Open-Source-Software zwischen Moral und Freiheit
„Das Programm und Entwicklungen daraus werden weder bearbeitet oder ausgeführt, um einem Menschen zu schaden, noch durch Untätigkeit gestatten, dass einem Menschen Schaden zugefügt wird“, lautet die durch die Entwickler von GPU (Global Processing Unit) eigenhändig der General Public Licence (GPL) hinzugefügte Klausel. Angelehnt ist die Formulierung an die “Three Laws of Robotics” des Science-Fiction-Autors Isaac Asimov. Die hinter der Lizenzbeschränkung stehende Intention wird bei den meisten grundsätzlich auf Zustimmung stoßen. Vor allem – so sollte man denken – bei den als liberal geltenden Befürwortern freier Software. Dennoch: Die modifizierte Lizenz hat allerhand Diskussionen ausgelöst.
Die „no-military-use-Lizenz” ist keine GPL
So hat sich Richard Stallman, der Erfinder der GPL, nach Berichten des Online-Nachrichtenmagazins Newsforge skeptisch gegenüber der GPL-Modifizierung geäußert. Auf der Forumsseite des GPU-Projekts ist zu lesen, dass die Hüterin der GPL, die Free Software Foundation (FSF), untersagt haben soll, die GPU-Lizenz als GPL zu bezeichnen. Newsforge zitiert außerdem Richard Stallman, dessen Meinung nach Entwickler nicht das Recht hätten, den Anwendern ihrer Software Beschränkungen aufzuerlegen.
Richtig ist, dass die GPL nicht beliebig verändert und in anderer Version veröffentlicht werden darf. Der Lizenztext ist ein urheberrechtlich geschütztes Werk, das von Richard Stallman und Eben Moglen verfasst wurde. Das Copyright an der Lizenz liegt bei der Free Software Foundation. Geschützte Texte dürfen dabei grundsätzlich nur mit Zustimmung der Rechtsinhaber verändert werden, was unter Umständen auch für die Hinzufügung neuer Textabschnitte (wie einer neuen Klausel) gilt. Nichts anderes gilt auch für die GPL: Die Lizenz erlaubt zwar, die hierunter lizenzierte Software beliebig zu verändern und veränderte Versionen zu veröffentlichen. Für den Text der General Public License selbst gilt diese Nutzungsfreiheit aber nicht.
Im Gegenteil: Nach Ziffer 9 der GPL ist allein die FSF berechtigt, die Lizenz zu ändern (“The Free Software Foundation may publish revised and/or new versions of the General Public License from time to time.”). Änderungen durch Dritte bedürfen daher der Zustimmung der FSF, die mitunter auch erteilt werden. Ein Beispiel hierfür ist die Affero Public Licence, die eine – mit Zustimmung der FSF – zusätzlich eingefügte Klausel (Ziffer 2d) enthält. Der GPU-Lizenz wurde eine solche Zustimmung offensichtlich nicht erteilt.
Wie weit geht Freiheit?
Allein die Tatsache, dass die FSF hierzu rechtlich nicht verpflichtet ist, erklärt aber noch nicht, warum man sich dort derart reserviert gegenüber der “no-military-Lizenz” zeigt. Was kann an einer Lizenz auszusetzen sein, die es verbietet, die hierunter stehende Software in einer Weise zu nutzen, die Menschen schadet? Um dies und das Verhalten der FSF zu verstehen, ist es nötig mehr über die Philosophie zu wissen, die hinter dem Prinzip der freien und Open-Source-Software steht. So gibt es klare Definitionen darüber, was “frei” in Bezug auf freie Software bedeutet. Dies regelt zum einen die Free-Software-Definition der FSF und zum anderen die Open-Source-Definition der Open Source Initiative (OSI).
Die ähnlich lautenden Regelwerke stellen Kriterien auf, die jede freie Software erfüllen muss, um so bezeichnet werden zu können. Hiernach darf freie Software von jedermann für jeden Verwendungszweck und frei von Lizenzgebühren genutzt werden. Das Verbot der Diskriminierung von Personen und Verwendungszwecken wird dabei sehr ernst genommen. Die Free-Software-Definition dazu: “The freedom to run the program means the freedom for any kind of person or organization to use it on any kind of computer system, for any kind of overall job and purpose, without being required to communicate about it with the developer or any other specific entity.”
“Jeder” ist hiernach jede Person, jedes Unternehmen und jede Institution. Damit ist auch ein Ausschluss militärisch operierender Firmen oder derart agierender staatlicher Einrichtungen mit der Definition von freier Software inkompatibel. Gleiches gilt für Einschränkungen der Verwendungsfreiheit. Ziffer 6 der Open-Source-Definition sagt es ganz deutlich: “The license must not restrict anyone from making use of the program in a specific field of endeavor. For example, it may not restrict the program from being used in a business, or from being used for genetic research.” Ganz gleich also, was der Nutzer mit der Software machen will: Bei Open Source geht die Verwendungsfreiheit jeglichen ethischen, moralischen oder sonstigen Bedenken vor.
Wo ist, beziehungsweise sollte die Grenze der Freiheit liegen?
So jedenfalls der Grundsatz. Natürlich kann die Frage aufkommen, ob grenzenlose Freiheit sinnvoll ist, ob nicht etwa intolerable politische oder gesellschaftliche Verwendungszwecke ausgegrenzt werden sollten. Tiziano Mengotti und René Tegel,Chefentwickler des GPU-Projekts sehen das so. Gegenüber Newsforge begründeten sie ihre Lizenzmodifikation wie folgt: “Wir sind Software-Entwickler, die einen Teil ihrer Freizeit der Entwicklung von Open Source Software widmen. Es ist eine Tatsache, dass Open-Source-Software von der Militärindustrie genutzt wird. Freie Betriebssysteme können Kampfflugzeuge und Raketen steuern. Unsere Lizenzänderung soll den Software-Nutzern verdeutlichen, dass dies von uns definitiv nicht gestattet wird.”
Ganz grundlos befürchten die Entwickler einen derartigen Missbrauch ihres Programms sicher nicht. Denn GPU ermöglicht den Aufbau eines Supercomputers durch die gemeinsame Nutzung der CPU-Leistung von virtuell verbundenen PCs.
Toleranz gegenüber anderen Meinungen
Ob uneingeschränktes Diskriminierungsverbot im Sinne der Open-Source-Philosophie oder moralische Vorstellungen sich durchsetzen sollten – die Geister mögen sich hierüber scheiden. Nach der Urheberrechts-Philosophiesteht diese Abwägung letztlich den Entwicklern zu. Wer eine geistige Leistung erbringt, kann grundsätzlich frei darüber entscheiden, was die Nutzer hiermit machen dürfen. Im Übrigen: Wer hätte kein Verständnis dafür, dass ein Programmierer, der die Kontrolle über die Nutzung seiner Software weitgehend aufgibt, indem er sie unter eine freie Lizenz stellt, zumindest verhindern will, dass seine Errungenschaft für kriegerische Zwecke missbraucht wird?
So überrascht es nicht, dass sowohl die GPU-Entwickler als auch die FSF diesem Konflikt zwischen Moral und Freiheit zumindest zwiespältig gegenüber zu stehen scheinen. René Tegel gab gegenüber Newsforge an, sich nicht ganz sicher zu sein, ob eine solche Klausel in eine Software-Lizenz gehört. Auf der anderen Seite hat die FSF nicht von der – gegebenenfalls rechtlich bestehenden – Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Veröffentlichung der no-military-Lizenz als ungenehmigte Bearbeitung der GPL zu verbieten. Auch wurden die GPU-Entwickler bis dato nicht aufgefordert, die Lizenz aus dem Netz zu nehmen. Es hat den Anschein, als würden beide Seiten die Einstellung der anderen zumindest in Grenzen respektieren.
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