Warum DEAL die Wissenschaft in eine gefährliche Abhängigkeit führt
Vor rund zehn Jahren begann das „Projekt DEAL“: Die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen ordnete unter Federführung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) die Vertragsverhältnisse zu den Großverlagen Wiley, Springer Nature und Elsevier neu. Hauptanlass waren die steigenden Abogebühren, die die Verlage ab den 1990er Jahren verlangten. Sie führten zu leeren Kassen der Forschungsbibliotheken (sogenannte „Zeitschriftenkrise“) sowie zum Aufstieg von Schattenbibliotheken (z.B. SciHub) und anderen Formen der Beschaffungskreativität.
Eine neue, nationale Erwerbsstrategie sollte her: Zum einen, um die wachsenden Probleme des uneingeschränkten Zugangs zu wissenschaftlicher Literatur durch einen konsequenten Wechsel zu Open Access zu beheben. Zum anderen, um die Kosten für Literatur zu senken und den Hochschulen – auch durch bessere Kostentransparenz – finanziellen Bewegungsspielraum zu verschaffen.
DEAL leistete einen Beitrag zur Stabilisierung des Open-Access-Pfades in der Wissenschaft. Spätestens mit dem Elsevier-Vertrag verfestigt DEAL jedoch auch die finanzielle Ausbeutung der Hochschullandschaft durch wenige Großverlage. Hochproblematisch ist auch das zunehmende Datentracking der Großverlage. Es stellt eine Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit und die Datenschutzrechte der Forschenden dar. Daher ist es wichtiger denn je, sich nicht auf den Ergebnissen von DEAL auszuruhen, sondern mit Nachdruck die Attraktivität wissenschaftsgeleiteter und gemeinwohlorientierter Publikationsinfrastrukturen zu erhöhen.
Nach Wiley und Springer Nature kommt der DEAL mit Elsevier
Im September 2023 präsentierte das Projekt DEAL den Vertragsabschluss mit Elsevier, dem immerhin weltweit größten Wissenschaftsverlag. Damit der Vertrag tatsächlich in Kraft tritt, mussten ihm bis Mitte Januar 2024 genügend Bibliotheken und Forschungseinrichtungen beitreten. Dies war erfolgreich, wie die Pressemitteilung verrät. Die Laufzeit des Elsevier-Vertrags reicht wie bei Wiley und Springer Nature bis Ende 2028. Damit gibt es nun Open-Access-Vereinbarungen mit allen drei Großverlagen.
Zentral in allen DEAL-Abkommen: Forschende können über ihre Bibliotheken nicht nur alte Zeitschriftenartikel aus dem Archiv der Verlage lesen, sondern auch selbst in den Zeitschriften Open Access veröffentlichen. Dafür müssen sie zusätzlich hohe vierstellige Beträge, sogenannte Article Processing Charges (kurz: APC), entrichten. In den besonders angesehenen Elsevier-Zeitschriften Cell Press und The Lancet soll die APC rund 6.500 EUR betragen, in den restlichen 2.500 EUR – wohlgemerkt pro Artikel!
Die Verhandlungen mit Elsevier liefen schleppend, waren zwischendurch sogar für mehrere Jahre unterbrochen. 2018 kündigten etwa 200 Einrichtungen ihre bestehenden Lizenzverträge mit dem Verlag und diverse Forschende stellten aus Protest gegen die zu hohen Forderungen ihre Herausgeber- oder Gutachtertätigkeiten für Elsevier ein.
Der Preis von DEAL ist nicht zu unterschätzen
Diejenigen, die DEAL mit Elsevier und den anderen Verlagen verhandelt haben, betonen die Vorzüge des Abkommens. Unterm Strich, so heißt es, mache DEAL die Literaturversorgung günstiger. Das entspricht auch dem Auftrag, die Kosten einzudämmen, mit dem die Allianz vor zehn Jahren mandatiert wurde.
Allerdings darf bezweifelt werden, ob DEAL wirklich die Kosten senkt. Der Vertrag enthält weiterhin hohe Ausgangspreise. Jährliche Preissteigerungen der APCs von 3% bis 4% machen die Sache noch teurer: 2028 würden etwa die APCs für Cell Press oder The Lancet bereits mehr als 7.500 EUR pro Artikel betragen, also etwa 1.000 EUR mehr als 2024. Die Kosten des DEALs für Forschungseinrichtungen werden sich also maßgeblich nach dem Publikations-Output der eigenen Forschenden bemessen, der sich für die Bibliotheken nur schwer planen lässt. Dazu kommen erhebliche administrative Aufwände auf die Bibliotheken zu.
Die Wertschöpfung des „Produktes“ Wissenschaft, das muss man unbedingt dazu wissen, wird fast ausschließlich von der öffentlichen Hand finanziert: Denn die Forschung an einem bestimmten Thema, das Verfassen, Begutachten, Qualitätssichern und Redigieren der dabei entstehenden Texte, sogar oftmals deren technische Formatierung, übernehmen die Forschenden selbst. Elsevier und Co. fungieren heute eher als digitale Plattformen: Sie nehmen die fertigen, qualitativ hochwertigen Texte dankbar entgegen, ohne große Kosten für redaktionelles Personal oder drucktechnische Produktion stemmen zu müssen.
Großverlage verdienen am Publikationswettbewerb kräftig mit
Beim Publizieren hat sich disziplinenübergreifend für die Forschenden eine gewaltige Überbietungsspirale etabliert: Nur wer regelmäßig, zahlreich und an reputationsgeladenen Orten veröffentlicht, hat die Chance auf einen dauerhaften Verbleib in der Wissenschaft. Eine angeregte Publikationstätigkeit ist grundsätzlich zwar erfreulich, da sie auf prosperierende Erkenntnisproduktion schließen lässt. Doch mehren sich die Anzeichen, dass viele Forschende nach „Salami-Taktik“ verfahren, ihre Erkenntnisse also in immer mehr, immer kleinteiligeren, aber stets APC-pflichtigen Publikationseinheiten verpacken.
Dazu kommt der Geschäftssinn der Wissenschaftsverlage. Diese wollen natürlich ein möglichst breites Portfolio an Zeitschriften, Buchreihen und neuen Publikationsgenres bieten, um die Anzahl der Publikationen in die Höhe zu treiben. DEAL macht es für die Verlage lukrativ, zunehmend mehr Artikel zu veröffentlichen.
Es ist daher kurzsichtig, nur auf die Literaturversorgung zu blicken. Denn die Abhängigkeit der Forschenden, in den prestigeträchtigen Zeitschriften der Großverlage zu veröffentlichen und dafür teils absurd hohe APCs zu zahlen, wird nicht sinken. DEAL verringert diese Abhängigkeit nicht und kann es auch nicht. Ganz im Gegenteil: Der Vertrag macht es den Forschenden komfortabler, zu Großverlagen wie Elsevier zu gehen.
Kommerzielles Datentracking macht die Wissenschaft kompromittierbar
Und doch spiegelt das Monetäre nur die eine Seite der Abhängigkeit. Mindestens ebenso schwer dürften die hohen gesellschaftlichen Kosten wiegen, die durch das Datentracking der Großverlage entstehen. Nach dem Vorbild digitaler Plattformen und Datenkonzerne stellen auch die wissenschaftlichen Großverlage auf datenbasierte Geschäftsmodelle und geschlossene Produktumgebungen um. Das heißt nichts anderes, als dass die durch die Wissenschaft eingespeisten Inhalte (hier: Aufsätze und Forschungsdaten) für die Sammlung, Aggregation, Analyse und den Verkauf von Nutzungsdaten dienen.
2021 erkannte das auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG): Sie monierte die Praxis der Verlage und warnte vor Gefahren, die durch ausuferndes Tracking für Wissenschaftsfreiheit und Forschende entstehen. Auch in juristischen Kreisen wird das Problem mittlerweile näher erörtert.
Elsevier etwa gehört einem großen Datenkonzern namens RELX und hat selbst in den letzten Jahren diverse Firmen zugekauft, darunter die Literaturverwaltungssoftware Mendeley, den Preprint-Server SSRN, die SCOPUS-Datenbank, das Forschungsmanagement-Tool PURE oder das Outreach-Programm PLUM. Über verknüpfbare Datensätze lässt sich präzise ausrechnen, welche Forscherin nach welchen Artikeln sucht, welche Forschungsthemen sie bearbeitet, welches Datenmaterial sie dafür generiert und so weiter. Solche Informationen sind so sensibel wie wertvoll! Sie sollten nicht unvorsichtig an kommerzielle Unternehmen gegeben werden, die sie je nach Interessenslage an Diktaturen oder andere zwielichtige Akteure weiterverkaufen können.
Datenschutzrechtlich ist die Datensammelwut der Verlage mindestens fragwürdig, womöglich sogar rechtswidrig. Bibliotheken könnten auf Basis datenschutzrechtlicher Verpflichtungen (DSGVO) in Mithaftung genommen werden. Auch dieses Risiko ist in den DEAL-Verträgen nicht ausreichend reflektiert. Hier macht sich die Wissenschaft kompromittierbar und gibt ohne Not die Kontrolle über ihren eigenen Hoheitsbereich aus der Hand.
Die Alternativen: Gemeinwohlorientierte und wissenschaftsgeleitete Strukturen
Die Wissenschaft wird nicht umhinkommen, das Heft wieder selbst in die Hand zu nehmen. Das heißt: Selbst getragene und gemeinwohlorientierte Publikations- und Dateninfrastrukturen im Sinne von Fair Open Access aufbauen und dort, wo bereits vorhanden, stärken! Das beinhaltet eine breite Reflexion der tradierten Reputationsmechanismen und Forschungsbewertung, wie sie etwa in der Coalition for Advancing Research Assessment (COARA) entwickelt werden. Gerade im Angesicht von DEAL sollten offene, langfristig getragene und wissenschaftsgeleitete Strukturen möglichst umfassende Angebote für den gesamten Forschungsprozess und damit verbundenen Datenlebenszyklen schaffen.
Informierte Publikationsentscheidungen werden in einer von Datenkonzernen verwalteten Medienwelt unabdingbar. Und doch wäre es zynisch, solche Entscheidungen nur den Forschenden anzulasten, anstatt sich der infrastrukturellen Verantwortung zu stellen. Tatsächlich empfehlen auch DEAL-Verantwortliche den Forschenden, für ihre Arbeit wissenschaftsgeleitete Angebote jenseits von DEAL zu berücksichtigen. Das ist ein bisschen so, als würde ein Bürgermeister einen Autobahn-Anschluss für seine Gemeinde aushandeln und dieser dann empfehlen, lieber den Zug zu nehmen.
Jahrzehntelange Abhängigkeiten abzubauen dauert in den meisten Fällen eine Weile. Manchmal geht es aber auch ganz schnell. Das zeigt ein aktueller Fall um die Zeitschrift Journal of Political Philosophy, die bis vor kurzem bei Wiley erschien. Nach Aufforderung des Verlags, die Veröffentlichungszahlen zu erhöhen, trennte sich das Team der Herausgebenden von Wiley. Sie führen die Zeitschrift nun verlagsunabhängig in Eigenregie weiter. Ob die Forschenden den Umzug auch ohne den Vorstoß des Verlags, also alleine aus eigener Motivation heraus angestrebt hätten, ist allerdings nicht bekannt.
Dr. Georg Fischer ist Referent für Open Research am Open-Access-Büro Berlin sowie Redakteur bei iRights.info.
Dr. Maximilian Heimstädt ist Forschungsgruppenleiter am Weizenbaum-Institut in Berlin sowie Akademischer Oberrat an der Universität Bielefeld.
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