„Wir sind die Bürger”: Widerstand von zwei Seiten
Zur Person
Thomas Pfeiffer ist Diplom-Pädagoge und Programmierer, Blogger und Vorstandsmitglied der Münchner Grünen. Als Reaktion auf den Appell „Wir sind die Urheber!“ startete Pfeiffer den Aufruf „Wir sind die Bürgerinnen und Bürger”.
iRights.info: Ihr Aufruf „Wir sind die Bürgerinnen und Bürger“ fand bislang knapp 7000 Unterzeichner. Wie zufrieden sind Sie mit der Resonanz?
Thomas Pfeiffer: Wir sind sehr zufrieden. Die ersten tausend Unterschriften kamen in drei Stunden zusammen. Die nächsten Tausend in anderthalb Stunden. Jetzt flacht es natürlich ab, aber es kommen immer noch neue Menschen dazu.
iRights.info: Die Urheberrechtsdebatte wird sehr kontrovers geführt. Welche Reaktionen haben Sie erlebt?
Thomas Pfeiffer: Es gab niemanden, der mich persönlich angegangen ist oder beschimpft hat. Einige Piraten haben gesagt, die generelle Legalisierung des Filesharings fehle im Aufruf. Kulturpolitiker kritisierten, der Aufruf distanziere sich nicht klar genug davon. Also von zwei unterschiedlichen Seiten gab es das Argument: ‚Ich kann das nicht unterschreiben, weil es mir nicht radikal genug ist‘. Wenn von zwei entgegen gesetzten Seiten solch ein Widerstand kommt, könnte das auch darauf hindeuten, dass ein guter Kompromissvorschlag auf dem Tisch liegt.
“Eine Handreichung an die Künstler”
iRights.info: Inwiefern ist Ihre Erklärung ein Kompromiss?
Thomas Pfeiffer: Zwei Sätze sind für den Aufruf zentral. Erstens: „Jeder Urheber und jede Urheberin soll selbst entscheiden können, was mit dem eigenen Werk passieren soll – und was nicht.“ und zweitens: „Wir möchten nicht, dass zur Durchsetzung des Urheberrechts zu unverhältnismäßigen Mitteln gegriffen wird.“ Offensichtlich zwei richtige Aussagen, die viele Menschen mittragen können.
iRights.info: Andernorts geht es weniger friedlich zu, wenn über das Urheberrecht gestritten wird. Wie erleben Sie die Debatte?
Thomas Pfeiffer: Positiv gesagt, sie wird zunehmend sachlicher und mit weniger Schaum vorm Mund geführt. Ich habe Wert darauf gelegt, dass unser Text sachlich formuliert ist. Künstler, die den Aufruf „Wir sind die Urheber!“ mittragen, können als Bürger auch bei uns unterschreiben. Denn wir haben klar gestellt: ‚Jeder Urheber soll selbst entscheiden können, was mit dem eigenen Werk passieren soll.‘ Da gibt es keinen Interpretationsspielraum. Unser Aufruf ist auch eine Handreichung an die Künstler.
Thema Rechtsdurchsetzung – “Da hab ich mich geärgert”
iRights.info: Was stört Sie am Aufruf “Wir sind die Urheber!“?
Thomas Pfeiffer: Ein Satz stößt mir darin sauer auf, und zwar: „Es gilt, den Schutz des Urheberrechts zu stärken und den heutigen Bedingungen des schnellen und massenhaften Zugangs zu den Produkten geistiger Arbeit anzupassen.“ Dieser Satz lässt viel Interpretationsspielraum für die Durchsetzung des Urheberrechts zu. Da liegt der Hase im Pfeffer. Wenn man unser heutiges Urheberrecht im Internet radikal durchsetzen würde, würde man bürgerliche Freiheiten dafür opfern müssen. Das kann ich nicht akzeptieren. Da hab ich mich geärgert.
“Diese Diskussion will ich gar nicht führen”
iRights.info: Viele kritisieren das Vokabular des Künstleraufrufs. Die Formulierung „Diebstahl geistigen Eigentums“ stelle irreführende Analogien zum materiellen Eigentum her…
Thomas Pfeiffer: Es ist sicher eine spannende philosophische Diskussion, ob es geistiges Eigentum überhaupt gibt oder was Kopieren ist, aber das sind akademische Fragen, die uns in der praktischen Politik kaum weiterhelfen. Diese Diskussion will ich gar nicht führen. Fest steht: Die Urheber sollen bestimmen, was mit ihren Werken passiert. Wie auch immer ich dieses Recht definiere, ob auf Grundlage des Konzepts ‚Geistiges Eigentum‘ oder auf Grundlage von Lizenzvereinbarungen oder was auch immer – ist für eine politische Bewertung zweitranging. Wir sollten uns nicht an diesen Fragen abarbeiten, weil daraus keine konkreten Unterschiede in der Gesetzgebung erwachsen.
“Abmahnungen erzeugen Hass”
iRights.info: Wie kommt man also zu konkreten politischen Lösungen?
Thomas Pfeiffer: Ein wichtiger Punkt ist die Deckelung von Abmahngebühren beim Thema illegales Filesharing. Bundesjustizministerien Sabine Leutheusser-Schnarrenberger schlägt vor, den Streitwert in Urheberrechtssachen künftig auf 500 Euro zu begrenzen. Das geht in die richtige Richtung. Damit lässt man den Druck aus dem Kessel. Überhöhte und missbräuchliche Abmahnungen erzeugen Unmut, ja auch Hass.
Der zweite Punkt wäre, bei den viel diskutierten Pauschalvergütungssystemen weiterzukommen. Sie könnten den Schaden, der Urhebern durch das Filesharing entsteht, in gewisser Weise kompensieren.
iRights.info: Gäbe es Pauschalvergütungssysteme für die Künstler, könnte man das Filesharing generell legalisieren?
Thomas Pfeiffer: Nein. Es geht nur darum, den finanziellen Schaden zu mindern.
Internet-Leer-Abgabe: 1 Milliarde Euro für die Urheber
iRights.info: Welches Pauschalvergütungssystem schwebt Ihnen vor?
Thomas Pfeiffer: Ich könnte mir eine Internet-Leer-Abgabe vorstellen, die wie folgt aussieht: Erhebt man über die Internet Service Provider (ISP) eine Gebühr von 1 Euro oder 1,50 Euro auf jeden Interneteinschluss im Monat, sammelt man etwa 1 Milliarde Euro im Jahr ein. Abzüglich einer Verwaltungspauschale von 10-15 Prozent an die ISP, könnte das Geld an die Verwertungsgesellschaften der Künstler gehen, also etwa an die VG Wort, die VG Bild und die GEMA. Das würde deren Budget grob um die Hälfte erhöhen. Die Verwertungsgesellschaften müssten die Einnahmen an ihre Mitglieder verteilen.
iRights.info: Das könnte zu schwierigen Verteilungskämpfen führen…
Thomas Pfeiffer: Man muss von den Urhebern erwarten können, dass sie sich in Verwertungsgesellschaften demokratisch organisieren können, und gerechte Verteilungsregeln erarbeiten. Nur in Ausnahmefällen sollte der Gesetzgeber hier eingreifen. Es gilt auch hier so eine Art Tarifautonomie. Ein möglicher Weg wäre, dass jedes Mitglied denselben Anteil an den Einnahmen erhält. Das mag im Einzelfall ungerecht sein, aber es gibt meines Erachtens kein System, wie man es besser machen könnte. Oder die Urheber definieren Referenzprojekte, zum Beispiel Youtube. Wer da mehr Klicks hat, bekommt auch mehr vom Kuchen.
iRights.info: Das Konzept Kulturwertmark des Chaos Computer Clubs (CCC) sieht vor, dass die Nutzer über die Verteilung der Gelder an die Urheber direkt bestimmen…
Thomas Pfeiffer: Die Kulturwertmark krankt in meinen Augen genau daran. Ich glaube nicht, dass die Nutzer diese zusätzliche Aufgabe annehmen werden.
“Ein Blogger e.V. könnte Geld einnehmen”
iRights.info: Bei der Internet-Leer-Abgabe bleibt das Problem, welche Urheber honoriert werden. Warum sollten beispielsweise Blogger keinen Anteil an den Einnahmen erhalten?
Thomas Pfeiffer: Das Argument, es gäbe viele Künstler, die gar nicht in Verwertungsgesellschaften organisiert sind, kann ich nicht gelten lassen. Man muss seiner Stimme Gehör verschaffen, wenn man ernsthaft von seiner Kunst leben möchte. Der Gesetzgeber sollte Kriterien schaffen, welche Organisationen für die Verteilung der Gelder in Frage kommen. Das muss ja nicht unbedingt nur die GEMA sein. Auch gewerkschaftliche Institutionen oder ganz neue Organisationen kämen in Frage. Die Voraussetzung: Sie müssen demokratisch verfasst sein. Wenn dann ein Blogger e.V. kommt, der die Kriterien erfüllt, würden auch seine Mitglieder einen Anteil erhalten.
Filesharing: Generelle Legalisierung bei Grünen nicht mehrheitsfähig
iRights.info: Wie schätzen Sie die politischen Erfolgschancen für eine Internet-Leer-Abgabe ein?
Thomas Pfeiffer: Mit den Piraten ist sie schwer zu machen, weil die das Filesharing generell legalisieren wollen. Ich glaube, das wäre bei den Grünen nicht mehrheitsfähig. Bei der CDU/CSU sehe ich noch wenig konkrete Positionen zum Urheberrecht. Bei der SPD könnte ich mir vorstellen, dass sie offen für unseren Vorschlag ist, weil er den Selbstorganisationen und Gewerkschaften der Künstler die zentrale Rolle zuweist. Die Grünen sind meines Erachtens die einzige Partei, die konkrete Vorschläge unterbreitet – wie z.B. die Pauschalabgabe – mit denen man einen sinnvollen und gerechten Ausgleich zwischen Urhebern und Nutzern im Internet herstellen kann – ohne bürgerliche Freiheiten aufzugeben.
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