Streit mit der GEMA: „Youtube ist eine Hosting-Plattform“
iRights.info: Seit Jahren sind viele Musikclips für deutsche Internetnutzer auf Youtube gesperrt. Hintergrund ist ein Rechtsstreit zwischen Youtube und der deutschen Verwertungsgesellschaft GEMA, der für Außenstehende nur schwer nachzuvollziehen ist. Wo liegt das Problem?
Mounira Latrache: Wir befanden uns in konstruktiven Gesprächen mit der GEMA. Dabei haben wir viele Hürden überbrückt: Unter anderem haben wir haben für die GEMA eine Reportinglösung gefunden, die auch von anderen Verwertungsgesellschaften akzeptiert ist und die es der GEMA ermöglichen sollte, jedem einzelnen GEMA-Mitglied seinen fairen Anteil zu zahlen. Wir sind bei der Regelvergütung sehr nahe beieinander.
Der Knackpunkt ist die Mindestvergütung, die bekanntlich den ‚Ausnahmefall’ regeln soll. Hier unterscheidet sich die GEMA ganz wesentlich von allen anderen Verwertungsgesellschaften: Die GEMA beharrt weiterhin auf einer abrufbezogenen Mindestvergütung, einem Konstrukt, welches aus dem Paid-Download-Bereich kommt und mit der Realität von werbefinanzierten Services nichts zu tun hat.
„Youtube ist kein Download-Dienst“
iRights.info: Warum wollen Sie das nicht?
Mounira Latrache: Youtube wehrt sich nicht gegen eine Mindestvergütung – ganz im Gegenteil. Sie muss nur dem Dienst und dem jeweiligen Geschäftsmodell entsprechen.
iRights.info: Was spricht gegen eine abrufbezogene Mindestvergütung? Youtube könnte die Werbeeinnahmen auf jeden Clip ‚runterrechnen‘.
Mounira Latrache: Die Werbeeinnahmen lassen sich pro Clip runterrechnen, allerdings können nicht mit jedem Clip Werbeeinahmen erzielt werden. Eine abrufbezogene Mindestvergütung macht zum Beispiel für Download-Dienste durchaus Sinn, da hier mit jedem Abruf beziehungsweise Download ein fest definierter Umsatz erzielt wird.
Auf Youtube entscheidet der Partner selbst, ob Umsätze mit seinen Inhalten durch Werbung erzielt werden sollen oder nicht. Sobald Umsätze erzielt werden, wird der Rechteinhaber vergütet. Die Beliebtheit des Videos und das Interesse der Werbekunden für das Werbeumfeld bestimmen den Umsatz. Dieses flexible Modell von Angebot und Nachfrage lässt sich nicht in das Korsett einer Mindestvergütung pro Abruf pressen.
„Die GEMA hat bereits andere Vergütungsmodelle“
iRights.info: Die von der GEMA geforderte Mindestvergütung liegt deutlich unter einem Cent pro Stream. Ist das zu viel verlangt?
Mounira Latrache: Der vorliegende GEMA-Tarif für werbefinanziertes Musikstreaming ist einem anderen Geschäftsmodell, dem bezahlten Download, angelehnt und stellt in Struktur und Höhe keine adäquate Lösung dar. Hier bedarf es passender Alternativen. Diese haben wir bereits weltweit mit 24 Verwertungsgesellschaften für 42 Länder gefunden.
iRights.info: Die GEMA will von ihrem Abrechnungsverfahren ‚Vergütung pro Stream‘ nicht abrücken, wie Alexander Wolf, Syndikus der GEMA für internationale Rechtsfragen, gegenüber iRights.info erklärt hat. Besteht dann überhaupt noch eine Chance auf eine Einigung?
Mounira Latrache: Youtube würde gern auch in Deutschland Erlöse mit Musik auf seiner Plattform erzielen und diese mit den Mitgliedern der GEMA und anderen Rechteinhabern teilen. Eine Lösung hierfür kann unserer Meinung nach nur am Verhandlungstisch ohne juristische Verfahren erfolgen – wofür wir jederzeit bereit sind. Die GEMA hat bereits andere Vergütungsmodelle für werbefinanziertes Fernsehen und Radio, die für unser Bussiness-Modell besser passen, und die wir als Ankerpunkt nehmen sollten.
„Der Markt sollte über Geschäftsmodelle entscheiden und nicht die GEMA“
iRights.info: Man könnte auch zu dem Schluss kommen: Manche GEMA-geschützten Musiktitel spielen ihre Lizenzgebühren einfach nicht ein, also kann man sie nicht frei im Internet verfügbar machen. Dann läge das Problem nicht bei der GEMA, sondern beim Geschäftsmodell von Youtube. Wie bewerten Sie diese Sichtweise?
Mounira Latrache: Wir teilen diese Ansicht nicht: Werbefinanzierte Musikvideos im Netz sind mittlerweile eine attraktive Erlösquelle für Musikschaffende geworden, die Download-Erlöse ergänzt und für manche Musikschaffende mittlerweile auf gleicher Augenhöhe liegt.
Desweiteren sollte nach unserer Auffassung der Markt über die Attraktivität von Geschäftsmodellen entscheiden und nicht eine Verwertungsgesellschaft.
iRights.info: Youtube hat mit Verwertungsgesellschaften in Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Niederlande, Polen, Ungarn und Belgien Verträge geschlossen. Warum geht das nicht mit der GEMA?
Mounira Latrache: Wir haben uns mittlerweile mit 24 Verwertungsgesellschaften für 42 Länder geeinigt. Wir haben mit diesen Verwertungsgesellschaften eine unserem Geschäftmodell und den Belangen der Künstler angepasste Lösung gefunden. Wir haben uns mit ihnen auf einen Tarif geeinigt, der eben nicht pro Stream abrechnet, und der für unser Geschäftsmodell angemessen ist. Wir wünschen uns eine solche Einigung auch für Deutschland.
Erschwerend kommt in Deutschland hinzu, dass die GEMA uns verklagt. Die laufende Gerichtsverhandlung erschwert natürlich die Verhandlungen. Wir sind offen für weitere Gespräche und hoffen sehr auf einen Abschluss eines Vertrags, um den Nutzern und unseren Partnern die Nutzung von Musik auf Youtube zu ermöglichen, wenngleich sich die Gespräche aufgrund der Verhandlung verzögern.
iRights.info: Im Gerichtsstreit geht es nur um zwölf geschützte Musikwerke. Die GEMA verlangt von Youtube, diese Titel von der Plattform zu löschen und künftig nicht mehr zugänglich zu machen. Warum führt dieser Streit dazu, dass hunderttausende Youtube-Videos für deutsche Nutzer nicht mehr abrufbar sind?
Mounira Latrache: Die GEMA führt dieses Verfahren als Musterverfahren, so dass die Entscheidung Auswirkungen auf alle von der GEMA vertretenen Werke auf Youtube haben kann. Die GEMA ist laut eigener Aussage im Gerichtsverfahren der Auffassung, dass jedes Video, in dem Musik ertönt, eine Rechtsverletzung darstellt. Unser Standpunkt ist: Youtube ist eine Hosting-Plattform, die Millionen Menschen täglich nutzen, um Inhalte zu teilen. Als Hosting-Plattform nehmen wir keinen Einfluss darauf, welche Inhalte Nutzer hochladen. Pro Minute werden 60 Stunden Videomaterial auf Youtube hochgeladen, somit ist eine Vorabprüfung praktisch nicht möglich.
Allerdings nimmt Youtube den Schutz von Urheberrechten sehr ernst und entfernt Videos, die von den Rechteinhabern als rechtsverletzend identifiziert wurden, auf konkreten Hinweis unverzüglich von Youtube. Darüber hinaus hat Youtube bereits 30 Millionen US-Dollar und 50.000 Entwicklungsstunden in innovative Technologien investiert, die es Rechteinhabern ermöglichen, ihre Inhalte auf der Plattform weltweit zu identifizieren und sogar schon vor der Veröffentlichung nach ihren Wünschen zu verwalten. Das heißt, blocken, Statistiken zu den Videos abzurufen oder die Videos zu monetarisieren.
iRights.info: Warum sind bereits jetzt so viele Videos in Deutschland gesperrt?
Mounira Latrache: Der GEMA-Tarif für werbefinanziertes Musikstreaming stellt im Zusammenhang mit dem laufenden GEMA-Rechtsstreit ein unvertretbar hohes finanzielles Risiko dar und orientiert sich nicht an den Realitäten des Marktes. Dies führt dazu, dass Musikvideos in Deutschland auf Youtube gesperrt werden müssen.
iRights.info: Bei den geblockten Videos erscheint folgender Text: „Dieses Video ist in Deutschland leider nicht verfügbar, da es möglicherweise Musik enthält, für die die erforderlichen Musikrechte von der GEMA nicht eingeräumt wurden.“ Nutzer könnten diese Formulierung so verstehen, dass die GEMA die Musikrechte ‚aktiv’ verweigert hat. Dabei blockiert Youtube diese Inhalte vorsorglich selbst, ohne die GEMA zu fragen. Ist der Text nicht irreführend und schiebt der GEMA zu Unrecht die Schuld in die Schuhe?
Mounira Latrache: Nein, diese Formulierung ist absolut korrekt. Ziel des Textes ist Transparanz gegenüber dem Nutzer zu schaffen, warum das Musikvideo in Deutschland leider nicht zu sehen ist. Die GEMA führt seit 2010 ein Rechtsverfahren gegen Youtube, um den Verhandlungsdruck weiter zu verschärfen.
In diesem Rechtsverfahren trägt die GEMA vor, dass sie der Auffassung ist, dass jedes Video, das Musik enthält, eine Rechtsverletzung darstellt. Zudem ist die GEMA nicht transparent bezüglich des von ihr vertretenen Repertoires, so dass Youtube nicht feststellen kann, welches Video tatsächlich von der GEMA vertretene Werke enthält. Sie hat dadurch das Risiko für das Angebot von Youtube in Deutschland zusätzlich erhöht und damit den Anlass zur Sperrung von Musikvideos weiter verstärkt.
„Die Risiken werden durch die GEMA-Haltung einfach unkalkulierbar“
iRights.info: Youtube könnte sich an die Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) wenden. Das DPMA würde entscheiden, ob die GEMA-Forderungen angemessen sind. Solange müsste Youtube nur den unstrittigen Teil der Vergütungen beim DPMA hinterlegen. Warum gehen Sie diesen Weg nicht?
Mounira Latrache: Das Hinterlegungsverfahren, dass in einem solchen Fall den Betrieb eines Dienstes auch bei nichterfolgter Einigung mit der GEMA regelt, steht Hosting-Plattformen nicht offen. Youtube schaltet nur dann Werbung an Videos, wenn die entsprechenden Rechteinhaber der Vermarktung ihrer Inhalte zustimmen, daher monetarisieren wir momentan keine Musikvideos in Deutschland.
Wir sind der Überzeugung, dass eine Einigung mit der GEMA nur partnerschaftlich erzielt werden kann und sind jederzeit offen für Gespräche. Es geht nicht darum, jemandem den schwarzen Peter zuzuschieben, sondern um Schutz vor den Risiken, die durch die GEMA-Haltung einfach unkalkulierbar für eine Plattform wie Youtube werden.
„Youtube will, dass Rechteinhaber auch in Deutschland Umsätze generieren“
iRights.info: Nicht nur bei den Nutzern gibt es Unmut über die Sperrungen. Weil ihr Musikvideo „Leider geil“ gesperrt wurde, forderte die deutsche Hip-Hop-Band „Deichkind“ von Youtube und der GEMA: „Regelt euren Scheiß“. Gibt Ihnen das zu denken?
Mounira Latrache: Erst einmal: Die Sperrung des Deichkind-Videos ging nicht von Youtube aus. Was andere Lieder betrifft: Musik liegt unseren Nutzern und uns am Herzen, genauso wie eine angemessene Vergütung der Musikschaffenden. Youtube hat sich in einer Vielzahl von Ländern zu einer wichtigen Einnahmequelle für Musiker entwickelt, und wir wünschen uns vergleichbares für alle Beteiligten in Deutschland. Wir sind jederzeit offen für Gespräche mit der GEMA und wünschen uns eine schnelle adäquate Lösung für werbefinanzierte Angebote in Deutschland.
iRights.info: Können Sie verstehen, warum die Musik-Labels sauer sind, wenn ihre Lieder nicht mehr auf Youtube laufen?
Mounira Latrache: Natürlich hat jedes Label und jeder Künstler mehr davon, wenn ihr Video auf Youtube frei verfügbar ist. Stars wie Justin Bieber, Lana Del Rey und Lady Gaga sind dank Videos auf Youtube groß geworden. Für Musiker und Labels ist Youtube eine zusätzliche Erlösquelle und sehr nützliche Plattform. Die Labels sind auch deshalb verärgert, weil sie wissen, wie gut die Kooperation mit Youtube in anderen Ländern läuft, in denen die Musikindustrie mit Youtube mehrere hundert Millionen Dollar pro Jahr erwirtschaftet. Youtube will natürlich, dass Rechteinhaber auch in Deutschland Umsätze generieren. Aber noch einmal: der vorliegende Tarif für werbefinanziertes Musikstreaming ist einem anderen Geschäftsmodell, dem bezahlten Download, angelehnt und stellt in Struktur und Höhe keine adäquate Lösung dar.
iRights.info: Wie kommt es, dass für deutsche Nutzer selbst Musik gesperrt ist, die gar nicht GEMA-lizenziert ist?
Mounira Latrache: Sollte es zu unbeabsichtigten Sperrungen kommen, so bedauern wir dass sehr. Dies ist nicht in unserem Interesse und ist der Tatsache geschuldet, dass wir leider keinen Einblick in das von der GEMA wahrgenommene Repertoire haben.
„Proxy-Switchen ist eine AGB-Verletzung“
iRights.info: Welche wirtschaftlichen Nachteile bedeuten die Sperrungen für Youtube?
Mounira Latrache: Youtube verdient nur dann Geld mit Videos, wenn ein Vertrag mit den Rechteinhabern besteht. Wir freuen uns aber sehr über das ständige Wachstum und die steigenden Umsätze auf Youtube. Und diese Möglichkeit wollen wir auch – wie in anderen Ländern – für Musikschaffende und Rechteinhaber in Deutschland eröffnen. Youtube ist darüber hinaus eine vielseitige Plattform, die für eine unzählige Menge von Interessen passende Videos hat.
iRights.info: Deutsche Nutzer können die Sperren ganz legal umgehen, indem sie im Internet ihren Standort verschleiern, etwa mit einem „Proxy Switcher“. Machen angesichts der Freiheit des Internets nationale Lizenzverträge noch Sinn?
Mounira Latrache: Diese Art der Nutzung ist eine Verletzung unserer AGB, da sie eben von unseren Lizenzverträgen nicht abgedeckt ist.
„Wir sind kein Musikportal“
iRights.info: Letztlich geht es für die einzelnen Musiker bei den GEMA-Einnahmen im Online-Bereich um sehr geringe Beträge. 2011 nahm die GEMA insgesamt im Internet nur 21,2 Millionen Euro ein, ihr Gesamtertrag lag bei 825,5 Millionen Euro. Wie können Künstler mit ihren Inhalten auf Youtube Geld verdienen?
Mounira Latrache: Die Musikindustrie erwirtschaftet mit Inhalten auf Youtube außerhalb Deutschlands mehrere hundert Millionen Dollar jährlich. Musikvideos werden wie gesagt in Deutschland nicht monetarisiert, die Umsätze werden daher durch eine Vielzahl anderer Inhalte erzielt.
iRights.info: Im Zuge der Sperrungen zeigt die Youtube-Suche auf den vorderen Plätzen vor allem Cover-Versionen von Hobby-Musikern an, die manchmal sehr hohe Klickzahlen erreichen. Haben die Sperrungen den Erfolg der Amateure möglich gemacht?
Mounira Latrache: Das ist natürlich ein Nebeneffekt in Deutschland.
iRights.info: Würden für all die Cover und Nachahmungen künftig GEMA-Gebühren fällig?
Mounira Latrache: Wenn die GEMA bei der Identifizierung der Cover-Versionen hilft und die entsprechenden Rechteinhaber der Schaltung von Werbung an diesen Videos zustimmen, können solche Videos auch monetarisiert werden und somit können Musikschaffende damit auch Umsätze generieren.
iRights.info: Fürchten Sie, dass sich neue Dienste wie Spotify früher mit der GEMA einigen und bei Musik-Streaming-Angeboten die Marktführerschaft übernehmen?
Mounira Latrache: Wir sind ja kein Musikportal. Es gibt viele andere, sehr erfolgreiche Videos. Wir sehen es positiv, wenn andere Anbieter endlich auch in Deutschland an den Markt kommen. Für Youtube ist es gut, wenn sie neue Lösungen finden, das kann nur der kompletten Musikbranche in Deutschland helfen.
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