Spaß mit Zahlen: Die Musikpiraten und der VUT
Gestern hatten wir über eine Studie berichtet, die Christian Hufgard, Urheberrechtsexperte der Piratenpartei und 1. Vorsitzender des Vereins Musikpiraten, veröffentlicht hat. In unserem Beitrag hatten wir festgestellt, dass die Studie (PDF) methodische Mängel aufweist, sie aber nicht in Bausch und Bogen verdammt.
Das hat heute der Verband unabhängiger Musikunternehmen (VUT) in einer Stellungnahme zur Studie getan, und man sieht geradezu, wie jemand mit Schaum vor dem Mund in die Tasten gehauen hat (Gulli zufolge ist es Mark Chung). Überschrift:
An Unkenntnis, Einfältigkeit und Zynismus kaum zu übertreffen: „Kurzstudie“ des Musikpiraten e.V. zur Einkommensentwicklung Kreativer in Deutschland von 1995
Mal abgesehen von der eher sinnfreien Formulierung (was soll “von 1995” bedeuten?), zeigt schon die Wortwahl der Überschrift eindeutig: Die Ergebnisse der Studie können nur vollkommener Quatsch sein.
Auf sechs Seiten (die Studie selber ist neun Seiten lang, inklusive aller Tabellen und Grafiken), arbeitet sich der Autor/ die Autorin dann daran ab, was Hufgard alles falsch gemacht haben soll.
Das Problem daran: Wenn man bei der Piratenstudie Hinweise darauf findet, dass Hufgard zu einem Ergebnis kommen wollte, das ihm ins Konzept passt, so ist es beim VUT völlig offensichtlich, dass Fakten lediglich strategisch eingesetzt werden. Und der VUT somit genau das tut, was er Hufgard vorwirft.
So schreibt der VUT:
Vorab sei angemerkt, dass die Kernaussage der Studie („30% Einkommenssteigerung für Künstler“) sowohl 16 Jahre Inflation als auch die Einführung deutlich strengerer Kontrollen der KSK Schätzungen 2007 ignoriert. Die Kernaussage bezieht sich außerdem nur auf unzuverlässige Einkommensschätzungen, empirisch belastbare Einkommensdaten werden nicht berücksichtigt.
Zwar verwendet Hufgard tatsächlich die Überschrift “Künstler in Deutschland: Einkommen seit 1995 um 30% gestiegen”, die in die Irre führt, weil sie die Inflation nicht berücksichtigt. In der Studie selber ist allerdings eine einwandfreie Preisbereinigung vorgenommen. Wenn der VUT also schreibt:
Basierend auf Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit, muss leider trotzdem davon ausgegangen werden, dass sie nicht nur online tausendfach geteilt und „geliked“ wird, sondern dass auch schlecht recherchierende klassische Medien, vor allem die vollkommen unhaltbare Behauptung „Einkommen seit 1995 um 30% gestiegen“ wiedergeben werden.
dann kann man erstens feststellen, dass der VUT den “schlecht recherchierenden klassischen Medien” offenbar nicht einmal zutraut, dass sie die Studie lesen können. Wenn der VUT – zweitens – diese Aussage als “Kernaussage” der Studie hinstellt, tut er natürlich wiederum nichts anderes als das, was er anderen vorwirft. Drittens ist der Einwand “empirisch belastbare Einkommensdaten werden nicht berücksichtigt” insofern irreführend, als er unterstellt, es gebe diese belastbaren Zahlen:
Wenn man zuverlässige Zahlen wollte gäbe es deutlich präzisere Quellen – Einkommens- und Umsatzsteuererklärungen beispielsweise.
Hufgard wäre wohl sehr daran interessiert zu erfahren, wo denn eine repräsentative Sammlung der Einkommens- und Umsatzsteuererklärungen freischaffender Musiker zu finden ist. Die Zahlen der KSK, deren Aussagefähigkeit wir selbst in Zweifel gezogen haben, werden auch deshalb immer wieder in Untersuchungen verwendet, weil andere eben nicht zur Verfügung stehen. Oder kann der VUT hier aushelfen?
Der VUT schreibt weiter:
Diese Schätzungen sind Grundlage der zu entrichtenden Krankenkassenbeiträge. Ein Schelm wer denkt, diese Schätzunge könnten dadurch beeinflusst werden, dass von ihrer Höhe der zu zahlende Sozialversicherungsbeitrag abhängen wird.
Der VUT schreibt über sich, er
vertritt die Interessen der deutschen Kreativwirtschaft im Bereich Musik. Zu seinen Mitgliedern zählen rund 1.300 Labels, Verleger, Produzenten, Vertriebe sowie eine zunehmende Anzahl von Künstlern, die sich selbst vermarkten. Unabhängige Unternehmen erzielen mehr als 60 Prozent der Unternehmensumsätze in der deutschen Musikwirtschaft.
Und offenbar hält er die Musiker, die in diesen Labels veröffentlichen, diesen Verlegern und Produzenten den Rohstoff liefern, mit dem sie ihre Umsätze machen, oder solche, die sich selbst vermarkten, für unehrliche Menschen, die ihre KSK-Meldungen frisieren, um weniger Krankenkassenbeiträge zu zahlen.
Das ist aufschlussreich, was den VUT angeht, aber man muss auch noch ergänzen, was der VUT verschweigt. Ob er das “bedenken- und kenntnisfrei” tut, wie er Hufgard vorwirft, wissen wir nicht, jedenfalls ist rein methodisch festzustellen, dass es durchaus einen großen Anreiz für KSK-Mitglieder gibt, eine realistische Einkommenshöhe anzugeben: die Höhe des Krankengeldes hängt ebenso davon ab wie die Zahlungen in die Rentenkasse, die von der KSK um den “Arbeitgeberanteil” ergänzt wird. Eine bessere Rendite ist nicht zu haben. (Außer vielleicht für Labelbetreiber in den 90er Jahren…)
Aber dem – im Gegensatz zu den “klassischen Medien” gut recherchierenden? – VUT unterläuft ein weiterer Fehler. Nicht, weil er auf die Weisheit der Massen setzt, sondern weil er sie offenbar nicht zu interpretieren versteht. Er wirft der Studie vor zu unterschlagen, dass seit 2007 vermehrt Prüfungen der KSK-Beiträge vorgenommen werden. Das hat der VUT aus der Wikipedia:
Ab Mitte 2007 war zusätzlich die Deutsche Rentenversicherung für die Prüfung der rechtzeitigen und vollständigen Entrichtung der Künstlersozialabgabe zuständig“ (Wikipedia).
Offenbar ist den Autoren aber entgangen (oder sie verschweigen es), dass die Deutsche Rentenversicherung nicht die KSK-Mitglieder prüft, sondern ob die Unternehmen ihre KSK-Abgaben zahlen. Das alles mit dem herablassenden Hinweis versehen “Wer KSK versicherte Künstler persönlich kennt” (Deppenleerzeichen im Original) – so, als sei es ausgeschlossen, dass im Verein Musikpiraten auch KSK-Mitglieder organisiert sind. Dabei vertritt der VUT ja nicht in erster Linie die Musiker, sondern die Unternehmen, die KSK-Abgaben zahlen müssen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Auf die Tatsache, dass die KSK selber zu strengeren Prüfungen der Einkommensschätzungen ihrer Versicherten verpflichtet worden ist, haben wir in unserem Beitrag bereits hingewiesen. Die KSK sagte auf Nachfrage, dass sie darin keinen Grund für die höheren Schätzungen sieht.
Die Einschätzung aus der Hufgard-Studie
Am besten steht sogar die Sparte da, deren Rechteverwerter in der Öffentlichkeit am meisten klagen: Musik. Um 5,6 Prozent stieg das Einkommen inflationsbereinigt an.
hält der VUT dann sogar für “zynisch und menschenverachtend” (eine Nummer kleiner geht’s offenbar nicht), denn
angesichts der weltweit entstandenen, zahllosen neuen Radio- und TV Sender, Milliarden zusätzlicher Mobil- und Internetnutzungen von Musik
sei das Jahreseinkommen der Musiker in Höhe von 11.781 Euro doch sehr mager. (Der VUT selber nennt hier fälschlicherweise – ob bedenken- oder kenntnisfrei, kann nicht festgestellt werden – 9.200 Euro, aber das ist das Einkommen zu Preisen von 1995 und müsste eigentlich 9.268 Euro heißen.) In der Tat, zu dem Schluss sind auch wir gekommen. Nur vertritt ja der VUT – wir erinnern uns – in erster Linie “1.300 Labels, Verleger, Produzenten, Vertriebe” (und auch, wir unterschlagen es nicht: “eine zunehmende Anzahl von Künstlern, die sich selbst vermarkten”).
Da stellt sich doch die Frage: Wenn so viele neue Verwertungsmöglichkeiten entstanden sind, warum kommt dann kein Geld bei den Musikern an? Und diese Frage müsste ein Verband der Verwerter doch eigentlich beantworten können.
(Und vielleicht kann uns auch mal jemand – egal, ob Musikpiraten oder VUT – erklären, was das alles mit dem Urheberrecht zu tun haben soll.)
12 Kommentare
1 KSK-Mitglied am 21. März, 2012 um 14:40
Die KSK überprüft ihre Mitglieder sehr wohl verstärkt seit 2007, dazu werden beispielsweise die Steuererbescheide herangezogen. Wer keine vorlegen kann oder will, wird ausgeschlossen. Hintergrund war, dass unter Leuten, die sich zB gerade so durchschlagen und schreiben, Musik machen oder fotografieren, gleichzeitig jedoch auch Kneipenjobs oder ähnliches machen, die KSK-Mitgliedschaft die billigste Möglichkeit war, sich zu versichern. Da die KSK immer mal wieder abgeschafft werden sollte, wurden die Stichproben drastisch verstärkt, um dem Vorwurf, die KSK sei mehrheitlich nicht von denjenigen genutzt, für die sie eigentlich gedacht ist, zu begegnen.
2 Matthias Spielkamp am 21. März, 2012 um 14:45
@KSK-Mitglied: Ja, das wissen wir, haben es bereits in unserem Artikel zur Studie erwähnt und auch bei der KSK nachgefragt, was auch in dem obigen Blogbeitrag steht (ebenso wie die Tatsache, dass die KSK vermehrt prüft): “Auf die Tatsache, dass die KSK selber zu strengeren Prüfungen der Einkommensschätzungen ihrer Versicherten verpflichtet worden ist, haben wir in unserem Beitrag bereits hingewiesen. Die KSK sagte auf Nachfrage, dass sie darin keinen Grund für die höheren Schätzungen sieht.”
Worauf bezieht sich also dieser Kommentar?
Was der VUT insinuiert – dass die Deutsche Rentenversicherung mit 3.600 Prüfern die KSK-Versicherten prüft, ist falsch. Sie prüft die Unternehmen.
3 Fritz Brett am 21. März, 2012 um 17:21
Der Streit ist aus vielen Gründen völlig unsinnig.
a) Die Zahlen sind unklar und nicht aufgeschlüsselt.
b) Ob die Musiker arm, sehr arm oder sauarm sind, ändert nichts daran, dass sie in Korrelation zu ihrer Ausbildung, die bei den klassischen Musikern in der Regel im 6 bis 8 Lj. beginnt, augenscheinlich viel zu wenig verdienen und dass diese zu geringe Entlohnung auch in späteren Jahren kaum abnimmt.
c) Aus ökonomischer Perpsektive müssen sich eineige ragen aufdrängen: Z.B. ist die KSK ja so konstruiert, dass die allergrößten Verlierer und die allergörßten Gewinner nicht über diese Daten erfasst werden. Die größten Verlierer können sich nicht einmal die KSK leisten oder sind zu Nebenverdiensten gezwungen. Dazu dürften insbesondere die Musiker gehören, die Nachwuchs zu ernähren haben.
Ich weiß nicht, was Hufgard mit den Zahlen eigentlich belegen will. Dass die Musiker nicht in Not seien, lässt sich ja nicht gerade behaupten. Allenfalls lässt sich daraus erkennen, dass es dem durchschnittlichen freien Musiker noch nie gut ging, weder in analogen noch in digitalen Zeiten.
4 Mark Chung am 21. März, 2012 um 20:50
Ach, wir hatten keineswegs Schaum vorm Mund, zugegebenermaßen ein paar Tränen in den Augen vom Lachen über die Methodik dieser unfassbaren „Studie“.
Habe leider heute keine Zeit diesen Blogbeitrag im Detail zu kommentieren, aber ein paar schnelle Anmerkungen:
1. Warum verlinken Sie nicht auf die Primärquellen, dann kann sich jeder Leser selbst ein Bild machen. Primärquellen sind immer informativer als interessengetriebene Blogbeiträge. Für eine „Informationswebsite“ ist der Link zu den Primärquellen m.E. Pflicht.
Hier jedenfalls der Link zur Stellungnahme des VUT
http://www.vut-online.de/cms/2012/03/21/stellungnahme-des-vut-zur-%E2%80%9Ekurzstudie%E2%80%9C-der-piratenpartei/.
Aufmerksame Leser könnten darin Stellen finden, die Sie versäumen zu erwähnen.
2. Zu “erstens feststellen, dass der VUT den “schlecht recherchierenden klassischen Medien” offenbar nicht einmal zutraut, dass sie die Studie lesen können.”:
Den Beleg erbringt u.a. die Süddeutsche Zeitung leider öfter als ich hier auflisten kann.
3. Zu “Wenn der VUT – zweitens – diese Aussage als “Kernaussage” der Studie hinstellt, tut er natürlich wiederum nichts anderes als das, was er anderen vorwirft.”:
Wir bezeichnen diese Aussage als “Kernaussage”, weil dies die Überschrift ist. Sie waren doch mal Journalist. Was denken Sie steht in der Überschrift?
4. Zu “…ist der Einwand “empirisch belastbare Einkommensdaten werden nicht berücksichtigt” insofern irreführend, als er unterstellt, es gebe diese belastbaren Zahlen”:
a) Statistisches Bundesamt.
b) Forschungsbericht des BMWi zur Kultur und Kreativwirtschaft
Aber korrekt – es ist nicht unkompliziert das gezielt für Künstler zu analysieren. Nur: Solange man keine belastbaren Zahlen hat, sollte man keine weitreichenden Behauptungen zur Einkommenssituation von anderen aufstellen. Oder sich nicht über Kritik daran wundern.
5. Warum gehen Sie gar nicht auf unsere Stellungnahme zum zweiten Teil der Studie ein?
Eines trifft zu, wir haben uns an einer Stelle auf das Einkommen zu Preisen von 1995 bezogen (wie es auch in der Graphik die wir kommentiert haben dargestellt war) aber versäumt darauf explizit hinzuweisen. Inhaltlich ändert das nichts.
Ich muss jetzt leider los, deshalb auch von mir etwas verkürzt: Ihre Anmerkungen zur KSK Situation sind weltfremd bzw. – zum Kommentar des KSK Mitglieds – haarspalterisch. Was macht ein Prüfer wenn er in einem Unternehmen Belege für Zahlungen an Künstler findet? Schon mal etwas von Kontrollmeldungen gehört?
Mit freundlichen Grüßen,
5 Matthias Spielkamp am 21. März, 2012 um 21:02
@Mark Chung: Ihre Stellungnahme war von Anfang an verlinkt und ist es noch. Im 2. Absatz, falls Sie Schwierigkeiten haben, das zu finden. Zum Rest mache sich jeder Leser sein eigenes Bild.
6 Mark Chung am 22. März, 2012 um 01:26
ah ja danke. würde mich über INHALTLICHEN kommentar freuen. die argumente können doch nicht schon ausgegangen sein?
7 Stefan Herwig am 31. März, 2012 um 13:30
Lieber Herr Spielkamp,
ich finde s ausserordentlich “drollig” dem VUT hinsichtlich seiner deutlichen Kritik an der Hufgard-Studie, die Sie ja mehr als im Ansatz teilen, zu kritiseren, dann in ihrem auch von orthografischen und synatktischen Fehlern auch nicht wirklich freien Text “Deppenleerzeichen” bemängeln, jemandem “Schaum vor dem Mund” beim Tippen unterstellen, etc. Mag sein, dass die Kritik des VUT in Teilen übers Ziel hinausscheißt, in ihrer Grundaussage ist sie jedoch zutreffend und berechtigt.
Dies belegt wieder einmal, dass irights die “Anti-verwerterbrille” bei solchen Artikeln partout nicht abnehmen kann.
Am “drolligsten” jedoch die Schlusserkenntnis: “Wenn so viele neue Verwertungsmöglichkeiten entstanden sind, warum kommt dann kein Geld bei den Musikern an? Und diese Frage müsste ein Verband der Verwerter doch eigentlich beantworten können.”
Ganz abgesehen davon, dass diese Frage niemals an den VUT gestellt war, sollte ihnen als Autorität für alternative Verwertungsmechanismen die Recherche hier doch besonders am Herzen liegen. Ja, die “neuen Vermakrtungsmechanismen” werfen für Künstler und Kreative in der Tat durch die Bank weniger Geld ab und erzeugen weniger Wertschöpfung als immer behauptet.
Da haben sie ja mal ihr nächstes Recherchethema definiert. Die KSK erteilt hier sicherlich gerne Auskunft…
8 Matthias Spielkamp am 31. März, 2012 um 13:47
Hallo Stefan, seit wann Siezen wir uns? Ist das der Versuch, Distanz zu einem bösen “Anti-Verwerter” zu simulieren? Meine Argumente habe ich ausführlich dargelegt. Was die “orthografischen und synatktischen Fehler” angeht – lies mal Deinen eigenen Kommentar :-) Und sonst: Die Frage, warum wenig Geld bei den Urhebern ankommt, ist dem VUT nicht gestellt? In welcher Parallelwelt lebst Du? Und seit wann kannst Du für den VUT sprechen?
Was sagen Sie dazu?