgeber die Freiheit, Entgelt für berufliche Leistungen einzelvertraglich zu vereinbaren, begrenzen kann, um „sozialen oder wirtschaftlichen Ungleichgewichten entgegenzuwirken“ (Randnummer 68).
Keiner wird gehindert, Verleger zu sein
Möllers trägt im Hinblick auf die vom Grundgesetz geschützte Berufsfreiheit vor, die geplanten Regelungen kämen einer Berufszulässigkeitsschranke nahe – einer Regelung, die das „ob“ der Berufsausübung betrifft. Eine solche Beschränkung ist nur unter sehr engen Voraussetzungen erlaubt: zur Abwendung einer nachweislich oder höchstwahrscheinlichen Gefahr für überragend wichtige Gemeinschaftsgüter. Im Gegenzug dazu sind für Berufsausübungsregelungen – die nicht das „ob“, sondern das „wie“ betreffen – vernünftige Allgemeinwohlerwägungen ausreichend. Es ist also von entscheidender Bedeutung, wie die Regelungen im Referentenentwurf einzuordnen sind.
Aus meiner Sicht kann mit guten Argumenten bezweifelt werden, dass die geplanten Regelungen einer Zulässigkeitsschranke entsprechen. Es spricht vielmehr einiges dafür, den Regelungsvorschlag als Ausübungsregelung anzusehen. Eine Berufszulässigkeitsschranke liegt bei Hürden für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit vor, die nicht an Eigenschaften des Einzelnen anknüpfen, zum Beispiel bei zahlenmäßigen Obergrenzen für Berufe oder Monopolen der öffentlichen Hand.
Es werden im Entwurf aber keine Vorgaben objektiver oder subjektiver Natur für die Aufnahme des Verlegerberufs aufgestellt. Es wird also durch den Entwurf niemand gehindert, Verleger zu sein. Es geht vielmehr darum, dass Verlegern für die Ausübung ihres Berufes in der Vertragsgestaltung eine Einschränkung auferlegt wird.
Nach dem erwähnten Urteil des Verfassungsgerichts werden Grundrechte in dieser Hinsicht erst dann verletzt, wenn „eine Grundrechtsposition den Interessen des anderen Vertragspartners in einer Weise untergeordnet wird, dass in Anbetracht der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts von einem angemessenen Ausgleich nicht mehr gesprochen werden kann“ (s.o., Randnummer 70). Davon kann man hier nicht ausgehen. Nicht vergessen werden sollte im Hinblick auf Verleger auch, dass aus der Berufsfreiheit kein Anspruch auf Erfolg im Wettbewerb und auf die Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten abgeleitet werden kann.
Geheimhaltungsbedürftigkeit fraglich
Bliebe noch das Argument, der Entwurf greife „in die Ausgestaltung der Kostenkalkulation und in den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen“ ein. Bei Geschäftsgeheimnissen handelt es sich im Wesentlichen um kaufmännische Aspekte, die gegenüber Konkurrenten geheimhaltungsbedürftig sind. Tatsächlich regelt der Entwurf das Auskunftsrecht der Urheber*innen in Bezug auf den Umfang der Werknutzung und die daraus gezogenen Erträge und Vorteile.
Eine solche Auskunftsplicht dürfte eher eine Selbstverständlichkeit denn ein Geschäftsgeheimnis sein, geht es doch lediglich um abgeleitete Rechte, die von den Urheber*innen selbst stammen. Laut Entwurf kann darüber hinaus zum Nachteil der Urheber*innen darauf verzichtet werden, wenn dies in gemeinsamen Vergütungsregeln oder einem Tarifvertrag vereinbart wurde.
Auch beim Rückrufrecht in Verbindung mit dem Vorkaufsrecht dürfte keine Verletzung von Geschäftsgeheimnissen vorliegen. Aus einem individuellen Verlagsvertrag etwa kann kaum auf die Gesamtkalkulation eines Verlags und damit auf geheimhaltungsbedürftige Aspekte gegenüber Konkurrenten geschlossen werden. Zum anderen erfährt gegebenenfalls lediglich der alte Verleger die Konditionen des Konkurrenten – nämlich dann, wenn er sein Vorkaufsrecht wahrnehmen will. Schließlich wäre es hier aber auch denkbar, eine entsprechende Verschwiegenheitsklausel zu vereinbaren, ohne dass das Rückrufrecht selbst leer läuft.
Fazit: Eine Verfassungswidrigkeit im Referentenentwurf kann ich nicht erkennen. Dennoch wäre es zur Stärkung der Rolle der Urheber*innen angebracht, ein weitergehendes, nämlich bedingungsloses Rückrufrecht im Gesetz zu verankern.
2 Kommentare
1 Fritz Iv am 15. Februar, 2016 um 11:30
Ein bedingungsloses Kündigungsrecht (mit Fristen) wäre *eigentlich” logisch. Aber auch btatsächlich? Das inhaltliche Problem besteht darin, dass ein Verlag nicht einfach ein Dienseleister ist, sondern auch ein “Vorleister”. Es müsste daher auch Kündigungsschutzklauseln geben. Einen anderen Aspekt, den man beim Versuch fair zu sein, nicht übergehen darf, ist das Mischkalkulationsprinzip, das jedem Verlag ökonomisch zugrunde liegt. Verlage können nur vorleisten, indem sie wegen der Unkalkulierbarkeit der Erfolge die Risiken mischen (Risikotransformation zwischen Tops & Flops), pro Saison, aber auch pro Autor (Aufbau einer “Autorenmarke” über die Zeit). Meist wird ein “aufgebauter” Autor nicht kündigen wollen (außer dass er vom “kleinen” Verlag zum Prominenteren möchte), dennoch wäre ein Fragezeichen hinter dem “bedingungslos” zu machen und zu überlegen, ob so ein Gesetz außer Kündigungsgründen (z.B. Vertragspflichtenvernachlässigung) und -fristen auch Kündigungsschutzgründe umreißen müsste? Entscheidend ist ja, dass der Vertrag nicht zu einem einseitigen Vorteil oder sogar Druckmittel verkommen darf, und das müsste in beide Richtungen gelten. Sonst haben wir “Bundesliga-Verhältnisse” – die kleinen Vereine bilden aus, die großen greifen sich dann die besten Spieler ab (Ablösesummen fehlen dann noch).
2 Matthias Ulmer am 18. Februar, 2016 um 17:34
Eine interessante Betrachtungsweise: die Verleger sind zu hundert Prozent von den Autoren abhängig, die Autoren aber den Verlegern strukturell total unterlegen.
Wenn man die Weltsicht etwas differenziert, dann gibt es viele Bereiche, in denen die Verleger überhaupt nicht abhängig sind, sondern das Medium haben und sich die Autoren aussuchen können. In diesen Fällen sind Autoren strukturell unterlegen.
Und es gibt viele Bereiche, in denen die Verleger wirklich vollständig abhängig sind, die Autoren sich ihre Verleger aussuchen können und dann aber auch strukturell mitnichten unterlegen sind.
Jetzt könnte man darüber philosophieren, ob es mehr vom einen oder anderen gibt, welcher Bereich schützenswerte ist, wie man da regelnd eingreift usw. Das ist auf jeden Fall alles besser als so zu tun, als ob die Autoren das ein und Alles sind und total versklavt werden.
Gesetzliche Regelungen sollten nicht den Sonderfall regeln und dann alles durch dieses Nadelöhr zwingen, sondern das Allgemeine regeln und für den Sonderfall Absicherungen bilden. Die kann man stärken, die Prozeduren vereinfachen, Schiedsstellen schaffen usw.
Was sagen Sie dazu?