Streit mit Youtube: „Die GEMA wird kämpfen“
Zur Person
Alexander Wolf ist Syndikus der GEMA für internationale Rechtsfragen. Die GEMA vertritt in Deutschland nach eigenen Angaben die Urheberrechte von mehr als 64.000 Mitgliedern (Komponisten, Textdichter und Musikverleger) sowie von über zwei Millionen Rechteinhabern aus aller Welt.
iRights.info: Seit Jahren sind viele Musikclips für deutsche Internetnutzer auf Youtube gesperrt. Hintergrund ist ein Rechtsstreit zwischen Youtube und der deutschen Verwertungsgesellschaft GEMA, der für Außenstehende nur schwer nachzuvollziehen ist. Wo liegt das Problem?
Alexander Wolf: Um es vorneweg zu sagen, im laufenden Gerichtsstreit zwischen der GEMA und Youtube geht es um das Sperren von 12 Musikvideos. Nicht mehr und nicht weniger. Die Sperrung vieler hunderttausender Videos wird durch die GEMA nicht veranlasst. Das Landgericht Hamburg wird am 20. April klären, wie Youtube sich bei Urheberrechtsverletzungen im Fall dieser Videos zu verhalten hat. Uns geht es darum, dass Youtube seinen Verpflichtungen nachkommt, diese 12 Werke zu sperren und vor allem dafür zu sorgen, dass sie auch künftig nicht mehr verfügbar sind.
Grundsätzlich geht es zwischen der GEMA und Youtube um die Frage, ob Youtube bereit ist, das GEMA-Repertoire zu angemessenen Bedingungen zu lizenzieren. Seit April 2009 ist das GEMA-Repertoire unlizenziert. Die GEMA und Youtube haben bisher keine vertragliche Lösung gefunden.
„Das ist ein absurdes Spiel“
iRights.info: Deshalb sind nun alle GEMA-geschützten Musikvideos gesperrt?
Alexander Wolf: Nein. Das ist falsch, auch wenn oft dieser Eindruck erweckt wird. Der Sachverhalt ist etwas kompliziert, aber es lohnt sich ihn nachzuvollziehen. Die GEMA ist verpflichtet, allen Lizenznehmern – auch Youtube – Nutzungsrechte einzuräumen, weil wir ein De-Facto-Monopolist sind. Dazu hat uns der Gesetzgeber verpflichtet. Das bedeutet, Youtube kann alle GEMA-geschützten Inhalte anbieten, wenn es sich an den gesetzlichen Rahmen hält.
iRights.info: Das heißt, Youtube müsste die GEMA-geschützten Inhalte nicht sperren?
Alexander Wolf:: Genau. Aber immer wieder wird so getan, als sei die GEMA schuld an den Sperrungen. Das ist ein absurdes Spiel. Wir haben beispielsweise auch nichts mit der vorübergehenden Sperrung des Videos „Leider geil“ der Hiphop-Band „Deichkind“ zu tun.
„Youtube geht nicht zur Schiedsstelle“
iRights.info: Was passiert also bei Streitigkeiten mit der GEMAüber die Tarifhöhe und die Vertragsgestaltung?
Alexander Wolf: Für den Fall, dass sich ein Lizenznehmer wie jetzt Youtube nicht mit uns über die Vergütung und die Vertragsgestaltung einigen kann, sieht das Gesetz nur einen Weg vor. Der Lizenznehmer muss die Schiedsstelle anrufen, in unserem Fall die Schiedsstelle beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA). Diese würde entscheiden, ob die Einwände von Youtube gegen die von uns geforderte Vergütungshöhe und die vorgeschlagene Vertragsgestaltung gerechtfertigt sind. Zugleich müsste Youtube bei Weiternutzung der GEMA-geschützten Inhalte den unstrittigen Teil der Vergütung an uns zahlen und den strittigen Teil beim DPMA hinterlegen, bis die Schiedsstelle entschieden hat. Das wäre der normale Weg, den Youtube aber nicht beschreitet.
Das funktioniert übrigens: In der Auseinandersetzung zwischen GEMA und dem IT-Branchenverband Bitkom über Urhebervergütungen für Online-Musikanbieter haben beide Seiten auf der Basis der Schiedsstellenentscheidung eine Lösung gefunden.
„Youtube ist auch ein Content-Provider“
iRights.info: Youtube argumentiert, man müsse wegen des von derGEMA in Gang gesetzten Gerichtsverfahrens fürchten, im großen Umfang für die Veröffentlichung von Videos verklagt zu werden. Und zwar dann, wenn die Richter die Plattform im Gerichtsurteil als Inhaltsanbieter (Content-Provider) einstufen und nicht als reine Hosting-Plattform, die ihren Nutzern das Hochladen von Videos ermöglicht. Das finanzielle Risiko künftiger Schadensersatzforderungen will Youtube mindern, in dem esGEMA-geschützteInhalte selbst blockt. So gesehen führt das Vorgehen derGEMA,einen Präzedenzfall schaffen zu wollen, indirekt zur Sperrung von Videos….
Alexander Wolf: Unsere Position ist, dass Youtube nicht als Hosting-Plattform eingestuft werden kann. Dass Youtube in vielen Ländern Lizenzverträge mit Verwertungsgesellschaften abschließt, zeigt doch, dass das Unternehmen versucht, die angebotenen Inhalte zu legalisieren. Wenn sich Youtube hierzulande auf die oben dargestellte Position zurückzieht, dann will man sich einfach aus der Verantwortung stehlen.
iRights.info: Youtube argumentiert: Jeder Uploader entscheidet selbst, welche Inhalte er hochlädt. Man nehme auf die Inhalte vorab keinen Einfluss, und sei deshalb auch kein Content-Provider…
Alexander Wolf: Youtube macht sich die gezeigten Inhalte zu Eigen. Das Unternehmen schaltet gezielt je nach Inhalt der Clips Werbung, das heißt sie „arbeiten“ mit dem Reportoire. Youtube bietet im Grunde dasselbe Angebot wie Spotify in seinem werbefinanzierten Bereich. Da gibt es keinen Unterschied. Youtube ist aber der einzige dieser Anbieter, der so tut, als sei er kein Content-Provider.
iRights.info: Man könnte ja auch sagen, der Youtube-Nutzer wird in dem Moment selbst zum Content-Provider, wenn er Material hochlädt. Dann böte Youtube nur die Infrastruktur zum Inhalte anbieten…
Alexander Wolf: Das sehen deutsche Gerichte unterschiedlich. Das Landgericht Hamburg hat bereits einmal entschieden, dass Youtube auch Content-Provider ist. Meine Auffassung ist: Wenn jemand nur Serverkapazitäten zur Verfügung stellt, mag er als Hosting-Service eingestuft werden. Aber in dem Moment, in dem ich mit den Inhalten arbeite und über Werbung Geld verdiene, mich als Musikdienst anpreise, ist das etwas anderes. Dann bin ich auch für die Inhalte und die angemessene Entlohnung der Urheber verantwortlich.
„Erschreckend niedrige Vergütungen“
iRights.info: Youtube ist nach eigener Aussage bereit, an dieGEMA zu zahlen. Allerdings will das Unternehmen sich nicht auf Mindestvergütungen pro Stream einlassen. Das sei nicht wirtschaftlich. Warum rückt dieGEMAnicht von dieser Abrechnungsmethode ab?
Alexander Wolf: Wir halten diese Abrechnungsmethode bei interaktiven Diensten für die Gerechteste. Wir können dann korrekt und eindeutig werkbezogen ausschütten. Der Künstler wird je nachdem, wie oft er gespielt wird, vergütet. Das ist im CD- und Online-Bereich vollkommen normal. Man könnte ja auch umgekehrt fragen, warum rückt Youtube nicht vom Vorschlag einer prozentualen Beteiligung an seinen Werbeeinahmen ab? Es handelt sich bei Youtube schließlich nicht um Fernsehen.
iRights.info: Youtube konnte sich mit vielen Verwertungsgesellschaften in anderen Ländern auf Tarifmodelle einigen, bei denen eben nicht pro Stream abgerechnet wird. Warum geht die GEMAhier einen Sonderweg?
Alexander Wolf: Der zentrale Grund ist: Wir sehen, wie erschreckend niedrig die Einnahmen der Künstler in Ländern wie Großbritannien und Italien aus den Verträgen mit Youtube sind. Das bestätigt uns darin, dass wir die Youtube-Vorschläge nicht akzeptieren können.
iRights.info: Die Situation scheint verfahren. Sehen Sie irgendeine Möglichkeit, von Ihrer Forderung nach Mindestvergütungen pro Stream abzurücken?
Alexander Wolf: Nein. Von der Mindestvergütung pro Stream abzurücken, wäre mit einer enormen Vergütungsabsenkung verbunden, die der Interaktivität des Youtube Dienstes nicht gerecht wird.
„Die GEMA hat den geringsten Verhandlungsspielraum“
iRights.info: Wenn sichGEMAund Youtube nicht einigen können, werden Labels und Nutzer sich weiterhin beklagen, dass Musikvideos in Deutschland nicht zu sehen sind…
Alexander Wolf: Das können Sie umgekehrt auch Youtube vorhalten. Die GEMA hat als De-Facto-Monopolist den geringsten Verhandlungsspielraum. Wenn wir einen Kontrahierungszwang haben, wir also die Rechte gemäß Urheberwahrnehmungsgesetz jedem einräumen müssen, dann kann man nicht von uns verlangen, unsere Tarife zur Disposition zu stellen. Wir haben nicht die Freiheit, Youtubes Angebot jetzt anzunehmen, um später bessere Vergütungen auszuhandeln.
Der Gesetzgeber hat uns diese Konstruktion auferlegt. Er könnte das System auch verändern und uns mehr Spielraum am Markt zugestehen. Dann könnten wir wie die Labels sagen, wir machen gar keinen Vertrag mit Youtube, oder nur für ein Jahr. Gegenwärtig bleibt nur der Weg zu den Gerichten oder zur Schiedsstelle.
iRights.info: Würden Sie es begrüßen, wenn der Gesetzgeber die rechtliche Konstruktion derGEMAändert?
Alexander Wolf: Ich wäre froh, wenn der Gesetzgeber Unternehmen wie Youtube eindeutig als Lizenznehmer einstufen würde oder den Kontrahierungszwanz für die GEMA im Online Bereich aufhebt.
„Man kann die Google-Tochter Youtube nicht isoliert sehen“
iRights.info: Youtube argumentiert, Mindestvergütungen pro Stream seien nicht rentabel. Musikinhalte, in deren Umfeld niemand wirbt, müssten dann von der Plattform verschwinden…
Alexander Wolf: Sie müssen sich klarmachen, es geht hier um Beträge von weit unter einem Cent pro Stream. Und entscheidend sind doch die Gesamteinnahmen eines Unternehmens. Wir müssen uns die Frage stellen: Was verdienen Youtube beziehungsweise der Mutterkonzern Google mit diesem Dienst, der Bindung der Nutzer und mit den Nutzerdaten. Googles Schatz sind die Daten, die das Unternehmen wiederum für andere Angebote nutzen kann, auch für gezielte Werbung an anderer Stelle. Wegen dieser Daten ist Google mit einem Marktwert von mehreren 100 Milliarden Dollar eines der wertvollsten Unternehmen der Welt. Mein Punkt ist: Man kann die Google-Tochter Youtube nicht isoliert sehen, sondern nur im Verbund mit dem Gesamtkonzern.
„Youtube und Google generieren mit Musik Milliardenumsätze“
iRights.info: Youtube und Google bereichern sich auf Kosten der Urheber?
Alexander Wolf: Die Online-Einnahmen der GEMA lagen 2011 im niedrigen zweistelligen Millionenbereich. Die Youtube-Vergütungsangebote tragen nicht zu einer substantiellen Erhöhung der Online-Einnahmen bei, trotz mehrerer Millionen Streams von Youtube im Jahr allein in Deutschland. Der einzelne Urheber oder ein kleiner oder mittlerer Verlag hat davon überhaupt nichts. Das Verhältnis von Nutzung und Vergütung muss aber in einem angemessenen Rahmen stehen.
iRights.info: Was passiert, wenn das Landgericht Hamburg entscheidet, Youtube ist kein Content-Provider und hat sich auch im Fall der 12 Videos richtig verhalten. Wäre das für die Verhandlungen im Vergütungsstreit eine andere Ausgangslage?
Alexander Wolf: Ich kann hier nicht spekulieren. Die GEMA wird aber auch weiterhin um eine angemessene Vergütung kämpfen und sich nicht mit extrem niedrigen Vergütungen abspeisen lassen. Youtube und Google generieren mit Musik schließlich Milliardenumsätze.
iRights.info: Man könnte auch argumentieren, die Urheber werden mit Youtube überhaupt erst bekannt und können dann Geld verdienen…
Alexander Wolf: Kein Künstler lebt von der Promotion auf Youtube. Und es gibt da auch keine Kausalitäten.
„Die Online-Einnahmen werden wachsen“
iRights.info: Im Online-Bereich konnte der Gesamtertrag der GEMA 2011 gesteigert werden, er fällt aber mit etwa 21,2 Millionen Euro immer relativ niedrig aus. Was könnte besser laufen?
Alexander Wolf: Die Marktabdeckung der GEMA ist relativ gut. Das vergisst man immer. Man denkt immer, wir lägen mit allen im Streit, aber das stimmt nicht. Diese 21 Millionen werden wachsen. Wir müssen die Piraterie noch besser in den Griff bekommen. Die Piraterie betrifft ja die Musik- und Medienindustrie insgesamt.
„Teufelszeug MP3“
iRights.info: Hat die GEMA bei Beginn des Internetzeitalters etwas falsch gemacht?
Alexander Wolf: Ich kenne Karlheinz Brandenburg, den genialen Erfinder von MP3, recht gut. Er hat mir seine Erfindung in den 90er Jahren vorgestellt und gezeigt, wie man Musik digitalisiert beziehungsweise komprimiert. Ich habe ihn gefragt, warum bindest du die Musikindustrie nicht ein, das ist ein Teufelszeug. Und dann war die MP3 im Markt und damit die Tür offen, im Internet alles kostenlos massenhaft zu verbreiten. Wenn Sie mich fragen, welche Fehler die GEMA gemacht hat – wir hätten ihn vielleicht anflehen sollen, dass er diese Kompressionstechnologie MP3 nicht einfach freigibt, sondern über die GEMA lizenziert. Dass sich daraus ganze Industrien entwickelt haben, war in der Folge unvermeidlich.
„Internationale Lösungen sind eine Illusion“
iRights.info: Deutsche Nutzer können die Sperren auf Youtube ganz legal umgehen, indem sie im Internet ihren Standort verschleiern, etwa mit einem „Proxy Switcher“. Machen angesichts der Freiheit des Internets nationale Lizenzverträge noch Sinn?
Alexander Wolf: Wenn wir einen globalen Rahmen hinbekämen, der die Urheber im Sinne einer angemessenen Vergütung unterstützt, dann wäre ich mehr als glücklich. Doch ich glaube, das ist eine Illusion. Die Interessen der Marktteilnehmer sind unterschiedlich. In Amerika und Großbritannien hat Entertainment eine unheimlich große Bedeutung für das nationale Bruttoinlandseinkommen. Diese Länder haben ein großes Interesse an einer Absicherung der Vergütung und einer Stärkung des Urheberrechts. Andere Länder haben eine andere Tradition.
Eine globale Lösung wäre zu begrüßen. Aber die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), die Anfang 2000 an solchen Regelungen gearbeitet hat, schafft – wenn überhaupt – immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner, weil die Interessenunterschiede zwischen den USA und Ländern wie China sehr groß sind. Ich bin für internationale Lösungen, aber sehr skeptisch, ob sie gelingen.
Unsere wichtigste Aufgabe gegenwärtig ist das Urheberrecht an sich zu erhalten. Ein Unternehmen wie Google arbeitet ja daran, das Urheberrecht wie wir es kennen, abzuschaffen.
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