Wider die Verschwendung: Für neue Denkfiguren in der Wissensregulierung
Das Recht spielt eine doppelte Rolle in der Regulierung von Information und Wissen. Es stellt nicht nur die Regeln für die Nutzung bzw. den Zugang zu Wissen bereit, sondern auch das Vokabular, das bis heute den öffentlichen Diskurs über diese Regeln bestimmt. Das Urheberrecht, selbst Spiegel eines jahrhundertealten Gerangels um die soziale und finanzielle Anerkennung der verschiedenen Leistungen, die in die Entstehung eines Kulturguts eingehen, versorgt uns zugleich mit einem Reservoir an Denkfiguren und Metaphern, die den normativen Rahmen abstecken, innerhalb dessen die Normen der Wissensregulierung debattiert werden.
Grundlegend für das urheberrechtliche „Narrativ“ (Mayer-Schönberger 2005) sind die Vorstellungen, dass sich kulturelle Werke einzelnen Produzent/innen zuordnen lassen und dass diese Schöpfer-Werk-Beziehung eigentumsähnliche Verfügungsrechte begründet. Dem wiederum liegt die Annahme zugrunde, dass Informationsgüter in ähnlicher Weise eigentumsfähig sind wie materielle Dinge auch. Anwürfe wie Piraterie, Diebstahl oder Textraub aktualisieren diese Eigentumsvorstellungen und laden sie moralisch auf. Das widerrechtliche Kopieren einer DVD unterscheidet sich demnach in seiner Tragweite nicht mehr von ihrer Entwendung.
Selbst für Kritiker ist es mühsam bis unmöglich, sich der Logik des urheberrechtlichen Weltbildes zu entziehen. Der moralische Diskurs, der das bestehende Urheberrecht wie einen Kokon umschließt, macht es außerordentlich schwer, gesellschaftliche Sympathien für Reformüberlegungen zu wecken, selbst wenn die Gründe für eine Neukonzipierung der Wissensregulierung auf der Hand liegen. Das zentrale urheberrechtliche Privileg, auf das sich wirtschaftliche Verwertungsmodelle üblicherweise stützen, besteht im Vervielfältigungsmonopol eines Werks (Litman 1996).
Angesichts der Digitalisierung, die selbst das flüchtige Anschauen eines Werks als Kopiervorgang organisiert, hat diese Regelung eine unerwartete Bedeutung gewonnen. Einerseits dehnt sich die Reichweite des Urheberrechts nun auf alle Alltagshandlungen im Umgang mit digitalen Informationen aus, ironischerweise wird diese expandierende Regelungsreichweite aber andererseits immer weniger respektiert. Die verbreitete Praxis des Filesharing im Internet, der „Total Buy-out“-Verträge zwischen Verlagen und ihren Autorinnen oder das digitale Bibliotheksprojekt Google Books sind aktuelle Beispiele dafür, dass das Urheberrecht in seiner heutigen Form ins Abseits gerät und Nutzerinnen wie auch Verwerter längst alternative Lösungen entwickeln.
Nicht einmal die nachlassende Regulierungswirkung des Urheberrechts hat jedoch seine Deutungshegemonie wirklich geschwächt. Entsprechend befinden sich Reforminitiativen, sofern sie nicht auf eine Stärkung von Eigentumsrechten abzielen, überwiegend in der moralischen Defensive. Im Raum steht jeweils der Verdacht der Herzlosigkeit gegenüber Kulturschaffenden oder der Vorwurf eines Angriffs auf den modernen Eigentumsbegriff. Angesichts dieser Situation besteht mein Plädoyer darin, nach alternativen Deutungsrahmen und Begriffen zu suchen. Diese sollten in der Lage sein, dem in der Romantik des frühen 19. Jahrhunderts verwurzelten Weltbild des Urheberrechts die Stirn zu bieten und den intellektuellen Horizont für eine pragmatische Diskussion über Regulierungsanforderungen in der Informationsgesellschaft zu öffnen.
Ein denkbarer Kandidat dafür ist die ökonomische Theorie öffentlicher Güter. Obwohl sich die Wirtschaftswissenschaften mit öffentlichen Gütern und speziell dem Problem der Bereitstellung von kulturellen Werken schon lange befassen, spielen diese Überlegungen in der politischen Diskussion allenfalls eine marginale Rolle. Ein Gewinn dieser Theorie liegt meiner Meinung nach darin, dass sie die gesellschaftlichen Kosten des Urheberrechts in schönster Klarheit auf den Begriff bringt: „In dem Maße, in dem Eigentumsrechte erfolgreich sind, führen sie zur Unternutzung von Information“ (Arrow 1962: 617). Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht ist die Beschränkung des freien Zugangs zu öffentlichen Gütern gleichbedeutend mit Verschwendung! In dieser Beobachtung liegt das unausgeschöpfte kritische Potenzial dieser Theorie.
Information als öffentliches Gut
Der Begriff der öffentlichen Güter geht ursprünglich auf eine Diskussion über die Steuerfinanzierung bestimmter Typen von Gütern zurück. Die Frage war, ob Güter intrinsische Eigenschaften aufweisen, die sie entweder für eine öffentliche oder private Bereitstellung prädestinieren. Öffentlich wären demnach solche Güter, die der Markt nicht oder nur in unzureichendem Umfang hervorbringt. Als klassische Beispiele für öffentliche Güter gelten saubere Luft, Schulbildung, nationale Verteidigung oder auch der Leuchtturm.
Öffentliche Güter werden in der Regel durch zwei Eigenschaften definiert. Das zentrale Merkmal besteht in der sogenannten „Nichtrivalität“. Im Gegensatz zur Möhre können Kulturwerke wie das Gedicht, die mathematische Formel oder die Melodie von beliebig vielen Menschen genossen werden, ohne sich abzunutzen oder Substanz zu verlieren. Ökonomen drücken diesen Sachverhalt in Form von Grenzkosten aus. Unabhängig davon, wie zeitaufwendig und teuer es sein mag, einen Leuchtturm zu bauen, einen Roman zu schreiben oder eine mathematische Formel zu entwickeln, die Kosten für die anschließende Verbreitung eines öffentlichen Guts tendieren gegen Null. Ein politisch relevantes Beispiel für dieses Gefälle Herstellungs- und Grenzkosten bilden Medikamente. Der Aufwand für die Entwicklung, Prüfung und Lizenzierung pharmazeutischer Produkte ist zunehmend kapitalintensiv und erreicht durchschnittlich dreistellige Millionenbeträge. Die Reproduktionskosten eines einmal zugelassenen Medikaments sind im Vergleich dazu verschwindend gering.
Eine zweite, weniger leicht dingfest zu machende Eigenschaft öffentlicher Güter besteht in der „Nichtausschließbarkeit“. Niemand kann vom Nutzen eines Feuerwerks, der Ozonschicht oder eben des besagten Leuchtturms ausgeschlossen werden, gleichgültig ob man sich an den anfallenden Kosten dafür beteiligt oder nicht. Öffentliche Güter stehen daher in dem Verdacht, Trittbrettfahrereffekte zu erzeugen. Warum für etwas zahlen, dass auch umsonst zu haben ist?
Der ursprünglichen Theorie zufolge sollte sich also aus den Eigenschaften eines Gutes ableiten, ob eine staatliche oder eine privatwirtschaftliche Bereitstellung die überlegene Lösung darstellt. Leider erwies sich die Realität als komplizierter. Eine Vielzahl von Artikeln zum exemplarischen Fall des Leuchtturms ergab erstens, dass die Eigenschaften von öffentlichen Gütern nicht statisch sind, sondern sich durch rechtliche und technische Rahmenbedingungen verändern, und zweitens, dass die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Gütern eher graduell als kategorial zu verstehen ist. Die Ersetzung des Leuchtfeuers durch ein elektronisches Signal ermöglicht es etwa, die entsprechende Information zu verschlüsseln und somit Schiffe von der Nutzung auszuschließen. Das einstmals klassische öffentliche Gut ist aufgrund des technischen Wandels zum „unreinen öffentlichen Gut“ geworden und ein kommerzieller Betrieb von Leuchttürmen ist nun machbar.
Die meisten Güter sind folglich nicht öffentlich oder privat, sie bewegen sich vielmehr auf einem Spektrum zwischen zwei Polen. Dies ist vor allem auf die zweite Eigenschaft, die Nichtausschließbarkeit, zurückzuführen. Die Rechtsetzung beeinflusst die Position eines Guts auf diesem Spektrum zwar, aber sie bestimmt diese nicht vollständig. So bleibt es leichter, Dritte an der Nutzung eines Fahrrads zu hindern, als sie von der nationalen Verteidigung auszuschließen, wie Drahos (2004: 324) feststellt. Wie privat oder öffentlich ein Gut ist und folglich, ob Aussichten darauf bestehen, dass es in hinreichendem Umfang durch den Markt angeboten wird, hängt also nicht allein von der Beschaffenheit des Gegenstandes ab, sondern auch von den politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen. Das aber heißt: Wie privat oder öffentlich Informationsgüter sind, ist eine politische Entscheidung.
Gefahr der systematischen Unternutzung
Information und Wissegelten als Inbegriff des öffentlichen Guts. Wissen nimmt durch Nutzung nicht ab, und es ist faktisch unmöglich, die Ausbreitung von einmal in Umlauf gebrachten Informationen zu verhindern. Im Prinzip sollte sich also mit Informationen kein Geld verdienen lassen. Zur Vermeidung eines Marktversagen bieten sich David (2003) zufolge drei idealtypische Lösungen an:
- Der Staat produziert selbst und stellt die Resultate kostenlos zur Verfügung (Beispiel Statistisches Bundesamt);
- der Staat erwirbt Informationsgüter vermittels öffentlicher Beschaffung (Beispiel Impfstoffe oder Auftragsforschung);
- der Staat schafft rechtliche Rahmenbedingungen, die das öffentliche Gut Information ein wenig privater werden lassen und eine kommerzielle Verwertung profitabel machen.
In dieser dritten Lösung besteht die Leistung des Urheberrechts. Es versieht öffentliche Güter mit eigentumsförmigen Ausschlussrechten, in dem es ein (temporäres) Verwertungsmonopol errichtet.
Dieses Verwertungsmonopol wendet sich gegen eine freie Nutzung und Vervielfältigung, aber es errichtet zugleich Marktmacht zugunsten der Rechtsinhaber, indem es ihnen ermöglicht, „Informationsgüter über ihren Reproduktionskosten anzubieten – zum Nachteil der Konsumenten“ (Fink 2009: 5). Der Monopolist, so auch David und Foray (2003: 39), legt den Preis oberhalb der vernachlässigbaren Vervielfältigungskosten fest mit der Konsequenz, dass die Zahl der potenziellen Nutzer eines Informationsguts begrenzt wird. Das Resultat besteht in der systematischen Unternutzung von Informationsgütern: Menschen werden vom Zugang ausgeschlossen, obwohl diese Nutzung keine höheren Kosten verursachen würde. „So lange es nichts kostet, zusätzliche Menschen zu versorgen, ist es ineffizient, irgendjemanden auszuschließen“, so fassen Malkin und Wildavsky (1991: 365) die wohlfahrtsökonomische Auffassung zusammen.
Unter dem Gesichtspunkt einer möglichst effizienten Ressourcenverteilung besehen, handelt es sich beim Informationsgütermarkt in der Tat um einen Fall eklatanter Verschwendung. Es werden weniger Menschen mit einem Gut versorgt, als unter gegebenen Kosten möglich wäre. Ein Beispiel für die gesellschaftlichen Folgen dieser Ineffizienz besteht in der medizinischen Unterversorgung in armen Ländern – und in Zukunft möglicherweise auch einkommensschwacher Bevölkerungsgruppen in den Industriestaaten. Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive bestünde die effizienteste Lösung demgegenüber darin, „wenn diejenigen, die Information besitzen, diese umsonst weitergeben würden – oder zumindest zu dem Preis, den es kostet, diese zu kommunizieren“ (Benkler 2006: 37).
Die durch das Urheberrecht verursachte Verschwendung von Ressourcen wird zusätzlich verstärkt durch den Umstand, dass Informationsgüter eben nicht nur Konsumobjekte sind, sondern zugleich Produktionsfaktoren, also die Grundlage für neues Wissen bilden. Wissen ist kumulativ, und Eigentumsrechte behindern die kollektive Wissenserzeugung, weil das zirkulierende Wissen von Dritten nicht beliebig „erweitert, kommentiert und rekombiniert werden kann“ (David und Foray 2003: 19). Fazit: Die Theorie der öffentlichen Güter rückt die wohlfahrtsstaatlichen Implikationen des Urheberrechts in den Mittelpunkt. Den Ausgangspunkt bildet dabei die Annahme, dass Ausschlussrechte, wie sie das Urheberrecht verleiht, nicht alternativlos sind. Die Herstellung von Informationsgütern muss nicht zwangsläufig durch Märkte erfolgen, und sie muss auch nicht automatisch Eigentumsrechte nach sich ziehen. Andere Kompensationsformen sind denkbar. In diesem Sinne emanzipiert sich die Theorie öffentlicher Güter von der geistigen und moralischen Engführung des urheberechtlichen Diskurses. Wichtiger noch, es gelingt ihr, den Preis, den wir für die eigentumsförmige Regulierung von Wissen zahlen, auf den Begriff zu bringen: fortlaufende Verschwendung.
Literatur
- Arrow, K. J. (1962): „Economic Welfare and the Allocation of Resources for Invention“, The Rate and Direction of Inventive Activity: Economic and Social Factors, National Bureau of Economic Research, S. 609-626.
- Benkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks: How Social Production Transforms Markets and Freedom, New Haven, Yale University Press.
- David, P. A. (2003): Koyaanisquatsi in Cyberspace, Stanford, Stanford Institute For Economic Policy Research.
- David, Paul A. and Dominique Foray (2003): „Economic Fundamentals of the Knowledge Society“, Policy Futures in Education1(1), S. 20-49.
- David, Paul A. and Dominique Foray (2002): „An introduction to the economy of the knowledge society“, International Social Science Journal (NWISSJ) 54(171), S. 9-23.
- Drahos, Peter (2004): „The Regulation of Public Goods“, Journal of International Economic Law 7(2), S 321-339.
- Fink, C. (2009): Enforcing Intellectual Property Rights: An Economic Perspective Advisory Committee on Enforcement, Fith Session, Geneva, WIPO.
- Litman, Jessica (1996), „Revising Copyright for the Information Age“, Oregan Law Review 19.
- Malkin, Jesse and Aaron Wildavsky (1991): „Why the Traditional Distinction between Public and Private Goods Should be Abandoned“, Journal of Theoretical Politics 3(4), S. 355-378.
- Mayer-Schönberger, Viktor (2005): „In Search of the Story: Narratives of Intellectual Property“, Virginia Journal of Law and Technology 10(11), S. 1-19.
Jeanette Hofmann, Politikwissenschaftlerin, forscht an der London School of Economics und am Wissenschaftszentrum Berlin zu den Themen Global Governance, Regulierung des Internet, Informationsgesellschaft und Wandel des Urheberrechts. Sie hat am UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft mitgewirkt und engagiert sich im Folgeprozess, vor allem in der Organisation des Internet Governance Forum. Im Jahr 2006 hat sie den Band Wissen und Eigentumherausgegeben.
Dieser Beitrag gehört zur Reihe „Copy.Right.Now! – Plädoyers für ein zukunftstaugliches Urheberrecht”, die auch als gedruckter Reader erschienen ist. Er steht unter der Creative-Commons-Lizenz BY-NC-ND.
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