Verschlüsselung fürs Volk
Maria ist das erste Mal hier. Ein bisschen hat sie sich schon mit Verschlüsselung beschäftigt, aber so richtig nutzt sie sie nicht. Sie studiert Kommunikationswissenschaften und findet die Vorstellung gruselig, dass all ihre Kommunikation automatisch im Netz mitgelesen wird. Eine Studienkollegin, die schon öfter hier war, hat sie auf die Veranstaltung aufmerksam gemacht und so sitzt sie mit ihrem Laptop in einer Neuköllner Kneipe, um zu lernen, wie man E-Mails und Festplatten verschlüsselt, anonym im Internet surft und privat chattet.
Von den mehr als zwanzig Leuten, die gekommen sind, um voneinander E-Mail-Verschlüsselung mit PGP (steht für Pretty Good Privacy), Chatten mit „Off-the record“, Festplatten-Verschlüsselung oder anonymes Surfen mit dem Programm Tor zu lernen, ist etwa die Hälfte zum ersten Mal hier, andere sind öfter dabei gewesen oder gehören zum engeren Organisationskreis. Cryptopartys sind selbstorganisiert, nicht-kommerziell und basisdemokratisch. Jeder kann kommen und mitmachen. Der Ansatz ist pragmatisch: Die Leute sollen da abgeholt werden, wo sie sind. Deshalb finden die Cryptopartys an wechselnden Orten statt – mal im Café, mal im Büro von Reporter ohne Grenzen, mal im Berliner Abgeordnetenhaus.
Lisa ist Anfang 20, seit einem Jahr dabei und Webentwicklerin. Sie eröffnet die Party. „Es geht bei den Partys darum, gemeinsam zu lernen und miteinander Spaß zu haben. Zur Kommunikation gehören immer zwei, deshalb kommt wieder und bringt eure Freunde mit“, erklärt sie. Heute Abend gebe es keine dummen Fragen. „Wenn ihr was nicht versteht, fragt.“
Das Prinzip von Cryptopartys ist der gegenseitige Austausch. Man lernt voneinander und nicht per Frontalunterricht von einem Lehrer. Und so werden schnell kleine Gruppen gebildet, die sich jeweils an einen Tisch zurückziehen, um über ein spezielles Thema zu sprechen. Natürlich gibt es Spezialisten, die ihr Wissen mit den anderen teilen, aber das kann sich schnell ändern, wenn der PGP-Auskenner auf die Festplatten-Verschlüsselerin trifft, die mit dem „Off-The-Record“-(OTR-)Experten über Vertrauensebenen bei öffentlichen Schlüsseln spricht.
Die Atmosphäre ist entspannt, die Gruppe gemischt, man redet sich mit Vornamen an. Klassische Nerds, junge Frauen, Spießer – von der Journalistin, die endlich verschlüsselt kommunizieren will, um ihre Quellen zu schützen, bis zum Rentner, der sich für Computer interessiert, ist alles vertreten. Diese Offenheit ist Konzept. Es geht darum, das Massenausschnüffeln für die Geheimdienste ein bisschen schwieriger zu machen. Wenn alle verschlüsseln, steigen die Kosten für die Massenüberwachung.
Eine Idee wird viral
Im Prinzip kann jeder überall eine Cryptoparty veranstalten, es ist weder eine Registrierung noch eine Erlaubnis nötig. So ist das Konzept auch entstanden: 2012 irgendwo zwischen Australien und Deutschland und im Cyberspace. Anlass waren damals – vor Edward Snowden – die nationalen Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung, die in vielen Ländern verabschiedet wurden. Die Idee entstand auf Twitter, als die australische Aktivistin Asher Wolf den Hashtag #CryptoParty in die (Social-Media-)Welt setzte und sich spontane Zusammenkünfte von Aktivisten und Experten ergaben, die ihr Wissen an den Mann und die Frau bringen wollten.
Berlin ist im Augenblick eines der Zentren der Bewegung. Es gibt wöchentlich mindestens zwei Cryptopartys an verschiedenen Orten der Stadt. Aber auch in anderen Städten in Deutschland und der Welt kann man auf Cryptopartys gehen. Koordiniert wird das Ganze auf der Website Cryptoparty.in. „Deutschland hat mit dem Chaos Computer Club eine starke Tradition, was Sicherheit und IT-Aktivismus angeht“, meint Christian, Programmierer und ebenfalls schon länger dabei. Wenn man sich die Website anschaut, finden in Deutschland bei weitem die meisten Cryptopartys statt – zumindest stammen die meisten Einträge von hier. „2013, nach den Snowden-Leaks, gab es ein größeres Interesse an Verschlüsselung“, so Christian. „Zwischendurch hat es ein bisschen nachgelassen, aber jetzt kommen wieder mehr Leute.“
Verschlüsselung hilft
Wieso sollte man auf eine Cryptoparty gehen, um Verschlüsselung zu lernen? Um verschlüsselt zu kommunizieren, brauche man ein wenig Übung, erklärt Lisa. Es sei zwar nicht so schwer, aber man muss es lernen. Zu mehreren macht es mehr Spaß – und im Austausch mit anderen lässt sich Gelerntes gleich ausprobieren. Das ist vielleicht auch der Party-Aspekt: Es geht nicht nur um einen Lehrgang in Verschlüsselung, sondern auch um Austausch und Spaß.
In einem Interview erklärte Edward Snowden, dass Verschlüsselung grundsätzlich funktioniert. Sie kann effektiv verhindern, dass Geheimdienste E-Mails und Kommunikationsverhalten von Nutzerinnen verfolgen und entziffern können – jedenfalls im Rahmen der Massenüberwachung, die er enthüllt hat. Viele Nutzer verlieren jedoch die Geduld, wenn sie alleine vor ihrem Rechner sitzen. Die Gründe sind vielfältig: Die Software ist nicht immer intuitiv verständlich; man hat niemanden, um mit ihm oder ihr verschlüsselt E-Mails zu schreiben oder im Chat zu reden; man fühlt sich überfordert von den technischen Grundlagen.
Um sicher und ohne Spuren im Netz unterwegs zu sein, gehört noch mehr dazu als nur die E-Mails zu verschlüsseln. Man muss sein ganzes Nutzungs- und Surfverhalten ändern. Man darf sich nicht mehr einloggen, keine Browsererweiterungen installieren, muss Cookies ausschalten und so auf einigen Komfort verzichten, den viele Nutzerinnen lieb gewonnen haben: Google und Co. sind erstmal tabu, wenn man nicht weiß, was man tut. Es bedeutet letztendlich die technischen Grundlagen von Netzwerken und Computern kennenzulernen. Wie ist das Internet aufgebaut? Was passiert, wenn ich mit meinem Browser auf eine Webseite gehe? Wie funktioniert Webtracking? Die Diskussion über all diese Fragen gehört auch zu einer Cryptoparty.
So sehen viele Teilnehmer ihr Engagement durchaus im Sinne eines Dienstes an der Demokratie und als Aufklärung. Wenn es keine freie Software gäbe, keine starke Verschlüsselung und unabhängige Systeme, lebten wir schon in einem Überwachungsstaat, so die Meinung vieler. Es gehe auch darum, sich damit auseinanderzusetzen, welchen Einfluss Technik auf uns und die Gesellschaft hat – und so diskutieren viele nicht nur darüber, wie man mit Off-the-record Chats verschlüsselt. Vielmehr thematisieren sie auch, was es bedeutet, dass unsere Kommunikation mittlerweile so verletzlich durch Massenüberwachung ist und ob technische oder politische Mittel wichtiger sind, um mit dem Problem umzugehen.
Zum Prinzip der Cryptoparty-Gruppen gehört, offen für neue Gesichter zu sein. Gerade weil es sich um freiwilliges, ehrenamtliches Engagement handelt, sind sie sogar darauf angewiesen. Irgendjemand muss schließlich die Flyer gestalten, die Webseite aktualisieren, Räume organisieren und was sonst noch alles anfällt. Lisa erklärt: „Wenn du öfter als fünf Mal kommst, gehörst du schon zum Team.“
Dieser Text erscheint in „Das Netz 2014/2015 – Jahresrückblick Netzpolitik“. Das Magazin versammelt mehr als 70 Autoren und Autorinnen, die einen Einblick geben, was 2014 im Netz passiert ist und was 2015 wichtig werden wird. Bestellen können Sie „Das Netz 2014/2015“ bei iRights.Media.
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