Mit Anlauf zur Urheberrechtsreform
Während sich der Gesetzgeber beim Urheberrecht lange vornehm zurückgehalten hat, nahm man zum Jahresende 2015 endlich neuen Anlauf. Mit der Neuregelung der Verwertungsgesellschaften und des Urhebervertragsrechts sollen gleich zwei relevante und umstrittene Bereiche neu geregelt werden. Bis dahin aber prägten Scheindiskussionen, fragwürdige Rechtsansichten und Diskussionsbeiträge das Jahr, für die jede Liberalisierung unweigerlich den Untergang der Zivilisation nach sich gezogen hätte.
Aufreger des Jahres: Die Panoramafreiheit
2015 war das Jahr, in dem eine erstaunte Öffentlichkeit die Bedeutung des Begriffes „Panoramafreiheit“ kennenlernte. Darunter versteht man eine Einschränkung des Rechts, von öffentlichen Wegen aus Gebäude oder Kunstwerke im öffentlichen Raum zu fotografieren und diese Bilder zu veröffentlichen. Für die Abbildung solcher geschützter Werke müsste man eigentlich die Einwilligung des Rechteinhabers einholen. Was hierzulande eher absurd klingt, ist etwa in Frankreich, Italien oder Belgien geltendes Recht.
Diese Panoramafreiheit sollte im Sommer vom Europäischen Parlament abgeschafft werden. Zumindest wenn man großen Teilen der Medien glauben durfte. Die Bild-Zeitung etwa titelte: „EU will Urlaubs-Selfies verbieten“. Eine Petition mit der Überschrift „Am 9. Juli 2015 könnte das Europäische Parlament die Fotografie zerstören“ kam auf über 550.000 Unterzeichner. Was aber nur wenigen auffiel: Abgestimmt wurde im Parlament nicht etwa über eine Gesetzesinitiative. Gegenstand der Debatte war nur ein Evaluationsreport über eine Richtlinie aus dem Jahr 2001. Dieser Bericht war für die weitere Planung einer Urheberrechtsreform durch die Europäische Kommission in keiner Weise bindend. Immerhin: Angesichts des erheblichen Widerstands ist zu vermuten, dass die Kommission um Oettinger und Co. bei ihrer Reform einen weiten Bogen um die Panoramafreiheit machen wird.
Der wohl schamloseste Missbrauch des Urheberrechts aber kam in diesem Jahr von Kurt Graulich, seines Zeichens Sondergutachter der Bundesregierung für die Selektorenliste des US-Geheimdienstes NSA. Graulich verweigerte ausgerechnet unter Berufung auf einen möglichen urheberrechtlichen Schutz zugunsten der NSA die Herausgabe der Stichwortliste an die Vertreter des NSA-Untersuchungsausschusses. Pikantes Detail am Rande: Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung soll Graulich wichtige Einschätzungen in seinem Abschlussbericht ohne Quellenangabe aus einem Gutachten des BND abgeschrieben haben.
Der Untergang des Abendlandes, mindestens!
Im Gegensatz zu den aufgeheizten Diskussionen noch vor wenigen Jahren fand eine öffentliche Diskussion rund um das Urheberrecht im Jahr 2015 nur noch vereinzelt statt. Und wer gehört werden wollte, musste mächtig auf den Putz hauen. Leonhard Dobusch – ein Vertreter der liberaleren Rechtsauffassung – prägte den Begriff des „Urheberrechtsextremismus“. Die dabei mitschwingende politische Einordnung dürfte kaum hilfreich für eine fruchtbare Diskussion gewesen sein.
Auf der Gegenseite brachten die Urheber und Verwerter die ganz großen Geschütze in Stellung. Unterhalb des Levels von „Untergang des Abendlandes“ war kaum mehr ein Text zu lesen. Der Essay des französischen Juristen Richard Malka mit dem bereits diskussionswürdigen Titel „Wer sich gratis bedient, begeht Diebstahl“ sorgte europaweit für Furore. Für Malka, der als Anwalt des Magazins Charlie Hebdo vorgestellt wurde und damit offenbar auch in Urheberrechtsfragen eine moralische Instanz darstellt, hat das Recht die Anpassung an den digitalen Wandel bereits vollzogen. Jede Änderung des rechtlichen Status quo zugunsten von Verbrauchern führe in ein „kulturelles Inferno“ und würde nicht weniger als „das Ende der Demokratie“ bedeuten.
Nicht wesentlich leiser kam ein Text daher, den der Heidelberger Professor Roland Reuß im Oktober in der FAZ veröffentlichte. Reuß – 2009 Initiator des Heidelberger Appells gegen die Digitalisierung durch die Google-Buchsuche und gegen Open Access – kritisierte darin eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Dieser hatte im April entschieden, dass Bibliotheken Bestände auch ohne Erlaubnis der Verlage digitalisieren und an elektronischen Leseplätzen zugänglich machen dürfen. Der Autor sah darin eine „Kriegserklärung an das Buch“ von einer von „Freibierphantasien benebelten Bibliothekslobby“.
Negativer Höhepunkt des Jahres war aber der vermutlich als Glosse gemeinte Kommentar der Hamburger Autorin Nina George unter der Überschrift „Das Urheberrecht muss weg“, der im August auf derstandard.at und später bei der GEMA veröffentlicht wurde. Aus der Position einer „Antiurheberrechtslobbyistin“ – was immer das auch sein soll – sieht sich George einer gigantischen, weltweiten Verschwörung gegen die armen Autoren gegenüber, die nur ein starkes Urheberrecht retten kann. Dass solche Texte einer Präsidiumsbeirätin des PEN Deutschland und eines Mitglieds des VG Wort-Verwaltungsrats in dieser Diskussion hilfreich sein könnten, ist allerdings nur schwer vorstellbar.
Mehr Rechte für Autoren
Ende des Jahres nahm die Diskussion in Deutschland dann durch zwei Gesetzesentwürfe wieder Fahrt auf. Im September veröffentlichte das Bundesjustizministerium einen Referentenentwurf für ein „Gesetz zur verbesserten Durchsetzung des Anspruchs der Urheber und ausübenden Künstler auf angemessene Vergütung“. Dieses sogenannte Urhebervertragsrecht soll die rechtlichen Beziehungen zwischen den Kreativen und den Rechteverwertern, etwa den Verlagen, regeln.
Die Neuregelung enthält einen Passus, nachdem Urheberverbände wie etwa die Journalistengewerkschaften künftig ein Verbandsklagerecht haben sollen, mit dessen Hilfe sie beispielsweise gegen zu geringe Vergütungen vorgehen können. Auch die Rechte der Kreativen bezüglich der Vermarktung ihrer Werke sollen gestärkt werden – durch Buy-out-Verträge oder Mehrfachverwertung. Wie nicht anders zu erwarten, wurde der Vorschlag von Vertretern der Urheber gelobt, während die Rechteinhaber ihn scharf ablehnten. 2016 aber will das Justizministerium das Gesetzgebungsverfahren einläuten.
Etwas weiter ist man schon mit dem „VG-Richtlinie-Umsetzungsgesetz“, das Mitte November 2015 vom Kabinett beschlossen wurde. Die Neuregelung dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie und soll die Tätigkeit von Verwertungsgesellschaften wie der GEMA oder der VG Wort in vielen Bereichen neu regeln. Sinn und Zweck der Reformen ist es, diese Institutionen transparenter zu gestalten und die vertretenen Künstler mehr mitbestimmen zu lassen. Außerdem soll die Lizenzierung digitaler Werke vereinfacht werden, etwa im Bereich der Streaming-Dienste.
Der große europäische Wurf
Dem ganz großen Wurf auf europäischer Ebene – der von Digitalkommissar Oettinger angestrebten Harmonisierung des Urheberrechts – kam man 2015 nur in Trippelschritten näher. Erst Ende des Jahres wurde eine Mitteilung der EU-Kommission öffentlich, in der diese ihre Pläne zur Reform des EU-Urheberrechts grob skizzierte. Demnach sind in absehbarer Zeit keine visionären Entwürfe zu erwarten. Konkret will man zunächst den grenzenlosen Digitalen Binnenmarkt umsetzen, was ein Verbot oder zumindest eine Einschränkung von Geoblocking bedeuten würde. Viele andere Maßnahmen werden in dem Text allenfalls wolkig umschrieben, unter anderem eine gewisse Sympathie für ein europaweites Leistungsschutzrecht.
Fest steht aber, dass nach Jahren des Stillstands nun zumindest wieder Anlauf genommen wurde, um das Urheberrecht an die digitale Welt anzupassen. Welchen Weg man dafür einschlagen wird, ist aber noch unklar – genau so wie das Ergebnis der anstehenden Lobby-Schlachten.
Dieser Artikel ist auch im Magazin „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik 2015/16“ veröffentlicht. Das Magazin ist gedruckt, als E-Book und online erschienen.
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