SWR-Archiv online: Audiovisuelle Dokumente für eine eindrückliche Beschäftigung mit der Geschichte
Die nachfolgende Interviewfassung basiert auf einem etwa einstündigen Telefongespräch, das Transkript ist danach sowohl von der Redaktion als auch von Rabea Limbach schriftlich überarbeitet worden.
iRights.info: Der Südwestrundfunk (SWR), hat kürzlich damit begonnen, systematisch Sendungen aus dem Archiv online zu stellen. Um was für Produktionen handelt es sich?
Rabea Limbach: Das erste Paket an Fernsehbeiträgen, das online geht, enthält vor allem Nachrichtenbeiträge aus den fünfziger und sechziger Jahren sowie einige Bildungs- und Unterhaltungsformate. Zum Beispiel die „Abendschau“, das war damals das regionale Nachrichtenformat, oder „Sport im Südwesten“. Gezeigt werden die thematischen Einzelbeiträge dieser Sendungen, die Moderationen sind nicht überliefert. Das hat für ein Online-Angebot den Vorteil, dass es kurze und leicht zu findende Videos sind, sie haben einen „sprechenden Titel“.
Hinzu kommen erste Folgen von „Die sechs Siebengescheiten“, das war eine über Jahrzehnte laufende Spielshow, bei der jeweils zwei Schulklassen gegeneinander angetreten sind. Zudem sind Produktionen dabei wie „Gefährlich leben“, ein Jugend-Format, in dem Armin Dahl, der als erster großer Stuntman Deutschlands galt, seine Arbeit vorstellt.
iRights.info: Wie viele Beiträge werden online verfügbar sein?
Rabea Limbach: In den kommenden Wochen werden bis zu 8.000 Videos in der ARD-Mediathek im Kanal des SWR bereitgestellt.
iRights.info: Wie kam es dazu?
Rabea Limbach: Die digitale Öffnung von Archiven wird seit langem in den Rundfunkanstalten diskutiert und als wichtig wahrgenommen. So beschäftigt sich zum Beispiel das Deutsche Rundfunkarchiv, bei dem ich aktuell arbeite, auch mit konkreten Optionen der Archivöffnung. Der SWR baute 2016 eine abteilungsübergreifende Projektgruppe auf, die unter Leitung der Archiv- und Dokumentationsabteilung ausarbeitetet, welche Möglichkeiten es dafür könnte.
Zur Projektgruppe gehörten die Online-Redaktionen der ARD-Mediathek sowie die Redaktion des SWR-Channels in der Mediathek, das Justitiariat, das Rechte- und Lizenzmanagement und die Programmplanung. Die Beratungen dauerten rund zweieinhalb Jahre, denn es galt, in der sehr komplexen Rechtssituation Handlungsspielräume zu finden. Schließlich beschloss die Projektgruppe, sich zunächst auf die frühen Fernsehproduktionen der fünfziger, sechziger Jahre zu fokussieren, weil dort einige Reihen zu finden waren, bei denen viele Rechte beim SWR lagen.
iRights.info: Worin sehen Sie einen Nutzen, dass die Menschen nun tausende nachrichtliche Einzelbeiträge von damals online abrufen können?
Rabea Limbach: Die Archive der Rundfunkanstalten, die ja für bestimmte Bundesländer zuständig sind, bieten damit einmalige Einblicke in die Geschichte der jeweiligen Regionen. Wenn es um gesellschaftliche oder politische Ereignisse im eigenen Lebensumfeld geht, die man beispielsweise in der Kindheit miterlebt hat, dann lohnt es sich durchaus zu schauen, was damals berichtet wurde. Die audiovisuellen Dokumente ermöglichen eine ziemlich eindrückliche Beschäftigung mit unserer Geschichte.
Ich bin überzeugt, dass sie auch für breitere Gesellschaftsschichten ein attraktiver Zugang zur Vergangenheit sein werden, da die Nutzungsgewohnheiten im Internet zeigen, dass audiovisuelle Medien besonders gefragt sind.
Aber man muss natürlich dazu sagen, dass diese Quellen für ihre Zeit stehen und eingeordnet werden müssen.
iRights.info: Was meinen Sie damit?
Rabea Limbach: Wir mussten uns beispielsweise damit auseinandersetzen, ob man Nachrichtenbeiträge, in denen von „Negern“ die Rede ist oder die relativ antiquierte Frauenbilder vermitteln, online gestellt werden sollen. Das Team hat entschieden, dass es ein möglichst ungefiltertes Online-Angebot sein soll, in dem die Zeit und die Berichterstattung so abgebildet werden, wie sie waren. Die Zuschauer müssen dann das Gesehene für sich selbst einordnen.
iRights.info: Aber das kann man ihnen durchaus zutrauen, oder?
Rabea Limbach: Das denke ich auch, ja.
iRights.info: Sie sagten, man wird im Online-Archiv umfänglich und frei nach Orten, Stichworten, Jahreszahlen und weiterem suchen können – musste die Beteiligten viel Arbeit in die Verschlagwortung, die Anreicherung mit Metadaten stecken?
Rabea Limbach: In den Archivdatenbanken des SWR, wie in allen ARD-Rundfunkanstalten, sind die Bestände schon weitgehend digitalisiert und archivarisch erschlossen. Das heißt, dort sind bereits sehr viele Metadaten vorhanden. Aufgrund des Medienprivilegs dürfen die Rundfunkanstalten vielfältige Daten sammeln. Von diesen Metadaten konnten wir einige mit in die offenen Mediatheken überführen. Konkret hieß das, dass die Beitragstitel, die Sendedaten, eine kurze Inhaltsbeschreibung und beschreibende Schlagworte übertragen wurden. Diese Metadaten unterstützen die Suchmaschine der Mediathek wie auch externe Suchmaschinen.
Allerdings musste auch über die Veröffentlichung der Metadaten juristisch beraten werden. Die Sender dürfen für die journalistische Arbeit zwar viele Daten sammeln, aber nicht alle dürfen auch publiziert werden. Das liegt zum Beispiel daran, dass sich darunter auch personenbezogene Daten befinden. Und da ist etwa nicht nur das Persönlichkeitsrecht ausschlaggebend, sondern auch das sogenannte „Recht auf Vergessen“. Dürfen beispielsweise Namen von Straftätern aufgeführt werden? Das führte letztendlich dazu, dass wir nochmal kritisch über die Metadaten schauen mussten.
iRights.info: Kann man sich diese 8.000 Beiträge ausschließlich auf den Mediatheksseiten von ARD und SWR ansehen – oder gibt es erweiterte Nutzungsmöglichkeiten?
Rabea Limbach: Zunächst stellt der SWR die Inhalte nur auf die eigene Plattform, auch weil es rechtlich nicht ohne Weiteres möglich ist, die Inhalte an Drittanbieter abzugeben. Dafür müsste der Sender über andere Lizenzen verfügen. Allerdings wird für die ARD-Mediathek aktuell eine Funktion entwickelt, mit der die Inhalte auf anderen Internetseiten verlinkt beziehungsweise eingebettet werden können. Das ist aber nichts Neues – grundsätzlich ist es so, dass die Mediatheken-Inhalte der ARD nicht einfach, ohne eine Lizenz zu erwerben oder die Erlaubnis einzuholen, anderweitig weiterverwendet werden dürfen.
iRights.info: Würden Sie sich als Dokumentarin und Historikerin eine größere Nutzbarkeit der Beiträge wünschen? Etwa zum Remixen oder anderweitigen Nachbearbeiten und Kombinieren mit anderen Inhalten?
Rabea Limbach: Ich persönlich fände das durchaus reizvoll und ich bin ein großer Fan davon, dass Dinge auf einfachem Weg zu neuen kreativen Inhalten verarbeitet werden können. In meinen Augen lässt die aktuelle Rechtssituation das allerdings aus vielfältigen Gründen nicht zu und ich weiß nicht, wie so etwas möglich werden könnte.
iRights.info: Viele Verbraucherinnen und Verbraucher fragen sich, warum Produktionen, die von ihren Rundfunkbeiträgen bezahlt wurden, nicht dauerhaft frei zugänglich und vielfältig nutzbar sind.
Rabea Limbach: Wenn man darüber nachdenkt, im großen Stil aktuelle und historische Produktionen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten online unter offenen Creative-Commons-Lizenzen zu publizieren, stellt sich neben der Frage nach Urheber- und Leistungsschutzrechten von Produktionsbeteiligten auch noch die Frage, ob und wie so ein Vorgehen die Marktverhältnisse für Medienanbieter beeinflusst. Es geht also auch um Wettbewerbsrecht und das Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen und privaten Medienanbietern – die naturgemäß darauf angewiesen sind, mit historischen und aktuellen Medieninhalten Geld zu verdienen.
iRights.info: Ist es nicht bedauerlich, dass aufgrund der rechtlichen Schwierigkeiten so viel wertvolles Archivgut verschlossen bleibt – während es technisch möglich wäre, viel mehr viel breiter zugänglich zu machen?
Rabea Limbach: Aus meiner Sicht geht es in dem ganzen Urheberrechtsdiskurs in Deutschland sehr viel um die Rechte des Einzelnen und zu wenig um die Interessen der Gemeinschaft. Wir haben einen beitragsgeförderten Rundfunk und ich persönlich bin der Überzeugung, dass die Gesellschaft bessere Möglichkeiten haben müsste, auf die Produktionen zuzugreifen.
Die derzeitige Situation hat aber auch damit zu tun, dass die Archive der ARD-Sender zwar einerseits an öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten angebunden sind – sie aber andererseits keinen Status als öffentliche Archive haben, wie zum Beispiel die Landes- und Bundesarchive. Öffentliche Archive unterliegen der Bundes- und Landes-Archivgesetzgebung und haben dadurch einen Auftrag und auch die Möglichkeiten, Quellen zugänglich zu machen – zum Beispiel nach dem Ablauf pauschaler Schutzfristen.
Solche Fristen gibt es für die Archivbestände der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht. Außerdem unterscheiden sie sich auch dadurch, dass die Rundfunkarchive Produktionsarchive sind: Alles, was in ihnen aufbewahrt wird, ist potenziell noch Programmvermögen der Rundfunkanstalt, also weiterhin verwertbar. Daher haben die Rundfunkarchive einfach eine andere Stellung.
iRights.info: Und diese andere Stellung hemmt die Rundfunkarchive bei der Öffnung ihrer Bestände?
Rabea Limbach: Die Archive der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind an das Rundfunkrecht gebunden. Und die verabschiedeten Telemedienkonzepte geben für die ARD aktuell vor, dass nur bestimmte Produktionen langfristig online stehen können. Es ist jedoch unklar, welche genau, da die Formulierungen schwammig sind. Es heißt dort, die Produktionen müssten „von kultur- und zeithistorischer besonderer Relevanz“ sein.
Abgesehen davon, dass Begriffe wie „Zeitgeschichte“ und „Kulturgeschichte“ oder „Relevanz“ unterschiedlich definiert werden können, suggeriert eine solche Formulierung, dass ausgewählt werden soll, welche Beiträge als Perlen zu betrachten sein sollen und daher der Öffentlichkeit langfristig bereitgestellt werden können. Für mich ist dies schwer zu vereinbaren mit meinen persönlichen Vorstellungen von einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft. In unserer Gesellschaft finde ich legitime Bedürfnisse, sich durch vielfältige Quellen mit Geschichte auseinanderzusetzen. Und entsprechend sollte eine Rundfunkanstalt auch nicht zu stark eingreifen und vorsortieren müssen.
Aber vielleicht bin ich hier auch zu kritisch und die Telemedienkonzepte liessen sich an solchen Stellen weiter auslegen. Fest steht jedoch, dass solche Formulierungen zunächst zu Verunsicherungen führen, was online gestellt werden kann und in welchem Umfang und welche Kriterien dabei angelegt werden sollen. Denn im Zweifel muss eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ihre Auswahl begründen können.
iRights.info: Wohin würden Sie bezüglich des Zugangs von Beständen öffentlich-rechtlicher Hörfunk- und Fernseh-Archive gerne kommen?
Rabea Limbach: In erster Linie wünsche ich mir, dass über die Rundfunkarchive in der politischen Diskussion um Urheberrechte und Rundfunkrechte präsenter diskutiert wird und es zudem zu Erleichterungen kommt, um die Rundfunkarchive stärker öffnen zu können. Denn es wäre zu begrüßen, wenn möglichst viele historische Produktionen der Öffentlichkeit zugänglich wären.
Rabea Limbach wird am 31.10. auf der internationalen Konferenz „Zugang gestalten“ die Öffnung des SWR Archives (ARD Mediathek) näher vorstellen und erläutern. Die Konferenz findet dieses Jahr in Frankfurt/Main und bereits zum neunten Mal statt, iRights.info zählt zu den Veranstaltern.
1 Kommentar
1 Sigrid Kemptner am 29. Oktober, 2020 um 19:18
Liebe SWR Leute!
Die Idee ARD / SWR Retro finde ich großartig!
Gratuliere!
Wir haben es auch schon mit der 93 jährigen Schwiegermama geschaut, es hat sie sehr gefreut und sie konnte sich ( auch für uns!) an vieles erinnern.
Natürlich möchte sie noch viel mehr sehen, das Erinnern belebt sie sichtlich. Nur: Ohne Computer, Smartphone u.ä. geht das nicht und sie möchte es verständlicher Weise nicht mehr lernen.
Daher beschäftigt uns die Frage, ob Sie “Super-Retro” nicht in das alltäglich SWR TV Programm aufnehmen könnten, damit würde der Personenkreis der “Nichtdigitalen” partizipieren. Täglich von 14 – 15 Uhr?
Wir sind sicher, Sie werden eine Fan Gemeinde auch in den Alten – und Pflegeheimen bekommen.
Herzliche Grüße, besten Dank … und weiter so! :-)
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