Offene Abschöpfung: Wie sich wissenschaftliches Publizieren im Übergang zu Open Access verändert

Nathan Oakley via Flickr CC BY-2.0.
Open Access kommt langsam. Selbst die Pandemie, in der das Bedürfnis nach digitalem Textzugriff in Forschung und Lehre essentiell wurde, hat keine deutliche Beschleunigung gebracht. In den letzten Urheberrechts-Reformen wurde die Kriminalisierung von Plattformen wie SciHub, die wissenschaftliche Texte aus dem Paywall-Tresor herauslösen, sogar noch einmal verschärft. Die Einrichtung einer Wissenschaftsschranke (das heißt die Aufhebung von Urheberrechten in diesem Bereich) wurde dagegen versäumt: Nach wie vor dürfen nur bis zu 15 Prozent eines publizierten Werks unbezahlt beziehungsweise ohne Verlagszustimmung für Forschung und Lehre verwendet werden.
Open Access
bezeichnet den offenen Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen. Open-Access-Literatur im engeren Sinn ist online kostenfrei zugänglich und unter offenen Lizenzen veröffentlicht, die die weitere Nutzung erleichtern. Es gibt mehrere Ansätze: Anderswo veröffentlichte Publikationen können online zugänglich gemacht werden („Green Road“) oder in eigenen Open-Access-Zeitschriften erscheinen („Golden Road“). Beim Diamond-Open-Access-Modell fallen weder für Autor*innen noch Leser*innen Gebühren an; finanziert wird die Publikationsinfrastruktur hier von wissenschaftlichen Einrichtungen oder Wissenschaftsverbänden. In Deutschland gilt seit 2014 unter bestimmten Voraussetzungen ein Zweitveröffentlichungsrecht für Wissenschaftler*innen.
Die wissenschaftliche Praxis, die für den Überblick zum bisher Erforschten vollständigen Zugang verlangen würde, wurde dabei nicht berücksichtigt. Selbst der Ansatz, die Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschungsprojekte obligatorisch öffentlich zugänglich zu machen, ist noch weit von der institutionellen Verwirklichung entfernt.
Der „Plan S“ der EU, der dieses Ziel verfolgt, wird von Organisationen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft nicht hinreichend unterstützt. Es bleibt also in weiten Teilen akademischen Publizierens bei einem Zustand des doppelten Abkassierens, den etwa Leonhard Dobusch beschreibt:
„Überwiegend öffentlich finanzierte Forschung wird […] von öffentlich finanzierten WissenschaftlerInnen kostenlos begutachtet und dann von Verlagen, deren Leistung in der Regel aus Lektorat, Satz und Distribution besteht, für teures Geld an öffentlich finanzierte Bibliotheken zurückverkauft.“
Im Lauf der Digitalisierung hat sich dieses Problem ausgeweitet und zur „Zeitschriftenkrise“ der Hochschulbibliotheken verschärft, denen angesichts rasant steigender Abonnementpreise schlicht das Geld für die nötigen Anschaffungen ausging. Viele Forschende, Hochschulen und Forschungsorganisationen haben sich dagegen zur Wehr gesetzt; inzwischen verhandeln die führenden Wissenschaftsnationen mit den großen Verlagen Übergänge zu Open Access.
Die Gebührenlast verschiebt sich hin zu den Autor*innen
Doch der ökonomische Skandal des alten Paywall-Oligopols droht sich fortzusetzen, selbst wenn wissenschaftliche Publikationen mittelfristig doch überwiegend allgemein zugänglich werden. Statt durch Zugriffsgebühren können die Verlage bei Open Access nämlich einfach durch Publikationsgebühren verdienen, die gewöhnlich weit über die Verlagsleistung hinausgehen und nun unmittelbar von den Autor*innen beziehungsweise ihren Institutionen verlangt werden.
Schuld sind zum einen Wissenschaftsorganisationen und Wissenschaftspolitik, die gegen die marktbeherrschenden Verlage nicht genügend Chuzpe aufbringen – und zum anderen die Reputationsbedürfnisse, von denen sich die Forschenden selbst regieren lassen. Wenn die Publikation in einer vielzitierten Zeitschrift – Science, Nature oder auch nur dem British Journal of Sociology – das Eintrittsticket für Professuren, Antragsbewilligungen oder sogar für die staatliche Unterstützung einzelner Institutionen bildet, werden viele Akteure das Privileg der Publikation hoch bezahlen.
Je größer das Ansehen einer Zeitschrift ist, desto inflexibler wird die Nachfrage, dort einen Beitrag unterzubringen; selbst bei überhöhten Preisen sinkt sie kaum. Großverlage mit marktbeherrschender Stellung können auf diese Weise problemlos sehr hohe Preise aufrufen. In der Konsequenz heißt das: Offene Abschöpfung.
In Diskussionen um Ansätze wie den Plan S wird sogar argumentiert, man dürfe geförderte (junge) Forschende nicht daran hindern, ihre Ergebnisse gut zu platzieren. So setzen sich Publikationsgebühren durch, die – trotz des Namens „Article Processing Charge“ (APC) – wenig mit den faktischen Kosten zu tun haben. Adäquat wären nach Berechnungen von Alexander Grossmann und Björn Brembs Preise von 200 bis 1.000 US-Dollar pro Artikel (das sind etwa 168 bis 840 Euro, Anm. d. Red.). Faktisch wird jedoch über Standardpreise von etwa 2.000 Euro verhandelt, und führende Zeitschriften liegen oft deutlich darüber, etwa Nature mit 9.500 Euro pro Artikel.
Was es für die Wissenschaft bedeutet, wenn Open Access zum Standard wird
Was lässt sich mittelfristig für die Publikationsbedingungen schlussfolgern, wenn Open Access zum Normalfall wird? Erstens wird die Umstellung Zeit brauchen, da sich Wissenschaftsorganisationen und -politik auf einzelne Verträge mit den Großverlagen einstellen, statt offensiv neue Regeln zu setzen. Die deutschen Wissenschaftsorganisationen haben im Projekt DEAL, das solche Verträge aushandeln soll, bereits Vereinbarungen mit Springer und Wiley erreicht, besonders resistent zeigt sich Elsevier.
Zweitens werden diese Verlage – namentlich Elsevier, Sage, Springer Nature, Taylor & Francis und Wiley-Blackwell – den langen Übergang und ihre privilegierte Verhandlungsposition nutzen, um ihre Marktmacht zu festigen. Sie werden zwar zunehmend weniger die Bibliotheken bewegen können, sich den Zugriff auf ihre wichtigsten Zeitschriften durch den Erwerb teurer Gesamtportfolios zu sichern. Aber sie werden entweder für diese Zeitschriften selbst äußerst hohe APCs verlangen oder (weniger auffällig) erneut hohe Standardpreise für alle ihre Zeitschriften durchsetzen.
In den ersten DEAL-Abschlüssen liegt ein interessantes Mischmodell vor: Statt APCs werden zunächst Publish-and-Read-Gebühren („PAR-Fees“) von 2.750 Euro erhoben, in denen bei neuen Publikationen der Zugriff auf einen Teil des bisherigen Verlagsangebots mitgezahlt wird (siehe dazu etwa die DEAL-Vertragsdetails für Wiley und Springer).
Kleinere Verlage haben nicht die Verhandlungsmacht, derart vorteilhafte Übergänge zu verhandeln, und auch nach der Umstellung auf Open Access werden sie wohl weniger hohe Gebühren eintreiben können. Die Probleme der Monopolpreise und der Marginalisierung kleinerer Wissenschaftsverlage werden sich also fortschreiben.
Wissenschaftsverlage als Datenbroker: Nutzerdaten sammeln, analysieren, verkaufen
Weitere Gefahren kommen hinzu. Den niederländischen Universitäten ist es zwar gelungen, mit Elsevier ein Open-Access-Paket auszuhandeln. Sie haben dabei aber finanziell große Zugeständnisse an den Verlag gemacht und ihm zudem umfängliche Rechte auf Datenverwertung für (nur im Umriss geschilderte, von Metadatenbanken bis zu Karrierebegleitung reichende) neuartige Geschäftsmodelle gewährt.
Wer bei dem Wort „Verlag“ an ein profiliertes, sorgfältig betreutes Programm von Büchern und Periodika denkt, muss spätestens an dieser Stelle umdenken: In Zukunft könnten sich die Wissenschaftsverlage in Datenbroker verwandeln, die Publikationen nur noch als Rohmaterial für profitträchtige Informationsdienste sehen.
Eine Zunahme internationaler Ungleichheit
Eher vorteilhaft sind die sich abzeichnenden neuen Strukturen für kleinere akademische Institutionen und die dort Forschenden – in Ländern wie Deutschland (oder auch im Vereinigten Königreich) werden die Publikationsgebühren vom gesamten System getragen, sodass eine schlechtere institutionelle Stellung nicht die Publikationschancen einschränkt.
Gleichzeitig ist allerdings abzusehen, dass Forschende aus weniger finanzkräftigen Ländern große Probleme bekommen könnten, ihre Resultate überhaupt sichtbar zu publizieren. Und auch wer außerhalb des organisierten akademischen Betriebs arbeitet, kann immer weniger darauf hoffen, diesem Betrieb seine Ergebnisse nahezubringen. Solche Gruppen werden zwar zunehmend mehr lesen, aber (wenn sie nicht individuell Geld zur Verfügung haben) immer weniger publizieren können.
Alternativen zum Verlagsoligopol – und wer sie vorantreiben könnte
Wenn die Aussichten so unvorteilhaft sind, liegt die Frage nach Alternativen und deren möglichen Trägern nahe. Was zu tun wäre, ist nicht schwer zu sagen. Die Umstellung auf Open Access sollte grundsätzlich deutlich beschleunigt werden, auch durch Einführung einer Wissenschaftsschranke, die urheberrechtlich geschütztes Material unter bestimmten Bedingungen (nichtkommerzielle Nutzung in Forschung und Lehre) generell zugriffsfrei macht.
Zugleich sollten faire Kriterien für Publikationsgebühren festgelegt und diese Gebühren entsprechend gedeckelt werden. Mehr als 1.000 Euro pro Text sind nicht zu rechtfertigen. Unter diesen Bedingungen würde die öffentliche Hand viel Geld sparen, das dann etwa zur Finanzierung wissenschaftlicher Dauerstellen verfügbar wäre – und auch Verlage jenseits der marktbeherrschenden Fünf hätten wieder Chancen, sich in einem geöffneten Preis- und Leistungswettbewerb zu behaupten.
Deutlich schwerer ist zu abzusehen, wer eine solche Umstellung vorantreiben könnte. Viele Forschende aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich engagieren sich seit 20-30 Jahren für zugriffsoffene Publikationsstrukturen, doch ihre Bottom-Up-Initiativen tragen allenfalls langsam Früchte. In den Geistes- und Sozialwissenschaften sind dagegen noch immer kein breites Problembewusstsein und Handlungspotenzial erkennbar. Das liegt teils an der dort vorherrschenden Buchkultur, teils an einem stillen Konkurrenz-Konformismus.
Am ehesten nehmen hier vereinzelt selbstorganisierte Open-Access-Zeitschriften und -Foren Gestalt an, die eigene Vorteile haben; Kathrin Ganz hat darauf hingewiesen, dass in diesen Fächern gebührenfreie Publikationen vorherrschen. Um solche Ansätze nicht nur zu fördern, sondern zu verallgemeinern, wären vor allem die Wissenschaftsorganisationen und der Gesetzgeber gefragt. Doch diese Instanzen müssen noch deutlich mehr Druck von unten erfahren, um verändernd tätig zu werden. Andernfalls bleiben sie auf dem eingeschlagenen Pfad der Oligopolpflege.
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