Creative Commons für Kulturinstitutionen

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Handbuch Kulturportale, Online-Angebote aus Kultur und Wissenschaft (Berlin/Boston, De Gruyter 2015, Hg. Ellen Euler, Monika Hagedorn-Saupe, Gerald Meier et al.). Hier finden Sie ein PDF mit Paginierung des Beitrags. Lizenz: CC BY 4.0.
1. Einleitung
Wenn eine Kulturinstitution heute ihre Bestände der Allgemeinheit nahe bringen will, spielt das Internet auch dabei eine immer größere Rolle und bietet die technische Grundlage für früher kaum denkbar gewesene Interaktion und Breitenwirkung. Allein, diese Formate sind nach den Regeln der klassischen Verwertungslogik des Urheberrechts oft rechtlich gar nicht zulässig. Oder sie lassen sich nur mit einem derart großen Aufwand rechtlich zulässig machen, dass sie faktisch unmöglich umzusetzen sind. Kulturinstitutionen stehen insoweit vor einem Problem, das sich auch an unzähligen anderen Stellen beobachten lässt: Dem technisch bedingten Mehr an Möglichkeiten stehen rechtliche Regeln gegenüber, die vor allem auf ein Weniger zielen, auf eine Verknappung der erlaubnisfreien Nutzbarkeit des sogenannten geistigen Eigentums.
Die im Urheberrechtssystem dafür genutzten Mittel sind Gesetze, die nur äußerst begrenzt die Interessen der Allgemeinheit, äußerst stark dagegen diejenigen der Rechteinhaber berücksichtigen, und höchstrichterliche Entscheidungen mit ähnlicher Tendenz. Natürlich hat diese Rechtstradition ihre Gründe und deren Bewertung ist letztlich auch maßgeblich davon abhängig, wo die Bewertenden wirtschaftlich und politisch stehen. Fest steht jedoch, dass das Ergebnis ein sehr strikt auf die Interessen von Urhebern, Rechteinhabern und Verwertern ausgerichtetes Urheberrechtssystem ist. Seine Chiffre findet es in den warnenden Worten „Alle Rechte vorbehalten“.
Zugleich ist die Gemeinfreiheit als Gegenzustand dazu, also das Freisein von rechtlichen Restriktionen, bezeichnenderweise nicht einmal gesetzlich definiert, sondern ergibt sich immer nur indirekt aus der Abwesenheit ausschließlicher Rechte.
Vor diesem Hintergrund wird möglicherweise intuitiver verständlich, warum Creative Commons als Idee und Modell letztlich einem Richterspruch seine Initialzündung verdankt. Das Ganze geschah kurz nach der Jahrtausendwende in den USA. Zwar war die Erkenntnis, dass Richter nicht immer richtig liegen und dass auch Entscheidungen hoher Gerichte zuweilen angezweifelt werden dürfen, zu Beginn des neuen Jahrtausends nicht neu. Neu war allerdings, dass als Reaktion auf eine einzige problematische Entscheidung eine Initiative wie Creative Commons entstand, die die Urheberrechtsdiskussion der folgenden Jahre entscheidend beeinflussen sollte. Als nämlich im Jahr 2002 die Richter des Obersten Bundesgerichtshofs der USA (US Supreme Court) über die Frage zu entscheiden hatten, ob das Bundesparlament der USA verfassungswidrig gehandelt hatte, als es 1998 die Schutzfrist für urheberrechtlich geschützte Werke wieder einmal verlängert hatte, sah alles zunächst nach business as usual aus. Gegen die Verlängerung geklagt hatte der Internetpublizist Eric Eldred1, der sich auf Neupublikation gemeinfreier Werke spezialisiert hatte.
Wie die meisten erwartet hatten, erklärte das Gericht die Verlängerung der Schutzfrist für verfassungsgemäß, obwohl dadurch sogar Werke, deren Schutz bereits abgelaufen war, erneut und für weitere drei Jahrzehnte unter „Alle Rechte vorbehalten“ gerieten. Das Interesse der Allgemeinheit an freiem Zugang und einer Verbreitbarkeit von Werken, die vor langer Zeit geschaffen und entweder bereits lange refinanziert oder ohnehin nicht kommerziell verwertbar waren, wurde zwar gesehen, verlor in der Abwägung der Richter – wieder einmal – gegen die Interessen in diesem Falle vor allem einiger weniger Medienkonzerne, die für die Schutzfristverlängerung lobbyiert gehabt hatten. So lange die Schutzfrist nicht ewig sei, so die Richter, sei ihre Länge durch das Parlament frei festlegbar, ohne dass Interessen der Allgemeinheit dem entgegenstünden.
Vertreten wurde Eldred von einem renommierten Rechtsprofessor der Universität Stanford, Lawrence Lessig. Dieser warf sich anschließend vor, in der mündlichen Verhandlung versagt zu haben. Ob der Fall für Eldred aber überhaupt zu gewinnen hätte sein können, darüber besteht auch heute noch keine Einigkeit. Abgesehen von der für den Kläger misslichen Tatsache eines verlorenen Rechtsstreits stärkte diese Niederlage jedoch die Erkenntnis, dass man sich weder blind auf den Gesetzgeber verlassen kann, wenn es um die sachgerechte Abwägung zwischen individuellen Schutzinteressen und dem Recht der Allgemeinheit auf Zugang zu Kultur geht, noch darauf, dass Gerichte etwaige Interessenkonflikte oder Ungleichheiten nachträglich gerade rücken.
Hinzu kam die Inspiration durch die Erfolge freier Software. Deren Programmierer hatten aufgrund eines ähnlichen Hintergrunds die rechtlichen Aspekte erfolgreich selbst in die Hand genommen. Sie hatten kurzerhand durch leicht zu handhabende Standardlizenzen (allen voran die GNU General Public License, GPL) jedem juristischen Laien ein Werkzeug zur Schaffung eigener Schutzregeln an die Hand gegeben2. Mit Blick auf diese lizenzbasierte rechtliche Befreiung von Softwarecodes entstand als Reaktion auf den verlorenen Eldred-Fall unter Lessigs Leitung im Jahre 2002 etwas, was Akademiker schon eine Weile diskutiert, aber bis dahin noch nicht in ausgereifter Form in die Praxis umgesetzt hatten: Ein ähnlich wie die GPL funktionierender Standardlizenzvertrag, der nicht nur für Software, sondern für jegliche Art von kreativen Inhalten verwendbar ist und mit dessen Hilfe jede und jeder Kreative selbstbestimmt dasjenige rechtliche Schutzniveau für eigene Werke festlegen kann, das er bzw. sie richtig hält. Unter dem Namen Creative Commons gründete Lessig eine Organisation, die sich mit der Ausarbeitung und Weiterentwicklung dieser Lizenz, der Creative Commons Public License (CCPL) befassen sollte.
Heraus kam letztlich nicht nur eine einzelne Lizenz, sondern ein ganzes Set aus insgesamt sechs verschiedenen Lizenzen, jede mit spezifischen Wirkungen. Auf diese Weise können Urheber sich aus einem Spektrum zwischen eher restriktiv und sehr frei jeweils das für sie und ihren Anwendungsfall richtige Schutzniveau aussuchen. Die sechs verschiedenen CCPL entstehen dabei durch die Kombination von vier Bedingungen:
- Namensnennung des Originalurhebers erforderlich (Kürzel: BY )
- keine Bearbeitung (Kürzel: ND von no derivatives)
- Bearbeitungen dürfen nur unter denselben Bedingungen wie das Original weitergegeben werden (Kürzel: SA von share alike)
- keine kommerzielle Nutzung (Kürzel: NC von non-commercial)
Werden diese Bedingungen eingehalten, erlauben die Lizenzen grundsätzlich jede urheberrechtlich relevante Art der Nutzung des so lizenzierten Werkes. Von ihrem Effekt, vom Grad der gewährten Freiheiten her, sind die Lizenzen also jenseits der privaten Nutzung, die sie alle umfassend erlauben, unterschiedlich restriktiv. Ähnelt die Lizenzvariante BY-NC-ND (Namensnennung – Keine kommerzielle Nutzung – Keine Bearbeitung) beispielsweise weitgehend der „Privatkopie“ aus Paragraf 53 des deutschen Urheberrechtsgesetzes3, so entspricht dagegen die Variante BY, die also nur die Bedingung der Namensnennung beinhaltet, einer Einräumung fast aller Urheberrechte zugunsten der Allgemeinheit und damit einer sehr weitgehenden Freigabe. Der an wenig(er) eingeschränkter Nachnutzung interessierte Urheber kann sich je nach Situation die am besten passende der sechs Lizenzen aussuchen und mit seinem Werk verknüpfen.
Auf diese Weise ist Nicht-Juristen ein sehr einfach zu verwendendes rechtliches Werkzeug an die Hand gegeben, um das Schutzniveau bewusst und kontrolliert von „Alle Rechte vorbehalten“ auf ein „Manche Rechte vorbehalten“ abzusenken.
2. Philosophie der Organisation Creative Commons
Die Organisation Creative Commons4 hat sich übergeordnet die Unterstützung der Freigabe kultureller und wissenschaftlicher Inhalte zum Ziel gesetzt. Das soll durch die genannten Lizenzen Sinne alternativer privatrechtlich definierter Standardregelungen geschehen, aber auch durch Aufklärung und Hilfe für diejenigen, die mit solch freigegebenen Inhalten umgehen wollen. Die Lizenzen sind unwiderruflich ausgestaltet und mit einer Laufzeit bis zum Ende der jeweiligen gesetzlichen Schutzfrist. Dadurch stellen sie eine dauerhafte Verwendbarkeit des Materials sicher, eine nachhaltige Freigabe, bei der möglichst wenig Kommunikation zwischen Rechteinhaber und Allgemeinheit erforderlich sein soll.
Eine Schlüsselrolle nehmen die beiden Lizenzvarianten BY-SA (Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen) und BY-NC-SA (wie die vorgenannte Lizenz, allerdings zusätzliche Einschränkung: keine kommerzielle Nutzung) ein, die für ein Freibleiben der so eigegebenen Inhalte auch im Falle späterer Bearbeitung sorgen sollen. Sie verlangen vom Nutzer bzw. von der Nutzerin für den Fall, dass sie die Inhalte bearbeiten und in bearbeiteter Fassung erneut veröffentlichen, eine Weiterlizenzierung auch der bearbeiteten Fassung unter denselben liberalen Bedingungen. Es ist dadurch nicht möglich, die Inhalte durch Bearbeitung oder Vermischung mit anderem Material wieder mit ausschließenden Schutzrechten zu belegen. Vielmehr muss jedes neue, von einem mit share alike lizenzierten Inhalt abgeleitete Werk seinerseits wieder genauso frei weitergegeben werden.
Auch technisch berücksichtigt das Creative-Commons-Lizenzmodell die Tatsache, dass die wenigsten Nutzer des Internets über eine juristische Ausbildung verfügen. Jede Lizenz beinhaltet drei verschiedene Darstellungsebenen. An Lizenzverwender wie Nutzer gleichermaßen richtet sich die vereinfachte Darstellung der Lizenzbedingungen, die sogenannte „Deed“. Diese Kurzform beschreibt in wenigen einfachen Sätzen, was durch die Lizenz erlaubt wird. Für Juristen und andere, die sehr detailliert informiert werden wollen, ist daneben der Volltext jeder Creative-Commons-Lizenz abrufbar. Er ist in juristischer Sprache gehalten und stellt den einzig verbindlichen Text dar. Die dritte Darstellungsvariante ist die einer (such-)maschinenlesbaren Zusammenfassung der Lizenzbedingungen in Form von Metadaten, die den lizenzierten Inhalten zur Seite gestellt werden können. Dadurch können komplexere Suchdienste „verstehen“, welche Nutzungen bei einem Creative-Commons-lizenzierten Inhalt, der im Internet kursiert, erlaubt sind.
Selbstverständlich gibt es bei jedem Lizenzmodell, das den Weg in Richtung Freheit eröffnen will, Grenzen der Wirksamkeit. Zu nennen ist die komplizierte Materie der Persönlichkeitsrechte5, die mittels Standardverträgen nur unzureichend gestaltet werden können. Auch Haftungsfragen bei Anmaßung von Urheberrechten lassen sich auf diesem Weg nur schwer abschließend regeln. Dennoch bilden die immer weiter verbreiteten Creative-Commons-Lizenzen inzwischen einen Quasi-Standard und führen zu einem fühlbaren Zuwachs an Verlässlichkeit bei Verwendern und Nutzern.
3. Creative-Commons-Lizenzen und Kulturgüter
Eine rechtliche Freigabe von Inhalten macht diese in erster Linie mobiler, was sich vor allem im Internet auswirken kann. Das hängt damit zusammen, dass fast jeder mit dem Internet zusammenhängende Vorgang – sei es nun das Verschicken einer E-Mail oder das Surfen auf Websites von Kulturinstitutionen – mit einem Umherkopieren von Inhalten einhergeht. Es geschieht also im Netz unablässig genau das, was das Urheberrecht reglementiert6 und üblicherweise unter einen strengen Erlaubnisvorbehalt stellt. Bei Creative-Commons-lizenzierten Inhalten ist diese Erlaubnis bereits vorab erteilt. Dadurch stehen einer weiten Verbreitung der Inhalte nicht mehr so viele Verbote im Weg, wie das unter „Alle Rechte vorbehalten“ der Fall ist.
Diesen Effekt können Kulturinstitutionen natürlich zum einen für solche Inhalte nutzen, an denen sie selbst alle Rechte innehaben. Dann tritt die jeweilige Institution selbst als Lizenzgeberin auf und kann der Allgemeinheit auf diese Weise signalisieren, dass eine weite Verbreitung der Inhalte erwünscht und legal möglich ist, gegebenenfalls unter Einhaltung bestimmter Bedingungen. Hierbei ist stets darauf zu achten, dass die Institution nicht versehentlich Lizenzen dort einsetzt, wo sie die erforderlichen umfassenden Rechte nicht innehat oder wo die Inhalte sogar gemeinfrei sind, wo also gar keine lizenzierbaren Rechte existieren. Dies wird als Rechtsanmaßung bezeichnet. Sie hat zwar keine besonders gravierenden rechtlichen Konsequenzen für die Institution, widerspricht aber üblicherweise ihrem Auftrag und ist ganz allgemein als Vorgehen unredlich.
Zum anderen können Lizenzen wie die von Creative Commons dann eingesetzt werden, wenn Institutionen Material von Zuwendern erhalten, etwa in Form von Nachlässen. Dann stellt sich regelmäßig ohnehin die Frage nach den Rechten der Institution am so erhaltenen Material, denn Besitz und Eigentum verschaffen der Institution für sich genommen noch keine Nutzungsrechte am Material jenseits der Möglichkeit, das Material im Rahmen von Präsenzausstellungen und dazu erstellten Ausstellungskatalogen zu zeigen. Soll das Material auch online gezeigt werden, geht das nur mit entsprechender Erlaubnis der Rechteinhaber. Hierfür gibt es grundsätzlich zwei Ansätze: Entweder lässt sich die Institution das Recht einräumen, das Material der Allgemeinheit über das Internet zugänglich zu machen – was im Zweifel individuell angepasste Verträge erfordert und typischerweise nicht die Möglichkeit einschließt, der Allgemeinheit wiederum das Recht zur Weitergabe von Nutzer zu Nutzer zu geben. Oder sie veranlasst den Zuwender bzw. die Zuwenderin, selbst eine entsprechende Freigabe für die Allgemeinheit vorzunehmen, also selbst als Lizenzgeber bzw. -geberin aufzutreten.
Für Letzteres bieten standardisierte Lizenzen wie die von Creative Commons klare Vorteile gegenüber Hauslösungen, weil sie weltweit bekannt, gerichtlich bereits getestet und relativ leicht verständlich sind. Zudem ist durch sie sichergestellt, dass das Material nicht auf einer durch eine Hauslizenz gebildeten „einsamen Insel“ im rechtlichen Sinne landet, sondern in einem weltweiten Meer aus bereits ebenfalls Creative-Commons-lizenzierten Inhalten, zu denen beispielsweise auch der gesamte Medienbestand der Wikipedia zählt. Die den Namen von Creative Commons ausmachende „kreative Allmende“ ist so inzwischen auch schon zum Teil Wirklichkeit geworden, und sie wächst jeden Tag weiter.
Fußnoten
(1) Siehe Eric Eldred et al. v. John D. Ashcroft, Attorney General No. 01-618.
(2) http://fsf.org/
(3) Dieser erlaubt jedoch die private Weiterverbreitung nur begrenzt, weswegen die genannte CCPL-Variante BY-NC-ND mitunter auch als „Privatkopie Deluxe“ bezeichnet wird.
(4) In den USA als non-profit registriert.
(5) Es handelt sich hierbei um Rechte, die die persönliche Beziehung des Urhebers zum Werk schützen (Schutz gegen Entstellung, Recht der Namensnennung, Rückruf wegen gewandelter Überzeugung).
(6) Siehe dazu auch die Bezeichnung copyright im Englischen.
1 Kommentar
1 Fuschtei, Ralf am 29. Februar, 2016 um 08:10
Das Internet, unendliche Weiten. also ewige Verlinkung und bis zur Unkenntlichkeit veröffentlichte eigene Meinungen und Rechte.
Genau genommen, bin ich als Kunstmaler oder Urheber im Internet total Fehlplatziert.
Fehlende Galerien und Kontakte sind der eigentliche Grund, warum man sich heute zu Tage kaum einen anderen Weg eröffnet, als den falschen.
Das ist zu ändern.
Wie, aber, ist Qualität zu erhalten?
Das Angebot entscheidet. Ist es nicht eine freie Marktwirtschaft, die für den Erhalt der Qualitäten zu Lebzeiten zu sogen hätte?
mfG Der Frieden
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