Weiter auf Abwegen: Die VG Wort und ihre Ausschüttungen
Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil „Verlegeranteil“ die jahrzehntelange Praxis der VG Wort, bis zur Hälfte der Autorenanteile an den Erlösen an Verleger auszuschütten, für rechtswidrig erklärt. Das Urteil ist mehr als zwei Jahre alt und noch immer beschäftigt es die Mitgliederversammlungen der VG Wort; so auch die Versammlung, die am 9. Juni 2018 in Berlin stattfand.
2,6 Mio. Euro für Autoren noch offen
Denn die VG Wort hat rund 2,6 Millionen Euro von den rund 85 Millionen, die sie seit dem Jahr 2012 rechtswidrig an Verleger verteilt hat, nicht zurückerhalten. Aber immerhin haben die Verleger 76 Millionen Euro aus eigener Kraft zurückgezahlt. Etwa 6 Prozent der Autoren haben auf die ihnen zustehenden Nachausschüttungen zugunsten ihrer Verleger verzichtet. In der Summe sind es 5,8 Millionen Euro. Das zeigt, dass nur verhältnismäßig wenige Autoren zu einem solchen Verzicht bereit waren. Nicht genug also, um die von der VG Wort und der Verlegerseite immer wieder beschworene „Symbiose von Autoren und Verlegern“ zu belegen.
Verwertungsgesellschaften
Verwertungsgesellschaften verwalten Nutzungsrechte und Vergütungsansprüche an den Werken von Urheber*innen. Werden die Werke wirtschaftlich genutzt, sammeln sie meist pauschale Abgaben ein, zum Beispiel die „Bibliothekstantieme“ für das Verleihen von Büchern oder die „Leermedienabgabe“ für privates Kopieren. Die Einnahmen schütten sie an Urheber und zum Teil an andere Rechteinhaber aus. Bekannte Einrichtungen sind etwa die GEMA, die VG Bild-Kunst oder die VG Wort. Mehr zum Thema.
Den 2,6 Millionen Euro, die Verleger noch nicht zurückgezahlt haben, müsste der Vorstand der VG Wort nicht hinterherlaufen, wenn er bereits zu Beginn des Verfahrens „Verlegeranteil“ die rechtswidrigen Ausschüttungen an Verleger ganz gestoppt hätte. Das hat die VG Wort mit Rücksicht auf die Verlegerinteressen nicht getan und damit ihre Pflichten ignoriert – bemerkenswerterweise gestützt von den Vertretern der Gewerkschaft Verdi, des Deutschen Journalistenverbands und des Deutschen Hochschulverbands in ihrem Verwaltungsrat. Endgültig verloren und ausgebucht sind 441.000 Euro, die – etwa wegen Insolvenz der Schuldner – nicht mehr einzutreiben sind.
Rückstellungen gehen jetzt an Autoren
Vier Tage vor der Mitgliederversammlung veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss über die Verfassungsbeschwerde, die der C.H.-Beck-Verlag gegen das BGH-Urteil zum Verlegeranteil eingelegt hatte. Die Verfassungsbeschwerde wurde als unzulässig gar nicht erst zur Entscheidung angenommen. Der Verlag hatte nicht substantiiert vorgetragen, warum er durch das Urteil in Grundrechten verletzt sei.
Der Vorstand der VG Wort ging auf diese Entscheidung nicht näher ein. Wenigstens zog er aber eine wichtige Konsequenz: Die Rückstellungen, die im Hinblick auf den Prozess um die Verlegerbeteiligung gebildet wurden, werden nun aufgelöst. Dabei handelt es sich um rund 180 Millionen Euro, die jetzt an die Urheber ausgeschüttet werden müssen.
Trotz der Niederlage vor allen Gerichten handelt die VG Wort auch weiterhin zum Nachteil der Autoren.
1. Die VG Wort vergütet Herausgeber, die keine Urheber sind
Die VG Wort hat seit Jahren nicht nur Ausschüttungen an Verleger vorgenommen, sondern auch an die Herausgeber von wissenschaftlichen Sammelbänden. 50 Prozent des Urheberanteils, der auf die Textautoren eines Sammelbands entfällt, werden an den oder die Herausgeber des Bands verteilt.
Der Autor dieses Beitrags hat die Herausgeberbeteiligung im Perlentaucher und auf der Mitgliederversammlung 2017 als rechtswidrig kritisiert. Doch der Vorstand der VG Wort erklärte nur, er sei anderer Meinung. Die eingehend über die Problematik informierte Aufsicht schwieg. Bedenkenlos hat die VG Wort im Jahr 2017 noch zweimal an Herausgeber ausgeschüttet.
Daher hat der Autor dieses Artikels auf der Mitgliederversammlung den Antrag gestellt, die einschlägige Vorschrift aus dem Verteilungsplan (Paragraf 3 Absatz 6) zu streichen. Begründet war der Antrag unter anderem wie folgt:
- Herausgeber haben als solche kein Urheberrecht. Es kann sein, dass ihre Tätigkeit für einen Sammelband sehr verdienstvoll ist und es ohne sie den Sammelband nicht gegeben hätte. Die Tätigkeit als Herausgeber begründet aber kein Urheberrecht. Das ist nicht anders als bei der Leistung von Verlegern.
- Herausgeber können nur in wenigen Ausnahmen Urheber sein. Etwa dann, wenn ein Sammelband ein schöpferisches Sammelwerk im Sinne des Urheberrechts wäre. Bei den meisten Sammelbänden ist ihre Struktur jedoch banal: Handbücher, Lexika, Kommentare und andere Sammelbände sind in ihrem Aufbau durch die Aufgabenstellung sehr weitgehend vorgezeichnet. Hinzu kommt, dass oft nicht die Herausgeber selbst, sondern andere zur Struktur beigetragen haben.
- Selbst wenn ein Herausgeber ausnahmsweise ein Sammelwerk geschaffen haben sollte: Die VG Wort interessiert das gar nicht. Sie prüft das nicht und ist dazu auch gar nicht in der Lage. Die VG Wort schüttet an Herausgeber einfach deshalb aus, weil sie Herausgeber sind – und genau das will sie auch in Zukunft tun.
- Zudem darf die VG Wort nur an diejenigen ausschütten, die durch Einbringung von Rechten zu den Wahrnehmungserträgen beigetragen haben. Das ist bei Herausgebern nicht der Fall.
Der Vorstand der VG Wort und die Aufsicht hingegen waren der Meinung, die Beteiligung der Herausgeber mit kleinen Änderungen erhalten zu können. Es verwundert nicht, dass die VG Wort hartnäckig an der Herausgeberbeteiligung festhält. Sie ist nicht zuletzt auch im Interesse der Verleger, denen Herausgeber einen nicht unerheblichen Teil der Lektoratsarbeit abnehmen. Die Verleger begrüßen deshalb natürlich die Herausgeberbeteiligung. Und die Autoren? Nach dem Verteilungsplan der VG Wort wird die Herausgeberbeteiligung aus dem Anteil der Buchautoren finanziert. Doch sie merken die Verkürzung ihrer Ausschüttung nicht einmal, weil niemand sie darüber informiert.
2. Die VG Wort fördert Verlage über Zuschüsse
Auch in einem weiteren Punkt hält die VG Wort an Modellen fest, die nach der hier vertretenen Auffassung rechtswidrig sind: Sie unterhält den Förderungsfonds Wissenschaft, aus dem Druckkostenzuschüsse, ein Übersetzerpreis und Forschungsstipendien im Bereich Urheberrecht finanziert werden. Verwertungsgesellschaften ist es an sich erlaubt, solche Einrichtungen zur Förderung sozialer und kultureller Zwecke zu unterstützen, wenn die Zugangskriterien fair sind.
Dass es solche Einrichtungen gibt, ist also grundsätzlich zu begrüßen. Ihre Finanzierung darf jedoch nicht die Treuhänderpflichten einer Verwertungsgesellschaft unterlaufen. Nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs in den Sachen „Luksan“ und „Austro-Mechana“ müssen die Erträge einer Verwertungsgesellschaft zumindest mittelbar bei den Berechtigten ankommen.
Diesen Voraussetzungen genügt der Förderungsfonds Wissenschaft nicht. Die Empfänger der Zuschüsse, die der Förderungsfonds für den Druck von Monographien zahlt, sind Verlage. Sie gehören nicht zu den Ausschüttungsberechtigten der VG Wort. Denn Verlage bringen bei der VG Wort keine Ansprüche auf die Gerätevergütung oder die Bibliothekstantieme ein.
Aber auch dann, wenn die jeweiligen Autoren Empfänger der Druckkostenzuschüsse sein sollten, gehen die Zuschüsse nicht an Ausschüttungsberechtigte. Denn die Förderung kommt ja gerade der Drucklegung zugute. Vor der Drucklegung kann es keine rechtmäßigen Privatkopien und damit auch keine Ansprüche auf eine Gerätevergütung geben.
Fragt man sich, warum die VG Wort den Förderungsfonds Wissenschaft unterhält, kommt man auf kurzem Weg dazu, dass es auch hier wieder vor allem um die Förderung der Verleger geht. Die Verleger haben ein Interesse daran, dass ihre Monografiereihen bezuschusst werden. Das vergrößert ihre Angebotspalette und mindert ihr Verlagsrisiko. Auch der vom Förderungsfonds finanzierte Übersetzungspreis ist ein Anreiz zur Förderung von Übersetzungen und damit eine Förderung des Lizenzgeschäfts.
Wer nach der Beendigung des Rechtsstreits über die Verlegerbeteiligung durch das Urteil des Bundesgerichtshofs angenommen hatte, die VG Wort finde nunmehr auf den Weg des Rechts, hat sich getäuscht. Wie zuvor werden Gelder, die den Urhebern zustehen, mit windigen Begründungen zur Bedienung von Verlegerinteressen verwendet. Und die Regierung in Form der staatlichen Aufsicht? Sie tut trotz der Kenntnisse der Verhältnisse nichts. Der Politik ist es eben wichtiger, die Verleger hinter sich zu wissen, als den Urhebern zu ihrem Recht zu verhelfen – und ihnen die Vergütungen zu sichern, die ihnen von Gesetzes wegen zustehen.
8 Kommentare
1 Sonya Winterberg am 2. Juli, 2018 um 17:40
Danke für die klaren Worte. Es ist immer wieder schmerzlich zu sehen, wie Martin Vogel, der sich seit vielen Jahren für die Rechte der Urheber einsetzt, bei den Mitgliederversammlungen verhöhnt wird. Stattdessen sollten sich seine Kritiker mal inhaltlich mit den Argumenten auseinandersetzen. Ich jedenfalls kann mich diesen nicht verschließen.
2 Ambrosius Lobwasser am 4. Juli, 2018 um 09:44
Sehr geehrter Herr Vogel,
vorab ein Dank für Ihre langjährigen Bemühungen um eine angemessene und sachgemäße Verteilung der VG Wort-Gelder, für die ich Ihnen sehr dankbar bin. Im Hinblick auf Ihre obige Ausführungen zu Herausgebern muss ich Ihnen aber entschieden widersprechen. Wer je selbst einen Sammelband, zu schweigen von einem Lexikon, herausgegeben hat und seine Aufgabe ernstgenommen hat, hat in die Redaktion der Texte häufig ähnlich viel Arbeit investiert wie die beteiligten Autoren. Und damit meine ich nicht (nur) die Anpassung an Stylesheets, sondern weitgehende sprachliche und inhaltliche Korrekturen. In meinem Verständnis hat ein Herausgeber dadurch ein zumindest anteiliges Urheberrecht am Gesamtwerk eines Sammelbandes und steht legitimerweise auch auf dem Cover. Die von Ihnen recht apodiktisch formulierten Aussagen mögen für die Antragstellung auf Mitgliederversammlung sinnvoll gewesen sein (es ist ja eine deutlich “absteigende” Argumentation von Art. 1-3 erkennbar), doch als generelle Aussagen sind sie in meinem Augen unsachgemäß. MfG A. Lobwasser
3 Grammatcus am 4. Juli, 2018 um 16:11
Wäre es nicht langsam an der Zeit, das Strafrecht zu bemühen? Anzeige wegen Veruntreuung gegen den Vorstand der VG Wort?
4 Barbara am 9. Juli, 2018 um 14:31
Zitat aus Text 1: “Der Autor dieses Beitrags hat die Herausgeberbeteiligung im Perlentaucher und auf der Mitgliederversammlung 2017 als rechtswidrig kritisiert.” – Was die VG Wort nun wohl letztendlich dazu bewogen hat, im Wissenschaftsbereich für Autoren, die an Sammelwerken mitgeschrieben haben, erst mal gar nichts auszuschütten und auch offen zu lassen, wann ausgeschüttet werden soll. Ich warte u. a. auf den mir zustehenden Verlegeranteil aus der Hauptauschüttung 2017 für die PC-Nachvergütungen der Jahre 2001-2007 (!), der auch zurückgehalten wird.
5 Katharina am 26. Juli, 2018 um 18:55
@Barbara: Auch ich war überrascht, hierzu weder eine ausführliche Stellungnahme noch irgendetwas anderes seitens der VGWort zu lesen. Meiner Information nach waren technische Fehler kurz vor der Ausschüttung verantwortlich, die dann plötzlich mit juristischen Fragen nach Herausgeberschaft (s.o.) verknüpft wurden? Diese mögen in der Sache richtig und wichtig sein, wie Herr Lobwasser schreibt. Den Umgang der VG Wort (mangelnde Aufklärung betroffener Autoren ohne Ausblick auf Entscheidungen etc., Intransparenz und enorm kurzfristige Entscheidungen)sind es nicht. Irritiert hat mich eine Formulierung, nach der die Nachausschüttungen je nach Entscheidung u.U. durchaus ganz ausfallen könnten.
6 Micha am 19. September, 2018 um 17:47
@Babara: Dem Beitrag von Joachim von Ungern-Sternberg *Das Urteil des BGH “Verlegeranteil” und seine Folgen – zugleich eine Erwiderung auf Riesenhuber, ZUM 2018, 407 http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20180105 entnehme ich, dass die VG Wort Nachvergütungen für die Jahre 2001 bis 2011 durch Einrede auf Verjährung ablehnt; dabei beruft sie sich auf ein geheimes Gutachten (siehe Abs. 33 mit Hinweis auf Fußnote 90). Erstaunlich ist, dass diese rechtswidrige, jahrelange “Verteilungspraxis” und auch der Zwangsverzicht für viele Jahre von den betroffenen Urhebern einfach folgenlos hingenommen wird.
7 Jürgen am 11. März, 2019 um 16:40
Durch die “Reform” der EU-RL werden (leider) die Karten neu im Sinne der VG WORT und der Verleger gemischt. Herrn Martin Vogel bringt es auf den Punkt: Politikern sind freundliche Beiträge in Zeitungen wichtiger als die Interessen der Autoren. Die staatlichen Aufsichtsbehörden haben bisher nur “Lachnummern” beigesteuert. Zwei meiner Eingaben an den (damaligen) Justizminister Heiko M. und die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag wurden gar nicht erst beantwortet. Arroganz der Macht!
8 Michael am 3. Juli, 2021 um 15:51
Als Herausgeber wissenschaftlicher Sammelwerke muss ich Herrn Vogel widersprechen. Ein thematischer wissenschaftlicher Sammelband ist sehr wohl ein schöpferisches Sammelwerk. Beispiel: Ich habe während der letzten fünf Jahre an der Herausgabe eines tausendseitigen enzyklopädischen Sammelbandes über ein wissenschaftliches Thema gearbeitet. Das bedeutete Subthemen festlegen und ordnen, jeweils ein ausführliches inhaltliches Expose für die Spezialisten verfassen, die die einzelnen Kapitel übernehmen, diese finden und zur Mitarbeit bringen, die Fertigstellung der Kapitel begleiten, immer wieder prüfen, ob alle Facetten des Teilthemas Erwähnung finden, sachliche Fehler und Unschärfen und Lücken und Unausgewogenheiten finden und beseitigen, kürzen und vereinheitlichen, sprachlich glätten, usw. usw. Für mich ist das Arbeit im Maschinenraum der Wissenschaft und auch VG Wort-Gelder wert.
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