Jugendmedienschutz-Staatsvertrag: Reformvorschlag, Kritik und Online-Konsultation
Bitte beachten Sie hierzu unser Interview mit Felix Falk, Geschäftsführer der USK, zur Gesetzesreform und zum Jugendschutz im Internet.
Es ist nicht der erste Anlauf, um den Jugendmedienschutz an die neuen Anforderungen der Online-Kommunikation anzupassen. Der Versuch vor vier Jahren scheiterte an unausgegorenen Vorschlägen, die auf Netzsperren hinausgelaufen wären, welche bei den beteiligten Bezugsgruppen und in der Politik nicht mehrheitsfähig waren.
Im Frühjahr dieses Jahres legte die Rundfunkkommission aller Bundesländer – unter Federführung der sächsischen Staatskanzlei – nun einen neuen Reformvorschlag vor. Kritik am Entwurf kam auch prompt, ist aber diesmal ausdrücklich erwünscht: für mehrere Wochen konnte man im Rahmen einer Online-Konsultation Kritik, Anregungen oder Kommentare einbringen. Insgesamt gaben 136 Teilnehmer 469 Kommentare ab. Im nächsten Schritt sollen weitere Gespräche mit Beteiligten, Gremien, Parteien und Ministerien folgen, um im Herbst ein konkretes Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen.
Altersfreigabe-Kennzeichnungen für Online-Inhalte
Mit der geplanten Reform will die Rundfunkkommission vor allem verbindliche Altersfreigabe-Kennzeichnungen für Online-Inhalte einführen: auffällige, farbige „Plaketten“, in denen eine Zahl für das jeweilige Freigabe-Alter steht, wie sie bei Film- und Spiel-Verpackungen verwendet werden. Diese Plaketten sollen zudem digital, also durch Software, lesbar sein, vor allem von Jugendschutz- und Filterprogrammen. Das sind meist Browser- oder Betriebssystem-Erweiterungen, die von Eltern oder Administratoren eingesetzt werden können.
Diese Verknüpfung mit Schutz- und Filterprogrammen, die die Inhalte dann sperren, ist umstritten. Kritiker haben dieselben Bedenken wie vor vier Jahren: Programme, die sich nach der Alterskennzeichnung von Inhalten richten und diese blockieren, kämen einer Netzsperre technisch nahe. Anwalt und Blogger Thomas Stadler beispielsweise sieht in der geplanten Alterskennzeichnung ein Filtersystem, das nicht nur gegen das deutsche Telemediengesetz, sondern auch gegen die europäische e-Commerce-Richtlinie verstoße.
Bei den Altersfreigaben selbst sind die Stufen „ab 12 Jahre“ und „ab 18 Jahre“ geplant. Auf die weiteren Kennzeichnungen „ab 0 Jahre“, „ab 6 Jahre“ und „ab 16 Jahre“, wie bei Filmen und Games üblich, soll verzichtet werden, um den Anbietern die Altersklassifizierung zu erleichtern. Von den allseits bekannten vier Altersstufen abzuweichen, halten Kritiker allerdings eher für verwirrend, und raten davon ab.
Die für Online-Inhalte neuartige Altersfreigabekennzeichnung soll auf Freiwilligkeit basieren. Sie soll entweder durch die Anbieter selbst vorgenommen werden oder durch eine der bekannten Einrichtungen der „Freiwilligen Selbstkontrolle“. Auf heftige Kritik stößt hierbei der Reformvorschlag, dass ein Anbieter alle Inhalte rückwirkend nachdeklarieren müsste. Dies sei, so ein Kommentator in der Online-Konsultation, angesichts der bereits vorhandener Menge an Inhalten völlig unrealistisch.
Kennzeichnung auch für Blogs, Social Media Plattformen und nutzergenerierte Inhalte
Nach Vorstellungen der Autoren des neuen Entwurfs sollen sich auch Blogs und Social-Media-Anbieter der Altersfreigabekennzeichnung unterwerfen – und das, wie es im Entwurf heißt, „unbeachtlich, ob die Inhalte durch ihn selbst oder durch Dritte auf seiner Plattform eingestellt wurden.“ Im Klartext: die Anbieter sollen dafür sorgen, dass beispielsweise Kommentare oder Forenbeiträge zur Alterskennzeichnung ihrer Website passen. Und das hieße, sie müssten die von Nutzern eingestellten Inhalte permanent prüfen und bearbeiten.
Diese Vorschläge sind umstritten. Marc Liesching, Professor für Medienrecht und Medientheorie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig, ist der Meinung, dieses Konzept setze sich über das Telemediengesetz hinweg. Denn das besagt, dass Blog- oder Forenbetreiber nicht voll für Nutzerinhalte verantwortlich seien, sondern nur im Rahmen der sogenannten Störerhaftung – also nur dann, wenn sie von einem konkreten Rechtsverstoß Kenntnis haben und dagegen nichts unternehmen.
Mit dieser Kritik war Liesching offenbar nicht allein, denn im Zwischenfazit zur Auswertung der Online-Konsultation schreiben die Koordinatoren des Reform-Vorschlags:
„Die hier gegen die Vorschläge der Länder vorgebrachten Bedenken geben Anlass, die in Aussicht genommenen neuen Absätze des JMStV noch einmal zu hinterfragen. […] Die folgenden Fachgespräche mit dem Bund, den Obersten Landesjugendbehörden (OLJB), der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) und den anerkannten Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle sollten sich u.a. darauf konzentrieren, wie eine möglichst umfängliche Alterskennzeichnung von Telemedien – einschließlich UGC – auch abseits der hier erörterten Privilegierungen erreicht werden kann.“
Privilegierung von Anbietern, die die Alterskennzeichnung freiwillig vornehmen
Mit diesen Privilegierungen sind Bestimmungen gemeint, die den Anreiz für Anbieter erhöhen sollen, ihre Inhalte entweder selbst mit einer digital lesbaren Alterskennzeichnung zu versehen oder sich von einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle „labeln“ zu lassen. Hierfür wird im Entwurf vorgeschlagen, dass die Anbieter erst dann einer Ordnungswidrigkeit bezichtigt werden können, wenn Inhalte wiederholt fehlerhaft gekennzeichnet werden. So bekämen sie eine Chance, entdeckte oder gemeldete Verstöße zu bearbeiten.
Auch die Anbieter von nutzergenerierten Inhalten (user generated content, UGC) sollen privilegiert behandelt werden können, sofern sie sich „kennzeichnungswillig“ zeigen, wobei unklar ist, was das bedeutet. Minderjährige ausreichend zu schützen, soll beispielsweise dadurch nachgewiesen werden, das Anbieter von UCG sich dem Verhaltenskodex einer anerkannten Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle unterwerfen. Der sieht unter anderem ein funktionierendes Beschwerdemanagement vor. Dieses Beschwerdemanagement muss gewährleisten, dass Nutzer jugendgefährdende Inhalte auf einer Plattform melden können und es ein verlässliches Verfahren dafür gibt, sie von der Plattform zu beseitigen.
Ob diese Konzepte tatsächlich in dieser Form umgesetzt werden können, bezweifeln offenbar auch die Koordinatoren der Reform, in deren Fazit zu lesen ist: „Gleichermaßen haben die Online-Konsultation und der Fachdialog jedoch gezeigt, dass diese (Privilegierungen) im Detail noch nicht ganz ausgereift sind und gesetzestechnischer Überprüfung bedürfen.“
Hintergrund: Jugendschutzsysteme von Bund und Ländern
Ein wichtiger Ausgangspunkt für die Reform ist die rechtliche Grundlage des Jugendmedienschutzes in Deutschland, die momentan auf zwei Ebenen verteilt ist: Zum einen auf das bundesweit geregelte Jugendschutzgesetz des Bundes (JuSchG), zum anderen auf den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag mit den 16 Bundesländern (JMStV). Mit der Reform dieses JMStV sollen abweichende Regelungen angeglichen werden.
So umfasst das bundesweite Jugendschutzgesetz vornehmlich die „greifbaren“ Offline-Medien wie CD-ROMs, Bücher oder DVDs, die vor der Veröffentlichung grundsätzlich freigegeben und gekennzeichnet werden müssen. Dafür sind die gesetzlich eingesetzten obersten Landesjugendbehörden (OLJB) zuständig. Da sie diese Aufgabe auch an privatwirtschaftlich getragene oder unterstützte Organisationen übertragen können, kennzeichnen derzeit die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) die Inhalte.
Inhalte-Kennzeichnung von Hörfunk- und Fernsehsendern sowie von Internet-Anbietern (Telemedien) werden durch den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag geregelt. Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) bewerten die Inhalte, was wiederum durch die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) kontrolliert wird, die zu den Landesmedienanstalten gehört.
Diese bisherige Trennung ist aber bisweilen unscharf, etwa weil FSK und die USK – eigentlich nur für „Offline-Medien“ zuständig – inzwischen auch für Online-Inhalte als Einrichtungen der Selbstkontrolle anerkannt sind. Umgekehrt können aber die Bewertungen von Online-Inhalten, die von der FSF und der FSM sowie der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vorgenommen werden, bislang nicht auf Offline-Medien übertragen werden. Auch das soll durch die Reform des JMStV geändert werden.
Damit würden die Entscheidungen der FSF, der FSM und der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in ihrer Wirkung denen der FSK und der USK gleichgestellt. Bisher liefen die Bewertungen von Fernseh-Inhalten auf entsprechende Sendezeit-Vorgaben hinaus, so dass bestimmte Sendungen erst nach 20 oder 22 Uhr ausgestrahlt werden dürfen. Nach der Reform müssten diese in die dann geltenden Altersvorgaben „übersetzt“ werden.
Reformprozess soll weiterhin offen bleiben
Welchen Einfluss die über 400 Kommentare tatsächlich auf den Wortlaut der geplanten Reform haben werden, muss sich in den nächsten Monaten zeigen. Die Koordinatoren versprechen zumindest, dass der Reformprozess weiter offen fortgesetzt werden soll, wie sie in ihrem Fazit schreiben:
„Die sich aus der Auswertung der Ergebnisse der Online-Konsultation und der weiteren Gespräche ergebenden konkretisierten Eckpunkte werden auf dieser Plattform erneut veröffentlicht werden. Es wird die Gelegenheit eingeräumt werden, auch diese konkretisierten Eckpunkte zu kommentieren.“
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