Lutz Frühbrodt: Die Content-Marketing-Branche sollte sich einen Verhaltenskodex auferlegen
iRights.info: Herr Frühbrodt, können Sie die Entwicklung hin zum Content Marketing näher erläutern?
Lutz Frühbrodt: Bisher brachten Unternehmen und Verbände ihre Positionen in öffentliche Debatten ein, die in erster Linie über die klassischen Medien ausgetragen wurden. Content Marketing bedeutet, dass sich Unternehmen ihre eigenen Medien und damit zusätzliche, heute meist digitale Verbreitungskanäle schaffen, über die sie größeren und zumal direkten Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen können.
iRights.info: Es geht um mehr als um das Vermarkten von Produkten oder Dienstleistungen?
Lutz Frühbrodt: Ja. Zwar wollen Unternehmen mit Content Marketing in erster Linie potenzielle Kunden an ihre Marken und Produkte heranführen. Doch mit ihren Themenseiten, Blogs und Videos transportieren sie sehr häufig zugleich auch ganz bestimmte Gesellschaftswerte, wie beispielsweise einen materialistischen Lebensstil, Wettbewerbsdenken oder blinde Technikgläubigkeit.
Einige Unternehmen mischen sich aber auch schon direkter in politische Debatten ein. Auf diese Weise könnte sich das relative Gleichgewicht der öffentlich agierenden Kräfte zu Gunsten der Wirtschaft verschieben.
iRights.info: Einige Unternehmen nehmen für sich in Anspruch, mit ihrem Content Marketing journalistischen Qualitätsmaßstäben zu entsprechen. Dazu gehört, nicht tendenziös zu berichten, mehrere Quellen zu nutzen und die Herkunft von Informationen zu nennen. Ist das glaubhaft?
Lutz Frühbrodt: Wir haben für unsere Studie die DAX-30-Unternehmen analysiert und sind in der Tat zu dem Ergebnis gekommen, dass alle Konzerne zumindest in Sachen Absendertransparenz sauber arbeiten. Es gibt aber auch andere Großunternehmen, teils börsennotiert, teils nicht, die sehr viel intransparenter agieren. Zum Beispiel das Onlinemagazin curved.de, das von der E-Plus-Gruppe herausgegeben wird, oder die Webseite gesundheit.de des Pharmagroßhändlers Alliance Healthcare.
Bei diesen beiden Publikationen muss man schon sehr genau hinschauen, um zu herauszufinden, wer dort mit welchem Interesse dahintersteht. Aber ob nun transparent oder nicht, ob gediegen-anspruchsvoll oder boulevardesk-marktschreierisch: all das ist definitiv kein Journalismus, weil die Publikationen nicht unabhängig sind, sondern kommerzielle Auftragskommunikation, die letztlich zum Kauf verleiten soll.
iRights.info: Sie sagten in Ihrem Vortrag auf der re:publica 2016, dass häufig gegen geltende Trennungsgebote verstoßen werde. Worin sehen Sie solche Verstöße?
Lutz Frühbrodt: Es geht um die saubere Trennung zwischen werblichen und redaktionellen Inhalten, die möchte ich mit einem zweifachen Fragezeichen versehen. Das eine bezieht sich auf die Ethik des Content Marketing. Einer der Content-Marketing-Grundsätze lautet: „Don’t talk about products, talk around products.“
Viele Content-Marketing-Publikationen bringen aber sehr wohl die eigenen Produkte ins Spiel oder verlinken sogar zu den eigenen Online-Shops – entweder direkt in den redaktionellen Texten oder über Eigenanzeigen. Das müsste nach den Buchstaben der einschlägigen Content-Marketing-Literatur als kontraproduktiv gelten.
Das andere Fragezeichen hat einen rechtlichen Charakter. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb prangert „als Information getarnte Werbung“ an. im Anhang zu Paragraf 3 Absatz 3, Punkt 11. Dabei werden unzulässige geschäftliche Handlungen definiert als „vom Unternehmer finanzierter Einsatz redaktioneller Inhalte zu Zwecken der Verkaufsförderung, ohne dass sich dieser Zusammenhang aus dem Inhalt oder aus der Art der optischen oder akustischen Darstellung ergibt“. Das könnte aus meiner Sicht durchaus auf den einen oder anderen Content-Marketing-Auftritt zutreffen.
iRights.info: Was müsste anders laufen, um Verbraucher weniger zu täuschen?
Lutz Frühbrodt: Die Branche sollte sich einen Verhaltenskodex auferlegen, der für ein Maximum an Fairplay sorgt. Es sollte klar definiert und damit gewährleistet sein, dass die Domainadresse den Firmennamen enthält und dieser auf der Homepage gut sichtbar ist.
Zudem muss es eine klare Trennung redaktioneller und werblicher Inhalte geben, wie es die geltenden Trennungsgebote vorgeben. So einen Code of Conduct könnte zum Beispiel der Dachverband Content-Marketing-Forum verabschieden oder der Deutsche Rat für Public Relations.
iRights.info: Müssen Nutzer ihre Augen noch mehr üben, um Werbung und redaktionelle Inhalte zu unterscheiden?
Lutz Frühbrodt: Im analogen Zeitalter und auch noch zu Beginn des digitalen Zeitalters war für die Mediennutzer klar, dass, wo Journalismus drauf steht, in der Regel auch tatsächlich Journalismus drin ist. Durch die überschaubare Zahl von Absendern war für sie meist deutlich erkennbar, welche Quelle glaubwürdig war, durchaus auch im Sinne von unabhängig – und welche nicht.
Durch die extreme Vielfalt digitaler Publikationen ist es für den Nutzer inzwischen viel schwieriger geworden, zu erkennen, wer der Absender ist und welche Interessen er verfolgt. Es wird dem Mediennutzer also viel mehr Verantwortung aufgebürdet als früher. Heute ist er gehalten, seine Quellen zu prüfen, zuallererst mit dem Blick ins Impressum. Doch tun wir alle das immer? Und selbst wenn, haben wir dann immer Gewissheit, mit wem wir es da zu tun haben und was dieser jemand von uns will?
Wenn ich als Mediennutzer heute nicht mehr von der Unabhängigkeit meiner Quellen ausgehen kann, dann sollten sie zumindest maximale Transparenz zeigen. Das ist sozusagen der Mindeststandard des digitalen Zeitalters.
iRights.info: Immer wieder gibt es Vorschläge für Siegel, um Medien als journalistisch unabhängig zu kennzeichnen. Was halten Sie davon?
Lutz Frühbrodt: Ich halte das Siegel-Konzept grundsätzlich für eine gute Idee. Allerdings stellen sich viele Fragen bei der Umsetzung: Wer darf das Siegel vergeben? Nur eine Institution oder mehrere? Zu welchen Bedingungen und Kriterien geschieht das? Wie viel kostet das Siegel und schließe ich damit möglicherweise kleinere Anbieter aus? Wird die Einhaltung der „PR-Abstinenz“ regelmäßig kontrolliert?
Schließlich stellt sich eine grundsätzliche Frage: Schränkt so ein Siegel ein, was unter Journalismus zu verstehen ist und was nicht? Stellte eine solche Eingrenzung vielleicht sogar einen Verstoß gegen Artikel 5 des Grundgesetzes dar, der die Meinungsfreiheit garantiert?
iRights.info: Gegenüber Content Marketing erscheint vielen das Native Advertising bedenklicher, weil es sich in die Inhalte eines Angebots schleicht, das von Verlagen oder Sendern oder Medienhäusern kommt. Teilen Sie diese Bedenken?
Lutz Frühbrodt: Aus Sicht des Mediennutzers ist Native Advertising sicher noch perfider, zumal dann, wenn der Anzeigentext voll und ganz im Layout des Mediums daher kommt und in keiner Weise als Anzeige gekennzeichnet ist.
Wir reden hier aber von Abstufungen. Bei einigen Content-Marketing-Publikationen ist eben auch nicht erkennbar, dass es sich um verkappte Werbung handelt. Die Täuschung ist bei Native Advertising nur noch größer, weil sich der Mediennutzer in einem rundum glaubwürdigen und unabhängigen Umfeld wähnt. Diesen Eindruck der Vertrauenswürdigkeit müssen Content Marketer zunächst erzeugen.
iRights.info: Geht es bei Content Marketing und Native Advertising noch um eine Diskussion innerhalb der Medienbranche oder schon um Fragen für den Gesetzgeber?
Lutz Frühbrodt: Content Marketing und Native Advertising sind in Deutschland noch in einem relativ frühen Stadium der Verbreitung, aber deutlich auf dem Vormarsch. Eine öffentliche Debatte darüber muss jetzt zügig angeschoben werden bevor die normative Kraft des Faktischen wirkt und die meisten Mediennutzer diese Werbe- und Marketingmethoden in ein paar Jahren für „ganz normal“ halten.
Zunächst kann es wohl nur um ethische Leitplanken gehen, die die Akteure in einer freiwilligen Selbstverpflichtung hochziehen. Sollten sie sich allerdings versperren, wäre es an der Politik, hier unter Umständen auch gesetzliche Maßnahmen einzuleiten. Ein medialer Flurschaden muss unbedingt verhindert werden, denn andernfalls gerät die unabhängige öffentliche Meinungsbildung in Gefahr – zumindest auf längere Sicht.
Lutz Frühbrodt ist Professor für Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zuvor arbeitete als Wirtschaftsjournalist und Technologiereporter. Die Studie über Content Marketing erscheint am 10. Juni bei der Otto Brenner-Stiftung. Frühbrodt sprach auch auf der re:publica zum Thema.
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