Was ist dran an der „Sendezeitbeschränkung“ für E-Books?

The Kindle Reader. Foto: Peggy2012Creativelenz, CC BY
Ausgerechnet das Börsenblatt, das Branchenblatt des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, ließ vor kurzem eine Bombe platzen. „Nach der derzeitigen Rechtslage dürfen jugendgefährdende E-Books nur zwischen 22 und 6 Uhr angeboten werden“, hieß es in einer Meldung, die darauf in sozialen Netzwerken und auch in der Presse für Furore sorgte. Hat der deutsche Amtsschimmel eine neue absurde Weise gefunden, den IT-Standort Deutschland zu gefährden? Nicht ganz.
Fakt ist: E-Books werden im Gegensatz zu gedruckten Büchern als sogenannte Telemedien eingestuft und unterliegen damit einer Gesetzgebung, die sich bis heute noch am Rundfunkrecht orientiert. Während viele getrennte Medienarten wie Text und Video zusammenwachsen, hat sich die deutsche Gesetzgebung dem Trend der sogenannten Konvergenz bisher erfolgreich widersetzt.
Für Bücher und E-Books gelten nicht nur formal unterschiedliche Gesetze. Auch die Regeln unterscheiden sich fundamental und werden von unterschiedlichen Aufsichtsbehörden überwacht – obwohl die Inhalte die gleichen sind. Die Folgen sind in der Praxis so komplex, dass auch Fachleute nach der Meldung des Börsenblatts nur Mutmaßungen anstellen konnten, worum es konkret ging.
Eine Beschwerde macht den Anfang
Verena Weigand von der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien verschafft Aufklärung. „Aufgekommen ist das Thema durch eine Nutzerbeschwerde Ende vergangenen Jahres“, sagt die Leiterin des Bereichs Medienkompetenz und Jugendschutzes. So hatte sich ein Bürger beschwert, dass er in einem E-Book-Shop ein pornografisches Buch mit dem Titel „Schlauchgelüste“ entdeckt hatte. Die Behörde schrieb dem Händler einen Brief und der entfernte das Buch anstandslos. Hier hätte die Geschichte zu Ende sein können.
„Es gibt kein Verfahren oder gar einen Prozess, wie berichtet wurde“, betont Weigand. Der betroffene Händler habe sich anschließend an die Behörde gewandt. Er wollte einen teuren Präzendenzfall vermeiden und erkundigte sich, wie er denn in Zukunft mit Büchern wie „Shades Of Grey“ umgehen solle. Denn solche Titel gelten als potenziell „entwicklungsbeeinträchtigend“, dürfen aber im Gegensatz zu rein pornografischen Inhalten prinzipiell im allgemeinen Handel verkauft werden. Hierfür hatten aber auch die Jugendschützer keine Patentlösung bereit.
Schließlich schaltete sich der Börsenverein ein und versucht nun, eine allgemeinverbindliche Lösung zu finden, wie man in Zukunft die von ihm vertretenen Händler vor Jugendschutz-Verstößen bewahren kann. Noch laufen die Gespräche. Denn das Thema ist im Detail komplex und die Buchkataloge der Händler sind riesig. Dass jeder Händler alle Titel selbst auf Jugendgefährdungen durchforstet, ist nicht machbar.
Die Rechtslage
Einschlägig ist der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, der bereits seit 2003 in Kraft ist und prinzipiell auch für E-Books gilt. Doch diese Publikationsform war vor 12 Jahren noch in den Kinderschuhen und zog bis heute kaum Aufmerksamkeit der Jugendschützer auf sich. Kurz vor der angekündigten Novellierung des Gesetzes will sich der Buchhandel offenbar rüsten.
Es stimmt: Der Staatsvertrag sieht als eine Lösung für den Jugendschutz eine Sendezeitbeschränkung vor. „Ist eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung im Sinne von Absatz 1 auf Kinder oder Jugendliche anzunehmen, erfüllt der Anbieter seine Verpflichtung nach Absatz 1, wenn das Angebot nur zwischen 23 Uhr und 6 Uhr verbreitet oder zugänglich gemacht wird“, heißt es in dem Gesetzestext.
Diese Sendezeitbeschränkung ist jedoch nur eine Option, die aus dem Rundfunkrecht stammt und im Internet allenfalls Anwendung findet, um die Ausstrahlung des „Tatorts“ in der ARD-Mediathek auf eine Zeit nach 20 Uhr zu verschieben. Auch Jugendschützer sind von der Regel nicht begeistert.
Kennzeichnung statt Sendezeit
Für Internetangebote gibt es aber wesentlich praxisnähere Regeln. So reicht es aus, die Angebote zu kennzeichnen, damit spezielle Programme Inhalte abfangen können, die sich nicht für die Augen Jugendlicher eignen. Diese Programme zeigen zwar in der Praxis deutliche Mängel, sind aber – wie etwa auch die Unterschrift per Fax – rechtsgültig. Eine weitere Möglichkeit ist die „geschlossene Benutzergruppe“, bei der sich Kunden erst ausweisen müssen, bevor sie die Angebotene für Erwachsene zu Gesicht bekommen. Da dies jedoch mit Kosten verbunden ist, kommt diese Lösung für den Massenmarkt nicht in Frage.
Jetzt geht es um Details: Wer muss eine Jugendschutz-Kennzeichnung wo anbringen? „Ein möglicher Weg könnte darin bestehen, dass Verlage im Verzeichnis lieferbarer Bücher ihre Inhalte mit der jeweiligen Alterskennzeichnung versehen, sodass Händler diese Information automatisch bekommen“, erklärt Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins, auf Anfrage von iRights.info. Auch für diese Sparlösung wäre der Aufwand enorm: Das Verzeichnis lieferbarer Bücher umfasst zwei Millionen Titel aus rund 21.000 Verlagen.
Der Börsenverein versucht inzwischen, die eigenen Mitglieder zu beruhigen: Der Artikel des Börsenblattes wurde nachträglich korrigiert und entschärft (ursprüngliche Version). In einem neuen Artikel bedauert Börsenvereins-Anwältin Susanne Barwick gar „irreführende Medienberichte“.
3 Kommentare
1 Jacobus J. Kamermans am 24. Juni, 2015 um 22:26
Guten Abend Herr Torsten Kleinz,
diese nachfolgende Passage stmmt absolut nicht.
„Aufgekommen ist das Thema durch eine Nutzerbeschwerde Ende vergangenen Jahres“, sagt die Leiterin des Bereichs Medienkompetenz und Jugendschutzes. So hatte sich ein Bürger beschwert, dass er in einem E-Book-Shop ein pornografisches Buch mit dem Titel „Schlauchgelüste“ entdeckt hatte. Die Behörde schrieb dem Händler einen Brief und der entfernte das Buch anstandslos. Hier hätte die Geschichte zu Ende sein können.
Ist sie aber nicht. Denn mein eBook-Roman “Schlauchgelüste” unter dem Pseudonym Jacob Winter wurde im Herbst 2013 vom Giada-Verlag und von mir vom Markt genommen. Der Händler kann das eBook “Schlauchgelüste” somit nicht “Ende 2014 (vergangenen Jahres)” entfernt haben. Es war ja schon ein ganzes Jahr nicht mehr lieferbar.
Die ganze Diskussion scheint mir sehr verlogen und mutet an wie die traditionelle Sommerloch-Story (Loch Ness usw)
Mit freundlichem Gruss,
J.J.Kamermans
2 Torsten Kleinz am 25. Juni, 2015 um 08:42
Noch heute findet man das Buch in Katalogen, es ist lediglich nicht lieferbar. Dass das Buch zurückgezogen wurde, erklärt die merkwürdig verwaisten Einträge — danke für die Info. Ein Katalogeintrag reicht jedoch schon für eine Beschwerde.
Für das eigentliche Thema ist dieses Buch jedoch nicht weiter von Belang, da es nun um Titel von “Shades Of Grey” geht.
3 Johanna Kamermans am 2. Juli, 2015 um 11:05
Danke Torsten Kleinz,
wusste ich nicht mit diesem Katalogeintrag, Hinzu kommt aber auch noch der Umstand, dass auf Google Books mehr als die Hälfte eines eBooks jederzeit nachgelesen werden kann Was ist damit?
SCHLAUCHGELÜSTE (Pseudonym Jacob Winter) ist übrigens seit Mitte 2014 als
ERREGUNGEN Champagner für die Transfrau
(von Johanna Kamermans)
wieder überall erhältlich. Beide Bücher sind inhaltlich komplett identisch. Ich bin gespannt was passieren wird nach dieser unerwarteten SCHLAUCHGELÜSTE-Aufregung
Was sagen Sie dazu?