Copyleft-Verlage: „Teile und es wird geteilt werden”
Im kognitiven Kapitalismus stellt die allgemeine Verbreitung digitaler Technologien die bisherigen Methoden der Verbreitung von Kulturgütern in Frage, in denen die Produktion von Wissen, das Denken und der Austausch von Ideen in Wert gesetzt werden. Denn hier werden Praktiken und Werke, die als kollektive Schöpfungen entstanden, in eine wirtschaftliche Logik hineingezogen, in der sie die gleiche Behandlung erfahren wie materielle Güter – das heißt, man geht aus vom Prinzip der Knappheit und vom als Sachherrschaft verstandenen Privateigentum. Wer die Herrschaft über ein Gut hat, untersagt dessen Nutzung durch Dritte.
In diesem Sinne werden wir versuchen, die unterschiedlichen Strategien selbstverwalteter Verlage und Autoren darzustellen, etwa wenn sie Lizenzbedingungen für ihre Werke festlegen. Das Instrument, dessen sie sich dabei bedienen, heißt Copyleft. Es steht im Kontrast zum rechtlichen Monopol des Copyright auf dem Publikationsmarkt. So wird, statt die Vervielfältigung zu verbieten, selbige (entweder digital oder physisch) gefördert. Dasselbe gilt für die Schaffung abgeleiteter Werke und für die Verwendung von Werken für die weitere kommerzielle oder nicht-kommerzielle Nutzung, sofern die Autorschaft anerkannt wird. Über diesen Ansatz kommen wir zu anderen Formen der Lizenzvergabe, in denen die Autoren oder Verlage ihre Wünsche in Sachen Urheberschaft und Verbreitung der Werke einbringen können, ohne sich dabei immer nach spezifischen Lizenzen zu richten.
Und schließlich werden wir Menschen begegnen, die sich für ihre Projekte an zeitgenössische Autoren wenden, mit der Bitte um Genehmigung zur Vervielfältigung ihrer Werke und damit um die Förderung editorischer Arbeit mit sozialem, kulturellem und populärem Charakter.
Der argentinische Kontext
Diese Phänomene sind relativ neu, doch es gibt einen spezifischen historisch- politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Kontext, aus dem sie hervorgegangen sind. Drei historisch-politische Erfahrungen nähren die gegenwärtige Entfaltung selbstverwalteter Verlagsprojekte: die politisch-ideologische Nähe zur linken Tradition in den Auseinandersetzungen der 1970er Jahre, die aktive Opposition gegen das neoliberale Modell der 1990er Jahre, und schließlich die Ereignisse um den 19. und 20. Dezember 2001.
Während der Diktatur der 1970er Jahre gab es eindeutige Akte der Repression gegen Kulturschaffende: schwarze Listen, Schriftsteller wie Rodolfo Walsh und Haroldo Conti verschwanden, wurden gefoltert und getötet, verbannt und verfolgt. Zensur und Bücherverbrennungen standen auf der Tagesordnung. Dabei wurde erst im Jahr 1975 – unmittelbar während der Repression – die Internationale Buchmesse in Buenos Aires eingeweiht, die öffentliche Seite einer Kultur, die sich selbst negiert.
In den 1990er Jahren haben multinationale Konzerne den Konzentrationsprozess weiter vorangetrieben, der unter der Diktatur eingeleitet worden war. Sie kauften 75 Prozent der nationalen Verlagshäuser und lösten damit einen Strukturwandel im argentinischen Verlagswesen aus. In der Logik, das Buch als Produkt zu sehen, waren Veröffentlichungen fortan auf möglichst hohe Gewinne ausgerichtet, nicht auf die Förderung von Kultur oder Gemeinsinn. Fast schon instinktiv reagierten kleine Offset-Verlage auf diese Zerstörung der Verlagskultur, indem sie kulturpolitische und redaktionelle Leitlinien einbrachten, die sich spürbar von den Ideologien der großen Häuser absetzten. Die unabhängigen Verlage dieser Zeit generierten mit ihren Katalogen kulturelle Identität, sie förderten die Büchervielfalt und vertrieben ihre Publikationen über kleine Autorenbuchhandlungen – um nur einige der Strategien zu nennen, mit denen sie den großen Verlagshäusern begegneten.
Ende 2001 kam es in Argentinien zu einer sozialen Explosion. Dadurch gewann letztlich das Politische wieder an Bedeutung. Nicht in der Repräsentationslogik, sondern als Möglichkeit, sich zu organisieren, auf Augenhöhe, im Konsens, selbstbestimmt und selbstverwaltet. Aus dieser Dynamik entstanden viele Kulturprojekte, die dank der Nutzung digitaler Technologien auch miteinander arbeiteten und sich vernetzten.
Die politische Ästhetik des Do-it-yourself drang in die Sphäre der Kulturproduktion. Viele Schriftsteller begannen, ihre Bücher selbst zu produzieren und eigene Verlagsprojekte auf die Beine zu stellen. Auch die Verbreitung von Blogs, E-Mail-Listen und Internet-Foren sorgten für eine Vervielfältigung der Kommunikationswege und halfen, Werke und Meinungen auf einfache Weise bekanntzumachen.
Dazu kamen neue Formen der politischen und kulturellen Organisation, die die „Post-2001-Generation” entwickelt hatte: Kooperationsformen, die nicht-verwertungsorientierte, emotionale und widerständige Ansätze ins Spiel brachten und sich dabei auf Netzwerke stützen konnten. Relevant war hier, dass die Nutzung der Technologien für die Produktion kultureller Inhalte immer kostengünstiger wurde und dass die Konzepte, die mit der Nutzung dieser Technologien verknüpft sind, zunehmend problematisiert werden konnten.
Gegenwärtig haben wir – beruhend auf all diesen Entwicklungen – eine Produktion von Meinungsvielfalt, einen spannungsreichen öffentlichen Raum, gut organisierte und vernetzte Projekte, die kulturkritisch agieren, und eine unabhängige und selbstorganisierte Buchmesse, die FLIA, als wichtigen Teil dieser Realität.* Sie entstand aus diesem neuen Geist, dem Verschmelzen der Arbeit in Netzwerken einerseits und der notwendigen realen Begegnung andererseits.
Das Copyleft im Verlagswesen
Viele selbstverwaltete Verlagsprojekte haben sich gemeinsam auf die Suche nach neuen Formen der Lizenzvergabe begeben. Wenngleich jeder Verlag dabei seinen eigenen Weg geht, gibt es etwas, das alle eint: die Notwendigkeit, Kultur zu teilen. In diesem Sinne eröffnet die FLIA einen Raum für Austausch und Begegnung, für gemeinsames Handeln und Nachdenken über die Frage, wie künftig Bücher verbreitet werden, insbesondere in Bezug auf die verschiedenen neuen Lizenzvorschläge.
Hier spricht der Zuwachs, den es in den letzten Jahren in der Nutzung von Creative-Commons-Lizenzen gegeben hat, für sich. Diese Lizenzen erlauben die Verbreitung von Büchern und anderen Werken, indem sie zu deren Vervielfältigung ermutigen, indem sie unter Hinweis auf die Urheberschaft ermöglichen, abgeleitete Werke zu produzieren, und indem sie die weitere Nutzung für kommerzielle Zwecke oder unter Ausschluss derselben gestatten. Zu allen Lizenzformen gehört, dass die Verbreitung erleichtert wird und die Namensnennung der Autoren gewährleistet sein muss. Diese Lizenzen erleichtern es zudem, einen gemeinsamen Diskursrahmen abzustecken, und obwohl die Reichweite der Lizenzen mitunter nicht im Detail verstanden wird, werden sie gerade wegen ihrer symbolischen Macht benutzt, die sie auf dem Verlagsmarkt inne haben.
Verleger und Autoren verstehen, dass diese Form der Lizenzierung ihnen einen kohärenten Handlungsrahmen für den Umgang mit kreativen Werken verschafft. Deswegen werden die Lizenzen zunehmend angewendet, sowohl bei Inhalten auf materiellen Trägern als auch für solche, die virtuell verbreitet werden. Sie erzeugen Empathie und ein Kohärenzgefühl bezüglich der verlegerischen Praxis.
Darüber hinaus gibt es Lizenzformen, die sich nicht im traditionellen Muster bewegen, die aber ebenfalls einen Diskurs anstoßen und selbstverwaltete Literatur hervorbringen. Das ist beim Milena-Caserola-Verlag der Fall, der in den Nutzungsbestimmungen für seine Publikationen ausdrücklich auf die 1970er Jahre Bezug nimmt: „Alle Linke vorbehalten, greifen Sie andernfalls bitte auf die in den diversen Diktaturen und Demokratien zensierten Bücher zurück. Denn jemanden daran zu hindern, ein Buch dem Lichte der Kopiermaschinen auszusetzen, fördert das Verschwinden der Leser.” Hier wird die Zensur zum Bezugspunkt genommen, nicht nur in Diktaturen, sondern auch in Demokratien, in denen der Markt zensiert, indem er all jene Werke zeitgenössischer Schriftsteller ignoriert, die nicht den Konsumanforderungen entsprechen.
El Cospel, ein Verlag in der Stadt Resistencia, und El Asunto, ein Kulturprojekt, das sich Produktion, Verbreitung und Vertrieb unabhängiger Bücher auf die Fahnen geschrieben hat, schlagen den Autoren vor, ihre Wünsche für die Verbreitung ihrer Werke klar zum Ausdruck zu bringen. Die Ergebnisse lesen sich zum Beispiel so:
„Dieses Buch geht keinen konventionellen Weg. Sie haben es auf einer Buchmesse oder in einem selbstverwalteten Projekt gekauft, es wurde ihnen geschenkt oder sie kennen den Autor, oder sie haben einfach eine gute Buchhandlung erwischt. Zitieren Sie den Autor, wenn Sie dieses Werk teilweise oder vollständig reproduzieren. Wenn Sie mit den hier enthaltenen Ausschweifungen Geld verdienen wollen, dann hüten Sie sich, der Autor liest eine ganze Menge, er könnte böse werden. Teile und es wird geteilt werden. 2009.”
„Wir ermutigen alle, die sich dieses Buch auf ihre Weise zu eigen machen möchten. Wir unterstützen die freie Verbreitung und Nutzung von Texten.” Nelson Perez, Afuera, El Cospel, 2008.
„Auf der ständigen Suche nach Sinn in der Begegnung mit dem Anderen, schätzen wir die Einzigartigkeit, die mit dem Begriff der Urheberschaft verbunden ist, so wie wir den freien Zugang zum Werk und zu seiner Vervielfältigung schätzen.” Warna Anggara, Acerca de la imposibilidad de viajar a la habana, El Asunto, 2008.
„Die Kultur ist frei, lass uns die Freiheit der Kultur – und damit unsere eigene – verteidigen und erweitern. Verwende dieses Büchlein wofür Du willst. Du darfst es verleihen, kopieren, teilen und daraus nach Belieben Neues schaffen. Besser ist, wenn dies nicht für kommerzielle Zwecke geschieht. Wenn Du die Inhalte verbreitest, nenne bitte die Quellen.” Veronica Gelman, en espiral, El Asunto, Milena Caserola, 2008.
„Jeder mag mit dem hier tun, was ihm beliebt. Verbreiten Sie mich, wenn Sie es interessant finden. Das Einzige, worum ich Sie bitte, ist, dass Sie nicht auf meine Kosten damit Geld verdienen. Sagen Sie mir einfach Bescheid, das geht mit der heutigen Technik ziemlich leicht. Wenn Sie das nicht tun, dann ist es besser, wenn ich nie davon erfahre, weil ich sonst Ihr Auto mit dem Lenkradschloss zu Kleinholz mache, und dann können Sie sich bei Ihren Anwälten beschweren.” Paul Strucchi, El Asunto: sello editorial, El Asunto, 2006.
Wie wir sehen, unterstützen die selbstverwalteten Verlage die freie Verbreitung der Bücher. Ihre Äußerungen zeigen auch, wie Creative-Commons-Lizenzen die unendlich vielfältigen Möglichkeiten standardisiert haben, den Wünschen der Autoren für den Umgang mit ihren Werken Ausdruck zu verleihen. Im Folgenden wird dokumentiert, wie Autoren, die im Selbstverlag erscheinen, sich zu Weiterverbreitung und Anerkennung der Autorenschaft äußern:
„Die Lieder und Gedanken dieses Buches sind zur Vervielfältigung freigegeben, sofern auf das Urvolk [den Urheber? -d.Red.], auf die mündliche Tradition oder den Erzähler und den Ursprungsort verwiesen wird. Das Buch ist frei, damit nach einer alten Weisheit `Alles für alle da sein möge`”. Xuan Pablo González: Antiguos cantos de la tierra, Selbstverlag, 2009.
„Die ,legalen` Aufzeichnungen, die wir während der Entstehung dieses Werks gemacht haben, sind nicht dazu da, die Reproduktion kultureller Werke zu verbieten oder gar zu verhindern, noch wollen sie der Verbreitung der Literatur im Wege stehen. Das überlassen wir jenen Verlegern, die aus Verfolgung und Zensur eine Strategie der Bereicherung machen.” Don Genaro, Amor Dev(b) orando, Selbstverlag, 2006.
„Es ist strikt erlaubt, dieses Werk teilweise oder vollständig zu kopieren, mit jedwedem Mittel und Verfahren und auf ausdrücklichen Wunsch des Autors.” Simon Cañas, Permiso, voy y vuelvo, Selbstverlag 2007.
Mit solchen persönlichen Anmerkungen ermutigen die Autoren zur Vervielfältigung ihrer Bücher. Sie unterstützen die geistige Aneignung der Werke sowie deren freie Verbreitung, sie begreifen sich als Kulturaktivisten.
Eloísa Cartonera ist ein gemeinschaftlich organisiertes Verlags-Projekt, das im Jahr 2003 entstand. Die hier hergestellten Bücher sind in bemalte Pappe gebunden. Die „cartoneros” [Müllsammler, d.Red.] verkaufen ihre Pappe dem Verlag etwas teurer als zu marktüblichen Preisen. Der Katalog, mit über 200 Titeln, besteht aus Geschichten, Erzählungen und Gedichten, an denen verschiedene renommierte argentinische Schriftsteller wie Fabian Casas, César Aira, Washington Cucurto und Alan Pauls, die Rechte abgetreten haben, um das Projekt der cartoneros zu unterstützen. Eloísa Cartonera war der erste einer ganzen Reihe solcher Karton-Verlage, die in Lateinamerika entstanden, um mit etwas anderen Mitteln sehr gute und günstige Literatur zu fördern. Im Hinweis zum Urheberrecht steht zu lesen: „Wir bedanken uns für die Zusammenarbeit mit dem Autor, der die Veröffentlichung dieses Textes genehmigt hat.”
Die gegenwärtige Buchproduktion und das Verlagswesen sind eng mit dem soziotechnologischen und politischen Kontext verknüpft. Durch das Copyleft, welches von Projekten und Autoren zur Lizenzierung ihrer Werke genutzt wird, fließen verschiedene authentische literarische Praktiken zusammen, den etablierten Formen wird eine neue Bedeutung gegeben, andere werden neu erfunden, es wird politisch experimentiert. Viele Debatten ergeben sich aus diesem neuen Szenario, vom Nachdenken über die Möglichkeiten des öffentlichen Umgangs mit geistigen Werken (etwa die Erstellung einer Web-Seite für Autoren, so dass diese ihre Werke einstellen können, um sie später zu befreien, bis zur Erweiterung, Vertiefung und Diskussion der Anwendung des Copyleft-Prinzips und dessen Ausweitung auf andere Bereiche der Kulturproduktion.
Einige sagen, dass Bücher verschwinden werden, wegen der neuen elektronischen Geräte, die in der Lage sind, unzählige Inhalte zu speichern. Wir indes denken, dass Bücher stärker präsent sein werden als je zuvor und dass Geschichte sich in materielle Träger einschreibt.
Literatur
- Mónica Bueno und Miguel Ángel Taroncher (Hrsg.): Centro Editor de América Latina. Capítulos para una historia Siglo XXI Editores, Buenos Aires 2006.
- José Luis de Diego: Editores y políticas editoriales en Argentina 1880-2000. Fondo de Cultura Económica, Buenos Aires, 2006.
- Gilles Colleu: La edición Independiente como herramienta protagónica de la bibliodiversidad. La marca editora, Buenos Aires, 2008.
- AAVV: Copyleft Manual de uso, Traficantes de sueños, Madrid, 2006.
- Lawrence Lessig: Cultura Libre. Lom, Santiago de Chile 2005.
* Im Jahr 2006 wurde die Unabhängige Buchmesse FLI gegründet (später wurde beschlossen, das A hinzuzufügen, welches ganz unterschiedliche symbolträchtige Übersetzungen haben kann: autonom, selbstverwaltet, anarchistisch, emotional, liebevoll, authentisch, alternativ [Im Spanischen beginnen all diese Begriffe mit „A”, Anm. d. Red.]. Die FLIA entstand als Alternativprojekt zur Internationalen Buchmesse von Buenos Aires, wo für den Eintritt und die Stände gezahlt werden muss. Sie hat zwei verbindliche Grundsätze: kostenloser Eintritt und frei verfügbare Stände. Im vergangenen Mai fand bereits die 13. Unabhängige Buchmesse statt und mittlerweile gibt es FLIAs im ganzen Land (La Plata, Resistencia, Cordoba, Misiones, Rosario, Neuquén).
Marilina Winik ist Soziologin (Universidad de Buenos Aires), Lehrbeauftragte für Kommunikation und Kultur und seit 2001 in unterschiedlichen kulturellen und akademischen Projekten aktiv, insbesondere in einer Initiative, die die Produktion, Verbreitung und Ausgabe von Büchern aus selbstverwalteter Herstellung zum Ziel hat. Sie arbeitet seit 2006 in der Forschungsgruppe über „Internet, digitale Kultur und Gegenhegemonie: neue Formen der militanten Einmischung” des Instituts Gino Germani der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Buenos Aires. Dieser Beitrag erschien im ReaderArgentina Copyleft! Neue Spielregeln für das digitale Zeitalter? Ein Blick nach Argentinien, herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung. Er steht unter der Creative-Commons-Lizenz BY-NC-SA. Aus dem Spanischen von Silke Helfrich.
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