Nennt man das Enteignung? Die Debatte zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage
„In zehn Jahren ist Google tot“ – Diese Prognose des Zeitungsverlegers Christian DuMont Schütte erscheint am 27. August 2007 als Schlagzeile in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zwei Jahre später sind die Verleger sich nicht mehr ganz so sicher. „Wir werden schleichend enteignet“, lautet die Überschrift am 30. Juni 2009. Sie stammt von Hubert Burda, dem Präsidenten des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV).
Wenn man Burda glauben darf, so ist an der Finanzmisere der Zeitungen in erster Linie Google schuld. „Onlinewerbung funktioniert“, stellt er in seinem Artikel fest. „Aber sie landet vor allem bei Suchmaschinen wie Google oder Yahoo. Dort werden online weit höhere Umsätze erzielt als mit den Websites der Verlage.“ Nennt man das „Enteignung“? Burda schon. Denn wenn es keine Inhalte gäbe, könnten die Suchmaschinen auch nichts finden. „Wir debattieren daher in zunehmendem Maße darüber, ob wir es weiter akzeptieren können, wenn andere kommerzielle Anbieter aus unseren Angeboten und damit von unserem originären journalistischen Handwerk einen größeren wirtschaftlichen Nutzen ziehen, als wir selbst es tun.“
Viele freie Journalisten haben sich beim Lesen dieser Zeilen verwundert die Augen gerieben. Nicht nur, weil die deutschen Zeitungen nach Angaben des BDZV 50 Prozent ihrer Seitenzugriffe durch Google erhalten. Sondern auch, weil die originäre Leistung von Journalisten erbracht wird, nicht von Verlagen. Wenn ein Text in der Zeitung erscheint, erhält der freie Autor dafür zwar ein Zeilenhonorar, doch damit sind in der Regel sämtliche Nutzungen des Textes abgegolten. Wenn der Artikel zugleich im Internet erscheint, bekommt der Journalist kein zusätzliches Honorar. Auch an den Einnahmen der von den Zeitungen selbst betriebenen Online-Archive, die einzelne Artikel später an Endkunden weiterverkaufen, werden die Autoren nicht oder nur in sehr geringem Maße beteiligt. Wer sich weigert, entsprechende Verträge zu unterzeichnen, erhält in der Regel keine Aufträge mehr.
Kontrolle ist gut, Verwertung ist alles
Dennoch sind es nicht die Journalisten, sondern die Verleger, die vor dem vermeintlichen „Content-Klau“ durch Google & Co. durch ein neues Gesetz geschützt werden sollen. Die Rede ist von einem verlegerischen Leistungsschutzrecht. Was ist das?
Am besten lässt es sich in Abgrenzung zum Urheberrecht erklären. Das europäische Urheberrecht ist dem Wesen nach ein Monopolrecht: Es verleiht dem Schöpfer eine sehr weitreichende Kontrolle über sein Werk. Nur er allein entscheidet, wer es in welcher Weise nutzen darf. Wenn eine Zeitung einen Artikel drucken will, muss sie den Journalisten vorher fragen und ihm ein entsprechendes Nutzungsrecht (Verwertungsrechte) abkaufen. Für eine andere Form der Verwertung, etwa eine Veröffentlichung im Internet, muss der Verlag zusätzlich ein anderes Nutzungsrecht erwerben. Theoretisch kann ein einzelner Autor also dadurch, dass er das Urheberrecht an seinen Texten hält, eine Menge Geld verdienen. Praktisch hängt sein Einkommen eher davon ab, wie stark seine Position bei den Vertragsverhandlungen ist.
Verwerter künstlerischer Arbeit verfügen selbst über keine Urheberrechte. Der Herausgeber oder Redakteur einer Zeitung schreibt die Artikel, die dort erscheinen, nicht selbst. Die bloße redaktionelle Zusammenstellung oder der Druck sind urheberrechtlich nicht schutzfähig, und das Urheberrecht selbst ist nicht übertragbar. Verlage verfügen also nicht über eigene, sondern nur über abgeleitete Rechte (Verwandte Schutzrechte) an geistigem Eigentum: Indem der Verlag sich das Recht übertragen lässt, den Text eines Autors in allen denkbaren Medien- und Verwertungsformen zu nutzen, rückt er in die Rechtsposition des Autors ein. Der Verlag hält dann faktisch alle Verwertungsrechte an dem jeweiligen Werk.
Und ein Leistungsschutzrecht? Ein Leistungsschutzrecht ist dazu gedacht, die wirtschaftliche Investition eines Verwerters unabhängig vom Urheberrecht der Autoren zu schützen. Es ist ein eigenes Recht, das sich nicht aus dem Urheberrecht des Schöpfers ableitet. Über Leistungsschutzrechte verfügen in Deutschland beispielsweise Filmproduzenten und Tonträgerhersteller. Da die Herstellung etwa eines Films besonders teuer und aufwändig ist, war der Gesetzgeber der Meinung, die Verwerter bedürften hier eines besonderen Investitionsschutzes.
Google, der große Trittbrettfahrer?
Nun sollen also auch Verleger einen solchen Schutz bekommen. Warum, das lässt sich nachlesen bei Jan Hegemann, der sich vor allem als Anwalt des Axel-Springer-Verlags einen Namen gemacht hat. Bereits am 9. April 2009 lieferte er in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die ideologische Begründung für die Forderung nach einem Leistungsschutzrecht. Zum einen müssten die Verleger in die Lage versetzt werden, sich gegen unerlaubte Nutzungen im Internet zur Wehr zu setzen. Zum anderen stört Hegemann sich an Nachrichtenangeboten wie Google News, wo über kurze Textausschnitte auf die Webseiten der Verlage verlinkt wird. Über diesen „Zugriff auf die Online-Angebote der Zeitungen“, so beschwert sich Hegemann, verwerte Google „entgeltfrei“ deren Inhalte.
Beide Argumente sind haltlos. Die allermeisten Zeitungsartikel werden von den Verlagen selbst kostenlos im Internet zur Verfügung gestellt. Die Zahl der ungenehmigten Veröffentlichungen auf fremden Webseiten ist überschaubar. Ohnehin könnten die Verlage, da sie sich ja in der Regel von ihren Autoren die entsprechenden Rechte übertragen lassen (“Total Buy-out“-Verträge), jederzeit gegen „Raubkopien“ vorgehen. Die „Snippets“ bei Google News hingegen sind so kurz, dass sie für sich genommen ohnehin nicht schutzfähig im Sinne des Urheberrechts sind.
Das allerdings könnte sich mit der Einführung eines verlegerischen Leistungsschutzrechts ändern. Tonträgerhersteller können schon heute Musikern die Verwendung von Samples verbieten, auch wenn diese so kurz sind, dass das Urheberrecht dabei gar nicht greift: indem sie sich nämlich auf das Leistungsschutzrecht an der Aufnahme berufen. Ebenso könnten die Zeitungen zukünftig Google die Anzeige von „Snippets“ verbieten – oder, noch besser, Geld dafür verlangen.
Google hat jedoch den Protest der Verleger bislang immer als unberechtigt zurückgewiesen. Wer nicht von der Suchmaschine gefunden werden wolle, so argumentieren deren Macher, könne ja mit einem einfachen Befehl im Code der betreffenden Internetseite selbst dafür sorgen, dass diese von Google nicht mehr indiziert werde. Tatsächlich kommen auch Juristen zu dem Schluss, dass es rechtlich wohl als „konkludente Einwilligung“ zu werten sei, wenn die Zeitungsverlage diese einfache Maßnahme nicht ergriffen. Nicht von Google gefunden zu werden, würde für die meisten Zeitungen indes bedeuten, dass ihre Internetseiten von noch weniger Lesern besucht würden. Dies wäre nicht nur schlecht für ihren Bekanntheitsgrad, sondern würde auch zu einem Rückgang der Werbeeinnahmen führen, die auf diesen Seiten über sogenannte „Ad-Word“-Anzeigen erzielt werden, also durch Werbung, die auch wieder von Google kommt.
Folglich hat man sich für einen anderen Weg entschieden. Am 12. November 2009 gab Springer-Vertreter Christoph Keese in der Financial Times Deutschland die Absicht der Verleger bekannt, eine „Verwertungsgesellschaft Print/Online“ zu gründen. Und am 20. Januar 2010 erläuterte er auf einer von der Heinrich-Böll-Stiftung veranstalteten Podiumsdiskussion, die Verlage wollten ihre Inhalte „für gewerbliche Nutzer lizenzieren“. Für private Nutzer werde sich mit der Einführung des verlegerischen Leistungsschutzrechts überhaupt nichts ändern.
Dass die Einführung eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger der Allgemeinheit keinerlei Nachteile bringen werde, wird von Verlegerseite seither stets aufs Neue und mit zunehmender Eilfertigkeit betont. Robert Schweizer, Rechtsvorstand des Burda-Verlags, brachte es in einem am 7. März im Blog Carta vorab veröffentlichten Interview des medienpolitischen Fachmagazins promedia auf den Punkt: „Das Leistungsschutzrecht richtet sich gegen niemanden.“ Mit solchen Beschwichtigungen soll offenbar Kritikern, die vor der Einführung eines Gebührensystems für das Internet warnen, der Wind aus den Segeln genommen werden.
Formal hat Robert Schweizer zwar Recht: Ein Leistungsschutzrecht richtet sich nicht „gegen“ irgendjemanden. Doch es handelt sich um ein Schutzrecht, das wie ein Verbotsrecht wirkt. Der Inhaber eines solchen Schutzrechts kann Dritten die Nutzung seines Werks untersagen – oder aber sie gegen Zahlung einer Lizenzgebühr genehmigen. So kann beispielsweise eine Filmproduktionsfirma einem Fernsehsender untersagen, seinen Film zu senden, es sei denn, der Sender ist bereit, für das Senderecht zu bezahlen. Er kann dies tun, auch wenn Drehbuchautor, Regisseur oder Schauspieler gegen die Aussendung nichts einzuwenden haben, da die Produktion als solche durch ein eigenes Leistungsschutzrecht geschützt ist, unabhängig von den Rechten der Urheber. Zukünftig, so stellen die Verleger es sich vor, sollen auch sie entsprechende Verbots- und damit Genehmigungsrechte bekommen.
Unklar ist jedoch, wer dann eigentlich für was bezahlen soll. Denn wer ist ein gewerblicher Nutzer? Die „Snippets“ mit Nachrichtenschlagzeilen bei Google News fallen ganz sicher unter gewerbliche Nutzung. Aber wie sieht es beispielsweise mit den Zitaten und Links beim Internet-Kulturmagazin Perlentaucher aus? Der Perlentaucher verlangt zwar kein Geld von seinen Lesern, doch er verkauft seine Zusammenfassungen von Zeitungsrezensionen an Internetbuchhändler, was durchaus eine kommerzielle Tätigkeit ist – und den Zeitungen seit jeher ein Dorn im Auge, denn dieses Geschäft würden sie lieber selbst machen. Wie sieht es bei privaten Blogs aus, die Werbeanzeigen integrieren? Die Grenze zwischen privat und gewerblich ist hier schwer auszumachen. Last but not least: Ist nicht auch die Dienstleistung von Internetprovidern eine gewerbliche Leistung?
Womöglich läuft ein zukünftiges Presse-Leistungsschutzrecht also darauf hinaus, dass Internet-Provider auf gewerbliche Anschlüsse eine zusätzliche Gebühr erheben und an die Verleger weiterleiten sollen. Allerdings: Wer von gewerblichen Nutzern Geld verlangen darf, darf jederzeit auch Privatleute zur Kasse bitten. Das Urheberrecht unterscheidet nämlich nicht grundsätzlich zwischen gewerblicher und privater Nutzung. Genauer gesagt: Von einer „Nutzung“ im urheberrechtlichen Sinne spricht man nur dann, wenn Werke zu anderen als rein privaten Zwecken vervielfältigt oder wenn sie öffentlich zugänglich gemacht werden. Die bloße Lektüre von Zeitungsartikeln ist also ohnehin keine „Nutzung“ – und alles, was darüber oder über den eng abgesteckten Bereich der Privatkopie hinausgeht, ist grundsätzlich genehmigungs- und damit potenziell kostenpflichtig, ob nun Geld damit verdient wird oder nicht. Falls sich an der grundsätzlichen Systematik des Urheberrechts nichts ändern soll, ist das Versprechen, dass Privatleute von Gebühren verschont bleiben werden, also nichts weiter als eine Goodwill-Erklärung.
Steht also womöglich doch die schleichende Einführung einer flächendeckenden Gebühr bevor? Läuft das verlegerische Leistungsschutzrecht in der Praxis auf eine Art privatwirtschaftliche Kulturflatrate hinaus? Unter diesem Stichwort wird in verschiedenen Kreisen, bei Netzaktivisten ebenso wie in politischen Parteien, seit längerem diskutiert, ob es nicht sinnvoll wäre, auf jeden Internetanschluss eine Abgabe zu erheben. Die könnte dann an Künstler und Kulturschaffende ausgeschüttet werden. Im Gegenzug könnte Filesharing, also die Übertragung von urheberrechtlich geschützten Dateien in Internet-Tauschbörsen, legalisiert werden. Das Modell ist jedoch bei den Verwertern, also bei Musikindustrie und Verlagswesen, auf Entrüstung gestoßen und mit einem Verweis auf das Urheberrecht als „Enteignung“ abgelehnt worden. Dass ein Rechtsgutachten der Grünen im Jahr 2009 zu dem Schluss kam, eine Kulturflatrate sei durchaus mit europarechtlichen Vorgaben vereinbar, änderte daran wenig. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger lehnte das Modell noch im März als „Zwangskollektivierung“ ab: Es könne „nicht der richtige Weg“ sein, wenn „der Rechtsinhaber nicht mehr frei über seine Rechte bestimmen“ dürfe, sagte sie dem Magazin promedia. Freilich könnte genau dies auch die Folge der Einführung eines Leistungsschutzrechts für Verleger sein. Wie sich das neue Rechtskonstrukt nämlich zu den Urheberrechten des Journalisten verhält, ist bislang völlig ungeklärt. Fest steht nur, dass Journalisten zukünftig nicht mehr die alleinigen Inhaber an den Veröffentlichungsrechten sein werden.
Journalismus benötigt neue Finanzierungsmodelle
Dies führt zu der Frage, worin die vielfach beschworene und angeblich so schutzbedürftige „verlegerische Leistung“ in ihrem Ursprung eigentlich besteht (verwandte Schutzrechte). Nämlich darin, dass der Verleger Kapital investiert, um die Arbeit des Urhebers, also des Journalisten, zu ermöglichen. Das eigentlich schützenswerte Gut ist jedoch aus Sicht des Gesetzgebers und damit letztlich der Gesellschaft nicht das investierte Kapital, sondern die Arbeit des Urhebers.
Muss man befürchten, es gäbe keinen Journalismus mehr, wenn es keine Zeitungen mehr gäbe? Keineswegs: Die Möglichkeit zu publizieren, ist heutzutage nicht mehr von Kapitalgebern abhängig, und gerade gesellschaftskritischer, politisch engagierter Journalismus findet ohnehin fast nur noch im Internet statt. Diese Möglichkeit zu erhalten, muss einer demokratischen Gesellschaft ein Anliegen sein. Nicht minder dringend müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Journalisten im Netz für ihre Arbeit ein angemessenes Honorar erzielen können.
Die Chancen dafür steigen nicht, wenn die Zeitungen journalistische Texte, die sie bereits in ihren werbefinanzierten Printausgaben abgedruckt haben, im Internet zweitveröffentlichen, ohne die Autoren zusätzlich zu honorieren (“Total Buy-out“ Verträge). Sie steigen auch nicht, wenn Verleger dafür zukünftig Lizenzgebühren erheben. Statt zu überlegen, wie die „verlegerische Leistung“ vor Google & Co. geschützt werden kann, stellte man besser die Frage, wie zukünftig ein unabhängiger, freier Journalismus finanziert werden soll. Man wird kaum ernsthaft behaupten können, eine Kulturflatrate sei die richtige Antwort auf diese Frage. Protektionistische Maßnahmen wie das Leistungsschutzrecht sind jedoch eher kontraproduktiv, weil sie verhindern, dass Urheber sich von den etablierten Verwerterindustrien emanzipieren und im besten Sinne unabhängig werden können. Nichts jedoch braucht Journalismus heutzutage dringender als Unabhängigkeit.
Ilja Braun hat Germanistik sowie Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Berlin und Glasgow studiert, war Volontär beim Verlag Kiepenheuer & Witsch und Redakteur beim Kölner Emons Verlag im Bereich Medienhandbücher. Er schreibt für Die Welt, denPerlentaucher und das Gemeinschaftsblog Carta, überträgt Romane und Sachbücher sowie journalistische Texte aus dem Englischen und Niederländischen ins Deutsche, und er ist im Auftrag von Buchverlagen als Lektor tätig. Braun hat für den Westdeutschen Rundfunk, die Süddeutsche Zeitung, die Deutsche Welle und die Literaturzeitschrift Edit gearbeitet, die Pressearbeit des Verbands Deutschsprachiger Literaturübersetzer betreut und Literaturveranstaltungen organisiert. Ilja Braun lebt und arbeitet in Köln. Eine leicht abweichende Version des Textes ist zeitgleich in der Zeitschrift polar 8 erschienen.
Dieser Beitrag gehört zur Reihe „Copy.Right.Now! – Plädoyers für ein zukunftstaugliches Urheberrecht”, die auch als gedruckter Reader erschienen ist. Er steht unter der Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND.
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