Was kauft man, wenn man ein E-Book kauft?
Die Firmengeschichte des Internet-Buchhändlers Amazon wird den 17. Juli 2009 wohl als einen besonders düsteren Tag verzeichnen. An jenem Freitag geschah es, dass auf dem E-Book-Lesegerät Kindle zwei elektronische Bücher von George Orwell plötzlich verschwunden waren. Die Kunden staunten nicht schlecht, als sich herausstellte, dass Amazon die Dateien beim Einloggen in das Kundenkonto einfach gelöscht hatte. Immerhin wurde der Kaufpreis erstattet. Zensur?
Nein, Urheberrecht. Der Verlag hatte für elektronische Ausgaben keine Lizenz erworben. Der Vorfall führte innerhalb weniger Tage nicht nur zu Spott in der Netzgemeinde, zu Entschuldigungen von Amazon und zu Frust bei den Kindle-Käufern, sondern auch zu einer voreiligen Schlussfolgerung bei Journalisten und Bloggern: Wenn man ein E-Book kaufe, besitze man eben kein Buch, sondern erwerbe lediglich das Recht, eine Datei zu lesen. Und wer es nicht glaube, solle mal die allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) seines Internetbuchhändlers nachlesen. Das kann zumindest nicht schaden.
Allerdings sind allgemeine Geschäftsbedingungen keine unverbrüchlichen Gesetze. Eine Regelung, nach der ein Händler das Produkt, das er verkauft, dem Kunden jederzeit wieder wegnehmen darf, wenn er nur das Geld zurück gibt, wäre ohnehin unwirksam. Auch im Kleingedruckten von Amazon steht keine solche Klausel.
Welche Rechte haben Verbraucher?
Wie weit aber gehen die Verbraucherrechte an einem E-Book? Was darf man tatsächlich damit machen? Darf man es kopieren, verleihen, weiterverkaufen? Ist alles erlaubt, was technisch geht? Das nicht. Umgekehrt aber geht vieles nicht, was erlaubt ist – weil die Anbieter es technisch verhindern. Und wenn doch, ist es meist von den Geschäftsbedingungen untersagt. Kann aber, was gesetzlich erlaubt ist, nach einem Klick auf den Button ,,Ich akzeptiere die AGB” plötzlich verboten sein? Rechtlich geklärt ist vieles noch nicht.
Beispielsweise dürfen Bücher zu privaten Zwecken nur auszugsweise kopiert werden, es sei denn, sie sind seit mindestens zwei Jahren vergriffen, also nicht mehr lieferbar. Aber handelt es sich bei einem E-Book überhaupt um ein „Buch“ im Sinne des Urheberrechts? Der Terminus wird ohnehin nur ein einziges Mal verwendet, die Regelung stammt schließlich aus analogen Zeiten. Vielleicht müsste man ein E-Book eher als „Sprachwerk“ begreifen, das in digitaler Form vorliegt. Dann würde die erwähnte Beschränkung nicht gelten, und man dürfte E-Books sehr wohl zu privaten Zwecken komplett kopieren. Es sei denn, sie wären mit einem wirksamen Kopierschutz versehen – den darf man nämlich nicht umgehen.
Eigentum oder Nutzungsrecht?
Eine andere spannende Frage: Was passiert, wenn man ein E-Book herunterlädt? Kauft man da ein „unkörperliches Gut“? Oder erwirbt man „Nutzungsrechte“ an geistigem Eigentum, schließt also einen urheberrechtlichen Vertrag? Geht man davon aus, dass ein E-Book ein „unkörperliches Werkexemplar“ ist, an dem man Eigentum erwirbt, quasi ein Buch in Dateiform, so handelt es sich in erster Linie um einen Kaufvertrag. Das Urheberrecht ist dann allenfalls am Rande tangiert – und Klauseln, die dem Käufer die rechtmäßige Benutzung seines Eigentums untersagen, wären im Zweifel unwirksam.
Zur rechtmäßigen Benutzung würde aus dieser Sicht auch das private Kopieren zählen – allerdings nur auszugsweise. Geht man hingegen davon aus, dass der Download primär ein „Nutzungsvertrag“ ist, mit dem man bestimmte Rechte an fremdem geistigem Eigentum erwirbt, so würde man sagen: Der Kunde hat nicht etwas gekauft, sondern es ist ihm erlaubt worden, das geistige Eigentum eines anderen (des Buchautors) zu nutzen, indem er den Text auf seinem Lesegerät anzeigen lässt.
Auch mit einem gedruckten Buch darf der Käufer zwar keineswegs machen, was er will. Er darf es nicht unter seinem eigenen Namen herausgeben, keine Nachdrucke davon anfertigen oder es gegen Geld verleihen. Immerhin darf er es lesen. Was er gekauft hat, ist jedoch nur bedrucktes Papier. Klar, denn sonst wären die Interessen des Autors unangemessen beeinträchtigt. Auch beim gedruckten Buch ist also die Freiheit des Käufers eingeschränkt. Warum sollte es beim E-Book anders sein?
AGB: Wirksam oder nicht?
Sollte es nicht, ist es aber. Was der Käufer eines gedruckten Buches sehr wohl darf, darf der E-Book-Käufer nämlich oft nicht –vorausgesetzt, er hält sich an die Nutzungsbedingungen. Ob Thalia, Mobipocket oder Libreka: All diese Anbieter versteifen sich darauf, dem Leser lediglich „ein einfaches und nicht übertragbares Nutzungsrecht“ zu übertragen. Libri bringt es in seinen AGB auf den Punkt: „Libri.de verschafft den Kunden an E-Books […] kein Eigentum.“ Private Kopien anzufertigen, E-Books an Dritte weiterzugeben oder gebraucht zu verkaufen – all dies wird oft standardmäßig in Nutzungsbedingungen untersagt.
Ob solche Klauseln überhaupt wirksam sind, ist eine knifflige Frage. Wenn sie intransparent und für Otto Normalverbraucher unverständlich wirken, sind sie es nicht. Wenn sie den Käufer über Gebühr benachteiligen, sind sie es auch nicht. Ermessenssache ist beides. Das Hamburger Büro für informationsrechtliche Expertise hat bereits 2006 im Auftrag des Bundesverbands der Verbraucherzentralen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen diverser Download-Shops unter die Lupe genommen. Ergebnis der von Till Kreutzer verfassten Studie: Die allgemeinen Geschäftsbedingungen sind fast immer intransparent und benachteiligen den Verbraucher unangemessen.
Geändert hat sich seither wenig. Einen TÜV, der solche AGB vorab auf ihre Vereinbarkeit mit dem Verbraucherrecht testen würde, gibt es nicht. Wie ein Richter darüber entscheiden würde, ob E-Books für den Privatgebrauch kopiert werden dürfen, ist schwer vorauszusagen. Während das Urheberrecht private Kopien und auch die Weitergabe an Dritte im privaten Umfeld prinzipiell erlaubt, können Nutzungsbedingungen von Anbietern, die dergleichen untersagen, durchaus Gültigkeit haben.
Im Ernstfall käme es darauf an, was für den Richter schwerer wiegt: der wirtschaftliche Schaden, den der Buchautor womöglich durch „Raubkopien“ erleidet, oder dass der Käufer im freien Umgang mit seinem Eigentum eingeschränkt wird. Der Gesetzgeber hat sich bislang herausgehalten, weil er meint, die Autoren und Verlage könnten ja Kopierschutztechnologien verwenden, wenn sie Angst vor Piraten hätten.
Darf man E-Books weiterverkaufen?
Umstritten ist auch die Frage, ob man E-Books gebraucht weiterverkaufen darf. Eigentlich geht man davon aus, dass eine Ware, wenn sie einmal auf den Markt gebracht worden ist, von jedermann so lange verkauft werden darf, bis sich kein Abnehmer mehr dafür findet. Aber gilt das auch für unkörperliche Dinge? Natürlich nicht, sagen die einen, da wäre ja den Raubkopierern Tür und Tor geöffnet. Außerdem müsste man die Datei vervielfältigen, um sie weiterzugeben, und das Recht, Vervielfältigungen herzustellen, sei stets dem Autor vorbehalten.
Papperlapapp, sagen die anderen, es habe sich doch nur der Vertriebsweg geändert: Statt in Buchform oder auf einer CD, die man jederzeit weiterverkaufen darf, werde das Produkt nun in unkörperlicher Form vertrieben. Das könne doch nicht heißen, dass der Verbraucher am erworbenen Eigentum plötzlich weniger Rechte habe. Dieser Ansicht ist auch der Verband der Bunderverband der Verbraucherzentralen (VZBV). Andernfalls, so heißt es in einer Stellungnahme, werde der Verbraucher „trotz vergleichbarer Sachverhalte und Interessen bei Inanspruchnahme von Vertriebswegen der ,neuen Märkte‘ unweigerlich schlechter gestellt. Eine derartige Ungleichbehandlung ist auch aus rechtlicher Sicht nicht geboten“.
Und doch: Erst im Juli hat das Landgericht Berlin entschieden (Az. 16 O 67-08), dass das Musikportal iTunes den Weiterverkauf der dort erworbenen Musiktitel durchaus untersagen darf. Jetzt ist die nächsthöhere Instanz dran.
Es geht um E-Books – und viel mehr
Das Ringen um eine gesetzliche Regelung für den Gebrauchthandel mit Dateien und Lizenzen kann noch sehr spannend werden. Wegen der E-Books. Aber vor allem auch wegen des Handels mit gebrauchter Software. Erst am 12. November hat der Bundesgerichtshof eine Klage der Software-Firma Oracle gegen Usedsoft zur Revision zugelassen – das heißt, dass die Richter der Frage eine grundsätzliche Bedeutung zumessen.
Usedsoft, eine Firma, die überschüssige Volumenlizenzen weiterverscherbelt, zählt immerhin Unternehmen wie Neckermann und Edeka, aber auch Städte und Kommunen wie München, Bamberg, Fürth und Passau zu seinen Kunden. Die Firma machte im Jahr 2007 einen Umsatz von 8,5 Millionen Euro und verzeichnet nach Angaben der Financial Times Deutschland ein jährliches Wachstum von mehr als 20 Prozent. An einem funktionierenden Second-Hand-Markt für Immaterialgüter gibt es also ein handfestes wirtschaftliches Interesse.
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