Dirk von Gehlen: Warum ich die Kopie lobe
David Pachali: Wofür sollte man die Kopie loben?
Dirk von Gehlen: Um es pathetisch zu sagen: Für alles. Menschliches Leben entsteht durch die Verdopplung einer Eizelle. Gott schafft den Menschen nach seinem Ebenbild. Wir lernen Sprache, Schrift und Orientierung durch die Nachahmung und schließlich schenkt uns die Kopie eine ungeheuerliche Innovation: die Verdopplung digitalisierter Inhalte – ohne dass das Original Schaden nimmt oder das Duplikat mangelnde Qualität aufweist.
Das ist eine Revolution. Doch bisher wird die digitale Kopie immer nur in moralisch verwerflichen Kontexten dargestellt. Das wollte ich ändern. Weil ich glaube, dass wir mit der revolutionären Neuerung, die von ihr ausgeht, nur dann richtig umzugehen lernen, wenn wir sie akzeptieren – und auch verstehen, was sie für so viele Menschen so reizvoll macht.
In „Mashup” findet sich auch ein „Plädoyer für einen neuen Begriff des Originals”. Wie sieht der neue Begriff aus?
Ich glaube, dass die Digitalisierung unsere Vorstellung von Original und Duplikat auf den Kopf gestellt hat und dass wir das intellektuell verarbeiten müssen, um neue Vergütungsmodelle zu entwickeln. Wir stellen uns Kunst und Kultur derzeit immer als ein festes Werkstück vor, das abgeschlossen ist und dann vertrieben oder ausgestellt wird.
Vielleicht müssen wir in Zukunft eher mit einer Flussmetapher arbeiten, die Kunst und Kultur als Prozess versteht. Ähnlich wie in der Software, wo man mit der einfachen Unterscheidung von Original und Kopie auch nur schwer zurecht kommt, wenn man Unterschiede zwischen Version 1 und Version 3 eines Programms benennen will. In jedem Fall geht es mir darum, die binäre Unterscheidung von entwederOriginal oderKopie abzulösen. Ich glaube, dass die Grenzen fließend geworden sind und wir besser daran tun – wie in der Originalitätsforschung – eine skalierte Bewertung anzulegen.
Das klassische kontinentaleuropäische Urheberrecht baut, wie es ja auch in „Mashup” beschrieben wird, auf der Vorstellung eines singulären Schöpfers auf. Geistesgeschichtlich steckt dahinter die Idee des „Genies”. Wenn wir künstlerisches Schaffen nicht mehr nach dem Vorbild des Genies verstehen, als was dann?
Als das, was es ist: als ein ständiges Neu-Zusammensetzen von Bestehendem. Das hat gar nichts mit der Digitalisierung zu tun, das ist ein Prozess, den schon Goethe so benannt hat: Wir können uns von den kreativen Einflüssen anderer nicht frei machen. Deshalb sollten wir aufhören, sie zu leugnen und so zu tun, als entstünde Kunst im stillen Kämmerlein des genialen Schöpfers, der einzig aus sich heraus auf Ideen kommt.
In welche Richtung müsste das Urheberrecht weiter entwickelt werden?
Das Urheberrecht muss stärker als bisher die Nutzer als aktive Rezipienten anerkennen. In der Read-Write-Society, wie es Lawrence Lessig nennt, liegen passive Nutzung und aktive Verwendung untrennbar beieinander. Wenn sich dies nicht auch in Gesetzesform niederschlägt, wird der Legitimationsverlust des Urheberrechts noch zunehmen. Das kann man als Kreativer keinesfalls wollen.
Das Urheberrecht ist ein wichtiges Rechtsgebiet, dem man zur Durchsetzung verhelfen muss. Wenn Repressionen und Abmahnungen aber die einzigen Mittel sind, die uns einfallen, sind wir auf dem Holzweg. Deshalb müssen wir – ähnlich wie bei der Einführung der Kassettenkopie in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – anerkennen: Wir werden die Menschen nicht am Kopieren hindern können. Wir brauchen Vergütungsmodelle, die mit dem Kopieren funktionieren, nicht dagegen.
Neue Vergütungsmodelle wie die Kulturflate oder die Kulturwertmark sind zwar schon länger in Diskussion, scheinen aber auch kaum tatsächlich voranzukommen. Ähnlich sieht es bei der Diskussion über Geschäftsmodelle aus. Sind die Kreativen vielleicht doch die ökonomischen Verlierer der Digitalisierung?
Das weiß ich nicht. Ich will dem jedenfalls nicht einfach zusehen, sondern die Chance nutzen, die in der beschriebenen revolutionären Veränderung liegt und mitgestalten. Deshalb bin ich auch weit weniger skeptisch, was neue Vergütungsmodelle angeht. Die Kulturflatrate ist in Wahrheit nämlich schon sehr alt: als Leermedienabgabe ist sie gesellschaftlich akzeptiert.
Warum sind wir nicht mutiger und bringen als Kreative aktiv eine Reform der Verwertungsgesellschaften auf den Weg, an deren Ende eine Art Leermedienabgabe für Speicherplatz steht? Wir brauchen eine Kultur, in der wir in solche Richtungen denken. Deshalb lobe ich die Kopie.
Dirk von Gehlen, „Mashup: Lob der Kopie” ist bei Suhrkamp erschienen und kostet 15 Euro.
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