Warum ich meine Musik nicht mehr verschenke
2006 habe ich angefangen, meine Musik zu verschenken. Ich hatte bereits zu Zeiten von Vinyl und Kassette mit dem Musik machen begonnen; auf CD und LP gab es sie bereits. Ich habe meine Musik dann komplett ins Netz gestellt und als kostenlosen Download angeboten. Heute – sieben Jahre später – weiß ich, dass es weit schwieriger ist, Musik zu verschenken, als ich dachte. Teilweise stellt es sich sogar als unmöglich heraus.
Die Gründe dafür sagen eine Menge aus: Über Kreativität, Eigentum und Macht in einer vernetzten Welt, in der digitale Gemeingüter Konzernen gehören und von Netbots und stochastischen Algorithmen kontrolliert werden.
Meine Musik ist unter einer nicht-kommerziellen Creative-Commons-Lizenz verfügbar, die es jedem erlaubt, sie herunterzuladen, zu kopieren, zu remixen, zu kürzen oder zu zerstückeln. Sie darf nicht verkauft und mit ihr Gewinn gemacht werden. Wenn jemand meine Musik in eigene Stücke einbaut, sollte dies vermerkt werden; da es meine Musik als Quellmaterial kostenlos gibt, sollte auch später kein Geld dafür verlangt werden.
Die Musikindustrie hat für die Meisten noch nie funktioniert
Aber eigentlich sind das leere Worte, denn tatsächlich habe ich keine Ressourcen, um diese Bedingungen auch durchzusetzen. Die Probleme, denen ich in diesem Zusammenhang begegnet bin, waren ganz andere: Die Entscheidung, meine Musik kostenlos weiterzugeben, war der einfache Teil, weil die Musikindustrie für mich nie funktioniert hat. Das ist soweit keine große Überraschung. Für die meisten Musiker hat die Musikindustrie noch nie funktioniert.
Überraschend ist eher, wie viele Musiker das anscheinend nicht wissen oder es vergessen haben. Die gesamte Struktur der Musikindustrie stellt Unternehmensinteressen an erste Stelle, die Interessen der Musiker waren stets zweitrangig. Nur die größten Stars werden gut umsorgt; Lady Gaga sollte keinen Grund zur Beschwerde haben. Viele Leute wären schockiert, wenn sie erfahren, wie viele Bands, deren Namen sie kennen und deren CDs sie kaufen, nie einen Cent von den Verkäufen sehen.
Für Musiker wie mich, die „nicht-kommerzielle“ Musik machen, welche sich schwer einem Genre oder einer Marketingkategorie zuordnen lässt, war die Situation von Anfang an hoffnungslos. Mein Einkommen kommt aus Konzerten, nicht aus Aufnahmen. Ich trete seit 1978 weltweit auf. Für den größten Teil meines Publikums war es vor dem Internet schwierig, meine Musik zu bekommen. Meine Konzerte wurden oft von Leuten besucht, die weite Strecken gereist waren, um die Show zu sehen – und die hofften, jene Alben kaufen zu können, von denen sie gehört hatten, die sie aber nie irgendwo finden konnten.
Ein großer Schritt für Radiohead, für mich nur ein kleiner
Auftritt Internet. Plötzlich wurde es für jedermann möglich, Audioaufnahmen zu vertreiben und dabei nur ein paar Buttons zu klicken, wo vorher noch eine Infrastruktur aus Presswerken, LKWs, Schiffen, Flugzeugen, Warenhäusern, Geschäften, Buchhaltern, Anwälten etc. pp. nötig war. Wer braucht da schon die Plattenindustrie? Was für große Namen wie Radiohead eine schwierige, zögerliche und letztendlich unmögliche Entscheidung gewesen sein mag, fiel mir einfach.
Ich schrieb einen Essay „Über den beruflichen Selbstmord eines Studiomusikers”, der viel gelesen und kommentiert wurde. Auch wurde ich eingeladen, dem Vorstand von Question Copyright anzugehören, einer NGO, die sich für ein echtes digitales Gemeingut einsetzt. Nachdem ich meine Musik also befreit hatte, haben tatsächlich viel mehr Menschen auf sie zugegriffen. „w00t” – meine erste Veröffentlichung, mit der ich um die CD-Produktion einen Bogen machte und die als freier und kostenloser Download bereitsteht, wurde etwa 40.000 Mal heruntergeladen. In der Summe sind die Downloadzahlen aller meiner Aufnahmen auf weit über 100.000 angestiegen. (Da inzwischen verschiedene Seiten meine Titel zum Download anbieten, habe ich keine genaue Statistik.)
Wenn ein virtueller Baum umfällt
Dennoch habe ich gelernt, dass Zugang haben und Musik hören zwei verschiedene Dinge sind. Kostenlose Downloads haben einen Typus des hortenden Sammlers hervorgerufen, den es nur im digitalen Zeitalter gibt. In meinen Universitätskursen frage ich Studenten nach ihren Download-Gewohnheiten. Jeder, der Musik liebt, hat herausgefunden, wie man sie kostenlos herunterladen kann; allen Anstrengungen der Musikindustrie zum Trotz. Alle haben viel mehr Musik auf ihren Laptops und iPods, als sie in ihrem gesamten Leben jemals werden hören können. Gigabyte über Gigabyte an bedeutungslosen Daten. Eben diese Studenten sagen aber, dass sie alles, was sie sich an Musik gekauft haben, gehört haben.
Wenn ein virtueller Baum in einem virtuellen Wald fällt und keiner öffnet die Datei, gibt es ein Geräusch? Schwierige Frage. Wenn wir von Gemeingütern oder Commons reden – zum Beispiel über gemeinschaftliches Eigentum an Viehweiden in England – dann reden wir über begrenzte Ressourcen, die als solche geschätzt und von der Gemeinschaft, die sie umgibt, gepflegt werden. Doch wenn wir unter Gemeingut die Serverfarmen verstehen, die ohne Grenzen skalieren, dann sprechen wir von etwas anderem. Habe ich meine Musik unter Wert verkauft, weil ich ihr aufgenommenes Artefakt nicht monetarisiere?
Für die meisten Menschen, die sich für Musik interessieren, sind iTunes, Spotify, Pandora und so weiter zu solchen Gemeingütern geworden; Webseiten, bei denen die Nutzer mit ihrer Lieblingsmusik beginnen und diese dann weiter mit als ähnlich klassifizierter Musik verknüpfen. Studenten und fanatische Sammler sitzen vielleicht bis spät in die Nacht, um herauszufinden, wie sie die Dateien kostenlos bekommen, aber für die meisten Menschen sind die oben erwähnten Dienste der Standardweg, um neue Musik zu entdecken. Und diese Seiten nehmen keine Musik an, die kostenlos ist; sie wollen Geld verdienen. Weil ich meine Musik kostenlos zur Verfügung stelle, habe ich mich offenbar selbst aus diesem „Gemeingut” ausgeschlossen.
Falscher Alarm auf Youtube
Jacques Sirot ist ein unabhängiger französischer Künstler und Filmemacher. Er hat meine Musik als Soundtrack für einen seiner letzten Filme genutzt, weil ich deutlich gesagt habe, dass er (und jeder andere auch) das darf. Um auf Nummer sicher zu gehen, vermerkte er auf Youtube, wo er den Film veröffentlicht hat: „Dieser Creative-Commons-Film nutzt das Lied „Say No More“ von Bob Ostertag, das unter CC-Lizenz steht; die Nutzung wurde zudem vom Künstler persönlich genehmigt.“
Doch kurz nach Veröffentlichung wurde der Film wegen Urheberrechtsverletzungen gesperrt, mit dem Vermerk, „dass er möglicherweise Inhalte enthält, die IODA [Independent Online Distribution Alliance, B.O.] gehören oder von ihr lizenziert wurden”. Jacques widersprach so:
Dieses Video enthält Elemente, die urheberrechtlich geschützt sind, aber mit gültiger Lizenz oder schriftlicher Genehmigung durch den Rechteinhaber verwendet wurden. Bob Ostertag wurde über die Nutzung seiner Musik informiert, die er unter Creative-Commons-Lizenz vertreibt, und hat die Verwendung erlaubt.
Im besten Gewissen glaube ich, dass die Anschuldigungen nicht berechtigt sind, und dass ich aus obenstehenden Gründen die nötigen Rechte an allen Inhalten meines Videos besitze. Ich habe keine vorsätzlich falsche Erklärung abgegeben und nutze dieses Einspruchsprozedere nicht auf missbräuchliche Weise, um Rechte dritter Parteien zu unterlaufen.
Mir ist bewusst, dass das Verbreiten von betrügerischen Anfechtungen zur Sperrung meines Youtube-Accounts führen kann.“
Er erhielt folgende Antwort:
Lieber Jacques Sirot,
IODA hat Ihren Streitfall untersucht und ihre Copyright-Ansprüche zu Ihrem Video „TSUNAMI“ bestätigt. Für mehr Informationen besuchen Sie bitte Ihre Copyright Notice Seite.
Mit freundlichen Grüßen,
das YouTube Team
Tantiemen-Labyrinth
Jacques hat zusammen mit der Wissenschaftlerin Sally-Jane Norman eine beträchtliche Zeit damit verbracht, die Thematik zu untersuchen und mich dann letztendlich kontaktiert. Nachdem auch ich mich weitere Stunden damit beschäftigte, wurde mir klar, was passiert war: Jahre zuvor hatte ich einige CDs bei Seeland veröffentlicht, einem Label, das von der berühmt-berüchtigten Medienguerilla-Gruppe Negativland betrieben wurde. Negativland wurde für die Parodie eines U2-Songs verklagt, was sie zum Sinnbild der Kunstfreiheit und des Widerstands gegen absurd weitreichende Urheberrechtsansprüche machte.
Ich hatte das Label vor einigen Jahren verlassen, als ich meine Musik unter Creative-Commons-Lizenz zur Verfügung gestellt habe. Wie so oft bei kleinen, unterfinanzierten Labels gab es Auseinandersetzungen über die Abrechnung. Negativland behauptete, ich schuldete ihnen Geld für unverkaufte CDs, die von den Geschäften zurückgeschickt wurden. Das war genau der Grund, warum ich nicht mehr mit kleinen Labels arbeiten und meine Musik lieber verschenken wollte. Es stellte sich dann heraus, dass Seeland zudem noch – ohne mich zu informieren – Tantiemen auf diese Musik einbehielt, um die angeblichen Verluste wieder auszugleichen.
Durch einen labyrinthartigen Weg an Verträgen und Rechtevergaben war die Sperrung von Jacques Sirots Video auf Youtube also das Ergebnis einer Buchhaltung, die heimlich Tantiemen aus meiner Musik für ein Label sammelte, das seinen Ruf auf den Widerstand gegen überzogene Urheberrechtsansprüche gründete. Negativland war darüber genauso entsetzt wie ich und hat die Sache nach Bekanntwerden sofort geklärt.
Der Fall Kanye West vs. Etienne Noreau-Hebert
Webseiten wie Youtube, Soundcloud oder Bandcamp erlauben es, freie Musik und Videos zu teilen. Aber selbst diese sind problematisch: Sie werden durch sogenannte Netbots kontrolliert, durch Softwarealgorithmen, die das Internet permanent nach Tönen absuchen, die vermeintlich das Eigentum von jemand anderem sind. Mein Freund Etienne Noreau-Hebert hat kürzliche neue Musik auf Soundcloud hochgeladen, um sie kostenlos mit anderen zu teilen. Er hat diese Antwort erhalten:
Unser automatisches Content Schutzsystem hat festgestellt, dass dein Sound „121223-Muhamarra-v0.3” möglicherweise den folgenden urheberrechtlich geschützten Inhalt enthält: „Love Lockdown (as made famous by Kanye West)” von Future Hit Makers Of America, Eigentum von Big Eye Music. Daher wurde die Veröffentlichung auf deinem Profil gesperrt.
Kanye West ist mit extrem erfolgreichen Platten, Filmen, einer Modelinie und mehr als 30 Millionen bezahlten Downloads natürlich eine Größe im kommerziellen Hip-Hop. Etienne ist ein unbekannter Musiker, der abstrakte elektronische Musik macht, die er kostenlos mit anderen teilen möchte. Nichts an Etiennes Musik erinnert auch nur annähernd an Kanye West.
Aber ein Netbot kam zu dem Schluss, dass Etienne Kanyes Rechte verletzte, und damit wurde seine Komposition von Soundcloud verbannt. Vielleicht gibt es jemanden auf Soundcloud, mit dem Etienne die Sache klären könnte, wenn er sich tief genug durch die Website graben, Mails versenden und durch die Telefonsysteme kommen würde. Vielleicht auch nicht. Aber Etienne vertreibt seine Musik kostenlos – oder vielmehr versucht er erfolglos, seine Musik kostenlos zu vertreiben. Woher soll er die Zeit dafür nehmen?
Wem dienen Netbots?
Die Software, die Soundcloud, Youtube und andere Anbieter im Netz nutzen, begann als Dienstleistung für große Labels, mit deren Hilfe sie Musikinhalte direkt beim Presswerk analysieren konnten, um unerlaubte Vervielfältigungen zu verhindern. Dieses System wird jetzt von allen genutzt. Die großen Labels wollen lieber zu viele Urheberrechtsverletzungen aufspüren als zu wenige. Das Ergebnis ist ein System, in dem die Interessen einer Handvoll Superstars, die keinen Cent ihrer Tantiemenmillionen verlieren wollen, mehr wiegen als die Interessen einer großen Mehrheit von Musikern, die einfach nur wollen, dass ihre Musik gehört wird.
Es geht dabei weniger um „gute” und „schlechte” Musik- oder Videoplattformen; der Punkt ist vielmehr, dass es im Sperr-System der Netbots starke Anreize für falschen Alarm gibt. Bei Youtube gibt es für mutmaßliche Rechteinhaber die Wahlmöglichkeit, urheberrechtsverletzende Videos herunterzunehmen oder Werbung zu schalten. Der Anreiz für falschen Alarm ist hier noch höher. Je mehr falsch-positive Sperrbenachrichtigungen verschickt werden, desto mehr kostenloser Werbeplatz wird generiert, auch wenn ansonsten gar keine rechtliche, künstlerische oder sonstige Verbindung besteht.
Doch kleine Leute wie Etienne sind nicht die einzigen Opfer der Kontrolle durch Netbots. Der Livestream von Michelle Obamas Rede während des letzten Demokraten-Parteitags wurden mitten im Satz durch Youtubes „präventive Inhaltsfilter“ unterbrochen. Zurück blieb nur ein schwarzer Bildschirm mit der Information, dass dieses Video Inhalte von WMG, SME, Associated Press (AP), UMG, Dow Jones, New York Times Digital, The Harry Fox Agency, Inc. (HFA), Warner Chappel, UMPG Publishing und EMI Music Publishing enthalte, von denen einer oder mehrere die Inhalte aufgrund von Urheberrechtsgesetzen für bestimmte Länder gesperrt habe. Wenn man wissen will, wer im Internet das Sagen hat, sind diese Namen ein guter Ausgangspunkt.
Ein Livestream der Hugo-Awards für Science-Fiction-Schriftsteller wurde geblockt, als ein Netbot feststellte, dass der Stream urheberrechtlich geschützte Filmclips enthalte. Das stimmte zwar, aber die Hugo-Awards hatten die Erlaubnis eingeholt, sie zu nutzen. Nur wussten die Netbots davon nichts. Youtubes präventive Filter blockierten auch wiederholt Aufnahmen von der Landung des NASA-Forschungsroboters auf dem Mars, obwohl sie als amtliche Werke gemeinfrei sind.
Fast kostenlos
Mein neuestes Werk heißt „A Book of Hours“ und enthält Aufnahmen der außergewöhnlich talentierten Sänger Shelly Hirsch, Phil Minton, Theo Bleckman und der Saxofon-Legende Roscoe Mitchell. Ich habe mich entschieden, das Album nicht zu verschenken, sondern einen relativ neuen Dienst mit dem merkwürdigen Namen CD Baby zu nutzen. CD Baby wird die Dateien zum Download anbieten, man kann sie wie üblich teilen, kommentieren und so weiter. Wichtiger ist aber, dass sie die Musik auf iTunes, Pandora, Spotify & Co. platzieren. Ich muss für diesen Service bezahlen. Sie akzeptieren meine Musik nicht, wenn ich dafür kein Geld verlange. Ich habe mich für den sehr geringen Betrag von knapp zwei Dollar für fast 60 Minuten Musik entschieden. Meine bisherigen Werke werden weiter kostenlos auf meiner Website stehen.
In gewisser Weise fühlt sich das an wie ein Rückzug von meinem Standpunkt der letzten sieben Jahre, dass Musik flächendeckend frei und kostenlos sein soll. Aber ich versuche in der digitalen Sintflut nur, meinen Kopf über Wasser zu halten.
Dieser Artikel erschien im englischen Original bei On the Commons (Lizenz: CC BY-SA). Übersetzung: Anne-Christin Mook.
1 Kommentar
1 Uli.S am 25. September, 2014 um 21:15
Meine Erfahrung ist, dass es ohne Label und ohne vernünftige Promo unmöglich ist, einen Bekanntheitsgrad von mehr als 5 Menschen zu erreichen.
Was sagen Sie dazu?