Internet-Radio: Freier Funk im Internet?
Senden ohne Rundfunklizenz – aber nicht ohne Erlaubnis der Rechteinhaber
Das Schöne am Webcasting: Man braucht zwar Technik und auch Geld, aber keine Rundfunklizenz, um ein Radioprogramm über das Internet auszustrahlen. Allerdings werden die meisten, die selber ein solches Programm zusammenstellen, auf Musik nicht verzichten wollen. Und um die zu senden, braucht man die Erlaubnis der Rechteinhaber – egal, ob das Internetradio nur von einem Hörer gehört wird oder von tausenden.
Damit aber nicht jeder DJ, Moderator oder jede Moderatorin für unzählige Songs einzelne Verträge mit den Künstlern abschließen muss, gibt es die sogenannten Verwertungsgesellschaften, die diese Arbeit für die Rechteinhaber bündeln und als Ansprechpartner der Internetradios dienen. Für die Radios sind zwei von ihnen relevant: die GVL (Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten) und die GEMA (Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte). Die GEMA vertritt die Komponisten, Texter und deren Verleger, die GVL ist zuständig für Interpreten und die Tonträgerindustrie.
Wer ein Internetradio betreibt, aber keine Lizenz bei GEMA und GVL erwirbt, muss mit empfindlichen Strafen rechnen. Wie bei anderen Urheberrechtsverletzungen auch, können die Rechteinhaber auf Unterlassung und Schadensersatz klagen. Und schon eine anwaltliche Abmahnung, in der die Rechteinhaber verlangen, dass die Betreiber die Ausstrahlung ohne Lizenz beenden, kann teuer werden. Im schlimmsten Fall droht eine strafrechtliche Verfolgung, die zu Geld- oder Gefängnisstrafen führen kann: bis zu drei Jahren, wenn das Radio nicht gewerblich betrieben wird, bei gewerblicher Nutzung sogar bis zu fünf Jahren.
Bisher ist kein Fall bekannt geworden, in dem Radiobetreiber zu einer solchen Strafe verurteilt wurden. Allerdings hat die GEMA im Oktober 2006 gegen 50 ihrer Einschätzung nach illegale Webradiobetreiber Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche geltend gemacht, da die Radios nicht korrekt lizenziert worden seien. Der Ausgang dieser Verfahren war zu Redaktionsschluss noch nicht bekannt.
Es geht ums Geld
Die Tarife, nach denen für das Internetradio gezahlt werden muss, sind bei der GVL und der GEMA veröffentlicht. Beide Gesellschaften bieten Pauschalverträge für kleine, nichtkommerzielle Internetradios an. An die GVL müssen mindestens 500 Euro im Jahr gezahlt werden – dafür darf man eine Million Titel im Netz anspielen. Dabei ist aber ein Titel immer ein Titel pro Hörer. Die GVL macht das an einem Rechenbeispiel deutlich: „Geht man von einem nichtkommerziellen Webcaster aus, der täglich 12 Stunden anbietet, 365 Tage im Jahr, und pro Stunde 10 Titel übermittelt, kann er durchschnittlich 23 Hörer haben, ohne mehr als die Pauschale von 500 Euro zu zahlen. 23 Hörer sind dabei ein Durchschnittswert – es können zu Spitzenzeiten gern 1.000 Hörer sein, zu anderen Zeiten müssen es dann entsprechend weniger Hörer sein.“ Wer mehr Hörer hat, muss pro Song die sogenannte Grundvergütung zahlen: 0,05 Cent pro Songtitel und Hörer oder 0,015 Cent pro Minute und Hörer.
Zu der Zahlung pro Titel und Hörerin oder Hörer kommt eine Kopiergebühr, weil die Songs auf den PC des Radioanbieters kopiert werden müssen, um sie zur Verfügung stellen zu können. Sie beträgt 0,125 Euro pro Jahr und Titel. Wer also seinen Hörern 1.000 Titel anbieten möchte, zahlt noch einmal 125 Euro, bei 2.000 Titeln sind es 250 Euro.
Zusätzlich muss der potenzielle Radiomacher eine monatliche Gebühr von 30 Euro an die GEMA zahlen. Das gilt für nichtkommerzielle Internetradios. Das sind Radios, deren Einnahmen nach der GEMA-Definition 430 Euro im Monat nicht übersteigen dürfen, die über bis zu drei URLs und auf bis zu neun Kanälen senden und bis zu 2.700 unterschiedliche Hörerinnen und Hörer in einem Monat erreichen. Jeder muss dabei dasselbe hören, die Radios dürfen also weder interaktiv noch personalisiert sein, noch den Zugriff auf einen bestimmten Song erlauben. Die GEMA bietet einen Lizenzshop an, in dem man sich für sein Radio einen individuellen Tarif ausrechnen lassen kann. Alle diese Einnahmen (abzüglich der Verwaltungskosten) werden von GVL und GEMA an die unterschiedlichen Rechteinhaber und Interpreten verteilt.
Für kommerziell betriebene Internetradios gelten andere Bedingungen, die hier aber nicht weiter aufgeschlüsselt werden können. Wer ein solches Radio gewerblich betreiben will, muss meist mit den Verwertungsgesellschaften individuelle Vereinbarungen treffen. Auf den Websites von GVL und GEMA sind Kontaktmöglichkeiten aufgelistet.
Neue Sendebedingungen der GVL
Die GVL stellt weitere Bedingungen: Webcaster müssen nicht nur die gespielten Titel melden, sondern auch die Hörerzahl, aufgeschlüsselt nach Ländern. Können sie das nicht, weil der technische Aufwand zu hoch ist oder wollen sie es nicht, weil die internationale Lizenz zu teuer ist, müssen sie dafür sorgen, dass das Programm nur in Deutschland abgerufen werden kann.
Weiterhin müssen Internetradios der GVL nach jedem Quartal mitteilen:
- wie lang die Programme insgesamt gedauert haben,
- welche Musik gespielt wurde – inklusive Labelcode und Marke,
- Titel, Interpret, Übertragungsdauer,
- wie viele Hörer an welchem Tag zugehört haben.
Wenn eine sogenannte multiterritoriale Lizenz gilt, müssen die Sender außerdem melden, in welchen Ländern das Programm gehört wurde. Die Radios dürfen in Sendungen oder auf ihrer Webseite keine Programmvorschau veröffentlichen, in der die Musiktitel bekannt gegeben werden. Künstlerinnen und Künstler, die im Programm gespielt werden, dürfen nicht im Voraus genannt werden, sondern nur, dass ein bestimmter Künstler innerhalb eines bestimmten Zeitraums gespielt werden wird.
Ein Auszug aus den Nutzungsbedingungen erläutert die weiteren Anforderungen: „Der Webcaster darf innerhalb von drei Stunden seines Programms nicht übertragen: (a) mehr als drei verschiedene Titel von einem bestimmten Album, davon nicht mehr als zwei Titel aufeinander folgend; oder (b) mehr als vier verschiedene Titel eines bestimmten Künstlers oder einer Compilation von Musiktiteln, davon nicht mehr als drei aufeinanderfolgend. […] Die Übertragung darf nicht Teil sein von: (a) einem Archiv-Programm von weniger als fünf Stunden Dauer; oder (b) einem Archiv-Programm von fünf oder mehr Stunden, das für einen Zeitraum von mehr als zwei Wochen angeboten wird; oder (c) einer Programmschleife von weniger als drei Stunden Dauer.“
Keine Aufnahme, kein persönliches Programm
Weiterhin müssen die Radiobetreiber verhindern, dass das Programm gescannt oder aufgenommen wird und technische Maßnahmen unterstützen, „die von Tonträgerherstellern eingesetzt werden, um ihre Musikaufnahmen zu identifizieren und zu schützen, und darf diese nicht stören, sofern diese technischen Maßnahmen von dem Webcaster ohne substanzielle Kosten und ohne spürbare Beeinträchtigung des übertragenen Signals mit übertragen werden können.“
Der Radiobetreiber darf außerdem keine Techniken unterstützen, „die das automatische Springen von einem Programm- Kanal zum anderen ermöglichen. Er soll ferner keine Skip-Funktionen zum Überspringen einzelner Titel, Pause- oder Rückspul-Tasten in sein Angebot aufnehmen. Gleiches gilt für sämtliche Funktionen, die es dem Empfänger ermöglichen, ein personalisiertes Programm (z.B. im Hinblick auf das Angebot bestimmter Künstler oder Alben) zu erstellen.“
Schon bevor die neuen Tarife und Sendebedingungen der GVL im April 2005 in Kraft traten, wurden sie von Internetradiobetreibern scharf kritisiert. Sie waren der Ansicht, dass der Aufwand so groß geworden sei, dass es sich nicht mehr lohne, ein Internetradioprogramm auszustrahlen. Die GVL hat auf diese Kritik mit einer Stellungnahme reagiert und schreibt darin: „Tatsächlich sind nur wenige dieser Bedingungen verpflichtend; viele sind als ‚Soll-Bestimmung‘ ausgestaltet. Das heißt, dass ihre Einhaltung ihrerseits von Voraussetzungen abhängig ist, die zumutbar oder wirtschaftlich und technisch machbar sein müssen. Besonders kritisch wurde dabei die Forderung nach Verwendung eines Kopierschutzes kommentiert. Aber auch diese Forderung ist an wirtschaftliche Zumutbarkeit und technische Realisierbarkeit gebunden. Gerade im Hinblick auf kleine nichtkommerzielle Webcaster dürfte in den meisten Fällen diese Zumutbarkeit nicht gegeben sein. Die GVL wird dies deshalb mit Augenmaß und unter Berücksichtigung der Interessen solcher Webcaster großzügig ausgestalten.“
Inwieweit dies zutrifft, ist schwer zu beurteilen. Die öffentlichkeitswirksamen Proteste der Webradiobetreiber sind inzwischen abgeflaut, die GEMA verzeichnet mehr als 800 Stationen in ihrer Liste lizenzierter Webradios. Ob tatsächlich Radiobetreiber den Betrieb eingestellt – oder gar nicht erst aufgenommen – haben, weil sie die Bedingungen von GVL und GEMA nicht erfüllen konnten, lässt sich nicht feststellen.
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