Das Urheberrecht in der Tanzwelt

Ob das Urheberrecht die Choreografie eines Tanzes schützt, ist eine knifflige Frage. Grundsätzlich gilt: Das Urheberrechtsgesetz schützt auch „pantomimische Werke, einschließlich der Werke der Tanzkunst“ (siehe dazu UrhG § 2 Abs. 3). Das führt zur Frage, wie Tanzkunst urheberrechtlich definiert wird. Einigkeit herrscht zumindest darüber, dass Tanzkunst den Ausdruck von Gefühlen und Gedankeninhalten mittels Körpersprache umfasst. Doch bezieht sich der Schutz nur auf ganze Choreografien? Oder können auch einzelne Armbewegungen oder isolierte Drehungen schutzfähig sein?
Die Rechtsprechung klärt diese Fragen nicht ausreichend. Das liegt auch daran, dass es kaum höchstrichterliche Entscheidungen hierzu gibt, insbesondere keine aktuellen. In einem Urteil des Bundesgerichtshofs aus den 1960er Jahren etwa ging es um Eisläufer*innen, die Ausschnitte aus einer Operette in ihre Choreografie eingebaut hatten. Damit hatten sie nach Ansicht des Gerichts das Aufführungsrecht der Urheber*innen aus § 19 Abs. 2 UrhG verletzt, also das Recht „ein Werk öffentlich bühnenmäßig darzustellen“, wie es im Gesetz heißt. Eine Grundsatzentscheidung zum Thema Tanz war das jedoch nicht.
Headspins im Breakdance: Nicht originell genug für Urheberrechtsschutz
Einigkeit herrscht aber darüber, dass nicht jede Alltagsbewegung als Tanzkunst betrachtet werden kann. Insbesondere artistische Elemente wie Vorwärtsrollen oder Handstände zählen nicht zur Tanzkunst. Auch typische akrobatische Elemente im Breakdance wie Headspins oder Power Moves sind nicht schutzfähig.
Das ergibt sich aus den urheberrechtlichen Werk-Anforderungen (§ 2 Abs. 2 UrhG). Danach muss ein Werk eine gewisse Schöpfungshöhe erreichen und die individuelle Handschrift des Urhebers erkennen lassen. Bloße Körperbeherrschung oder Artistik sind hier vom schutzfähigen Tanz zu unterscheiden. Einzelschritte und einzelne Posen, auch darin ist sich die juristische Literatur einig, erreichen die nötige Schöpfungshöhe nicht.
Der Headspin im Breakdance beispielsweise verkörpert diese Einzigartigkeit nicht und ist kein ausreichend individuelles Ausdrucksmittel des Tanzes, um urheberrechtlich geschützt zu sein. Werden jedoch einzelne Bewegungen zu einem Gesamtkonzept kombiniert, kann dieses Gesamtkonzept die erforderliche Schöpfungshöhe wiederum erreichen und somit schutzfähig sein.
Choreografien auf TikTok – Nutzungsbedingungen der Plattform beachten
Choreografien werden auch auf Social Media zunehmend wichtiger, so auch auf der Plattform TikTok. Dort werden Tänze von User*innen nachgeahmt – in der Hoffnung, dass ihr Clip viral geht und sich möglichst stark verbreitet.
Grundsätzlich können nach deutschem Recht auch kurze TikTok-Tänze schutzfähig sein. Sie müssen dafür die oben genannten Anforderungen erfüllen. Allerdings müssen Nutzer*innen den Nutzungsbedingungen von TikTok zustimmen. Das hat zur Folge, dass andere ihre Tänze innerhalb der Plattform nachahmen und nutzen dürfen. Einen Tanz, der von einem TikTok-Nutzer eigens ausgedacht auf der Plattform präsentiert wird, darf also jedermann nachtanzen.
Wenn die Tänze jedoch von externen Quellen stammen, besteht durchaus die Möglichkeit einer Urheberrechtsverletzung. Um im deutschen Recht zu bleiben: Wer beispielsweise eine Choreografie von Helene Fischer auf TikTok originalgetreu nachtanzt, kann damit das Urheberrecht der Tänzerin oder ihrer Choreografin verletzen. Ob es gleich zur Rechtsverfolgung kommt, ist wiederum eine andere Frage.
Beispiel: Beyoncé vs. de Keersmaeker
Ein anderer bekannter Fall zur Schutzfähigkeit von Choreografien ist der Streit zwischen Popstar Beyoncé Knowles und der belgischen Choreografin Anna Teresa de Keersmaeker. In Beyoncés Musikvideo zum Song Countdown gibt es Sequenzen, die den Choreografien in den Videos der belgischen Choreografin aus den 1980er und 1990er Jahren sehr ähnlich sind. Beyoncé gab die Übernahmen auch zu. Ihre Begründung: Sie wollte eine Hommage an die belgische Choreografin schaffen.
Eigenständige Bearbeitungen
Allerdings fällt dieser Streit unter die US-amerikanische Rechtslage. Nach deutschem Urheberrecht könnte Beyoncé die fremde Choreografie von de Keersmaeker nutzen, wenn sie lediglich als Inspiration dient und in Beyoncés Interpretation ein eigenständiges und neues Werk entsteht. Wenn das neu geschaffene Werk also ausreichend Abstand zur verwendeten Choreografie wahrt, liegt keine Bearbeitung oder Umgestaltung gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 UrhG vor und es bedarf keiner Zustimmung des Urhebers des Originalwerks. Da die Choreografie von Beyoncé jedoch fast identisch mit der von Anna Teresa de Keersmaeker ist, wäre ein ausreichender Abstand nicht gegeben und man kann nicht von einem eigenen Werk sprechen.
Das Zitatrecht kommt kaum in Frage
Das Zitatrecht (§ 51 UrhG) scheidet hier vermutlich auch aus. Es regelt die teilweise Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Wiedergabe eines Werkes im Sinne eines Zitats. Allerdings gibt es enge Grenzen für ein solches Zitat. Die Choreografie von de Keersmaeker müsste zunächst legal veröffentlicht worden sein (was hier durchaus anzunehmen ist). Daneben müssten sich in Beyoncés Tanz auch eigene Inhalte befinden und sie muss eine eigene Aussage verkörpern. Das ist hier nicht der Fall, da Beyoncé die Bewegungsabläufe von de Keersmaeker einfach übernommen hat. Selbst wenn man in Beyoncés Tanz eigene Inhalte finden würde, scheitert eine Anwendung des Zitatrechts hier daran, dass in Beyoncés Musikvideo keine Erwähnung der Choreografin Anna Teresa de Keersmaeker erfolgt. Denn das Zitatrecht schreibt eindeutig Quellenangaben vor. Auch muss das Zitat als solches, das heißt wo es beginnt und endet, erkennbar sein. Beides trifft hier nicht zu.
Tanz als Pastiche
Eine relativ neue Möglichkeit, Werke zu nutzen, ist die Pastiche-Regelung. Dabei zeigen sich allerdings Unklarheiten. Denn auch zum Pastiche haben sich Gerichte bisher kaum geäußert. Damit die Pastiche-Regelung greift, muss die Künstlerin sich kreativ mit dem Originalwerk auseinandersetzen. Eine Quellenangabe ist dabei nicht erforderlich: Bei einem Pastiche müsste man aus der nachgeahmten Choreografie von Beyoncé erkennen können, was das Originalwerk von de Keersmaeker ist. Pastiche und Original müssen klar voneinander unterschieden werden können. Allerdings ist fraglich, ob der Hommage-Charakter an Anna Teresa de Keersmaeker in Beyoncés Choreografie auch von den Zuschauer*innen erkannt wurde. Für ein Fachpublikum sind die Fremdbezüge sicherlich erkennbar. Für ein Laienpublikum dürfte die Hommage dagegen weniger offensichtlich sein. Würde Beyoncé dies jedoch klarstellen, zum Beispiel indem sie de Keersmaeker in ihrem Video erwähnt, könnte sie sich in Deutschland möglicherweise auf die Pastiche-Regelung berufen.
Leistungsschutzrechte oder sogar Miturheberschaft: Welchen Schutz Tänzer*innen genießen
Zusätzlich gilt es die Ebene der Tänzer*innen zu beachten. Welchen Schutz genießen sie?
Grundsätzlich ist die Choreografin als Urheberin anzusehen, während die Tänzer*innen als ausübende Künstler*innen betrachtet werden. Das bedeutet, dass den Tänzer*innen ein Leistungsschutzrecht nach § 73 UrhG zufällt. Dies ist beispielsweise im klassischen Ballett unproblematisch anwendbar, da hier Choreografien vorgegeben sind und die Tänzer*innen diese lediglich interpretieren, ohne selbst schöpferisch tätig zu werden.
Beim modernen Tanz hingegen kann man noch einen Schritt weitergehen. Hier gibt es viele Choreografien mit einem starken Improvisationsanteil, wie zum Beispiel bei der berühmten Tänzerin und Choreografin Pina Bausch. Sie forderte ihre Tänzer*innen dazu auf, sie selbst zu sein und Bauschs Choreografie zu ihrer eigenen zu machen. Dabei sollten sich die Tänzer*innen künstlerisch ausdrücken und nicht strikt den vorgegebenen Bewegungsabläufen folgen. Dies wird etwa im eindrucksvollen Film „Dancing Pina“ deutlich.
Wenn das Werk im Tanz entsteht
In solchen Fällen greifen die Leistungsschutzrechte im Urheberrecht zu kurz. Hier wäre es angemessener, eine Miturheberschaft der Tänzer*innen anzunehmen (gemäß § 8 UrhG), da sie durch ihre Improvisation ganze Teile der Choreografie, also des Werks, selbst entwickeln. Dadurch würden den Tänzer*innen eigene Miturheberrechte zustehen. Dabei ist jedoch auf die Individualität zu achten. Dies gilt nämlich nur dann, wenn die Tänzer*innen tatsächlich eigenständig Teile der Choreografie entwickelt haben und dabei eine gewisse Schöpfungshöhe erreichen. Auch hierzu gibt es keine Gerichtsentscheidungen. Einen Anhaltspunkt böte die Musik-Improvisation, die solche Fälle ähnlich behandelt.
Spricht man den Tänzer*innen tatsächlich ein Miturheberrecht an der Choreografie zu, würde das etwa bedeuten, dass sowohl die Tänzerin als auch die Choreografin zustimmen müssen, wenn urheberrechtlich relevante Handlungen mit der Choreografie vorgenommen werden sollen.
Fazit
Ja, eine Choreografie kann dem Urheberrecht unterliegen. Bei dieser Frage ist jedoch, wie immer im Urheberrecht, besonders auf die Schöpfungshöhe und Individualität der Bewegungsabläufe zu achten.
Jedoch ist noch einiges unklar bei diesem Thema, da es die deutschen Gerichte noch nicht im besonderen Maß beschäftigt hat. Das dürfte auch an der vergleichsweise schwachen Lobby der Tanzkunst im Vergleich zur Musik oder bildenden Kunst liegen. Durch Social-Media-Plattformen wie TikTok und Co. kommt dem Thema auch in Deutschland immer mehr Bedeutung zu.
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1 Kommentar
1 Opa Rainer am 25. Januar, 2024 um 10:42
Am interessanten finde ich den Begriff “Schöpfungshöhe”..
Tolles Thema.
Was sagen Sie dazu?