Kathrin Passig: „Wichtige Gründe für den Besitz sind weggefallen“
Zur Person
Kathrin Passig ist Journalistin und Schriftstellerin in Berlin. Zuletzt erschien ihr Buch „Internet – Segen oder Fluch“, das sie gemeinsam mit dem Publizisten Sascha Lobbo verfasste. Fragen und Antworten des folgenden Interviews wurden über ein geteiltes Text-Dokument in der Cloud ausgetauscht. Foto: Susanne Schleyer.
_________
iRights.info: Cloud-Dienste können den Besitz von Werkträgern überflüssig machen. Statt noch eine CD- und DVD-Sammlung im Regal oder Downloads einzelner Werke auf der Festplatte zu haben, könnten Verbraucher künftig einfach nur noch für den Online-Zugang zu Werken bezahlen – etwa einen Musik- und einen Filmstreaming-Dienst abonnieren, den sie dann mit all ihren Endgeräten von überall online nutzen. Wird das Konzept „Zugang statt Besitz“ die Zukunft prägen?
Kathrin Passig: Zumindest sind einige Gründe für den Besitz weggefallen, die noch wenigen Jahren sehr wichtig waren. An viele Filme oder an Musik kam man ja einfach überhaupt nicht ran, wenn man sie nicht selbst besaß oder jemanden kannte, der sie besaß. Bei Büchern war es etwas einfacher, es gab zumindest theoretisch die Möglichkeit, sich alles über die Bibliotheken und deren Fernleihe zu beschaffen. Aber es war oft kompliziert und langwierig, die Bücher in klebrige Plastikfolie eingebunden.
Wenn ich mich so im Freundeskreis umsehe, habe ich den Eindruck, die erste Welle des Hortens und Raffens, die das Internet für uns Kinder des kulturellen Mangels mit sich gebracht hat, ist abgeebbt. Aber vielleicht sind wir auch einfach nur zehn Jahre älter geworden.
Das Pro-Besitz-Argument ist verdächtig
iRights.info: Erübrigt sich die Debatte um den Sinn und Unsinn des Kopierschutzes (DRM), wenn Musik, Bücher, Filme und Serien künftig webbasiert auf Abruf genutzt werden?
Kathrin Passig: Hoffentlich. Aber natürlich wird sie gleich wieder ersetzt durch diverse andere Debatten, zum Beispiel die, was es für die Privatsphäre bedeutet, wenn die Anbieter genau wissen, was man liest, hört, ansieht. Und ob man sich ihnen nicht zu sehr ausliefert. Das Argument, dass man ein einmal gekauftes Buch ganz konkret besitzt und der Rechteinhaber es einem nicht einfach wieder wegnehmen kann, ähnelt allerdings stark den Argumenten pro Sparstrumpf unter der Matratze.
Wer konsequent wäre, müsste dann auch in anderen Lebensbereichen auf Autarkie setzen und sich von Banken, Energieversorgungsunternehmen und Supermärkten unabhängig machen. Tut man das nicht, riecht das Pro-Besitz-Argument verdächtig nach reflexartiger Ablehnung des Neuen, während man sich an dasselbe Konzept in anderen Bereichen längst gewöhnt hat.
Trotzdem florieren Blumenläden
iRights.info: Experten, die den Kampf gegen die Kopie technisch wie rechtlich für aussichtslos halten, empfehlen der Content-Industrie einen Zusatznutzen zu bieten, anstatt Copyright-Wars zu führen. Demnach könnten verbraucherfreundliche, bequem zu bedienende Portale und Kanäle mit großem Repertoire dazu beitragen, dass Verbraucher für die Nutzung von Inhalten zahlen. Die Logik: Ein attraktives legales Angebot gräbt illegalen Angeboten wie kino.to und Co. das Wasser ab. Ist der Gedanke naiv?
Kathrin Passig: Vermutlich hängt es davon ab, ob man davon ausgeht, dass die Menschen grundsätzlich ganz nett sind und das Richtige tun wollen, wenn man ihnen dieses Richtige nicht allzu schwer macht. Darüber gehen die Ansichten ja auseinander. Ein Großteil der Regelungen in unserem Alltag scheinen mir aber auf diesem Konzept zu beruhen. Es wäre technisch kein Problem, Blumen nachts aus dem Garten der Nachbarn oder aus den öffentlichen Parks zu stehlen. Man kann sie sogar selbst anbauen. Trotzdem florieren Blumenläden.
Auch bei Netflix gibt es erstaunlich vieles nicht
iRights.info: Großangelegte Überwachungs- und Sperrmaßnahmen erscheinen überzogen, wenn es einfach nur darum geht, dass Menschen ohne Gewinnabsichten Werke im Netz tauschen. Muss sich die Content-Industrie letztendlich mit der „Lust am Teilen“ abfinden?
Kathrin Passig: Im Moment ist noch schwer zu sagen, ob die wesentliche Motivation wirklich eine Lust am Teilen ist und nicht eher ein Wunsch nach einfachen, komfortablen, oder überhaupt vorhandenen Angeboten. Ich habe vor ein paar Jahren beschlossen, ab jetzt für Musik und Filme zu bezahlen – in beiden Fällen für Zugang und nicht Besitz, nämlich für Musik bei last.fm und für Filme bei iTunes USA, aber ach, es ist schwer.
Mein Freund lebt in Irland, wo es Netflix (US-Streamingportal für Filme und Serien, Anm. d. Redaktion) gibt, und ist daher für weniger Geld besser mit Filmen versorgt als ich, aber auch bei Netflix gibt es erstaunlich vieles nicht. Wenn ich nicht mit moralisch ungefestigten Menschen befreundet wäre, wäre ich abgeschnitten von weiten Teilen des Geschehens, gerade, wenn es um Fernsehserien geht.
Es ist wie Pfandflaschensammeln
iRights.info: Schon heute ist der Unmut groß, wenn für die Nutzung von E-Books andere Regeln gelten als für den Kauf eines physischen Werkexemplars. Ein Buch darf weiterverkauft werden, den Weiterkauf von E-Books beschränken die Anbieter. Ist auch diese Debatte hinfällig, wenn der Zugang den Besitz als Nutzungskonzept ablöst?
Kathrin Passig: Das Argument lautet häufig: „Ich bezahle für ein E-Book praktisch dasselbe wie für ein Papierbuch, bekomme aber weniger dafür“. In mancher Hinsicht können E-Books – aus technischen wie aus rechtlichen Gründen – weniger als Papierbücher, in anderer Hinsicht aber wiederum mehr. Man hat sie immer dabei, sie wiegen nichts, sie sind leicht durchsuchbar, und so weiter. Genausogut könnte man also argumentieren, dass E-Books mehr kosten dürften als Papierbücher.
Letztlich ist beides egal, der Preis ist Ergebnis eines Aushandlungsprozesses und hat bei vielen Produkten nur sehr bedingt mit Herstellungs- und Materialkosten zu tun. Wenn die E-Book-Preise in Deutschland nicht so eng an die Papierbuchpreise gekoppelt wären, gäbe es die Diskussion wahrscheinlich gar nicht.
Im Übrigen weiß ich aus langer und leidvoller Erfahrung, dass der Weiterverkauf von Büchern a) den meisten viel zu mühsam ist und b) sehr überschaubare Beträge einbringt. Das gilt auch in den Zeiten von Amazon Marketplace und Momox. Es ist wie Pfandflaschensammeln in Parks – kann man machen, die meisten tun es aber trotzdem nicht.
Das digitale Produkt analog „verkrüppeln“?
iRights.info: In den USA streitet ein Online-Shop mit der Musikindustrie darum, „gebrauchte“ Musik-Dateien zu verkaufen zu dürfen. In Deutschland fordert die Linke ein Wiederverkaufsrecht für E-Books. Der CDU-Politiker Peter Tauber hält die Legalisierung zumindest für möglich, wenn der Weiterverkauf über ein digitales Wasserzeichen auf eine bestimmte Zahl von Verkaufsvorgängen begrenzt wird. Sollte der Handel mit Second-Hand-Dateien erlaubt sein?
Kathrin Passig: Ein Weiterverkauf setzt ja die Löschung des Werkes beim Verkäufer voraus. Will man die technisch sicherstellen, ist man zurück in der DRM-Hölle. Wie der Weiterverkauf nur mit einem Wasserzeichen in der Datei – wie im irights-Artikel vorgeschlagen – funktionieren soll, ist mir nicht klar. Und der dort zitierte CDU-Netzpolitiker Peter Tauber scheint sich eine Lösung vorzustellen, die das digitale Produkt ähnlich analog verkrüppeln will wie die „Onleihe“ der Bibliotheken, bei der jedes E-Book immer nur von einer Person gleichzeitig ausgeliehen werden kann.
iRights.info: Bei Cloud-basierten Nutzungen könnte es ein anderes Problem geben. Eine Person könnte den Zugang zu ihrem Musik- oder Film-Archiv an jemand anderes verkaufen wollen. Sollte das erlaubt sein?
Kathrin Passig: Man käme dann immerhin ohne das Löschproblem aus. Je länger ich der Frage nachgoogle, desto weniger weiß ich. Das Weiterverkaufsverbot hat immerhin den klaren Vorteil, dass es ohne Jurastudium verständlich ist und keine analogen Klötze am digitalen Bein erfordert.
Sind digitale Güter ein „Gegenleistungsdienststand“?
iRights.info: Auch Juristen scheinen mit Fragen wie „Darf man eine Datei ausleihen?“ ziemlich überfordert. Bringt die Digitalisierung unser Denken über geistige Werke völlig durcheinander?
Kathrin Passig: Vieles rund um das Internet sind alte Fragen, aber digitale Güter, die sich nicht abnutzen oder verbrauchen, sind tatsächlich neu und erfordern neue Antworten. Ist ein digitales Buch oder Musikstück ein Gegenstand oder eine Dienstleistung? Oder ein Zwischending, ein Gegenleistungsdienststand? Das passiert den Juristen aber nicht zum ersten Mal. Irgendwann ist alles wieder geregelt, und wer dann sagt, das Konzept des Gegenleistungsdienststands und die rechtlichen Bestimmungen drumherum seien eventuell gar keine Naturgesetze, der ist ein Kommunist.
Die Krise ist da, wenn das leihweise Nutzen gefühlt-kostenlos wird
iRights.info: Das Modell „Zugang statt Besitz“ scheint auch in analogen Bereichen auf dem Vormarsch. So wird das Carsharing beliebter. Auch das Modell „Mode leihen statt kaufen“ scheint im Trend zu liegen. Kann von einer Krise des Besitzens gesprochen werden oder wäre das übertrieben?
Kathrin Passig: Wer ein Auto besitzt, der muss nicht vor jeder Benutzung darüber nachdenken, was die ihn jetzt wieder kostet. Das ist bei den derzeitigen Carsharingsystemen anders. Ich bin seit einigen Jahren Kunde beim Carsharing der Deutschen Bahn, und da überlegt man sich sehr genau, ob es nicht doch billiger und einfacher ist, die Möbel vom IKEA-Lieferdienst nach Hause bringen zu lassen oder mit Bahn und Fahrrad zum Badesee zu fahren.
Ich glaube, die Krise ist erst da, wenn das leihweise Nutzen ähnlich bequem und gefühlt-kostenlos wird wie das Nutzen von Besitz. Und den Problemen, die es bei „Call a bike“ der Deutschen Bahn gibt, kann man vermutlich entnehmen, dass so ein Verleih gar nicht so trivial rentabel zu betreiben ist, wie man sich das als anständiger Postmaterialist wünscht.
Eventuell gibt es – vereinfachter Verleih dank Internet hin oder her – bei vielen physischen Produkten nicht diesen sweet spot, an dem der Nutzer über den Preis des Ausleihens nicht weiter nachdenken muss, und der Betreiber trotzdem schwarze Zahlen schreibt. Aber dazu müsste man mal jemanden befragen, der tatsächlich was von Wirtschaft versteht, Marcel Weiß zum Beispiel.
1 Kommentar
1 Juergen Lange am 13. April, 2013 um 11:26
Jeremy Rifkin hat schon 2000 oder 2001 das Buch Access geschrieben und darüber philosophiert, wie die Frage Besitz vs. Zugriff zukünftig (in 20/30 Jahren) geregelt sein könnte. Er hatte Recht mit seinen Vermutungen, komplett. Was ich beim lesen damals noch nicht wirklich glauben konnte, passiert heute. Die Berechtigung zum Zugriff ersetzt zunehmend den Besitz und die Grenzen dessen sind noch nicht abzusehen. Für mich eine Frage der Viskosität. Alles was besser fließen soll (hier der Verkauf von Dingen), braucht eine höhere Viskosität oder Fließfähigkeit. Zugriff ist nur etwas virtuelles und damit deutlich fluffiger als ein Stück Buch, CD oder Auto.
Was sagen Sie dazu?