Meme und Urheberrecht: Ohne Fair Use unversöhnt
Einer der besten Belege für die Notwendigkeit eines Updates des europäischen Urheberrechts in der digitalen Gesellschaft ist der Aufstieg der Remix-, Mashup- und Memekulturen. Vor allem letztere ist längst ein Massenphänomen, ja eine neue digitale Volkskultur, die sich – bis auf wenige Ausnahmen – in der Illegalität entfaltet.
Die wenigen Ausnahmen, in denen Meme auch nach europäischem und deutschem Urheberrecht legal sein können, stehen im Zentrum des Beitrags von Rike Maier, der Anfang Mai an dieser Stelle erschienen ist. Im Kern argumentiert sie in zwei Schritten:
- Erstens gäbe es durchaus Fälle, in denen die Mem-Kultur von den vorhandenen Ausnahmeregelungen (Schranken) erfasst sei – hier vor allem jener für Parodien im europäischen Urheberrecht.
- Zweitens sei auch mit einer offenen Schranke nach dem Vorbild der Fair-Use-Klausel des US-Copyrights nicht viel gewonnen, weil „auch in den USA das Zusammentreffen von Memen und Urheberrecht keine einfachen Lösungen verspricht“.
Beides ist nach meiner Einschätzung nicht völlig falsch, hilft aber bei den entscheidenden Fragen rund um Meme und Urheberrecht nicht weiter: Auch wenn Meme vor dem Hintergrund von Parodie und Kunstfreiheit partiell mit dem Urheberrecht vereinbar wären, würde das nichts daran ändern, dass sie es in den meisten anderen Fällen gerade nicht sind und die Rechtsunsicherheit weiter besteht. Meme basieren fast immer auf fremden Bild- oder Videoinhalten und funktionieren oft gerade deshalb, weil sie bekanntes oder popkulturelles Material aus Filmen, TV-Serien oder Presseberichterstattung in einen neuen Kontext stellen.
Rike Maier selbst macht deutlich, dass das Zitatrecht und die Rechtsprechung zur Kunstfreiheit kaum Möglichkeiten für legale Meme eröffnen. Die Nutzung des Materials in Memen ist fast durchweg illustrativ, erfüllt also nicht die in der Rechtsprechung für Zitate geforderte Belegfunktion. Auch ein Verweis auf die Kunstfreiheit hilft bestenfalls in Nischenbereichen.
Was Meme auszeichnet, ist gerade ihr Charakter als niederschwellige, in Alltagskreativität fußende Volkskultur mit radikal demokratisierter Autorschaft. Eine einzelne Mem-Variante steht nicht für sich alleine, sie bezieht sich auf die Geschichte des Mems und spinnt diese – in der Regel aber nur marginal – fort. Deshalb gibt es de facto auch keinen individuellen Urheber eines Mems; es ist das Ergebnis eines kollektiv-verteilten Prozesses der Schöpfung und Fortschöpfung, im Zuge dessen individuelle Beiträge gerade nicht von der Kunstfreiheit erfasst sind. Von den von Maier zusätzlich angeführten Problemen fehlender künstlerischer Intentionalität und ihrer fehlenden Rezeption als Kunst ganz zu schweigen.
Meme als Parodien bleiben Ausnahme
Der Ausnahmeregelung für Parodie und Satire schreibt Maier „mehr Potenzial“ zu, Urheberrecht und Meme zu vereinbaren. Und in der Tat wäre die Regelung zur „freien Benutzung“ dem Wortlaut nach am ehesten in der Lage, das Phänomen der Meme rechtlich zu fassen. Allerdings steht auch hier wieder eine restriktive Rechtsprechung im Widerspruch zur real existierenden Mem-Kultur.
Vor allem das Erfordernis, dass sich eine Parodie „kritisch und antithematisch – also in einer die ursprüngliche Aussage umkehrenden Weise – mit dem genutzten Material auseinandersetzt“ (Maier), ist bei Memen in der Regel gerade nicht erfüllt. Im Vordergrund steht die Ent- und Rekontextualisierung, nicht die Kritik oder Parodie des verwendeten Werks.
Die vorhandenen Ausnahmeregelungen greifen daher bestenfalls bei einem sehr kleinen Teil der digitalen Memkultur – in Ausnahmefällen. Sie ändern nichts daran, dass ihr überwiegender Teil rechtswidrig bliebe. Und auch in den Ausnahmefällen bliebe die Rechtsunsicherheit hoch, weil es – wie Maier selbst schreibt – an Rechtsprechung fehlt.
Fair use vs. europäische Ausnahmen
Das Problem der Rechtsunsicherheit führt zum zweiten Punkt Maiers: Auch Fair Use bedeute keine Abhilfe. Der Streit um eine Fotomontage des US-Senders Fox News zeige, „dass auch in den USA das Zusammentreffen von Memen und Urheberrecht keine einfachen Lösungen“ biete. Allerdings ist fraglich, ob es sich in dem konkreten Fall überhaupt um ein typisches Mem handelt. Untypisch ist auch, dass hier eine klar kommerzielle Nutzung vorlag.
Es stimmt: Eine offen und allgemein formulierte Ausnahmebestimmung wie Fair Use geht mit einer gewissen Rechtsunsicherheit einher. Dasselbe gilt aber, wie die Mem-Kultur gerade zeigt, auch für die Schranken des europäischen Urheberrechts und kann damit kein prinzipielles Argument gegen Fair Use sein.
Hinzu kommt, dass die Sorge vor allzu großer Rechtsunsicherheit bei Fair Use vor allem von europäischen RechtswissenschaftlerInnen geäußert wird. US-JuristInnen teilen sie eher nicht, beispielsweise Pamela Samuelson in ihrer Studie „Unbundling Fair Use“ oder Matthew Sag in „Predicting Fair Use“.
Fair Use am Beispiel Sean Bean
In ihrem Fazit hält Rike Maier fest, dass sowohl das US-Copyright als auch das europäische Urheberrecht Probleme mit der Mehrdeutigkeit und den daraus folgenden Unterschieden bei der rechtlichen Einordnung von Memen haben. Doch erlaubt es das US-Modell des Fair Use viel eher, mit ebendiesen Problemen fertig zu werden.
Das wird deutlich, wenn nicht der Ausnahmefall einer Parodie, sondern der Standardfall eines Mems betrachtet und anhand der Fair-use-Kriterien beurteilt wird. Dazu lässt sich zum Beispiel ein fremdes Bild zählen, das mit Online-Diensten wie Memegenerator oder Imgflip mit Text versehen wird. Vorausgesetzt wird, dass es sich nicht mit dem Ursprungsmaterial kritisch auseinandersetzt. Beispiel: Der oft verwendete Filmstill, welcher Sean Bean aus „Herr der Ringe“ zeigt und mit Texten wie „One does not simply …“ versehen wird.
Ob eine Verwendung des Bildmaterials in dieser Form unter Fair Use fällt, orientiert sich an vier Kriterien:
- Dem Zweck und der Art der Verwendung
Wie das Beispiel Google Books zeigt, können durchaus auch gewerbsmäßige Nutzungsweisen unter Fair Use fallen. In der Regel werden Meme aber von Privatpersonen ohne Profitinteressen erstellt und geteilt. Die Kombination aus Beschriftung, Ent- und Rekontextualisierung zusammen mit fehlender Gewerbsmäßigkeit lässt kaum Zweifel offen, dass dieses Kriterium in den meisten Fällen erfüllt sein dürfte. Ob das auch für Dienste wie Memegeneratoren gilt, ist wieder eine andere Frage. Aber auch diese kann durch Gerichte geklärt werden, ohne dass das US-Copyright geändert werden müsste. - Der Art des verwendeten Werks
Es können je nach Werkgattung höhere Anforderungen gelten, um den Fair-Use-Test zu bestehen – zum Beispiel, wenn ein künstlerisches Werk genutzt wird. Im Beispiel eines einzigen Frames eines Films sollte das aber unproblematisch sein, wie sich aus dem nächsten Faktor ergibt. - Dem Umfang und der Bedeutung des verwendeten Auszugs im Verhältnis zum ganzen Werk
Ein einzelnes verwendetes Filmstill ist gegenüber dem gesamten Film vernachlässigbar klein. Viele Meme sind sehr kurze (GIF-)Sequenzen oder eben nur einzelne Bilder eines Films. Das ist wiederum auch einer der Hauptgründe dafür, dass der vierte Faktor für Fair Use erfüllt sein wird. - Den Folgen der Verwendung für den Wert und die gewöhnliche Verwertung des geschützten Werks
Auch diese sind bei einem einzelnen Filmstill völlig vernachlässigbar. In den meisten Fällen ließe sich wahrscheinlich sogar argumentieren, dass ein Meme die popkulturelle Bedeutung des Originalwerks steigert und somit dessen langfristige Verwertbarkeit verbessert. Jedenfalls aber behindern Meme in der Regel nicht die herkömmliche Verwertung eines Werks.
Auf Basis dieser Prüfung lässt sich der obige Fall eines bildbasierten Mems klar als Fair Use klassifizieren und wäre so nach US-Copyright legal. In Europa und Deutschland fehlt es jedoch an einer Schranken- oder Ausnahmeregelung, die diese Verwendung erlauben würde. Weder liegt eine Parodie vor noch fällt das Mem unter die Zitatschranke oder ist von der Kunstfreiheit gedeckt.
Zusammengefasst wird deutlich, dass Fair Use den Standardfall eines Mems erfasst und in der Regel problemlos zu lösen vermag. Im europäischen Urheberrecht gilt das nur für ganz spezielle Sonder- und Ausnahmefälle – bei vergleichbarer Rechtsunsicherheit. Zumindest in Sachen Memen gilt klar und eindeutig: Amerika, du hast es besser!
Dieser Beitrag steht unter der Lizenz CC BY. Korrektur: In der zuerst veröffentlichten Fassung hieß es fehlerhaft, das „One does not simply“-Mem stamme aus „Game of Thrones“. Daraus stammt allerdings nur das „Brace Yourself“-Mem mit Sean Bean. Wir danken Georg Fischer für den Hinweis.
2 Kommentare
1 Schmunzelkunst am 19. Mai, 2016 um 20:07
Wir haben den Fair Use doch schon. Das BGH-Urteil vom 13.11.2013 – I ZR 143/12 – Geburtstagszug stellt bezgl. der urheberrechtlichen Schutzgrenzen in der angewandten Kunst (Kunsthandwerk, Industriedesign, Modeschöpfungen u. dergl.) und der reinen Kunst keine unterschiedlichen Anforderungen mehr. Und da jedes Foto einer dreidimensionalen Schöpfung eine Vervielfältigung einer solchen im Sinne des UrhG ist, benötigt man grundsätzlich immer für die Herstellung und Veröffentlichung der Fotos die Erlaubnis der Urheber der darauf abgebildeten Objekte. Dass aber auch ohne Erlaunbis dieser Rechteinhaber nach wie munter drauflos fotografiert wird – auch bei Fahrzeug-Oldtimern sind die Urheber ja oft noch keine 70 Jahre tot – zeigt doch dass wir den Fair Use praktisch schon haben – oder ;) – zumindest sind die Argumente für den Fair Use bereits latent in unserem Urheberrecht verankert.
An meinem Kommentar zum Aufsatz von Rike Maier ändert das gar nichts. Für die Veröffentlichung der Fotos benötigt man immer die Erlaubnis der Fotografen, auch wenn die darauf abgebildeten Objekte fair genutzt werden.
2 Cedicted am 2. Mai, 2019 um 16:33
Die Mehrzahl von Meme ist Memes und nicht Memen!! Ausgesprochen: Miem bzw. Miems.
Meiner Meinung nach soll die Verbreitung von Memes mit urheberrechtlich kritischen Inhalten ruhig verboten werden. Vielleicht bringt das die klassischen (oftmals schlecht) selbst gezeichneten Rage Comics zurück, welche viel kreativer und lustiger waren.
Was sagen Sie dazu?