Christoph Möllers: Reform bei Urheber-Verträgen verfassungsrechtlich bedenklich
Hintergrund: Reform des Urhebervertragsrechts
Mit einem ersten Entwurf (PDF) hat das Justizministerium im September 2015 eine Reform des Urhebervertragsrechts eingeleitet. Erklärtes Ziel ist es, die Stellung von Urhebern gegenüber Verwertern zu verbessern. So sollen
- die Regelungen klarer festschreiben, dass mehrfache Verwertung eines Werks separat zu vergüten ist,
- Urheber das Recht erhalten, einen Vertrag mit Verwertern nach fünf Jahren zurückzurufen, Verwerter zu Auskunft und Rechnungslegung verpflichtet werden,
- Urheberverbände rechtlich gegen unangemessene Vergütungen vorgehen können (Verbandsklagerecht).
In der Diskussion wurde seitdem ebenso Unterstützung wie Ablehnung deutlich. Im Interview sah Rechtswissenschaftler Karl-Nikolaus Peifer gute Chancen für Reformen. Kritik überwog auf einer Konferenz des Instituts für Europäisches Medienrecht (EMR) Ende Januar in Berlin. Dort standen überwiegend Vertreter von Verbänden der Verwerter und Produzenten auf der Rednerliste. Christoph Möllers, Rechtsprofessor an der HU Berlin, stellte Thesen (PDF) vor, über die wir ihn befragten.
iRights.info: Herr Möllers, Sie halten den Entwurf zum Urhebervertragsrecht aus verfassungsrechtlicher Sicht für bedenklich. Wo liegt Ihrer Ansicht nach das Problem?
Christoph Möllers: Das vorgeschlagene Gesetz verfolgt zwei sich widersprechende Ziele. Einerseits will es sogenannte Vertragsparität zwischen Urhebern und Verwertern erreichen, also eine Gleichberechtigung dieser Vertragsparteien. Andererseits will es einen sozialstaatlichen Ausgleich erreichen zugunsten der Urheber, deren soziale Situation soll mit Hilfe der Regulierungen verbessert werden.
Diese Unklarheit in den Zielen des Gesetzes rechtfertigt es nicht, einen – meiner Meinung nach – so tiefen Eingriff in die Berufsfreiheit der Beteiligten vorzunehmen.
iRights.info: Worin äußert sich das?
Christoph Möllers: Das Ziel eines Gesetzesentwurfes ist eigentlich immer nur in den Begründungen zu erkennen. Man kann als Verfassungsrechtler immer nur fragen, welchen Zwecken das Gesetz als solches dienen soll. Aber man erkennt die Ziele in gewisser Weise auch am Regelungsregime, an den Bezügen und Verbindungen der Regelungen untereinander, die einem Rahmen, einem Leitbild folgen.
Das Regelungsregime dieses Entwurfes macht auf der einen Seite die vertragliche Bindung sehr schwach, etwa mit den relativ kurzen Fristen für das neue Rückrufrecht. Aber auf der anderen Seite legt es diese Schwäche zugunsten einer der beiden Vertragsparteien aus, in diesem Fall der Urheber. Diese Gewichtung halte ich für verfassungsrechtlich problematisch.
iRights.info: Urheber, die als Freiberufler soloselbständig arbeiten, stehen in Vertragsverhandlungen oft großen Verlagen, Sendern oder Medienproduzenten gegenüber. Sind sie als Einzelne nicht per se der ungleichere, schwächere Partner?
Christoph Möllers: Natürlich gibt es Schwierigkeiten mit der Parität, das will ich gar nicht schönreden. Und gewiss gibt es auch soziale Probleme. Sehr viele Urheber können von ihrer Arbeit nicht leben. Aber ich denke, man muss sich genau überlegen, mit welchen Rechtsregimes man welche Probleme löst.
Ich habe nichts gegen eine sozialversicherungstechnische Lösung, so etwas wie die Künstlersozialkasse, die dazu beiträgt, kreative Urheber sozial abzusichern und wirtschaftlich zu entlasten. Und es gibt noch weitere sozialstaatliche Mittel für Entlastung oder auch Förderung.
Auf der anderen Seite muss man darauf achten, dass Vertragsparteien auf Augenhöhe Verträge schließen können. Ich bin mir zudem nicht sicher, ob es für potenzielle Urheber nicht sehr viele Verluste mit sich bringt, wenn sie nicht mehr die Möglichkeit haben, sich langfristig an einen Verwerter zu binden.
Es ist doch oft so – ich kann aus eigener Erfahrung als Autor sprechen – dass man für seine Bereitschaft, sich langfristig zu binden, etwa an einen Verlag, auch etwas bekommt. Beispielsweise die Sicherheit, dass die Kalkulation auch dann zu Gunsten des Autors wirkt, wenn sich das konkrete Werk als nicht besonders gewinnträchtig erweist. Ich wage also zu bezweifeln, dass Urheber unter langfristigen Bindungen ökonomisch nur leiden.
iRights.info: Der Gesetzentwurf sieht vor, dass sich Urheber und Verwerter länger binden können, wenn beide es wollen, zudem sind vor Ablauf der Rückruffrist neue Verhandlungen möglich. Wäre es für beide Seiten also nicht nur eine Änderung bisheriger Gewohnheiten?
Christoph Möllers: Das ist – glaube ich – nicht so, weil der Verwerter einkalkulieren muss, wie lange der Vertrag hält. Und er muss auch einkalkulieren, dass der Vertrag eben nicht länger hält als die gesetzliche Laufdauer. Das heißt, diese Regelung mit der gesetzlichen Laufzeit von fünf Jahren ist sehr pauschal und geht zu wenig darauf ein, wo die Probleme der einzelnen Urheber sind, die ja sehr unterschiedlich sein können. Es haben sich ja sehr viele Urheber gegen diesen Gesetzesentwurf ausgesprochen.
iRights.info: Sind die Verwertungszyklen für urheberrechtlich relevante Produkte – Bücher, Filme, Musikprodukte – heutzutage nicht viel kürzer als noch vor 10, 20 Jahren?
Christoph Möllers: Einerseits mag das stimmen. Andererseits haben wir, gerade im Buchverlagswesen, immer noch viele Verlage, die davon leben, ihre Produkte sehr langfristig zu verwerten. Die denken tatsächlich in Jahrzehnten, das gilt gerade für erfolgreiche Bücher.
iRights.info: Sie beziehen sich auch auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2013, mit dem es Regelungen aus der Urheberrechtsreform von 2002 für verfassungskonform erklärte. Welche Bedeutung hat das für den Gesetzesvorschlag?
Christoph Möllers: In seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht ausgedrückt, dass das Gesetz einen nicht unerheblichen Eingriff in die Vertragsfreiheit bedeute, die durch Artikel 12, Absatz 1 des Grundgesetzes geschützt ist. Betrachtet man den aktuellen Referentenentwurf nun im Vergleich zum bestehenden Urhebervertragsrecht von 2002, dann verschärft er bestimmte Regelungen von damals – er zieht die sozusagen dieselben Schrauben weiter an. Insofern haben wir so etwas wie einen „Nicht unwesentlichen Eingriff Plus“.
Und genau hier ist das Problem. Mit der Begründung des Entwurfs, das Gesetz von 2002 hätte nicht die gewünschten Effekte erzielt, deswegen ist es zu verschärfen, ist das geplante Gesetz aus meiner Sicht verfassungsrechtlich problematisch. Wenn das bisherige Gesetz nicht wirklich funktionierte, wieso muss man es denn im Kern verschärfen, statt es zu erneuern? Das finde ich schwer zu erklären.
iRights.info: Die Argumentation im Entwurf lautet, dass sich Positionen und Situationen der Urheber – trotz bisheriger Regulierungen – nicht hinreichend verbessert, sondern eher verschlechtert haben.
Christoph Möllers: Der Gesetzgeber hat gegenüber einer einmal gewählten Regulierung eine „Beobachtungspflicht“. Er muss zwar nicht empirische Forschung vorlegen, auch zu wissenschaftlicher Aufarbeitung von Gesetzeswirkungen ist er nicht verpflichtet. Doch wenn er etwas reguliert, dann muss er verfolgen, wie dieser Regelungsansatz funktioniert, und die Erkenntnisse aus diesen Beobachtungen müssen dokumentiert werden. Davon lässt der Entwurf wenig erkennen.
iRights.info: Sie haben sich den Entwurf auch daraufhin angesehen, wie sehr die Regelungen in die Berufsfreiheit der Verwerter eingreifen würden. Wie lautet Ihre Einschätzung?
Christoph Möllers: Für Verwerter, nehmen wir als Beispiel wieder die Verlage, ist das Abschließen von Verträgen der wichtigste Part ihres wirtschaftlichen Handelns. Insofern ist es konstitutiv für die Berufsausübung der Verleger. Ein so tiefer Eingriff in die Vertragsfreiheit wäre mit einer Berufszulassungsschranke vergleichbar.
Zudem ermöglichen das geplante Auskunftsrecht und das Rückrufrecht, dass etwaige neue Verwertungspartner eines Urhebers einen Einblick in bestehende, fremde Verträge bekommen können. Auch das wäre ein harter Eingriff in den grundgesetzlich Schutz von Geschäftsgeheimnissen.
iRights.info: Gilt Ihre Kritik auch dem geplanten Verbandsklagerecht, um eine angemessene Vergütung durchzusetzen?
Christoph Möllers: Da sehe ich eigentlich kein verfassungsrechtliches Problem. Es gibt hier, glaube ich, vielmehr praktische Probleme, weil man – anders als im Arbeitsrecht – noch nicht so richtig weiß, welche Urheber sich tatsächlich auf diese Regeln berufen können und welche nicht. Das liegt daran, dass der Organisationsgrad der Urheber noch sehr schwach ist.
Aus Sicht der Urheber wäre es daher gut gewesen, wenn sie sich stärker organisiert und dieses Instrument der Kollektivregelung von Vergütungen viel mehr genutzt hätten. Doch das haben sie bisher nicht getan, vielmehr sind die Urheber sehr stark zersplittert und verfolgen auch sehr zersplitterte Interessen. Dies spricht aus meiner Sicht dafür, dass ein urheberfreundlicher Gesetzentwurf stärker zwischen den verschiedenen Arten von Urhebern differenzieren müsste.
iRights.info: Juristen fordern oft, man solle Gesetze nicht zu weit ausdifferenzieren, sondern das der Rechtsprechung überlassen.
Christoph Möllers: So denke ich zumindest nicht. Ich würde sagen, wenn ein Gesetz auf so spezifische Probleme eingeht wie die der Urheber, dann muss es auch eine Typisierung treffen, und kann nicht alle gleich behandeln.
iRights.info: Der Rechtswissenschaftler Stefan Thomas sieht (PDF) die abgeschlossenen gemeinsamen Vergütungsregeln als Verstoß gegen das EU-Kartellrecht wegen unerlaubter Preisabsprachen. Alternativ könne der Gesetzgeber konkrete Gebührenregelungen aufstellen wie bei Anwälten oder Architekten. Was halten Sie davon?
Christoph Möllers: Die kartellrechtliche Frage kann ich juristisch nicht beurteilen. Aber wenn ich die Erläuterungen so höre, dann könnte es durchaus so sein.
iRights.info: Und kann man sich solche Gebührenordnungen für Kreativberufe tatsächlich vorstellen?
Christoph Möllers: Warum nicht? Wir haben ja bei den Mindestlohnregelungen gesehen, dass gesetzgeberische Maßnahmen durchaus möglich sind, deswegen ist das nicht grundsätzlich auszuschließen. Verfassungsrechtlich wäre es denkbar, aber politisch wäre es wahrscheinlich nur sehr schwer durchzusetzen.
4 Kommentare
1 Philipp Joos am 3. Februar, 2016 um 12:29
Ist doch sinnloses Gerschwalle an den Regelungen des Gesetzentwurfs und an der Praxis vorbei. Keinem Autor soll doch verboten werden, sich länger zu binden. Aber vorher kann er die Frage stellen: Was kriege ich dafür? Allein dabei würde sich freilich fast das ganze Selbstlob der Verwerter als leeres Geschwätz entlarven. –
P.S. Wenn mir ein Referendar in der Kanzlei sowas Wirres als Gutachtensentwurf vorlegen würde, wäre der nicht mehr lange da.
2 Jonathan Beck am 3. Februar, 2016 um 15:27
Sehr geehrter Herr Joos, das hat der Fragesteller leider falsch formuliert. Die Aussage “Der Gesetzentwurf sieht vor, dass sich Urheber und Verwerter länger binden können, wenn beide es wollen” stimmt nicht. Im Gegenteil: Der Gesetzentwurf macht es Autoren *unmöglich*, sich definitiv länger zu binden als 5 Jahre. Das Rückrufsrecht nach 5 Jahren ist nur durch einen kollektiven Tarifvertrag abdingbar, aber nicht durch eine individuelle Vereinbarung zwischen Verlag und Autor. Das ist genau das Problem.
3 Kamar Schumann am 11. Februar, 2016 um 19:32
Zu Herrn Beck:
Der Gesetzentwurf macht es Autoren nicht unmöglich, sich länger zu binden, denn sie haben es in der Hand, auf den Rückruf zu verzichten. Ein Rückruf ist ein Gestaltungsrecht, das ausgeübt werden kann, aber nich muss. Herr Joos sieht das also richtig.
Zum Gutachten:
1. Der Widerspruch zwischen Vertragsparität und Sozialschutz besteht nicht. Erst durch eine Besserstellung der vertraglichen Position, kann sich der Kreative auch materiell verbessern. Hier zeigt sich der Unterschied zwischen formaler und materieller Vertragsfreiheit. Das BVerfG hat dies mehrfach – zuerst in seinen Bürgschaftsentscheidungen – klar formuliert.
2. Der Entwurf will allerdings keine Grundsicherung für Kreative, sondern eine Verbesserung ihrer Vertragsstellung: mehr Kontrolle, bessere Lösungsrechte, mehr Transparenz. Da diese Rechte in der Praxis nicht freiwillig gewährt werden (obgleich Gleiches im Verletzungsfall von den in das Recht Eingreifenden stets verlangt wird), ist es sinnvoll, hierzu gesetzliche Ansprüche bereitzustellen.
3. Der Umstand, dass Verleger von Longlists profitieren, ist einleuchtend, doch ist es Anliegen des Urheberrechtsgesetzes sicherzustellen, dass der Kreative selbst von der langen Schutzdauer profitiert.
4. Insgesamt scheinen die verfassungsrechtlichen Überlegungen keineswegs zu klaren Einschätzungen zu führen. Zweifeln an der Vereinbarkeit mit der Verfassung kann man natürlich immer, allerdings dann in beide Richtungen, denn das Urheberrecht ist Eigentum zugunsten des Werkschöpfers, nicht zugunsten des Verwerters. Davon erwähnt der Gutachter überraschend nichts (jedenfalls in seinen Thesen).
4 Thomas Elbel am 8. März, 2016 um 18:01
@Joos&Schumann
Nein, Herr Beck hat Recht. Der Autor kann nicht vorab auf sein Rückrufrecht verzichten, sondern erst dann, wenn dies fällig ist. Daher muss der Verleger die Unsicherheit des Rückrufs einkalkulieren. Herrn Joos Polemik ist also völlig unberechtigt. Vielleicht sollte man einem versierten Verfassungsrechtler wie dem Kollegen Möllers zutrauen, dass er weiß, wovon er redet. Ich komme zu den exakt gleichen Schlüssen.
Was sagen Sie dazu?