Streetphilosophie und Urheberrecht
Anlässlich der Untersuchung „Arbeit2.0 – Urheberrecht und kreatives Schaffen“ des iRights.info Portals haben sich der freie Journalist Giovanni Di Martino (1964 in Neapel geboren) sowie seine alter egos Giò Di Sera (seit den 80er-Jahren als Multimedia-Künstler fester Bestandteil der Berliner Kunst- und Musikszene und auch Initiator der „Streetunivercity Berlin“ (SUB)) und M.C. Don Rispetto (als Radio-DJ moderierte er von 1993-2008 die Sendung „Radio Kanaka international“, anfänglich auf Kiss FM später auf Radio Multikulti) zusammen gefunden. Das Interview mit seinen beiden alter egos führt Herr Di Martino selbst.
„..ich weiß, dass ich nichts weiß..“
Sokrates
„..aber was ich weiß, weiß ich for real..“
Don Rispetto
Giovanni Di Martino: Don Rispetto wie definieren Sie sich selber, wer steckt hinter ihrem alter ego?
Don Rispetto: Ich wollte damit eine Figur, einen Charakter kreieren als Sinnbild der Straßenkultur und ihrer ungeschriebenen Gesetze. Jemand der updated ist in Bezug auf die urbane Kultur, der weiß, was abgeht. Der Name an sich ist natürlich auch eine Anspielung auf die Mafiakultur, die ich versuche, mit Ironie zu entmachten, eine Art “streeteducational mission” eben, als Don des Respekts. Und das ungeschriebene Gesetz Nr. 1 auf der Straße ist nun mal der gegenseitige Respekt. Ohne den läuft gar nichts.
Durch meine eigene Herkunft und gelebte Erfahrung in Bezug auf die Kultur der Straße kann ich mit Recht behaupten, bescheid zu wissen und dadurch authentisch, na ja, eben Don Rispetto zu sein. Die Erschaffung von Don Rispetto war für mich in gewisser Weise überlebensnotwendig. Auf die Frage der Zugehörigkeit – Wer bin ich? Was will ich und was nicht? Aus den ganzen Inputs der Straßenkultur und den daraus folgenden Frustrationen und Agressionen – gab es nur einen Weg, nämlich kreativ statt destruktiv zu sein. Somit waren die Musik und die Kunst meine Retter in der Not. Die Erfahrungen, die ich gemacht habe, fließen in den Charakter von Don Rispetto hinein und werden ständig weiterentwickelt, um das allgemeine Gedächtnis der Leute anzusprechen.
Und genauso hat ja auch Giò Di Sera sein ganzes Credo für seine Jugendarbeit in der Naunynritze daraus entnommen, um letztendlich die Streetunivercity zu initiieren.
Streetunivercity
Giò Di Sera: Ja, genau. Durch die langjährige Erfahrung und Kenntnis urbaner Jugendkulturen und einen angeborenen Sinn für praktische Lösungen kam mir die Idee, eine “Universität der Straße” zu gründen schon früh. Ich glaube an den Austausch der Generationen und Kulturen und an die gegenseitige Bereicherung. Wir vermitteln authentisches Wissen. Sich selbst und die eigene Biografie positiv zu sehen und daraus zu schöpfen, ist sehr wichtig. Mit der Bezeichnung „Streetunivercity“ wird die gesamte Gesellschaft mit einbezogen, d.h. die Hochkultur und die Soziokultur oder Subkultur. Ein Begriff, der alle anspricht und der natürlich auch der multinationalen Straßenkultur und ihrem gesellschaftlichen Aspekt eine Plattform bietet. Somit entsteht durch das Zusammenschmelzen der jeweiligen Kulturen und individueller Kreativität eine neue Kraft, so eine Art dritter Weg, der neue Perspektiven schafft.
Giovanni Di Martino: Wie setzen Sie das in der SteetUniverCity um?
Giò Di Sera: Es geht uns darum, individuelle Kreativität durch interdisziplinäres, spielerisches Lernen zu fördern. Die SUB verknüpft internationale Jugendarbeit mit Berufsorientierung und politischer Bildung. Wir arbeiten niedrig(st)schwellig, setzen dabei stark auf die Arbeit mit Mentoren aus dem kulturellen Umfeld der Jugendlichen und nutzten dabei die Sprache, Styles und Codes der Jugendlichen.
Die SUB will vor allem diejenigen Jugendlichen erreichen, die durch alle herkömmlichen Bildungssysteme gerutscht sind. Die Streetunivercity ist keine Schule, Berufsausbildung oder Uni, sondern ein informelles, kulturelles Lernfeld. Es geht darum, in sich schlummernde Potentiale zu entdecken und Talente zu definieren und durch positive Selbsterfahrungen und Selbstbestätigungen sich gesellschaftlich zu positionieren, sowie auch ein soziales Verantwortungsgefühl zu schaffen.
Don Rispetto: Die Streetunivercity ist der Beweis, dass es Wege zur Auseinandersetzung jenseits von Gewalt und gegen Perspektivlosigkeit gibt. Kunstvermittlung und Jugendkulturarbeit helfen, Toleranz und Respekt zu fördern.
Giò Di Sera: … und ein Bewusstsein für den Wert und die Chancen der eigenen Ausbildung zu schaffen. Ziel ist es, das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen junger Menschen aus sozialen Brennpunkten zu fördern. Anstelle von milieufremden Sozialarbeitern, zeigen Vorbilder und Respektspersonen, die sogenannten „SUBporter“ (professionelle Medienarbeiter, Künstler, Unternehmer u.a.) neue Perspektiven und Möglichkeiten auf und stärken so die Eigenverantwortung und das bürgerliche Engagement.
Kulturelle Jugendarbeit
Giovanni Di Martino: Warum arbeiten Sie bei der SUB mit Musik, Theater und Film und vermitteln nicht Autos Schrauben, Büro-Software und Geschäfte Führen? Auch damit ließe sich doch Interessen von Jugendlichen entgegenkommen und Selbstwertgefühl und Toleranz fördern, oder? Was ist das Besondere an kreativem kulturellem Ausdruck? Wie hilft eine Förderung den Jugendlichen auf ihrem Weg?
Giò Di Sera: Wir sind überzeugt, dass die Entwicklung der eigenen Kreativität die Grundvorraussetzung dafür ist, sich zu erforschen, und zu erkennen, welches Potential in einem steckt. Wir versuchen das durch spielerisches, interdisziplinäres Lernen zu ermöglichen, was wir bei uns Street-Edutainment nennen. In diesem “Parcours der Möglichkeiten” werden verschüttete Talente und Wünsche neu entdeckt, um so junge Erwachsene selbst zu motivieren und zu aktivieren. Wir wollen den Spaß am Machen, am Produzieren durch Promovieren wieder erwecken. Uns ist bewusst, das nicht jeder ein erfolgreicher Künstler werden kann, vielmehr lenken wir die Aufmerksamkeit auf die Kreativwirtschaft, die Medienbranche, das selbstständige Unternehmertum und das Funktionieren der Wirtschaft überhaupt.
Unsere Dozenten, diejenigen die sich aus der Straßenkultur heraus professionalisiert haben, sind deshalb als Vorbilder glaubwürdig, weil sie authentisches Wissen weitergeben, das die Lebenserfahrungen der Jugendlichen widerspiegelt. Und letztlich greifen sie auf milieuvertraute Nachwuchskräfte zurück und stellen sie ein.
Don Rispetto: Ja mann, um latente Talente aldente zu servieren!
Giovanni Di Martino: Da verschafft Ihnen Ihre Berufung als Dj, Radiomoderator und Master of Ceremony ja beste “SUBporter”-qualitäten, und dazu haben sie sogar noch einen eigenen interkulturellen Sprachencode namens “Berlingo” erfunden.
Don Rispetto: Berlingo steht für die praktische Umsetzung meiner Theorien, nämlich den Leuten einen Teil der globalen Kultur herüberzubringen. Durch Background und Erfahrung entsteht eine Art Identifikationscharakter. Und in der kosmopolitischen Szene Berlins, die ja in ihrer Vielfalt sehr lebendig ist, fühlt sich jeder angesprochen. Mit einem gewissen Freestyle, bestimmten Wörtern dieses Sprachen- und Dialektwirrwarrs, versteht man den Sinn und die Aussage, die einen Schlüssel für die Kommunikation auf eine interkulturelle Art und Weise bieten.
Giovanni Di Martino: Um nochmals auf die Streetunivercity zurückzukommen: als Abschluss erhält man den “Streetmaster”.
Giò Di Sera: Wer alle Pflicht-Lehrveranstaltungen im Semester erfolgreich besucht und die erforderliche Punktzahl erworben hat, erhält das Abschlusszertifikat “Master of Streetunivercity”. Es belegt die erworbenen sozialen und kreativen Kompetenzen. Das Abschlusszertifikat wird von unseren Förderern und Unternehmen (z.B. Daimler Financial Services), sowie Vertretern namhafter Institutionen beglaubigt. Es soll Bewerbungen beigelegt werden und den potentiellen Arbeitgeber/Ausbilder aussagekräftig über die Fähigkeiten und Interessen der Jugendlichen informieren. Die Zertifikate dienen als Kompetenznachweise und erhöhen damit die Berufschancen.
Radio Multikulti
Giovanni Di Martino: Don Rispetto, als langjähriger Mitarbeiter sowohl bei einem öffentlich-rechtlichen als auch einem privaten Sender, was würden Sie als SUBporter einem Jugendlichen mit auf den Weg geben? Was haben Sie für Erkenntnisse gewonnen?
Don Rispetto: Als Radiomoderator habe ich 1993 bei Kiss FM angefangen. Mitte ´97 wechselte ich dann zum Multikulti-Sender SFB 4 (heute RBB) wo ich eine eigene Samstags-DJ-Special Radioshow “Radio Kanaka International” moderierte. Diese Show war in erster Linie als Forum für neue Talente aber auch für etablierte Künstler gedacht, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich auf eigene Weise zu repräsentieren (“Radio for da people”). Das ganze Spektrum der multikulturellen Off-In-Kultur versammelte sich bei mir im Studio. Die News aus der internationalen Musik- und Kunstszene wurden dann mit dem “Berlingo” unter die Leute gebracht, und als Master of Ceremony war es auch meine Aufgabe und ist es immer noch, Programme zu gestalten, Veranstaltungen und Jams zu organisieren und natürlich alles mit einem lockeren Flavour rüberzubringen.
Was den Unterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern betrifft, so hat man bei ersteren die Möglichkeit, im Geiste einer bildungspolitischen Funktion frei von Mainstream und Konsum zu agieren, was bei privaten Sendern eben nicht der Fall ist. Andererseits hat man sich an vorgegebene Strukturen zu halten, die innovative und kreative Prozesse teilweise verzögern. Eigene Ideen umzusetzen wird dadurch erschwert. Aber letztendlich ist meine beste Empfehlung, die ich geben kann: “hört auf euren Instinkt, aber nicht nur, es soll im Einklang mit Herz und Verstand sein.“
Urheberrecht?
Giovanni Di Martino: Was für eine Rolle spielt denn für Sie bezüglich Ihrer Ideen das Urheberrecht?
Giò Di Sera: Ich als Künstler sprudele vor Ideen und möchte sie auch verbreiten. Meine Einstellung gegenüber Ideen und ihrem Urheberrecht sehe ich ethisch wie historisch evolutionsbedingt im Aufgreifen und Weiterentwickeln von schon vorhandenen Ideen: Es gibt Ideen, die einzigartig sind aufgrund biographisch-kultureller Hintergründe, Personenkreise, Individuen. Daraus entsteht ein Stil, der namentlich Bezug zum Urheber hat. Nehmen wir zum Beispiel den Begriff “fellinesk“, der auf den italienischen Regisseur Fellini zurückzuführen ist. Seine eigene persönliche Beobachtung und Abstraktion der Realität war ein Beitrag zum kollektiven Gedächtnis und reflektierte einen bestimmten Zeitgeist. Er zitierte schon vorhandene Geschichten, die er neu interpretierte. Damit behalten seine Ideen eine gewisse Universalität, die für die Kultur der gesamten Menschheit ein wichtiger Fundus und ein humanes Kapital sind.
Giovanni Di Martino: Wie sehen Sie die Nutzung kreativer Werke als Wirtschaftsgut im Gegensatz zur Nutzung als Kulturgut?
Giò Di Sera: Es ist wichtig, eine Idee zu haben, und wenn ich sie umsetzen will, gebe ich sie entweder weiter, befreie mich davon, und somit ist die Allgemeinheit um eine Idee reicher, oder aber ich kümmere mich selbst darum, sie zu vermarkten. Wenn ich selbst von anderen Ideen aufgreife, tu ich dies mit einem gewissen System und selbstverständlichen Gesetzen, wie z.B. der Ursprungsrecherche, und lasse gleichzeitig auch erlebte Erfahrungen mit einfliessen, ohne das entstehende Werk kommerziell auszubeuten
Giò Di Sera: Wie ist denn ihre Haltung gegenüber dem Urheberrecht, Herr Di Martino?
Giovanni Di Martino: Eine ethisch universelle Auseinandersetzung ist nur zu befürworten für die kulturelle Weiterentwicklung der Gesellschaft. Beim Aufgreifen und Verbreiten von Ideen sollte immer eine „win-win“-Situation entstehen, im Guten wie im Schlechten. Was immer man daraus macht, es führt zum Ursprung zurück, d.h. der Name des Urhebers wird erwähnt und das Werk erlebt eine neue Aktualität. Man trägt die Verantwortung gegenüber dem Urheber, das Beste daraus zu machen (aber ohne controlling, diese Freiheit muß bestehen) und aus der Quintessenz dieses Konglomerats zu schöpfen und seinen eigenen künstlerischen Beitrag zu leisten.
Don Rispetto: Ja, und genau deswegen müssen bestimmte Ideen freigegeben und unter das Volk gebracht werden. So entstehen z.b. Cover-Versionen. In der urbanen Kultur haben wir das Sampling, eine sehr verbreitete und auch umstrittene Praxis. Es gibt Leute, die nehmen Loops oder kleine Parts aus Musikstücken der Vergangenheit. Beim Hip Hop z.B. bedient man sich der Black Music, des Funk und Soul der 60er und 70er Jahre. Bestimmte Beats werden dann in neuen Stücken bearbeitet. Manche tun dies gewissenlos und ausbeuterisch, ohne jeglichen Respekt, andere als Bewunderer, um das Werk, die Idee und den Namen zu würdigen und mit dem eigenen Beitrag dem Ganzen eine gewisse Unsterblichkeit zu geben. So korrekt sollte sich jeder verhalten.
Giò Di Sera: Cover sind auch für mich eine sehr interessante Geschichte, besonders meine eigene Biografie betreffend. Ich war ein klassischer Straßenjunge, der seine Kindheit im Kinderheim verbracht hat. Mein Interesse an Kultur und meine Bildung war rein autodidaktisch. Ich besitze z.B. eine Kultur der Überschriften, d.h. ich kenne bestimmte Geschichten nicht in ihren Tiefen, Verstrickungen und Verwicklungen. Aber ein Name, eine Episode sagt mir etwas, um für das allgemeine Kulturgut relevant zu sein. Ich kann damit im interkulturellen, gesellschaftlichen Kontest mithalten, ohne eine akademische Ausbildung genossen zu haben.
Was für Don Rispetto musikalische Cover sind, sind für mich literarische Zitate und Bildadaptionen. Als Künstler sehe ich mich in der Tradition der Renaissance mit Leonardo da Vinci als Hauptinspirator oder Mentor, spartenübergreifend, im Hunger nach grenzenloser Bildung und Wissen. Ohne dabei mich selber produzieren zu wollen (“entweder ich weiß bescheid oder ich schweige; wenn ich bescheid wissen will, muss ich dahin gehen, wo es geschieht.”), muss ich mich als Alchimist selber ans Werk machen, keine Projektion, sondern erlebte Erkenntnisse sammeln. In diesem Sinne sehe ich mich als Astronom und Astronaut.
Dieses “streetphilosophische” Konzept, welches ich für mich entwickelt habe, transportiere ich auch in die Streetunivercity, indem man Individuen schafft, die sich aufgrund ethischer und gewissenhafter Auseinandersetzung mit Ereignissen und Informationen unparteilich ihre Meinung bilden können. Unabhängig von Einflüssen und Zugehörigkeit, gesellschaftlich und kulturell freie Menschen mit freier Bildung und Meinung.
Multicult 2.0
Giovanni Di Martino: Wie nutzen Sie alternative Organisationsformen wie das Anfang des Jahres gegründete Multicult 2.0 für sich?
Giò Di Sera: Nach der Auflösung von Radio Mutikulti fühlten wir uns gegenüber unseren treuen Hörern dazu verpflichtet, den Austausch von Musik und Informationen im multikulturellen Sinne mit den vorhandenen Kompetenzen, die in den letzten 15 Jahren von Radio Multikulti entwickelt wurden, aufrechtzuerhalten. So wurde durch Selbstorganisation Multicult 2.0 gegründet als weiterführende Motivation zur Integration, zum Erhalt des Berliner multikulturellen Spirit.
Giovanni Di Martino: Was für Auswirkungen hatte die Schließung von Radio Multikulti für Sie, Don Rispetto?
Don Rispetto: Für mich war die Abschaltung des Radio Multikulti im Jahr des interkulturellen Dialogs durch die RBB-Zentrale eine Art interkulturelle Vergewaltigung. Danach ist nix mehr gelaufen! Es gab einen regelrechten Zusammenbruch der städtischen multikulturellen Infrastruktur. Für die Berliner gab es keine orientierende Plattform mehr, was das kosmopolitische Leben in der Hauptstadt betraf. Radio Mutikulti war ein Garant für den Zusammenhalt der Berliner Vielfalt der Kulturen und gegen die Entstehung von Parallelgesellschaften. Und was nun? Tja, rest in peace Radio Multikulti, amen!
Giovanni Di Martino: In diesem Sinne… vielen Dank für das Gespräch.
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