Ingrid Deltenre: „Die EU-Kommission sollte sich für Kollektiv-Lizenzierung einsetzen“
Ingrid Deltenre ist Direktorin der Europäischen Rundfunkunion (EBU), dem Verbund öffentlich-rechtlicher und staatlicher Sendeanstalten. In der EBU sind 74 Sender aus insgesamt 56 Ländern Europas und darüber hinaus organisiert. Beim Medienkongress „Media Convention Berlin“ im Rahmen der re:publica 14 nahm Deltenre an einer Podiumsdiskussion über den Zugang zu öffentlich-rechtlichen Produktionen in Europa teil. Im Anschluss sprach die Schweizerin im Interview mit iRights.info über Creative-Commons-Lizenzen und die Forderungen der EBU bei der EU-Konsultation zum Urheberrecht.
Auf der Podiumsdiskussion macht die Schweizerin deutlich, dass es aus Sicht der EBU im Prinzip eine gute Idee sei, Sendungsarchive zu digitalisieren und im Internet bereitzustellen. Einige EBU-Sender experimentierten bereits damit, etwa bei Dokumentationen und Informationsformaten. Aber die meisten Sender stünden dem reserviert gegenüber, zumal es bei fiktionalen Formaten sehr aufwändig sei, Rechte und Lizenzen schnell zu klären und die Verwertung eingeschränkt würde.
Andererseits seien die Märkte für Film- und Fernsehproduktionen im Zuge der Digitalisierung noch mehr durch globale Player aus den USA dominiert, die mit weit größeren Produktionsbudgets arbeiteten, die zum großen Teil in Rechteklärungen und Lizenzen flössen. Dieser Übermacht müssten sich die Public Broadcaster dennoch stellen, wofür neue Geschäftsmodelle und auch Allianzen mit kommerziellen Sendern erforderlich seien, um die Verwertung auf digitalen Plattformen voranzutreiben, so Deltenre.
iRights.info: Auf dem Panel der Media Convention ging es auch um das Senden für eine „breite europäische Öffentlichkeit“. Die EBU entwickelt auch inter-europäische Formate, wie beispielsweise den Eurovision Song Contest der ja sehr erfolgreich ist. Planen Sie mehr solcher Formate?
Ingrid Deltenre: Der European Song Contest ist ein Format, das eine sehr lange Tradition hat, deswegen funktioniert es so gut auf breiter europäischer Ebene. Da stellen sich viele produktionsrelevante Fragen nicht mehr. Doch etwas Neues, das ähnlich breit aufgestellt ist, wird es schwer haben. Die meisten Sender denken doch sehr regional und bleiben nah bei sich, sie produzieren lieber auf ihr direktes Umfeld hin. Solch große Kooperationen wie beim ESC sind sehr aufwändig und daher für viele ein Risiko, das sie scheuen.
iRights.info: Haben Sie darüber nachgedacht, solche Formate originär für die Online-Verbreitung zu entwickeln?
Ingrid Deltenre: Ein neues Format speziell auf das Web-Braodcasting und -Publishing hin zu entwickeln wäre durchaus möglich, aber das erfordert viel, auch Kosten, aber vor allem den Willen der Beteiligten. Wir machen so etwas hin und wieder, denken Sie an vergangene, europaweite „Thementage“, beispielsweise zum Thema Film. Diese waren zwar nicht ganz so groß, aber durchaus erfolgreich. Zur Europawahl produzieren wir eine europaweite Befragung der Kandidaten und eine europäische „Elefantenrunde“, die breit ausgestrahlt wird. Aber eine Strategie oder Abteilung für solche Euro-Produktionen gibt es bei uns nicht.
iRights.info: Wie steht es bei solchen Produktionen mit der Archivierung und Zugänglichkeit?
Ingrid Deltenre: Wir wollen generell den einfachen und freien Archivzugang unbedingt ermöglichen, und wir ermuntern unsere Mitglieder dazu. Diese Frage beschäftigt uns häufig. Es passiert an vielen Stellen auch eine Menge – aber dem stehen ja leider mitunter strikte Regularien gegenüber, das finden wir nicht so gut.
iRights.info: In Deutschland müssen die meisten Sendungen nach sieben Tagen gelöscht werden.
Ingrid Deltenre: Das Wettbewerbsrecht und die Medienregulation ist wohl nirgends so streng wie in Deutschland, ich halte das für schlecht. Bester Beweis dafür ist die Entscheidung des deutschen Kartellamts, das Projekt „Germanys Gold“ zu verbieten, das einen breiten Zugang zu öffentlich-rechtlich produzierten Inhalten im Internet ermöglichen wollte.
iRights.info: Sie sagen, die Depublikationspflicht würde zu einem Ausverkauf der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in Deutschland führen.
Ingrid Seltnere: Ja, es wäre eine Chance für die Öffentlich-Rechtlichen gewesen, doch die hat Deutschland damit wohl vorerst vertan.
iRights.info: Hat sich die EBU an der Konsultation der EU-Kommission zum Urheberrecht beteiligt – und welche Positionen nimmt sie ein?
Ingrid Deltenre: Ja, selbstverständlich haben wir bei der EU-Konsultation einen Vorschlag eingereicht. So etwas machen wir immer, wir dokumentieren unsere Aktivitäten zu Urheberrecht und Copyright auch recht transparent auf unserer Website. Unsere drei Hauptforderungen richten sich dabei auf die Vereinfachung der Lizenziserungsprozesse, die unsere Mitgliedssender enorm entlasten würde. Wir fordern erstens die Harmonisierung der Urheberrechtslage auf eine Norm: Innerhalb der EU haben es die Sender derzeit mit 27 unterschiedlichen Regelungen zu tun. Zweitens wollen wir, dass sich die EU-Kommission für Kollektiv-Lizenzierung (Extended Collective Licensing*) einsetzt. Und drittens sollte die Lizenzierung von Musik für TV-Produktionen stark vereinfacht werden.
* Extended Collective Licensing meint die Ausweitung von Kollektivvereinbarungen zwischen einer Verwertungsgesellschaft und einem Nutzer auf sogenannte „außenstehende Rechteinhaber“: es werden nicht nur die Rechte der Mitglieder einer Verwertungsgesellschaft an den Nutzer lizenziert, sondern die Rechte aller Rechteinhaber eines bestimmten Bereichs. Siehe dazu dieses Interview.
iRights.info: Was erwarten Sie denn von der Konsultation beziehungsweise der EU-Kommission in Sachen Urheberrechtsreform?
Ingrid Deltenre: Ich erwarte gar nicht viel. Ob nun im Juni die ersten Aussagen dazu von der EU kommen oder erst im September, es wird alles sehr langsam gehen. Dabei sind Reformen lange überfällig. Aber wir schenken dem nicht mehr viel Aufmerksamkeit sondern konzentrieren uns auf unsere Aufgaben – und hoffen, die EU konzentriert sich auf die ihren.
iRights.info: Das klingt ja ziemlich ernüchtert.
Ingrid Deltenre: Wissen Sie, ich kam vor viereinhalb Jahren zu der EBU und die erste Konferenz, an der ich seinerzeit für die EBU teilnahm, beschäftigte sich mit dem Urheberrecht. Es war eine breite und aufgeregte Diskussion, schon damals wurde über notwendige Reformen und Änderungen auf EU-Ebene intensiv debattiert. Leider resultierte daraus nicht viel. So geht das seit Jahren. Daher beteilige ich mich nicht mehr wirklich daran, und wir als EBU konzentrieren uns auf andere Dinge.
iRights.info: Die Sender können auch selbst etwas ändern, etwa durch den Einsatz von freien Lizenzen wie Creative Commons.
Ingrid Deltenre: Creative-Commons-Lizenzen finden wir an sich gut und es gibt auch Mitgliedssender, die derart lizenzierte Inhalte anbieten, etwa die BBC in England oder auch Sender in Finnland. Wir thematisieren das immer wieder im Verbund, weil wir es als eine gute Möglichkeit sehen, öffentlich-rechtliche TV-Inhalte zu verbreiten. Wir treiben das aber nicht sehr offensiv nach vorne, es steht auf unserer Agenda nicht weit oben, da wir es unseren Mitgliedern nicht verordnen wollen. Das ginge auch gar nicht und ich fände das auch schwierig, weil an den Lizenzierungen sehr viel dran hängt, auch für die zuliefernden Produktionsfirmen.
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