Nach der Reform des Urheberrechts für Bildung und Wissenschaft – OER bleiben notwendig

Illustration: Henry Steinhau, CC BY, unter Verwendung der Illustration „Scanner“ von „Vectors Point“ von „the Noun Project“ CC BY
Im März 2018 trat das „Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse der Wissensgesellschaft“ (UrhWissG) in Kraft. Im Zentrum dieser Reform standen Neuerungen, die den Umgang mit urheberrechtlichen Werken in Bildung und Wissenschaft erleichtern. Trotzdem ist die Nutzung freier Lizenzen wie Creative Commons für Bildungsmedien nach wie vor sinnvoll – weil nur sie die Bearbeitung, gemeinsame Weiterentwicklung und leichte Verbreitung ermöglichen.
Die neue Rechtslage nach der Reform
Das Recht berücksichtigt durchaus, dass Bildung kaum vermittelbar und wenig anschaulich wäre, wenn urheberrechtlich geschützte Inhalte gar nicht oder nur unter erheblichen Mühen verwendet werden dürften. Deshalb gab es schon vor der Reform Ausnahmevorschriften, sogenannte „Schranken“, die die Nutzung von geschützten Inhalten unter bestimmten Bedingungen erlaubten. Diese Vorschriften waren aber oft kompliziert, unverständlich und in ihrem Anwendungsbereich umstritten. Die neuen gesetzlichen Regelungen haben sie neu systematisiert und sogar die Handlungsmöglichkeiten für Bildungsakteure an einigen Stellen erweitert.
Als zentrale Vorschrift regelt nun der Paragraf 60a des Urheberrechtsgesetzes die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten in Unterricht und Lehre.
Die neue 15-Prozent-Regel
Zur Veranschaulichung des Unterrichts und der Lehre an Bildungseinrichtungen dürfen bis zu 15 Prozent eines veröffentlichten Werkes vervielfältigt, verbreitet, öffentlich zugänglich gemacht und in sonstiger Weise öffentlich wiedergegeben werden. Bedingung ist, dass mit der Nutzung keine kommerziellen Zwecke verfolgt werden.
Werke geringen Umfangs, Bilder
Handelt es sich um Abbildungen oder um „Werke geringen Umfangs“ (wie beispielsweise Gedichte) darf auch das ganze Werk genutzt werden (Paragraf 60a, Absatz 2, Urheberrechtsgesetz).
Beiträge aus Zeitungen und Zeitschriften
Bis März 2018 galt die Ausnahme für Werke geringen Umfangs auch für Beiträge aus Tages- und Wochenzeitungen und Zeitschriften. Dies hat sich geändert. Nunmehr dürfen nur noch einzelne Beiträge aus Fachzeitschriften beziehungsweise wissenschaftlichen Zeitschriften genutzt werden. Die bislang gängige Praxis, dass ein Lehrer einen Beitrag aus seiner morgens gelesenen Tageszeitung kopiert, um ihn in der Klasse besprechen zu können, ist so also nicht mehr zulässig.
Allerdings verhandelt die Kultusministerkonferenz derzeit einen Rahmenvertrag mit der Presse-Monitor-GmbH, um auch weiterhin eine Nutzung von Zeitungsartikeln zu ermöglichen. Für die Übergangszeit, bis dieser Rahmenvertrag in Kraft tritt, schlossen die Beteiligten eine Duldungsvereinbarung ab. Das heißt, derzeit ist nicht davon auszugehen, dass Zeitungsverlage gegen das Kopieren von Artikeln für Unterrichtszwecke vorgehen. Dennoch ist unsicher, ob es tatsächlich zu einer Vereinbarung kommt und wie lange diese Duldung andauern wird. Unklar ist weiter, welche Bildungseinrichtungen genau davon profitieren werden.
Schulbücher
Für Schulbücher gibt es eine Sonderregelung in Paragraf 60a, Absatz 3, Urheberrechtsgesetz. Die generelle Erlaubnis, bis zu 15 Prozent kopieren zu dürfen, gilt für sie nicht. Allerdings haben auch hier die Kultusminister mit den Verwertungsgesellschaften einen Rahmenvertrag geschlossen, der es ermöglicht, aus Schulbüchern im gleichen Umfang zu kopieren. Es handelt sich dabei aber nicht um eine gesetzliche Erlaubnis, sondern um eine vertragliche Regelung, die jeweils nur für eine bestimmte Frist gilt und sich in der Zukunft ändern kann. Dies sollte man im Blick behalten. Im Alltag spielt es ansonsten keine Rolle, ob Kopieren aufgrund einer gesetzlichen Regelung oder aufgrund eines Rahmenvertrages zulässig ist.
Generell gilt
Auf jeder Kopie müssen stets die Quelle und Grunddaten angegeben werden: Autor, Buchtitel, Verlag, Erscheinungsjahr und Seite.
Diese Ausnahmeregelungen betreffen alle Bildungseinrichtungen. Dieser Begriff ist weit zu verstehen: Nach Paragraf 60a, Absatz 4 im Urheberrechtsgesetz gehören hierzu „frühkindliche Bildungseinrichtungen, Schulen, Hochschulen, sowie Einrichtungen der Berufsbildung oder der sonstigen Aus- und Weiterbildung.“ Dem Gesetzgeber ging es darum, für alle Einrichtungen, in denen Wissen und Fertigkeiten vermittelt werden, eine umfassende Bereichsausnahme zu schaffen.
Allerdings privilegiert das Urheberrechtsgesetz nur die Nutzung im Unterricht, nicht aber generell jede Form der Bildung. Der Begriff des Unterrichts ist sehr weit zu verstehen und nicht auf Frontalunterricht in einer geschlossenen Klasse eingeschränkt. Vielmehr gelten auch Projektarbeit oder Arbeitsgemeinschaften als Unterricht im Sinne des Gesetzes, solange sie der Aneignung von Fertigkeiten und Wissen dienen. Das gilt auch für moderne Lernformen wie beispielsweise Online-Kurse oder MOOCS (Massive Open Online Courses, das sind offene Online-Kurse auf Universitätsniveau und mit hoher Teilnehmerzahl, die das Angebot eines Online-Forums mit traditionellen Formen der Wissensvermittlung verbinden).
Die Nutzung geschützter Inhalte ist nicht nur im Unterricht selbst erlaubt, sondern auch für die Vor- und Nachbereitung. Das Gesetz bestimmt sehr klar, welche Personen von dieser Privilegierung erfasst werden:
- Lehrende und Teilnehmer der jeweiligen Veranstaltung (Beispiel: Fachlehrende und Teilnehmende eines Oberstufenkurses)
- Lehrende und Prüfer derselben Bildungseinrichtung (beispielsweise das Lehrerkollegium).
Zulässig ist auch, Außenstehenden gegenüber den Unterricht und Lernergebnisse an der Bildungseinrichtung zu präsentieren (etwa bei einem Tag der offenen Tür oder anderen öffentlichen Schulveranstaltungen).
Weitere Voraussetzung ist, dass die Nutzung als solche nicht kommerziell ist. Dabei soll es aber nicht darauf ankommen, ob sich eine Schule in öffentlicher oder privater Trägerschaft befindet. Auch der Unterricht an allgemeinbildenden Privatschulen fällt unter die Norm, nicht aber beispielsweise das Kursangebot kommerzieller privater Sprachschulen.
So sehr die Reform die Nutzung geschützter Inhalte für Bildungszwecke erleichtert – man muss dennoch die Frage stellen, ob das für den modernen Bildungsalltag ausreicht.
Zwei wichtige Gründe sprechen dafür, dass weiterhin Materialien notwendig sind, die frei lizenziert und deshalb weitergehender nutzbar sind, als es die gesetzlichen Schranken ermöglichen.
Das große Manko: Bearbeiten verboten
Die besondere Eigenschaft digitaler Medien und Lernmaterialien besteht gerade darin, dass sie sehr leicht verändert und für die jeweilige Unterrichtssituation angepasst werden können. Genau dies ist aber auch nach den reformierten Bestimmungen des Urheberrechts nicht zulässig (Paragraf 23 Urheberrechtsgesetz). Die Ausnahmeregeln für Bildung und Wissenschaft gelten nur für die Wiedergabe und Weitergabe urheberrechtlich geschützten Materials, nicht aber für die Bearbeitung.
Von Bearbeitung im rechtlichen Sinn spricht man, wenn man ein Werk verändert. Wichtig ist, dass sich die Veränderung auf das Werk als solches bezieht. Bei einem Gedicht wäre es keine Bearbeitung, es in einer anderen Schriftart abzudrucken. Denn dadurch wird es nicht als solches verändert.
Hingegen ist es eine Bearbeitung, wenn eine pädagogische Fach- und Lehrkraft einen Text aus einem Buch übernimmt und ihn umschreibt, damit er für die Kinder und Jugendlichen verständlicher wird.
Bearbeitungen von Werken sind an sich nicht verboten – solange man sie nur für sich im privaten Rahmen macht. Verboten ist jedoch, sie ohne Erlaubnis der Rechteinhaber zu nutzen und zu veröffentlichen. Genau das aber ist im pädagogischen Kontext sinnvoll und notwendig.
Frei lizenzierte Inhalte können dazu genutzt werden, um Lehrenden zu ermöglichen, Unterrichtsmaterialien gemeinsam mit anderen zu erstellen und zu verbreiten.
Freie Lizenzen
Freie Lizenzen erlauben es, Werke unter bestimmten Bedingungen weiter zu nutzen, die der Urheber oder Rechteinhaber selbst festlegt. Am bekanntesten sind die Creative-Commons-Lizenzen, die aus standardisierten Lizenzbausteinen bestehen. Sie erlauben es, die Inhalte ohne Nachfrage zu nutzen, wenn bestimmte Bedingungen beachtet werden.
Es gibt unterschiedliche Anschauungen darüber, welche Varianten der Creative-Commons-Lizenzen wirklich als „frei“ gelten sollten. Einer gängigen Definition für „freie kulturelle Werke“ zufolge sollte man sie bearbeiten und auch kommerziell nutzen dürfen. Unter dem Begriff „Open Content“ werden die eher freizügigen und die eher restriktiven Lizenzvarianten zusammengefasst.
Außerdem ist es auch sinnvoll, Schülern und Studierenden die Bearbeitung und spätere Veröffentlichung von Materialien zu erlauben, weil der Vorgang der Bearbeitung besser als andere Methoden eine Auseinandersetzung mit dem ursprünglichen Inhalten fördert.
Die Welt der Bildung ist größer als der Klassenraum!
Problematisch an den neuen Regelungen ist ebenfalls, dass die gesetzlichen Ausnahmevorschriften nur im klar umrissenen Rahmen des Unterrichts in Bildungseinrichtungen gelten. Im digitalen Lehrumfeld ist eine Unterscheidung zwischen dem, was im Klassenraum einer Bildungseinrichtung geschieht, und dem, was außerhalb dessen passiert, nicht mehr so leicht möglich.
Insbesondere in den sozialen Medien verschwimmen die Grenzen zwischen dem abgegrenzten Lernraum und einer offenen Lernumgebung immer weiter. Das liegt vor allem daran, dass alles, was im Unterrichtszusammenhang digital verfügbar ist, auch außerhalb dieses Rahmens Verbreitung findet.
Wo beginnt die nicht-kommerzielle Nutzung?
Ebenso kann die Beschränkung der gesetzlichen Befugnis auf nichtkommerzielle Nutzung in der Praxis schnell zu Problemen führen. So dürfte eine Zeitung, die über ein Schulfest berichtet, keine Inhalte nutzen, die dort nur aufgrund der gesetzlichen Regelungen des Paragrafen 60a gezeigt werden können.
Fazit
Es genügt also weiterhin nicht, sich auf die entsprechenden gesetzlichen Regelungen zu stützen, wenn man in einer digitalen, vernetzen Bildungslandschaft frei mit Bildungsmaterialien arbeiten will. Vielmehr ist die freie Lizenzierung das richtige Werkzeug, um eine freie Nachnutzbarkeit von Bildungsmaterialien sicherzustellen.
Das „Gesetz zur Anpassung des Urheberrechts an die Erfordernisse der Wissensgesellschaft“ erleichtert Lehrkräften und Bildungsakteuren zwar so einiges. Allerdings liegt den Änderungen eine Vorstellung zugrunde, die sich immer noch am althergebrachten Lehren und Arbeiten mit Bildungsmedien orientiert. Lehrende werden als Akteure verstanden, die alleine arbeiten und ihre Materialien für sich behalten.
Doch allen, die sich im Zeitalter digitaler, vernetzter und interaktiver Bildungsplattformen und -medien lieber in Gemeinschaften bewegen und kollaborativ arbeiten wollen, die Bildungsmaterialien als etwas Gemeinsames und dynamisch Veränderbares betrachten, denen steht das Bearbeitungsverbot des Urheberrechts im Wege. Sie werden sich für freie Lizenzen und OER entscheiden.
OER und Recht
Zu Open Educational Resources (OER) zählen Lehrmaterialien, die unter freien Lizenzen veröffentlicht werden. Diese Artikelreihe gibt Tipps zu rechtlichen und praktischen Aspekten von OER. Die Beiträge entstehen im Rahmen von Jointly, einem vom Bildungs- und Forschungsministerium geförderten Verbund zur Unterstützung von OER-Projekten, zu dessen vier Projektpartnern iRights e.V. zählt. Bislang erschienen:
- Fünf Tipps für gutes Lizenzieren von OER
- Kombinieren, Bearbeiten, Remixen: OER richtig verwenden
- Was ist Creative Commons Zero?
- Offen für Kommerz? Bildungsmaterialien und das Problem nicht-kommerzieller Lizenzen
- Kleine Helfer, große Hilfe: Lizenzhinweise für OER erstellen und nutzen
- Abmahnungen bei Creative Commons: Wer, Warum, Was tun?
- Nach der Reform der Urheberrechts für Bildung und Wissenschaft – OER bleiben notwendig
- Loslassen als OER-Prinzip. Von Kontrollverzicht zu Bedeutungsgewinn
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