Unterricht zu Hause – und was macht der Datenschutz?
Am 25. März meldet die Hamburger Morgenpost, der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) würde den Schulen in der Hansestadt aus datenschutzrechtlichen Gründen untersagen, für Fernunterricht und Klassenmeetings die Messenger- und Videokonferenz-Software Skype (von Microsoft) zu benutzen. Dies gehe aus der Beantwortung einer Anfrage des „Parentsmagazin Hamburg“ hervor. Dazu zitiert die Morgenpost aus einer Stellungnahme des HmbBfDI, in deren Folge die städtische Schulbehörde die Schulen entsprechend informiert und angewiesen habe.
Tags darauf veröffentlicht der HmbBfDI eine Mitteilung, die das angebliche Verbot des Unterrichts via Skype oder eines anderen Messenger-Dienstes als Falschmeldung bezeichnet und den tatsächlichen Hergang näher erläutert: Im Zuge einer Eingabe seitens einer Schule hätten die Datenschutzbeauftragten und die Schulbehörde erst miteinander und dann die betreffende Schulleitung beraten, die daraufhin eigenständig entschied, „das Skype-Angebot einzustellen und auf andere Lösungen zu setzen“. Zudem betont das HmbBfDI seine „klare Position“, nicht auf Untersagungen und Verbote zu setzen, sondern sich mit der Schul- und Berufsbildungsbehörde abzustimmen und Überzeugungsarbeit zu leisten.
Der Vorfall löste in sozialen Medien, wie Twitter, eine Debatte um datenschutzrechtliche Prinzipien in Phasen längerer Notsituationen aus. Und auch nach den Klarstellungen der Hamburger Datenschützer diskutieren Bildungsakteur*innen weiter über die Kernfragen: Wie angemessen sind Datenschutzvorgaben für Schulen im Allgemeinen und was sollte womöglich für das derzeit vorgeschriebene Homeschooling im Besonderen gelten? (Längst ist auch eine gesellschaftliche Debatte in Gang, wie weit und wie lange notstandsbedingte Neuregelungen den Datenschutz generell einschränken oder umgehen dürfen.)
„Schulen werden mit der Digitalisierung alleine gelassen“
Ausgangspunkt der Diskussion ist die völlig veränderte Situation für die Schulen durch die komplette Schließung aller Schulen und Bildungseinrichtungen. Auf die hatten sich die Bundesländer vor etwa zweieinhalb Wochen verständigt, um der Ausbreitung des Corona-Virus entgegenzuwirken. Seitdem sind Schulen dazu angehalten, Lehrmaterial, Unterricht und Aufgaben aus der Ferne und für das „Beschulen“ zu Hause anzubieten. Welche Mittel, Wege und Werkzeuge sie dafür wählen, und wie sie insbesondere bei Nutzung digitaler Plattformen und Dienste datenschutzrechtliche Vorgaben und Auflagen berücksichtigen, bleibt Schulleitungen und Lehrkräften überlassen.
Hierin drücke sich nach Ansicht von Bildungsakteur*innen und Branchen-Beobachter*innen ein schon länger bekanntes Problem aus: „Die Schulen werden mit der Digitalisierung seit Jahren weitgehend alleine gelassen“, sagt Marina Weisband im Gespräch mit iRights.info. Auch beim Umsetzen des mehr oder weniger plötzlich notwendigen Homeschooling, so die Expertin und Beraterin für Digitale Bildung, wären Schulen und Lehrkräfte zu sehr auf sich gestellt und überfordert – nicht nur, aber auch hinsichtlich der Datenschutzpraktiken digitaler Werkzeuge und Plattformen.
Für Weisband sei es momentan viel wichtiger, auf Chancengleichheit zu achten: „Wir erleben momentan eine Herausforderung, die vor allem die Bildungsgerechtigkeit betrifft. Sozial gut gestellte Familien mögen mit dem Homeschooling technisch und organisatorisch zurecht kommen. Doch Familien mit geringem Haushaltseinkommen können sich das erforderliche Equipment schlicht nicht leisten, sie können also an den Angeboten aus der Ferne nicht teilhaben, können nicht mithalten. Daher sehe ich es als die dringendste Anforderung, dass Werkzeuge eingesetzt werden, die wirklich alle nutzen können, niemanden ausgrenzen.“
Videokonferenz-Werkzeuge, die Nutzerdaten weitergeben
Seit der abrupten Schließung der Schulen beschäftigen sich Lehrer*innen – manche erstmals oder intensiver als bisher – mit digitalen Lehrumgebungen und Werkzeugen. Besonders gefragt sind nun auch Videokonferenzen oder Online-Meetings. Erforderten diese bis vor ein paar Jahren noch leistungsfähige Technik, genügen jetzt für die Nutzung recht leistungsfähiger, audiovisueller Konferenz- und Meetingsysteme schon gängige Mobilfunkanschlüsse, Apps und Internetbrowser, um auch in größeren Gruppen gleichzeitig in virtuellen (Klassen-)Räumen online zu gehen und gemeinsam zu lernen.
Doch wie bei anderen Internetdienstleistungen dominieren diesen Markt global agierende Anbieter, die momentan hunderttausendfach in Heimbüro-und Heimschul-Szenarien genutzt und daher häufiger als sonst genannt oder empfohlen werden. Doch nicht wenige der populären Plattformen und Apps, beispielsweise Skype, Zoom, Adobe Connect und viele weitere, verlangen für die – in gewissen Rahmen kostenlose – Nutzung, dass sich jede Person mit einem Account einloggt (beziehungsweise einen neuen Account anlegt). Ebenfalls nicht wenige Betreiber geben Nutzerdaten sowie während jeder Nutzung fortlaufend gesammelte Nutzungsdaten an Dritte weiter.
Das bleibt nicht lange unbemerkt. So weisen IT-Experten wie Mike Kuketz darauf hin, dass Zoom selbst über jene Nutzer*innen, die gar kein Facebook-Konto betreiben, ausführliche Nutzungsdaten direkt an Facebook weitergibt. Das ruft nicht nur institutionelle oder behördliche Datenschützer auf den Plan sondern führt auch in sozialen Medien zu Empörungswellen, auf die Unternehmen mitunter schnell reagieren: Vor wenigen Tagen meldet Zoom, die unmittelbare Weitergabe von Nutzer- und Nutzungsdaten an Facebook abzustellen, beziehungsweise einzuschränken – zumindest soll das für die App für das Betriebssystem iOS (Apple) gelten. Kurz später finden Software-Entwickler heraus, dass bei der Installation der Zoom-App für Apple-Computer Zugriffsrechte eingeholt werden, die womöglich als Einfallstor für das Ausspähen der Nutzer missbraucht werden könnten.
Datenschützer scheinen in jetziger Krisensituation kompromissbereit zu sein
So „unterirdisch“ manche Werkzeuge, wie beispielsweise Zoom, hinsichtlich ihres Umgangs mit Nutzerdaten auch zu bewerten seien, Marina Weisband plädiert in der jetzigen Situation dafür, beim Homeschooling datenschutzrechtliche Bedenken auf kurzfristige Sicht nicht prioritär zu behandeln. „Diese Diskussion jetzt zu führen, halte ich für kontraproduktiv. Kurzfristig mit nicht ganz datenschutzkonformen Werkzeugen zu agieren, ist aus meiner Sicht keine Katastrophe.“
Auch die Hamburger Datenschützer scheinen in der jetzigen Krisensituation kompromissbereit zu sein, wenn sie in einer kürzlich aktualisierten FAQ-Liste erklären: „Es ist datenschutzrechtlich grundsätzlich möglich, angesichts der gegebenen Umstände nicht die gleichen Anforderungen an technische und organisatorische Maßnahmen zu stellen, wie unter normalen Bedingungen. Dennoch sollte die aktuelle Situation keine Beschaffung von langfristig einzusetzender IT rechtfertigen, deren Nutzung im Nachgang der Corona-Krise als nicht datenschutzkonform zu bewerten wäre.“ Zudem liefen bereits Gespräche mit der Schulbehörde, um schnellstmöglich alternative Lösungen für Online-Unterricht zu finden, schreibt das HmbBfDI mit Hinweis auf die offizielle Schul-Plattform EduPort.
Auch für Marina Weisband müsse es langfristig gesehen darum gehen, primär solche Tools zu nutzen oder zu empfehlen, bei denen die Daten in Nutzerhand bleiben, die proprietär sind und deren Code offen ist, also Open Source: „Es ist nachzuvollziehen, dass Lehrkräfte, die jetzt auf Skype, Zoom oder ähnliche Dienste zugreifen, weil die eben weit verbreitet und leicht zugänglich sind, sich an den Umgang damit gewöhnen und diese Plattformen vermutlich auch später nutzen wollen“. Daher sollten beizeiten Alternativen aufgezeigt und deren Nutzung angeregt oder gar angeleitet werden, so Weisband. Alternativen zu Skype und Zoom, die datenschutzkompatibel und offen sind, gebe es bereits, wobei manche nicht ganz so leicht zu handhaben seien und noch nicht stabil genug liefen.
Akteur*innen im Feld digitaler Bildung nennen oder empfehlen als Alternativen zu Zoom, Skype und Co. derzeit häufiger die Plattform Jitsi, zudem auch Anbieter wie Gotalk, Room sh und BlueJeans.
Fazit
So wie in anderen Lebensbereichen, die durch die Maßnahmen gegen die Corona-Virus-Ausbreitung massiv eingeschränkt werden, entzünden sich am Beispiel der Videokonferenz-Werkzeuge für den Homeschooling-Gebrauch grundsätzliche Diskussionen. Für die Digitalbildungs-Beraterin Marina Weisband wiegen in der momentanen Situation und für die notwendige Abwägung beim Einsatz der Mittel bestimmte Aspekte schwerer. Man könne lax mit Datenschutz, sollte jedoch nicht lax mit Bildungsgerechtigkeit umgehen, so Weisband.
In Richtung der Datenschützer sagt sie: „Es ist nicht der Job von Datenschutz-Beauftragten, etwas zu verbieten. Sie dürfen empfehlen oder von etwas abraten, aber vor Ort entscheiden müssen die Akteure in den Bildungseinrichtungen. Als Mahner machen die Datenschützer einen guten Job, ich widerspreche Ihnen auch gar nicht. Aber vielleicht wäre es gut, sie anzuhalten, stets konkrete Alternativen zu nennen.“
Den Bildungsakteur*innen rät sie, kurzfristig zu nutzen was gut funktioniert, aber gleichzeitig neue, bessere, offene und datenschutzfreundliche Werkzeuge zu fordern: „Und es geht dabei nicht nur um deren Entwicklung sondern auch um die Verbreitung, die Bekanntmachung und die Unterstützung für deren breite Nutzung.“ Hier sollten die Schulbehörden als wichtige Instanz für Schulleitungen und Lehrkräfte viel aktiver werden.
Oberste Priorität hat für Weisband aber jetzt und in nächster Zeit, auf die psychische Gesundheit aller am Homeschooling Beteiligten zu achten: „Das meine ich sehr ernst.“
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