Analysten-Bewertungen: Piraterie für urheberrechts-intensive Konzerne keine ernste Gefahr
Den Bewertungen US-amerikanischer Unternehmens-Analysten zufolge stellen Urheberrechtsverletzungen und Piraterie für große, urheberrechts-intensive Konzerne keine ernste Gefahr dar. Zu diesem Schluss jedenfalls kommen Jonathan Band and Jonathan Gerafi von der Kanzlei „Policybandwidth”, nachdem sie systematisch 168 Analysten-Reports durchleuchteten, worüber sie jetzt auf infojustice.org informieren.
Als Ausgangspunkt ihrer eingehenden Betrachtung (PDF) nennen die Autoren die Copyright-Debatten in den USA, in deren Verlauf große Medien- und IT-Unternehmen immer wieder betonten, dass Urheberrechts-Verletzungen deutliche Arbeitsplatz-Verluste und wirtschaftliche Schäden verursachten. Demgegenüber stellten Band und Gerafi anhand aktueller Geschäftsdaten der Unternehmen jedoch fest, dass die „copyright-intensive industries“ in den USA sehr gesund da stehen und von 2003 bis 2012 mit knapp vier Prozent Wachstum weit über dem Industrie-Durchschnitt von 0,75 Prozent lägen.
Aus dieser Gegenüberstellung entstand bei ihnen die Frage, wie wohl professionelle Analysten die vorgeblich so einschneidenden wirtschaftlichen Schäden durch Piraterie bewerten. Über den Zeitraum von 90 Tagen durchleuchteten Band und Gerafi die Berichte und Bewertungen von knapp 30 renommierten Analysten, etwa von Barclays, Credit Suisse, Deutsche Bank, JPMorgan, Morgan Stanley und weiteren, meist international agierenden Instituten. Diese befassten sich mit den Aktivitäten und Märkten von acht führenden Konzernen: Microsoft und Adobe (Software-Hersteller), Pearson und Reed Elsevier (Verlage), Disney und Viacom/Paramount (Filmstudios), Sony/Sony Music Entertainment/Sony Pictures Entertainment und Vivendi/Universal Music Group/Canal+ (Musiklabel/Filmproduktion).
Die Infojustice-Autoren kamen dabei zu einer durchaus überraschenden Erkenntnis: Über die insgesamt 168 Analysten-Berichte gerechnet bewerten nur 19 Prozent Urheberrechtsverletzungen als potenzielles Risiko für die Unternehmen. Andersherum gesagt: 81 Prozent der Analysten sehen in Piraterie keine ernste wirtschaftliche Gefahr für die betreffende Industrie. Im Einzelnen stellten sie fest:
- Keiner der 14 Berichte über Reed Elsevier und keiner der 18 über Pearson nennt Copyright-Verletzungen überhaupt als Risikofaktor.
- Nur 13 Prozent der 15 Analysen über Sony und 22 Prozent der 23 Analysen über Vivendi erwähnen Urheberrechtsverletzungen als potenzielle Gefahr.
- Gerade einmal 8 Prozent der 26 Berichte über Viacom und 27 Prozent der 26 über Disney benennen Copyright-Verletzungen als Risikofaktor.
- 26 Prozent der 19 Reports über Adobe and 41 Prozent der 27 Reports über Microsoft wiesen der Piraterie eine Gefahr für die Unternehmen zu.
Interessanterweise, so die Infojustice-Autoren, fänden sich in den Geschäftsberichten für 2012 bei sechs der acht Konzerne klare Aussagen zur großen Gefahr durch Copyright-Verletzungen (außer bei Reed Elsevier und Sony). Demnach scheinen für die Analysten die offiziellen Markt-Einschätzungen der von Ihnen bewerteten Unternehmen keine große Rolle zu spielen. Gleichwohl seien die Bewertungen aber offenkundig von hohem Wert, Jahr für Jahr teuer bezahlt und zugleich wirkungsmächtig.
Die Autoren Band und Gerafi führt das zu einer interessanten, womöglich auch hierzulande relevanten Überlegung: Wenn sich Analysten mit derlei Expertisen keine ernsten Sorgen um die „copyright-intensive Industries“ machen, sollten sich Politiker solche auch nicht machen.
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