Beijing 06022008
Ich wurde gefragt, ob das Verhältnis zu Coypright in China eher ein Verhältnis zum Eigentum ausdrückt oder möglicherweise mit einer bestimmten konfuzianisch geprägten Weise des Lernens zu tun hat. Also habe ich mich eingelesen. Kapitel 1, Konfuzius sprach: Etwas lernen und sich immer wieder darin üben – schafft das nicht auch Befriedigung? Und wenn von fernher Gleichgesinnte kommen – ist das nicht auch ein Grund zur Freude?
Wenn mit “üben” die Anwendung des Gelernten gemeint ist, einschließlich “wiederholen” und “nachahmen”, wie der Kommentar zur Reclam – Ausgabe behauptet, dann geht es offenbar nicht um Eigentumsfragen, wie der Westen nicht müde wird zu behaupten, sondern um Anwendungsformen. Gestern abend, bei einer Party von deutschen, in Beijing stationierten Medienprofis, war es wieder die alte Litanei: Die Chinesen beklauen uns! Uns? Ist die deutsche Industrie gemeint, und sind diese Medienleute deren verlängerter Arm? Eine kluge Chinesin gab zu bedenken, dass die Chinesen möglicherweise von Siemens die Korruption gelernt haben, was kein Gelächter, sondern Hohn, Widerspruch und Betroffenheit hervorrief bei den Kreuzrittern deutscher Sittlichkeit.
Interessanter die Einschätzung eines Mannes vom französischen Fernsehen. Er erzählte, dass das Thema Copyright in der französischen Öffentlichkeit keine Rolle spiele. Zwar werden chinesische Unternehmen, die High Fashion wie Louis Vuillton in China ohne Vertrag mit dem Mutterhaus herstellen, angezeigt. Die Anwälte gäben aber, wenn das Mikrofon abgeschaltet ist, zu, dass Plagiate beste Werbung seien, weil sie das Markendenken stärkten, und das kostenlos. Ausserdem erkenne die neureiche chinesische Oberschicht den Unterschied sofort. Wer sich das teure echte Ding leisten kann tue das auch. Also ist der unten abgebildete Mülleimer, den ich vor einem grossen Kaufhaus voller Plagiate gesehen habe (in dem übrigens jede Menge deutscher Touristen einkaufen) der beste Beweis für Konfuzius.
Was heisst hier eigentlich Plagiat: Wo alles Made in China ist, das sogenannte Original wie sein Plagiat, ist dann nicht der einzige Unterschied die Sanktionierung durch den Konzern des Labels? Folgerichtig ist auf der vermeintlich falschen Britney Spears CD ein Echtheits-Hologramm zu finden: Blackout, das neue Album, als 2 CD Luxus – Holzbox mit nur 5 Stücken des aktuellen Albums und vielen alten Hits für keine 2 Euro. Noch besser gefällt mir aber die Geschichte von Gorbatschow, der an der East Side Gallery in Berlin entlang fährt, die teure Tasche neben sich auf dem Rücksitz und unter Politician’s Fashion Trends in einer Lifestyle Zeitschrift gefeatured wird. Das ist ein wunderbarer Umgang, ein grandioses Missverständnis, und ich würde sagen eine Kulturpraxis: das Foto von Annie Leibowitz stammt aus einer Vuillton Anzeige, hier erscheint es als klassische appropriation art und ungewollte Rekontextualisierung. So erfüllt sich Werbung selbst und muss nichtmal den Werbeplatz bezahlen.
Wir in der alten Welt haben den Zug offenbar schon verpasst. Als ich selbiges Foto im Flyer der Volksbühne für mein Projekt “Lulu – Oder warum braucht die Bourgeoisie die Verzweiflung” benutzen wollte – dieses Foto hätte thematisch wunderbar gepasst! – wurde mir gesagt, nein, die Rechte seien nicht zu klären, das sei zu teuer, der grosse Konzern, die berühmte Fotografin. Bei der Zeitschrift Spex dasselbe, ich nenne es vorauseilenden Gehorsam, Angst vor Werbekunden, was weiss ich.
Dabei ist das Skandalöse doch, dass der Typ, der die Sowjetunion an den westlichen Kapitalismus verkauft hat, jetzt Taschenwerbung macht, wo sie ihn in Russland am liebsten aus der Stadt jagen würden. Wer behauptet, in China sei alles von Werbung und Konsumismus kontrolliert, liegt falsch. Hier ist der Umgang verspielt, es geht mit Konfuzius um die Anwendung des Gelernten, auch wenn das nur eine Zwischenphase sein mag. Noch Mao hat ihn gehasst. Selbst die berühmte Motorsäge, die nur ein Zehntel des deutschen Qualitätssproduktes kosten mag, richtet sich ja hier an einen anderen Markt. Ich verstehe nicht: Einerseits sollen wir Anhänger von Capitalism and Freedom a la Milton Friedman sein, andererseits soll eine staatliche copyright – Kontrolle her. Friedman hat die Volksrepublik China in den 80er und 90er Jahren drei Mal besucht und beraten, Deng Xiaoping war sein Advokat.
Ich kann nicht erkennen, dass Fragen geistigen Eigentums moralische Fragen sind, wie die deutschen Medien einhellig behaupten. Es muss darum gehen, erstmal die hiesige Denkweise versuchen zu verstehen. Wenn dem Chef des chinesischen Patentamts der Unterschied zwischen Original und Kopie nicht klarzumachen ist, heisst das nicht: die sind alle Idioten. Wie sagte noch Konfuzius? Von den Menschen verkannt zu werden, ohne dabei Verbitterung zu spüren – ist das nicht auch eine Eigenschaft des Edlen?
1 Kommentar
1 Gian Trepp am 6. Februar, 2008 um 15:15
Ja lieber Christian – zur brandheissen Problematik der Dialektik von Original und Kopie auf Peking-Partys mit abgebrühten deutschen Medienfuzzis hier soviel:
Zuerst war Konfuzius und legte mit seiner Gesellschaftslehre die Basis für zweitausend Jahre chinesisches Kaiserreich. (Den Beitrag der Daoisten und Budhisten lassen wir der Einfachheit halber weg.)
Dann kam Mao, importierte und chinesifizierte den Marxismus-Leninismus, und bewahrte China davor, zur Kolonie des Imperialismus zu werden.
Dann kam Deng, chinesifizierte die Marktwirtschaft, rehabilitierte das Privateigentum und begründete den chinesischen Staatskapitalismus.
Aus dem original roten Sowjetkommunismus schuf Mao die Kopie des gelben Kommunismus während Deng aus dem Originalkapitalimus den gelben Kapitalismus kreierte.
Fazit: Die Chinesen chinesifizieren die Originale, sie kopieren sie nicht.
Was sagen Sie dazu?