UK legt Aktionsplan für Kreativindustrie vor
26 Punkte umfasst der Aktionsplan, den das britische Ministerium für Kultur, Medien und Sport am 22. Februar präsentierte. “Creative Britain. New Talents for the New Economy” ist er nun betitelt. In der Fassung, in der er eine Woche zuvor an die Times geleaked war, hieß er noch vollmundig “Britain the World’s Creative Hub.” Kurzfazit: industriepolitisch konventionell, urheberrechtlich abgründig, was die neuen Formen von Massenkreativität angeht vollständig verständnisfrei. (Pressemitteilung, ein Diskussionsforum ist angekündigt, der Link produziert derzeit aber nur ein 404.)
“Britannien ist ein kreatives Land.” So beginnt das Vorwort von Ministerpräsident Gordon Brown und auch die Zusammenfassung des vorgeblich “ersten umfassenden Plans für die staatliche Unterstützung der Kreativindustrien überhaupt.” Wie, so fragt man sich, kann ein Land kreativ sein? Oder meint sich die Regierung dieses Landes selbst? Wohl kaum, auf jeden Fall gibt der Aktionsplan keinen Anlass zu dieser Interpretation. Also sind die Menschen in diesem Land gemeint oder doch wenigstens einige davon? Aber Menschen, die Musik machen und dichten, Theater spielen und tanzen, die gibt es doch in jedem Land dieser Erde. Ist Britannien also in größerem Maße ein kreatives Land als Bangladesh oder Brasilien?
Ok, dumme Frage. Natürlich geht es gar nicht um Kreativität, sondern um Kreativindustrien, und die seien zunehmend lebenswichtig für England, heißt es weiter. Nach dem Niedergang des klassischen Industriezeitalters gelten die Urheberrechtsverwerter als neuer Motor für das ökonomische Wohl des Landes. Der kreative Sektor wachse doppelt so schnell wie die Wirtschaft insgesamt. Die Nachfrage nach kreativen Inhalten, sagt das Papier voraus, werde weltweit weiter wachsen, insbesondere in englischer Sprache. Deshalb sollen die Kreativindustrien „von den Rändern in das Herz der Wirtschaft” gebracht werden.
Die Industrieförderungsmaßnahmen, die der Aktionsplan vorschlägt, sind durchweg konventionell, wenn auch mit erheblichen Mitteln ausgestattet. Bildung, Nachwuchsförderung, Ausbildungsplätze, Bereitstellung von Risikokapital, Forschungsförderung, Technologie- und Wissenstransfer, Regionalförderung — das ist das Standardinstrumentarium, das sich ebenso gut auf IKT, Biotechnologie oder jede andere Industrie anwenden lässt. Als Sahnetüpfelchen will England eine hochkarätige „World Creative Business Conference” nach dem Vorbild des Davos Economic Forums initiieren und damit seine globale Führungsrolle in diesem Bereich signalisieren.
Die Maßnahmen zum geistigen Eigentum lesen sich als seien sie direkt bei der IFPI abgeschrieben. Nach dem Ende von DRM hat die sich ausgedacht, dass nun die ISPs in die Pflicht genommen werden sollen: Sie sollen das Internet filtern und mutmaßliche Urheberrechtsverletzer von seiner Nutzung ausschließen. Das Ministerium bevorzugt freiwillige und kommerzielle Lösungen. Viel Zeit lässt sie den Industrien aber nicht. Kommt keine Einigung zustande, soll die Angelegenheit schon im April 2009 gesetzgeberisch geregelt werden. Weiterhin kündigt das Papier strengere Strafen und Volksaufklärung über geistiges Eigentum an. Zur Begründung plappert die Regierung die Behauptung nach, Tauschbörsen seien Schuld am Leid der Musikindustrie, die es doch selbst längst besser weiß. In einem vertraulichen Bericht, den eine hochkarätige „Value Recognition Strategy Group” im Oktober 2007 den Führungsspitzen der britischen Musikindustrie vorgelegt hat, konnten diese lesen, was unabhängige Wissenschaftler seit Jahren immer wieder feststellen: dass andere Faktoren als Tauschbörsen für den Wertverfall in der Musikindustrie verantwortlich sind (nachzulesen im Oktober 2007 Report von Music Ally).
Der Aktionsplan führt eine Studie der London Business School an, die feststellt, dass „Content-Distributoren (Filmstudios, Plattenlabels, Verleger) größer und mächtiger sind als Content-Kreatoren. Das führt dazu, dass Distributoren den größten Teil des Wertes einstreichen, den die Erzeuger von kreativen Inhalten generieren.” Eine Binsenwahrheit, aber so wichtig, dass sie nicht oft genug wiederholt werden kann. Sie war es, die den deutschen Gesetzgeber dazu veranlasst hatte, 2002 einen Anspruch der Urheber auf angemessene Vergütung für die Verwertung ihrer Werke ins Gesetz zu schreiben.
Nichts dergleichen bei der britischen Regierung, die sie nur anführt, um sie gleich wieder zu ignorieren. Schon im nächsten Satz behauptet sie nämlich gänzlich belegfrei, das Verhältnis von Kreativen und Verwertern sei normalerweise für beide Seiten vorteilhaft. Wäre es ihr ernst mit dem Wechsel von einer ideologie- zu einer faktenbasierten Politik, könnte sie z. B. die empirischen Studien zum Einkommen von Kreativen heranziehen, die Martin Kretschmer, Direktor des Centre for Intellectual Property Policy & Management der Bornemouth University, seit Jahren durchführt. Dann wüsste sie, dass das genannte Verhältnis für Kreative normalerweise sehr unvorteilhaft ist. Statt dessen plappert sie unhinterfragt die Zahlen der Verwertungsindustrie nach und schlägt gleich wieder in deren bekanntermaßen fiktive Kerbe: Die zunehmende Online-Verletzung von geistigem Eigentum sei schuld, dass kreative Künstler mit ihrer Arbeit nicht ihren Lebenunterhalt verdienen könnten. Und wenn die das nicht können, dann könnten auch die Kreativindustrien nicht prosperieren. „Intellectual Property Rights are generally poorly understood.” Stimmt, aber leider trifft das offenkundig auch auf Regierungspolitiker zu, die doch die Verwertungsindustrie im Interesse der gesamten Kultur und Gesellschaft faktengestützt und kompetent zu regulieren hätten.
Von den nachgewiesenen Stärken und den Potentialen von Open Access, freier Kultur und Access to Knowledge — keine Spur. Dass Medien nicht nur Kulturindustrie (Adorno/Horkheimer) sind, sondern auch Öffentlichkeit (Habermas/Derrida), die auf andere Weise gefördert und geschützt werden muß als mit den Mitteln der Industriepolitik — nicht der Hauch einer Ahnung.
Vollständig verständisfrei schließlich ist die britische Regierung was sie neuen Qualitäten von massenhafter Kreativität betrifft, die die digitale Revolution hervorbringt. Immerhin heißt es: „Verbraucher können jetzt mit vergleichsweise geringen Kosten ihren eigenen Inhalt erzeugen und verfügen über die Mittel Inhalt zu kopieren und miteinander auszutauschen.” Doch auf welche Weise sich die britische Regierung dieser „Herausforderung” stellt, zeigt sich an der einzigen Stelle, an der sie „nutzergenerierte Inhalte” erwähnt, nämlich unter der Überschrift „Identifikation von Investitionshemmnissen für Breitband der nächsten Generation”. Breitband habe zu neuen Dienstleistungen geführt wie Online-Videogames, Video- und Musikdistribution und eben „most engagingly, user-generated content.” UGC wird also nicht von denen aus gedacht, die ihn erzeugen, sondern von den Diensteanbietern, Monopolisten wie Murdoch (MySpace) und Google (YouTube). Es geht hier, wie gesagt, nicht um Kultur, sondern um Wirtschaftspolitik. Die Kreativität des gemeinen Volkes taucht in dieser Sichtweise nur in zwei Formen auf: als Faktor, der den ARPU (Average Revenue per User) in die Höhe treibt, und als lästige Urheberrechtsverletzungen, da die Leute, anders als die britische Regierung verstanden haben, dass sie für die Distribution von Videos und Musik die Industrie nicht mehr brauchen.
Letztlich geht es bei diesem Aktionsplan um Geld. Lassen wir also am Schluß die Rhetorik beiseite und die Zahlen sprechen. „Wir werden unsere Strategie,” so schreiben die Ministerin für Kultur, Kreativindustrien und Tourismus und die Staatssekretäre in ihrer Einleitung, „mit mindestens £70,5 Millionen an öffentlichen Mitteln unterstützen.” Die Aufstockung von Unternehmenskrediten und Risikokapitalangeboten nicht eingeschlossen. Mehr als zehn Prozent davon (£8 Million) gehen in die Bekämpfung von geistigen Eigentumsdelikten. Zuwächse über die nächsten drei Jahre sind angekündigt. Dabei kosten den britischen Staat die freiwilligen Maßnahmen gar nichts, die ISPs und damit ihre Kunden dagegen eine Menge. Doch nicht einmal die £8 Million belasten die Staatskasse. Wie der Aktionsplan berichtet, generiere der „Proceeds of Crime Act” monatlich £500.000 an Gewinnen aus geistigen Eigentumsdelikten. Das ist doch mal ein innovatives Geschäftsmodell: Das Geld, dass die Bürger nicht freiwillig an die Urheberrechtsindustrie abführen wollen, wird aus ihnen heraus geklagt. Vielleicht meint die Britische Regierung also doch sich selbst, wenn sie schreibt: “Britannien ist ein kreatives Land.”
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