Der Plagiat-Streit um Led Zeppelins „Stairway to Heaven“
Mit Welthits ist es so eine Sache. Für viele sind sie Ventil einer Generation, stilprägend, magisch. Doch sie stehen auf wackligen Füßen, wenn es ums Thema Plagiate geht. Led Zeppelins „Stairway to Heaven“ ist so ein Stück.
Wer kennt nicht das Gitarrenriff am Anfang? A Moll, chromatisch abwärts im Basslauf, vom A bis zum F und wieder rauf, dazwischen liebliches Zupfen in den oberen Lagen. Unverwechselbar. Und würde heute eine Band einen Song schreiben mit diesen Eingangsakkorden – plump bei Zeppelin geklaut, würde es heißen. Doch jetzt sind Led Zeppelin diesem Vorwurf selbst ausgesetzt.
Der Nachlassverwalter des Gitarristen der deutlich weniger bekannten US-Band Spirit behauptet: Nicht Led Zeppelin, sondern der Spirit-Gitarrist Randy California habe das Riff für den Song „Taurus“ komponiert. Der Vorwurf ist nicht neu, aber bald tut sich was: Am 10. Mai entscheidet ein Geschworenengericht in Amerika über das mutmaßliche Plagiat.
Weit hergeholt scheint die Sache nicht. Die Stairway-Komponisten Jimmy Page und Robert Plant dürften „Taurus“ gehört haben: Der Song stammt von 1967, und Led Zeppelin waren mit Spirit kurz danach auf Tour. 1970 kam Stairway to Heaven raus.
Doppelschöpfung? Erlaubte Inspiration? Dreister Klau?
Verblüffende Ähnlichkeit
Ganz klar: Das Riff ist sofort wiedererkennbar. Musikalisch gesehen war aber der chromatische Abstieg – Charakteristikum des Riffs – keine Revolution, auch nicht vor fünfzig Jahren. Das sieht grundsätzlich auch US-Richter Gary Klausner so, betont aber zugleich Besonderheiten im Fall Stairway to Heaven: „Während es von der absteigenden Vierakkord-Chromatik in der Musikindustrie nur so wimmelt, überschreiten hier die Übereinstimmungen diese Kernstruktur.“ Was bleibe, sei die subjektive Beurteilung von Konzeption und Eindruck („concept and feel“) zweier Werke in ihren „möglicherweise wichtigsten Segmenten“. Darüber sollen Geschworene entscheiden.
Nach Blurred Lines: Was ist Gemeingut, was ist Plagiat?
Klau von „concept“ und „feel“: Das gab es 2015 schon einmal. Damals war es der Song „Blurred Lines“ von Robin Thicke/Pharrell Williams, den US-Geschworene als urheberrechtliches Plagiat von Marvin Gayes „Got to give it up“ einstuften. Es ging um Feel und Sound der Songs und um Millionen von Dollars. Die Entscheidung empörte viele, die wie Thicke und Williams in „Blurred Lines“ mehr Hommage als Plagiat sahen. Die Geschworenen hatten den Pop missverstanden, hieß es in der Musikwelt.
Harmonie, Rhythmus – Die Notation im Vergleich
Im Zündstoff dürfte Stairway to Heaven dem Fall „Blurred Lines“ in nichts nachstehen. Nur sind im Fall Stairway die Ähnlichkeiten weniger in Stil und Genre hörbar, sondern im Notenblatt handfest ablesbar – was eine Rechtsverletzung schon greifbarer macht.
Ein Blick auf die Notation zeigt: Zum erwähnten chromatischen Abstieg (blau umrandet), dem Start bei A-Moll, der ähnlichen Phrasierung und dem Achtel-Picking kommen Parallelen in der Rhythmisierung: Zählt man im Takt mit, liegen Akzente jeweils auf der 2-und sowie der 4-und (rot umrandet). Dieser rhythmische Verlauf findet sich bei Taurus im Bass und bei Stairway in der Oberstimme des Akkord-Voicings.
Ein Unterschied allerdings: Bei Stairway bilden die rhythmischen Akzente gleichzeitig eine eigene Melodie – im Gegensatz zu Taurus (ebenfalls die rot markierten Noten). Das macht Stairway durchaus aussagekräftiger als Taurus, denn dort findet sich keine weitere eigenständige Melodie. Zuletzt geht das Stairway-Picking in D-Dur und F maj7 über, Taurus bleibt in A-Moll.
So groß die gefühlte Ähnlichkeit auch sein mag – rechtlich liegt die Sache nicht auf der Hand: Sind die Übereinstimmungen bloß musikalisches Vokabular, für das niemand ein Monopol beanspruchen kann?
Was sagt das deutsche Urheberrecht?
Spielte der Fall vor einem deutschen Gericht, wäre das mutmaßliche Plagiat in zwei Schritten zu prüfen.
1. Das Taurus-Riff als schutzfähiges Werk
Das streitige Riff von Taurus müsste überhaupt urheberrechtlich geschützt sein. Denn nur was geschützt ist, kann urheberrechtsverletzend plagiiert werden. Voraussetzung ist eine persönliche geistige Schöpfung (§ 2 Abs. 2 UrhG). In der Musik stellt sich die Frage: Ist das Akkordriff eine individuelle Komposition, die über ein bloßes Alltagserzeugnis hinausgeht? Dabei gelten keine zu hohen Anforderungen – geringer Schöpfungsgrad reicht aus („kleine Münze“). Eigentümlich, eingängig („catchy“ im Musikersprech) und damit schutzfähig können schon einfache Melodien aus wenigen Tönen sein.
Das Urheberrecht will zugleich musikalische Standards nicht monopolisieren: Niemand kann ein Urheberrecht etwa allein am Bluesschema A/D/A/E/A beanspruchen. Das gilt auch für bloße Ideen: Ein chromatischer Abstieg im Bass kann für sich nicht geschützt sein, weil es mehr ein Stilmittel ist. Die Abgrenzung von freier Idee zu schutzfähiger Form ist aber oft sehr schwierig.
Wird unterschiedliches musikalisches Standardrepertoire kombiniert, kann ein Werk im Rechtssinne entstehen: Das Zusammenspiel von Melodie, dem Aufbau von Tonfolgen, Rhythmisierung, Tempo, Klangeffekten und konkretem Arrangement kann eine persönliche geistige Schöpfung sein. Auf den Gesamteindruck kommt es an.
Ist demnach das streitige Riff von „Taurus“ mehr als ein musikalisches Standardmuster? Dafür spricht der hohe Wiedererkennungswert des Riffs, sein Aha-Effekt (den es aber vielleicht nur der Bekanntheit seines Nachfolgers zu verdanken hat). Dagegen allerdings, dass chromatischer Abstieg, Rhythmik, Stilmittel sich von der Individualität her stark in Grenzen halten und zudem eine ganz typische Latin-Harmonie sind, zuhauf zu hören bei Santana oder entfernter auch mal bei den Beatles.
Damit schlägt das Pendel eher in Richtung gemeinfreie Harmonie aus. Eine Rechtsverletzung wäre dann schon mangels Werkschutz ausgeschlossen.
2. Das Stairway-Riff als Verletzung der Rechte des Taurus-Riffs
Die Schöpfungshöhe des Riffs einmal unterstellt, müsste die Stairway-Komposition im zweiten Prüfschritt das Taurus-Riff urheberrechtlich relevant verwerten. Ein Eins-zu-eins-Plagiat, also eine unveränderte Verwertung des Taurus-Riffs (Paragrafen 15 folgende UrhG) ist angesichts der doch deutlichen Unterschiede (siehe oben) eher abwegig.
In Frage kommt eher eine Bearbeitung (§ 23 S. 1 UrhG), bei der Led Zeppelin das Taurus-Riff als Inspiration nutzt, aber nicht zugleich dessen kompositorische Eigenart verblassen lässt – was Voraussetzung für eine freie Benutzung wäre (§ 24 UrhG).
Wie weit muss man sich vom Ausgangswerk wegbewegen, damit Inspiration freie Benutzung wird? Als Faustregel gilt: Je geringer der Grad an Individualität des Ausgangswerkes, desto geringer die Anforderung an eine Abweichung im neuen Werk (vergleiche etwa das BGH-Urteil zu Dirlada, Az. I ZR 17/78). Von einem gerade so schutzfähigen Riff muss sich eine eigene Komposition also nicht besonders weit wegbewegen.
Bei Taurus und Stairway gleichen sich die Grundtonabfolge (Takte 1 bis 3), die Rhythmisierung, das Picking, der musikpsychologische Wiedererkennungswert. Wie eigen ist das Taurus-Riff? Wie festgestellt – vom Aha-Effekt abgesehen – nicht so sehr. Demnach lässt sich gut dafür streiten: Das Stairway-Riff mit seinen Abweichungen (Melodie in der oberen Lage, Akkordwechsel in Takt 2 und 3) ist eigenständig genug – und damit keine Bearbeitung von Taurus.
Nach Blurred Lines ist alles denkbar
Doch was werden die US-Geschworenen sagen? Nach „Blurred Lines“ im letzten Jahr ist alles denkbar: Der Anfangsteil von Stairway to Heaven könnte durchaus für ein Plagiat erklärt werden. Doch selbst wenn: Stairway to Heaven nimmt uns mit Robert Plants Gesang, dem härteren Teil und dem Gitarrensolo auf eine weite musikalische Reise, ist also viel mehr als bloß das Anfangsriff. Die Musikwelt sollte im Falle einer Verurteilung eher die Frage umtreiben: Wie weit soll die Monopolisierung von Harmonien und Stilmitteln gehen?
In Sachen musikalisches Vokabular sei dann noch an das Phänomen der 4-Chord-Songs erinnert. Dort werden über die immer selbe Akkordabfolge (D/A/H-Moll/G) Dutzende bekannter Popsongs gesungen. Viele sehen darin die Einfaltspinselei des Pop entlarvt – völlig zu Unrecht. Denn die musikalische Binsenweisheit lautet: Eine typische Akkordbasis ist Grundstoff des Pop. Erst Melodie, Sound, Arrangement, Darbietung und Persönlichkeiten machen die Eigenartigkeit eines Stücks aus. Zumindest im Radiopop wird die Harmonielehre nicht jedes Mal neu erfunden. Das ist schon okay so – und es gilt auch für Stairway to Heaven. Das Stück wird auch nach dem 10. Mai eine große Komposition Led Zeppelins bleiben.
Ich danke Emanuel Teschke – Lehrer für Bass und Gitarre und Bassist der Band „Otto Normal“ – für musikalischen Input zum Beitrag.
2 Kommentare
1 Dr.Klusenbreuker am 16. April, 2016 um 08:19
Schade um die Zeit und Energie. Bei diesem Fall hoffe ich, es wird nix werden. Über “blurred lines” gibt es bei youtube einen DJ, der die beiden Stücke in Tonart und Geschwindigkeit fast deckungsgleich übereinanderlegt, trotzdem: wer klagt hat schon verloren. Gewinnen tun immer nur die Schwarzkittel und ihre Kaste! Deswegen sehe ich schwarz: zu viele am Hungertuch nagende Armwälte schaden der Welt genauso wie zu viele gewissenlose Bankster. Am Ende klingt alles gleich, den musikalischen Einheitsbrei gibts gratis und keiner hört mehr hin. Dann hat die Musik verloren.
Trotzdem sehr schöne Analyse. Als nächstes dann bitte mittelalterliche Kadenzen und ihre “Plagiate” in Klassik, Jazz, Chanson und Schlager. Falls sich ein Amselanwalt findet, kann er ja die Johann Strauss Erben/Verlage wegen Amselgesangsplagiat verklagen, wer weiss was da noch rauszuquetschen ist. ;-)
2 Hans Wurst am 18. April, 2016 um 02:38
Was wohl die eigentlichen Urheber 40 Jahre lang davon abhielt Klage zu erheben?
War wohl eine bestimmte Erkenntnis…
Was sagen Sie dazu?