Musikanalyse: Wie bastele ich einen Dieter-Bohlen-Hit?
Zur Person
In seinem Youtube-Kanal „MusikTraining“ vermittelt der Musiklehrer und Komponist Klaus Kauker auf einfache Weise musikwissenschaftliches Fachwissen und analysiert aktuelle Popmusik, wofür er den Grimme Online Award 2012 erhielt. Als „Musikpolizist“ zeigte Kauker zum Beispiel große Ähnlichkeiten zwischen dem Dieter-Bohlen-Song „Joyrider” und dem Lied „Without You“ des französischen Musikers David Guetta (Siehe Video).
iRights.info: Ihre Musikanalysen auf Youtube zeigen viele Bezüge und Ähnlichkeiten zwischen Popsongs. Ist Mainstream-Musik die ständige Wiederholung bewährter Muster?
Klaus Kauker: Komponieren kommt vom lateinischen „Componere“ und heißt Zusammenstellen oder Ordnen. Auch in der Popmusik haben wir immer dieselben 12 Töne, aus denen wir etwas Neues schaffen müssen. Letztendlich bietet die Musik aber so viele Möglichkeiten der Zusammenstellung, dass immer wieder neue Schöpfungen entstehen können. Für Mainstream-Musik sind bekannte Muster wichtig, weil sie schnell eine Identifikation mit dem Hörer erzielen – gleichzeitig braucht aber auch der Mainstream Abwechslung und Überraschungen.
iRights.info: Ist Mainstream-Popmusik oft zu einfallslos?
Klaus Kauker: Für meinen Geschmack leider ja. Der Song, der auf Platz 1 der Charts steht, stellt für viele Produzenten das Regelwerk zum Hit dar. Ob Instrumentation, Rhythmus, Harmonien, Text – oft wird alles nur abgewandelt, damit man in eine juristische Grauzone gelangt, in der ein Plagiat schwer nachzuweisen ist. Man will eben auf den Zug des Erfolges aufspringen. Aber da gibt es ab und zu glücklicherweise auch andere, die dann doch für einen frischen Wind gut sind.
iRights.info: Müssen Komponisten angesichts der vielen Musik nicht ständig damit rechnen, dass ihre Idee schon jemand anderes hatte?
Klaus Kauker: Wenn ich in meinen Videos von Plagiaten rede, dann soll das nicht heißen, dass Komponisten diese Schere im Kopf haben und sich fragen müssten, ob es diese oder jene Tonfolge schon einmal gab. Wir werden alle von anderen inspiriert. Das ist auch gut so, solange am Ende ein eigenes Werk entsteht, das einen neuen Klangeindruck erzeugt.
iRights.info: Sie haben erstaunliche Gemeinsamkeiten des DSDS-Liedes „Joyrider” von Dieter Bohlen und dem Song „Without You“ des französischen Musikers David Guetta gezeigt. Würden Sie sagen, es handelt sich bei Bohlens Lied um ein Plagiat?
Klaus Kauker: Das müssten Gerichte klären und David Guetta hat sich meines Wissens nicht beschwert. Mich stört allerdings, dass Gerichte Plagiate häufig anhand von Melodie und Text bestimmen. Diese Elemente hat Bohlen nicht übernommen. Aber dafür andere Elemente wie Form, Sound, Akkordfolge und Rhythmus, die maßgeblich den Charakter des Stücks bestimmen. Diese sind für sich genommen nicht geschützt, aber meines Erachtens erreichen sie in ihrer Summe eine Schöpfungshöhe. Tatsächlich, und das ist auch gut so, gibt vor Gericht grundsätzlich der musikalische Gesamteindruck den Ausschlag.
iRights.info: Netzaktivisten deckten im vergangenen Jahr zahlreiche Plagiate in Doktorarbeiten auf. Könnte es ähnliche Ergebnisse bei der kollektiven Analyse von Popsongs geben?
Klaus Kauker: Bei Dieter Bohlen gab es schon mehrmals große Ähnlichkeiten (siehe Video: Komponieren wie Bohlen) zu anderen Musikstücken. Aber ich hätte die Analyse von „Joyrider“ niemals gemacht, wenn die Gemeinsamkeiten zu „Without You“ nicht so frappierend gewesen wären.
Im Internet diskutiert schon jetzt ein großes Publikum, wo Musik-Elemente herkommen, wo die Inspiration liegt. In dem kollektiven Gedächtnis einer Community steckt ungeahntes Potential. Ich bekomme auch viele Hinweise auf mögliche Plagiate. Allerdings halte ich Ähnlichkeiten zweier Werke für unproblematisch, wenn beide einen unterschiedlichen, klar trennbaren Gesamteindruck vermitteln.
iRights.info: Sie wollen also nicht weiter als Musikpolizist tätig sein?
Klaus Kauker: Eigentlich nicht. Falls ich wieder über etwas wirklich Verblüffendes oder Dreistes stolpere, würde ich auch wieder ein Video machen, aber ich suche nicht gezielt danach.
iRights.info: Dieter Bohlen hat in den 80er und 90er Jahren viele Hits komponiert. Würden Sie sagen, er ist kreativ?
Klaus Kauker: Ich habe mich intensiv mit Dieter Bohlens Werk auseinandergesetzt, mit Blue System und Modern Talking. Ich muss zugeben, dass Bohlen einen ziemlich respektablen Output hatte. Das Lustige ist, dass Bohlens neue Lieder für „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS) immer noch von seinen alten Einfällen zehren. So gut wie jede Textzeile der aktuellen DSDS-Songs findet sich in Bohlens früheren Werken. Sein Schaffen der 80er und 90er Jahre trifft sicher nicht jeden Geschmack. Aber Kult ist es wohl zweifellos.
iRights.info: Sind Sie wegen Ihrer Analysen nun bei Dieter Bohlen- und DSDS-Fans verhasst?
Klaus Kauker: Also die Reaktionen der „Joyrider“-Analyse waren vergleichsweise harmlos. Aber ich habe mir den Spaß erlaubt, ein eigenes Lied (Siehe Video: „Cannot wait for you“) in Dieter Bohlens Stil zu komponieren und kurz vor dem DSDS-Finale als Siegertitel ins Netz zu stellen. Ein Nutzer kommentierte, das sei doch Pietro, der DSDS-Sieger von 2011, und nicht der aktuelle DSDS-Gewinner Luca. Gut, also ich hab es selbst gesungen, und zwar mit verschnupfter Nase. Ich habe da unter den Fans sicher für ordentlich Verwirrung gesorgt. Aber sie hassen mich nicht. Die meisten wissen im tiefsten Inneren selbst, dass DSDS-Siegersongs musikalischer Müll sind.
iRights.info: Ein DSDS-Hit im Dieter Bohlen-Stil lässt sich also täuschend echt zusammenschustern. Wie geht die Kurzanleitung?
Klaus Kauker: Man nehme: Nur weiße Klaviertasten, mit auto-tune geformten Gesang, mindestens ein geklautes Element, sinnlos aneinandergereihte Liebesfloskeln, die sich reimen können, aber nicht müssen, verrückt den letzten Refrains um einen Halbtonschritt und sagt sich: „Genug der Mühe, ab in den Backofen.“
iRights.info: Sie kritisieren mit Ihren Videos die Casting-Kultur im deutschen Fernsehen. Musiklehrer müssten sich doch eigentlich darüber freuen, dass Musik so ein großes, junges Publikum findet…
Klaus Kauker: Die Casting-Shows haben vielleicht einen positiven Effekt. Kinder haben in der Schule viel weniger Hemmungen zu singen, als noch vor ein paar Jahrzehnten. Trotzdem überwiegt für mich der negative Beigeschmack. Ich finde es fatal, immer in diesen Extremen zu denken, nach dem Motto „entweder Superstar oder Hartz IV“. Außerdem tauchen die ermittelten Stars nach einem Jahr wieder ab und werden für die Sender und Labels uninteressant. Früher haben Labels Künstler über viele Jahre aufgebaut, das kann sich die Musikindustrie heute anscheinend nicht mehr leisten. Musikalische Talente, die etwas zu sagen haben, die unsere Kultur vorantreiben und bunter machen, sucht man in unseren Casting-Shows vergeblich.
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