Wahrheit gegen Freiheit: Edward Snowdens Dankesrede vom 30. August 2013
Der Whistleblower-Preis wird seit 1999 von Transparency International, der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms (Ialana) und der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler vergeben. In diesem Jahr hat der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden den Preis verliehen bekommen. Snowden hat tausende Dokumente über die heimliche Überwachung von Menschen und Institutionen in aller Welt durch die NSA und verbündete Geheimdienste an die Medien weitergereicht. Er hält sich derzeit in Russland auf und fürchtet eine Rückkehr in seine Heimat, die USA. Seine Dankesrede hat er Jacob Appelbaum übermittelt, der sie am 30. August 2013 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin an seiner Stelle vortrug. Zeit Online dokumentierte die Rede in einer deutschen Übersetzung von Transparency International sowie im englischen Original.
„Es ist eine große Ehre, für das öffentliche Gut, das durch meinen Akt des Whistleblowings entstanden ist, gewürdigt zu werden. Aber die größere Anerkennung gebührt den Menschen und Organisationen in zahllosen Ländern auf der ganzen Welt, die Grenzen der Sprache und Geographie überwunden haben, um gemeinsam das Recht auf Information und Wissen und den Wert der Privatsphäre zu verteidigen. Nicht ich allein bin es, der von dem machtvollen Wandel hin zur Aufhebung grundlegender verfassungsmäßiger Rechte durch die Geheimdienste betroffen ist – es ist die Allgemeinheit. Nicht ich bin es, sondern Zeitungen auf der ganzen Welt, die protestieren und von den Regierungen Rechenschaft verlangen, während mächtige Behördenvertreter versuchen, von genau diesen Themen mit Gerüchten und Beleidigungen abzulenken. Nicht ich bin es, aber bestimmte mutige Verantwortliche in Regierungen weltweit, die nun neuen Schutz, neue Grenzen und neue Sicherheiten vorschlagen, mit denen zukünftige Übergriffe auf unsere Rechte und unser Privatleben verhindert werden können.
Regierungen müssen für ihre Entscheidungen Rechenschaft ablegen
Meine Dankbarkeit gilt all denen, die ihre Freunde und ihre Familie angesprochen haben, um ihnen zu erklären, warum verdachtsunabhängige Überwachung ein Problem ist. Sie gilt dem maskierten Mann auf der Straße an einem heißen Tag und der Frau mit einem Schild und einem Schirm im Regen. Sie gilt den Studenten mit Stickern für Freiheitsrechte auf ihren Laptops, und dem Jungen hinten im Klassenraum, der Internet-Memes erfindet. Alle diese Menschen erkennen, dass Veränderung mit einer einzigen Stimme beginnt, und sie alle überbrachten der Welt eine Botschaft: Regierungen müssen für ihre Entscheidungen Rechenschaft ablegen. Entscheidungen darüber, wie die Welt aussehen wird, in der wir leben. Die Entscheidung, welche Rechte und Freiheiten die Menschen haben, muss öffentlich gefällt werden, und nicht von den Regierungen im Geheimen.
Gleichwohl ist meine Freude über den Whistleblower-Preis gedämpft durch das Bewusstsein dafür, was uns heute hierher gebracht hat. Das heutige Amerika hat mit der Kombination aus schwachem rechtlichen Schutz für Whistleblower, schlechten Gesetzen, die keinen Schutz des öffentlichen Interesses vorsehen, und einer Immunitätsdoktrin für Amtspersonen, die sich weit über die Grenzen des Rechts hinaus verirren, das Anreizsystem pervertiert, das Regierungsgeheimnisse in regelt. Dies führt dazu, dass wir einen ungerechtfertigt hohen Preis für die Erhaltung des notwendigen Fundaments unserer freiheitlichen Demokratie zahlen – unserer informierten Öffentlichkeit. Denn die Wahrheit über die Mächtigen auszusprechen, hat Whistleblower ihre Freiheit, ihre Familie oder ihr Land gekostet.
Können wir von einer offenen Gesellschaft sprechen?
Diese Situation steht weder Amerika noch der Welt gut zu Gesicht. Es verlangt keine besondere Einsicht, um zu verstehen, dass eine Politik, die notwendige Warnungen mit der Bedrohung der nationalen Sicherheit gleichsetzt, unausweichlich zu Ignoranz und Unsicherheit führt. Die Gesellschaft, die in jene Falle geht, die als „Bestrafung des Überbringens schlechter Nachrichten“ bekannt ist, wird schnell merken, dass es nicht nur keine Überbringer mehr gibt, sondern dass es überhaupt keine Nachrichten mehr gibt. Es ist richtig, die Weisheit dieser Politik zu hinterfragen und die nicht beabsichtigten Anreize, die von ihr herrühren. Wenn die Strafe dafür, in böser Absicht einer ausländischen Regierung geheime Informationen zu verraten, geringer ausfällt als die Strafe dafür, in guter Absicht die Öffentlichkeit zu informieren, schaffen wir dann nicht eher Anreize für Spione als für Whistleblower? Was bedeutet es für die Öffentlichkeit, wenn wir die Gesetze zur Bekämpfung des Terrorismus gegen jene anwenden, die sich journalistisch betätigen? Können wir von einer offenen Gesellschaft sprechen, wenn wir Einschüchterung und Rache höher bewerten als Tatsachenprüfungen und Recherchen? Wo ziehen wir die Linie zwischen nationaler Sicherheit und öffentlichem Interesse, und wie können wir dieser Balance vertrauen, wenn alle, die an ihrer Überprüfung beteiligt sind, aus den Reihen der Regierung kommen?
Fragen wie diese können nur durch eine gründliche Diskussion beantwortet werden, so wie wir sie heute erleben. Wir dürfen niemals vergessen, was uns die Geschichte über zu weit gehende Überwachung lehrt, noch dürfen wir unsere Macht vergessen, solche Systeme im Sinne des Allgemeinwohls zu verändern. Der Weg, den wir gehen, ist steinig, aber er führt uns in bessere Zeiten. Gemeinsam können wir sowohl die Sicherheit als auch die Rechte zukünftiger Generationen sicherstellen.
Allen, die zu dieser Diskussion beigetragen haben, vom höchsten Beamten bis zum einfachen Bürger, sage ich Danke.
Edward J. Snowden.“
Transkribiert und übersetzt von Transparency International und Zeit Online
“It is a great honor to be recognized for the public good created by this act of whistleblowing. However the greater reward and recognition belongs to the individuals and organizations in countless countries around the world who shattered boundaries of language and geography to stand together in defense of the public right to know and the value of our privacy. It is not I, but the public who has affected this powerful change to abrogation of basic constitutional rights by secret agencies. It is not I, but newspapers around the world who have risen to hold our governments to the issues when powerful officials sought to distract from these very issues with rumor and insult. And it is not I, but certain brave representatives in governments around the world who are proposing new protections, limits and safeguards to prevent future assault on our private rights and private lives.
My gratitude belongs to all of those who have reached out to their friends and family to explain why suspicionless surveillance matters. It belongs to the man in a mask on the street on a hot day and the women with a sign and an umbrella in the rain, it belongs to the young people in college with a civil liberty sticker on their laptop, and the kid in the back of a class in high school making memes. All of these people accept that change begins with a single voice and spoke one message to the world: governments must be accountable to us for the decisions that they make. Decisions regarding the kind of world we will live in. What kind of rights and freedoms individuals will enjoy are the domain of the public, not the government in the dark.
Yet the happiness of this occasion is for me tempered by an awareness of the road traveled to bring us here today. In contemporary America the combination of weak legal protections for whistleblowers, bad laws that provide no public interest defense and a doctrine of immunity for officials who have strayed beyond the boundaries of law has perverted the system of incentives that regulates secrecy in government. This results in a situation that associates an unreasonably high price with maintaining the necessary foundation of our liberal democracy – our informed citizenry. Speaking truth to power has cost whistleblowers their freedom, family, or country.
This situation befits neither America nor the world. It does not require sophistication to understand that policy equating necessary acts of warning with threats to national security inevitably lead to ignorance and insecurity. The society that falls into the deterrent trap known in cultural wisdom as „shooting the messenger“ will quickly find that not only is it without messengers but it no longer enjoys messages at all. It is right to question the wisdom of such policies and the unintended incentives that result from them. If the penalty providing secret information to a foreign government in bad faith is less than the penalty for providing that information to the public in good faith, are we not incentivizing spies rather than whistleblowers? What does it mean for the public when we apply laws targeting terrorism against those engaged in acts of journalism? Can we enjoy openness in our society if we prioritize intimidation and revenge over fact-finding and investigation? Where do we draw the lines between national security and public interest, and how can we have confidence in the balance when the only advocates allowed at the table of review come from the halls of government itself?
Questions such as these can only be answered through the kind of vigorous public discussion we are enjoying today. We must never forget the lessons of history regarding the dangers of surveillance gone too far, nor our human power to amend such systems to the public benefit. The road we travel has been difficult, but it leads us to better times. Together we can guarantee both the safety and the rights of the generations that follow.
To all of those who have participated in this debate, from the highest official to the smallest citizen, I say thank you.
Edward J. Snowden”
Quelle: Zeit Online.
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