Ankündigung eines neuen Buches und Bericht über alltägliche Zensur
Untenstehend finden Sie die Ankündigung meiner neuen Künstlermonografie Expanded Original, die am kommenden Sonntag im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst in Oldenburg vorgestellt wird. Diese Eigenwerbung möchte ich gerne durch einige Hintergrundinformationen ergänzen, die im Zusammenhang mit den Themen dieser Seite stehen.
Wenige Tage nach der Druckfreigabe des Buches erhielt der Verlag Hatje Cantz ein Schreiben eines Filmmachers, der für “die Auszüge seines Warhol-Interviews von 1968”, die in dem Buch ohne Genehmigung abgedruckt seien, eine Entschädigung verlangte. Daraufhin wurde erst
einmal der Druck gestoppt. Die Herausgeberin, die juristisch verantwortlich zeichnete, schlug – etwas panisch – vor, die umstrittenen Seiten einfach aus dem Buch zu entfernen, damit man vereinbarte Termine einhalten könne.
Hintergrund der Geschichte ist, dass ich 2006, nachdem ich mich künstlerisch bereits einige Jahre mit den Warhol Flowers und dem urheberechtlichen Status der durch meine Netzkunstgeneratoren bearbeiteten anonymous-warhol_flowers beschäftigt hatte, beschloss, um die Sache endgültig zu klären, mir die Erlaubnis des Künstlers einzuholen. Dazu führte ich ein Gespräch mit Andy Warhol. Da er zu diesem Zeitpunkt bereits fast 20 jahre tot war, blieb mir nichts anderes übrig als auf altes Filmmaterial zurückzugreifen und das mit meinen neu gefilmten Fragen zusammenzuschneiden. Warhols sehr eigenwilligen Umgang mit Interviews aufgreifend, entstand das Video I DON’T KNOW (16 min), in dem wir uns u.a. über künstlerische Aneignungsstrategien und Urheberrechtskonflikte unterhalten. Last but not least, gibt Warhol mir in diesem Gespräch die Erlaubnis, “seine” Blumen – von denen wir sehr gut wissen, dass er sie auch geklaut hatte – zu verarbeiten.
Für das Video benutzte ich eine 3sekündige Sequenz besagten Filmemachers, immer wieder, und unterlegte sie mit verschiedenen, auch originalen Audio-Schnipseln Warhols, z.b. “yes”, “no”, “I dont’ know”. Dieses Material macht insgesamt weniger als 2 Minuten des Videos aus; der Rest ist neu gefilmtes Material.
In dem Buch Expanded Original nun findet sich weder das Video noch ein Transkript davon, sondern lediglich eine Fotomontage, die mich und Warhol in der (angeblichen) Interview-
Situation zeigt. Dazu habe ich einfach ein Still des neuen Materials mit einem Still des alten zusammen montiert.
Im Video ist es eine Montage, Schuss und Gegenschuss, im Buch ist es eine Collage. Diese Collage erregte die Aufmerksamkeit und den Unmut des Filmemachers (78), der sie im Katalog von Hatje Cantz in der Ankündigung meines Buches entdeckt hatte. In völliger Unkenntnis dessen, was nun wirklich in dem Buch von seinem Material enthalten ist, schickte er besagten Brief, aufgrund dessen der Druck gestoppt und ich gebeten wurde, die Collage aus dem Buch zu entfernen – und das, ohne dass ein juristisches Gutachten oder dergleichen angefertigt worden wäre. Im Gegenteil, niemand schien sich dafür zu interessieren, ob die Forderung des Filmemachers gerechtfertigt ist oder nicht. Sein Brief störte den reibungslosen Ablauf und um Verzögerungen zu vermeiden, wird lieber kurzerhand die Kunst zensiert als genau an dieser Stelle für ihre Freiheit einzutreten.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich als Künstlerin in einer Lage wiederfinde, in der kurzerhand meine Kunst nicht gezeigt, nicht veröffentlicht, nicht gedruckt, z e n s i e r t, wird. Und das in vorauseilendem Gehorsam und ja möglicherweise entstehende Forderungen zu vermeiden. Leider ist meine Erfahrung, dass Institutionsleiter, Kuratoren und Herausgeber (nicht alle!) KünstlerInnen in solchen Fällen alleine lassen. Im Ernstfall bin ich als Künstlerin – und ironischerweise beschäftigt sich meine Arbeit genau mit diesem Thema – allein und kann sehen wie ich an einem Freitagnachmittag eine Lösung finde. Ich hatte bis Montag Zeit, mir was auszudenken, was die Zensur verhindern würde…
Da selbst eine Freistellungserklärung meinerseits nicht akzeptiert worden wäre, blieb nur eins: mit dem Filmemacher Kontakt aufzunehmen. Glücklicherweise konnte ich ihn telefonisch erreichen; wir führten Freitag, Samstag und Sonntag jeweils längere Gespräche, und schließlich willigte er ein und erteilte die erlaubnis zur verwendung seines Screenshots. Auf
der Seite mit der Collage steht jetzt im Buch, nicht zu übersehen, sein Name und der Wortlaut seiner Genehmigung. Das wollte er so. Ob das wirklich notwendig war, weiß ich immer noch nicht. Aber es war die einzige Möglichkeit, die Doppelseite im Buch zu behalten.
Man kann sagen, in diesem Fall hatte ich Glück. Der Brief kam nicht von einem Abmahnanwalt, sondern von einem anderen Künstler direkt. Ich konnte mit diesem Künstler sprechen, er hörte sich meine Argumente an und interessierte sich für das, was ich mache. Er hat es verstanden und will nun meine Arbeit sogar unterstützen. Ich werde ein Videointerview (!) mit ihm machen. Hätte ich ihn nicht erreicht, wären wir uns nicht einig geworden, wäre eine für mich und innerhalb des Werkkomplexes anonymous-warhol_flowers wichtige Arbeit wohl einfach nicht aufgetaucht in dem Buch!
So, nun endlich die Werbung für das Buch und eine Präsentation desselben:
Cornelia Sollfrank EXPANDED ORIGINAL
Sonntag, 29. März 2009, 16 Uhr
im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst in Oldenburg
Hrsg. von Sabine Himmelsbach für das Edith-Ruß-Haus für Medienkunst mit Texten von Jacob Lillemose, Rahel Puffert, Gerald Raunig, Silke Wenk und Cornelia Sollfrank
Hatje Cantz Verlag, ca. 144 Seiten, deutsch/englisch, 25 Euro (bis
Ausstellungsende am 19.04.09 im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst zum
Sonderpreis von 20,- Euro.)
Ende März erscheint anlässlich der aktuellen Ausstellung am Edith-Ruß-Haus für Medienkunst (noch bis 19. April 2009) der Katalog Cornelia Sollfrank EXPANDED ORIGINAL. Diese Publikation dokumentiert erstmals das bisherige Œuvre von Cornelia Sollfrank und die in der aktuellen Ausstellung gezeigten Arbeiten. Neben ausführlichen
Werkbeschreibungen binden die Texte von Jacob Lillemose, Rahel Puffert, Gerald Raunig und Silke Wenk die Werke in kulturwissenschaftliche Kontexte ein.
Cornelia Sollfrank stellt den Katalog am 26. März, um 16 Uhr, nach der öffentlichen Führung durch die Ausstellung im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst persönlich vor.
– A smart artist makes the machine do the work – ein schlauer Künstler läßt die Maschine die Arbeit machen – proklamiert Cornelia Sollfrank. Ihr Projekt net.art generator, eine Kunst generierende Internetmaschine, gilt als Pionierleistung der Netzkunst. Der Philosoph Gerald Raunig wird in seinem Katalogbeitrag die Bedeutung von maschineller Produktion in den Arbeiten von Sollfrank erläutern. Ein weiterer Schwerpunkt ihres künstlerischen Forschens liegt in der Beschäftigung mit unterschiedlichen Formen von Kollaboration sowie Networking und Kommunikation als Kunstformen. Sie war Mitglied der Kollektive frauen-und-technik und -Innen, initiierte das weltweite cyberfeministische Netzwerk Old Boys Network sowie die Mailingliste [echo] für Kunst, Kritik und Kulturpolitik in Hamburg und ist Mitbetreiberin der Internetplattform THE THING Hamburg. Die Kulturwissenschaftlerin Rahel Puffert geht in ihrem Beitrag auf die von der Künstlerin gegründeten Foren und vernetzten Plattformen für Aktion und Arbeit ein. Ergänzend steht im Zentrum des Artikels von Jacob Lillemose das Phänomen der multiplen Autorschaft, also der gemeinsamen Produktion eines künstlerischen Werkes. Der Kurator und Kulturtheoretiker thematisiert vor allem das Handeln in globalen Netzwerken, das ein Hauptanliegen Sollfranks darstellt. Die Kulturwissenschaftlerin Silke Wenk diskutiert in einem Interview mit Cornelia Sollfrank den Aspekt der Wiederholung im Werk der Künstlerin. Sie bezieht sich dabei auf die aktuelle Werkreihe Re-visiting feminist art, mit der Sollfrank die Ideen feministischer künstlerische Aktionen und Performances in freier Wahl der Medien und Kontextualisierung wiederaufleben lässt. Letztlich nimmt Sollfrank in ihrer Autobiografie Stellung zu Einflüssen und Erfahrungen, die ihren künstlerischen Werdegang prägten.
Seit Mitte der 1990er Jahre erforscht die Hackerin, Cyberfeministin, Netz- und Konzeptkünstlerin Cornelia Sollfrank die weltweiten Kommunikationsnetze und überträgt künstlerisch-subversive Strategien der klassischen Avantgarden ins digitale Medium. Dabei ist es ihr besonderes Anliegen, neue Formen von Autorschaft zu erproben, künstlerische Verfahren der Aneignung weiterzuschreiben und Mythen um Genialität und Originalität zu dekonstruieren. Kurz nach Eröffnung des Edith-Ruß-Haus für Medienkunst im Jahre 2000 und 2001 war die international bekannte Künstlerin, die zur Zeit in Hamburg, Celle und Dundee (Schottland) lebt, an den Oldenburger Ausstellungen CYBERFEM SPIRIT und UFO STRATEGIES beteiligt. In jüngster Zeit bringt sich Sollfrank mit künstlerischen Beiträgen und Vorträgen in die Copyright-Diskussion ein. 2008 arbeitete sie während ihres einmonatigen Aufenthalts als Stipendiatin am Edith-Ruß-Haus für Medienkunst an ihrem neuen Projekt Déjà Vu. First Plagiarism Detection Software for Fine Arts. Neben der Recherche zum Thema Plagiarismus widmete sie ihre Zeit in Oldenburg der Vorbereitung ihrer Einzelausstellung ORIGINAL UND ANDERE FÄLSCHUNGEN, die sich mit der aktuellen Frage nach den geistigen Eigentumsverhältnissen und der Beziehung zwischen Original und Reproduktion auseinandersetzt. Die Künstlerin bezieht sich auf Werke aus Oldenburger Museen, darunter
Originale von Horst Janssen ebenso wie Kopien vermeintlicher Rembrandt-Originale, und zeigt exemplarisch die Verwertungskette bis hin zum Verkauf durch ihre Bildagentur http://www.art-content24.de.
ISBN: 978-3-7757-2390-9
Bestellen beim Verlag: http://www.hatjecantz.de/de/storefront/index.php
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