„Pirate Essays“: Medientheoretiker untersuchen Piraterie
Piracy Studies haben gerade Konjunktur: Neben „The Pirate Book“ von Nicolas Maigret und Maria Roszkowska ist bereits ein weiterer Reader zum Thema erschienen. Tilman Baumgärtel, Professor für Medientheorie an der Hochschule Mainz, hat eine Sammlung von Aufsätzen unter dem Titel „A Reader on International Media Piracy – Pirate Essays“ veröffentlicht.
Darin versammelt er Fallbeispiele aus Vietnam, Brasilien, Rumänien und Nigeria neben medientheoretischen und kulturwissenschaftlichen Betrachtungen. Jonathan Paul Marshall und Francesca da Rimini etwa theoretisieren über das „dialektische Verhältnis von Eigentum und Piraterie im Kapitalismus“. Jonas Andersson Schwarz wirft mit dem Instrumentarium des Dekonstruktivismus einen Blick auf illegale Archive und entdeckt eine eigene Ethik im Teilen und Kopieren.
Globale Konversation
Was viele Kritiker der „Umsonstkultur“ aus den westlichen Industrieländern vergessen: Für viele Nutzer weltweit sind Raubkopien die einzige Möglichkeit, Zugang zu kulturellen Produkten zu bekommen. Legale DVDs oder Streamingdienste wie Netflix sind zu teuer oder gar nicht vorhanden. Auch für Filmwissenschaftler oder Studierende sind Raubkopien oft die einzige Möglichkeit, an einem globalen kulturellen Diskurs teilzunehmen. Das ist auch das Interesse des Herausgebers, wie er im Schlusskapitel schreibt: „Bei Medienpiraterie geht es um Autorschaft und Zugänglichkeit. Sie ist oft die einzige Möglichkeit an der globalen Konversation teilzunehmen und gehört zu werden.“
Ein wenig irritiert, dass es im Beschreibungstext heißt, „von MP3-Dateien über Rezepte französischer Starköche bis zu den Witzen amerikanischer Stand-up-Comedians“ seien alle von Piraterie betroffen. Weder Rezepte noch Witze sind üblicherweise urheberrechtlich geschützt und können daher auch nicht raubkopiert werden. Es kann wohl nicht den Autoren und dem Herausgeber angelastet werden, verweist aber auf einen Mangel der Debatte über Medienpiraterie, wenn selbst ein kulturwissenschaftliches Buch insoweit die Perspektive der Medienindustrie übernimmt, welche überall „Raubkopien“ sieht.
Solange das so ist, bleiben Bücher wie die „Pirate Essays“ und das „Pirate Book“ notwendige Ergänzungen und Aufklärungskompendien.
A Reader on International Media Piracy – Pirate Essays, herausgegeben von Tilman Baumgärtel, Amsterdam University Press, 2015, EUR 39,95 (Print/PDF).
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