Am Anfang war Ada
Wie die Mutter so die Tochter – ein Satz, den pubertierende Töchter höchst ungern hören. Und in der Tat sollten sie Reißaus nehmen, denn ausgerechnet Mütter verhageln ihnen die Mathe-Note. Warum? Weil sie den Töchtern die eigene Abneigung gegen Algebra und Geometrie vom ersten Schultag an aufdrängen. Mütter vermitteln subtile Botschaften mit gravierenden Folgen, hat Sian L. Beilock, Psychologin an der Universtiät Chicago herausgefunden. Ausgerechnet beim Helfen mit den Hausaufgaben kommt das Einflüstern: „Mathe brauchst Du nicht.“
Wie gut, dass Ada Gräfin Lovelace eine Mutter hatte, auf die die Welt der Zahlen eine ungeheure Faszination ausgeübt hat und die ihre Tochter ebenfalls dafür begeistern konnte. Denn Ada Byron Countess of Lovelace (1815–1852) gilt als die Erfinderin des Programmierens. 1843 schrieb sie das weltweit erste Programm für eine informationsverarbeitende Maschine. Anfangs marginalisiert, nach weit mehr als hundert Jahren wiederentdeckt und heute gefeiert als Pionierin der Computertechnik.
Anlässlich ihres 200. Geburtstags wird die Ikone der computerisierten Rechentechnik mit einer Sonderausstellung im Heinz-Nixdorf-MuseumsForum in Paderborn gewürdigt. „Am Anfang war Ada“ lenkt zugleich den Blick auf die überschaubare Zahl ihrer Nachfolgerinnen, denn auch sie führen viel zu oft ein Schattendasein.
Ada Lovelace – Pionierin der Software
Wir schreiben die frühe viktorianische Zeit, als Frauen an keiner Universität zugelassen waren, aber zumindest in Adelskreisen Zugang zu Büchern hatten und zu den Salons, in denen Erstaunliches aus der Welt der Wissenschaft kolportiert wurde. Die britische Mathematikerin Anna Milbanke tut alles dafür, der eigenen Tochter die rationale Denkwelt der Mathematik nahezubringen. Zugegeben, mit enormem Druck auf das Kind und nicht ohne Hintergedanken, denn sie will verhindern, dass das Mädchen die gleichen poetischen Spinnereien entwickelt wie der Vater, kein geringerer als Lord Byron, der große Dichter der Romantik. Er ist kein guter Ehemann, die Ehe geht in die Brüche, kaum dass das Kind geboren ist.
28 Jahre später ist Ada verheiratet mit dem Earl of Lovelace und Mutter von drei Kindern. Intellektuell ausgehungert sucht sie nach Möglichkeiten, sich mit der Fortschreibung der Mathematik zu beschäftigen. Die Gelegenheit kommt bei der Begegnung mit dem angesehenen Gelehrten Charles Babbage. Mit ihm zusammen arbeitet sie an seiner Rechenmaschine „Analytical Engine“, den Plänen nach so groß wie eine Lokomotive – allerdings wurde sie nie gebaut.
Der italienische Mathematiker und Ingenieur Federico Luigi Menabrea schreibt eine begeisterte Abhandlung, die Ada Lovelace ins Englische übersetzt. Während der Arbeit daran macht sie sich Gedanken darüber, wie die Maschine zu Rechenzwecken verwendet werden könnte, und übertrumpft damit die Ideen Babbages. In ihren Überlegungen, dreimal so lang wie der ursprüngliche Text, entwirft sie durchaus realistische Vorstellungen zur Bildung von Algorithmen als Grundlage des computerisierten Rechnens. Ada Gräfin Lovelace hat als erste die Vision eines universellen Computers.
Diese Anmerkungen, bescheiden gekennzeichnet mit den Initialen A.A.L., werden in ihrer umfassenden Dimension zu Lovelace’ Lebzeiten verkannt. 1953 wird zwar das Originaldokument wiederentdeckt, doch es entbrennt ein Streit um seine Bedeutsamkeit. Es sind die 1950iger-Jahre; die zu Kriegszeiten toughen Frauen zurückgedrängt an die heimischen Herde. Vergessen ist, dass die Computergeschichte des 20. Jahrhunderts mit riesigen Rechenmaschinen begonnen hat, so groß, dass sie ganze Räume gefüllt haben.
Mathematisch gebildete Frauen haben diese Maschinen bedient, doch dazu mussten sie zunächst von Hand Zahlenkolonnen um Zahlenkolonnen zusammenrechnen, um sie schließlich in die Maschine einzugeben. Ihre Berufsbezeichnung: „Computer“, im lateinischen Wortsinn „Zusammenrechner“. Während des 2. Weltkrieges wurden auf diese Weise Flugbahnen von Raketen berechnet und geheime Botschaften dekodiert. Mit der fortschreitenden Automatisierung der Rechenmaschinen verändert sich das Tätigkeitsfeld, die Frauen sind in den 1970iger-Jahren Programmiererinnen. Wie passt da die Zahlenzauberin Ada Lovelace rein?
Das verkannte Potenzial
In den späten 1960iger Jahren beginnt die Entwicklung der eigentlichen Software. Als die Programme halbwegs laufen, kommt Ada Lovelace ins Spiel. Die Mutter der Software hatte jene Entwicklungsschritte vor mehr als 100 Jahren vorausgedacht, ohne jemals die „Analytical Engine“ in Aktion zu sehen. Sie schreibt: „Die Maschine ist kein denkendes Wesen, sondern lediglich ein Automat, der nach Gesetzen handelt, die ihm auferlegt wurden.“
Auf ihr Vorwissen hätte man aufsetzen können. Aber nein, das Grundprinzip der Software musste neu erfunden werden. So ist das eben, wenn die Denkarbeit von Frauen nicht wertgeschätzt wird. Immerhin, das US-Pentagon hat 1979 eine Programmiersprache Ada getauft. Ob das Gräfin Lovelace gefallen hätte, wer fragt das schon.
All diese Geschichten lassen sich im Begleitband zur Ausstellung nachlesen, und noch viel mehr. Anstelle eines reichbebilderten Katalogs hat die Kuratorin Sybille Krämer intellektuelle Vordenkerinnen aus der Welt der Computer versammelt. Von Grace Hopper, die 1955 die erste kommerzielle Programmiersprache entwickelte, über Christiane Floyd, 1978 als erste Frau zur Professorin für Softwaretechnik ernannt, bis hin zu den heutigen Akteurinnen der Genderforschung in der Computertechnik lässt sich darin, wie auch in der multimedial inszenierten Ausstellung, eine Gemeinschaft entdecken – der Allgemeinheit eher unbekannt –, die seit Jahrzehnten an der Nachfolge von Ada Lovelace werkelt.
Ada Lovelace’ Name ist heute Programm. Im Oktober 2015 brachte das „Ada Lovelace Festival“ in Berlin IT-Profis und Tech-Expertinnen von heute und morgen zusammen. „Ada Lovelace’ Urenkelinnen“ nennt sich an der Leibniz-Universität Hannover eine Initiative von Informatik-Studentinnen. Und in Rheinland-Pfalz hat sich ein „Mentoring-Netzwerk für Frauen in MINT“ unter dem Namen „Ada Lovelace Projekt“ gegründet.
Noch immer gelten Frauen in der Informatik und noch mehr in der Ingenieurswissenschaft als Ausnahmetalente. Damit das nicht so bleibt, gibt es die ambitionierten und mit öffentlichen Geldern geförderten MINT-Programme, doch der ganz große Erfolg bleibt aus. Die Zahlen der weiblichen Studienanfänger in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern steigen nur sehr langsam an, obwohl jede Abiturientin wissen sollte, Berufe in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) führen zu den bestbezahlten Karrieren.
„Ich kann das nicht, ich bin doch kein Nerd“, sagen oft die Mädchen beim Girlsday, wenn Carmen Kurbjuhn, Projektleiterin des FiNCA-Qualifizierungsprogramms der Humboldt-Universität zu Berlin sie für ihre Studiengänge zu begeistern versucht. „Ihr müsst noch nichts können“, antwortet sie den zwischen Perfektion und Mutlosigkeit schwankenden Mädchen. „Kommt einfach an die Uni. Hier werdet Ihr es lernen.“
Code ist Poetry
Doch dazu beginnen wir noch einmal von vorn, bei den Jüngsten, deren Laptops noch Zuhause bei Mama stehen. Ein fantastisches Einsteigerbuch ist „Hack’s selbst“ – ein witzig gestaltetes Do-it-Yourself-Buch zur Eroberung des Digitalen. Programmieren, hacken, verschlüsseln, designen – die Macherinnen des Missy-Magazins lassen Expertinnen alles in Kürze erklären. Nicht nur für Mädchen ein genialer Einstieg in die digitale Selbermachwelt, Mütter können das ebenfalls als Anregung nehmen.
Das Neueste sind Codierkurse für Mädchen. Angefeuert von dem schönen Merksatz „Code ist Poetry“ sollte es ein Leichtes sein, dieses Vergnügen für die mathematischen Hirnareale zu entdecken. Von wegen „Mädchen können kein Mathe“. Diese Stereotype gehört zum Müll der Geschichte. Nehmen wir uns ein Beispiel an Ada Lovelace. Fasziniert von den Möglichkeiten der Mathematik feilte sie mit Hingabe an der ersten Software der Welt.
Zum Weiterlesen
„Ada Lovelace – Die Pionierin der Computertechnik und ihre Nachfolgerinnen“, hrsg. von Sybille Krämer, Begleitband zur Ausstellung, Verlag Wilhelm Fink.
„Hack’s selbst – Digitales Do it yourself für Mädchen“, hrsg. von Chris Köver, Daniela Burger, Sonja Eismann, Verlag Beltz & Gelberg.
Dieser Artikel ist auch im Magazin „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik 2015/16“ veröffentlicht. Das Magazin ist gedruckt, als E-Book und online erschienen.
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