Creative Commons im Rückblick: Ziele und Lektionen
Welches Problem versuchte Creative Commons zu lösen? Welche Lehren haben wir aus der Vergangenheit gezogen?
Das Creative-Commons-Projekt übernahm seine Kernidee – freie Copyright-Lizenzen zu vergeben – von der Freie-Software-Bewegung. Allerdings war das Problem, das wir zu lösen versuchten, etwas anders gelegen.
Als Richard Stallman vor etwas mehr als 20 Jahren die Free Software Foundation gründete, reagierte er auf eine veränderte Situation in der Welt der Softwareentwicklung. Er hatte bis dahin die Erfahrung gemacht, dass Software frei war, frei in dem Sinne, dass der Quellcode frei zugänglich war und frei modifiziert werden konnte. In den frühen 1980er Jahren verlor dieser Grundsatz zunehmend an Bedeutung. Software wurde immer häufiger proprietär, das heißt, der Quellcode war verborgen und die Nutzer durften diesen Quellcode nicht länger untersuchen oder modifizieren. Stallman wollte sich mit seiner Stiftung gegen diesen Trend stemmen und begann, ein freies Betriebssystem zu entwickeln, innerhalb dessen die Freiheiten, so wie er sie kannte, weiter entwickelt würden.
In der Welt der Kultur stellt sich die Situation ein wenig anders dar. Wir haben nicht in einer Welt ohne proprietäre Kultur angefangen. Es hat immer proprietäre Kultur gegeben, in dem Sinne, dass kreative Arbeiten durch ein exklusives Recht geschützt sind. Meiner Ansicht nach ist das auch ganz gut so. Künstler müssen essen. Autoren auch. Ohne ein System, das Kreative dafür belohnt, Werke zu schaffen, die ihnen ein Einkommen sichern, würden viele schöpferische Arbeiten nicht entstehen.
Für den Großteil der Zeit in der Vergangenheit gilt, dass die Lasten, die das Copyright anderen Schöpfern und der Kultur im Allgemeinen auferlegte, nur geringfügig waren. Es gab eine Menge kreativer Tätigkeiten, die sich frei von der Regulierung durch das Gesetz entfalten konnten. Zwar war das Copyright für die kulturelle Entwicklung von Bedeutung, doch nur in vergleichsweise geringem Maße. Es regulierte bestimmte Aktivitäten, doch die meisten von uns lies es frei von urheberrechtlicher Kontrolle.
Mit der Entstehung von digitalen Technologien begann sich die Situation zu ändern, ohne dass jemand wirklich über die Gründe für diese Entwicklung nachgedacht hätte.
Das Copyright reguliert „Kopien“. Nur die wenigsten Verwendungszwecke außerhalb des Internets erfordern es, „Kopien“ von Kulturgütern anzufertigen. Hingegen beginnt jede Verwendung von Kulturgütern im Netz damit, dass man eine Kopie erstellt. Wenn man in der physischen Welt ein Buch liest, ist das eine durch das Copyright-Gesetz nicht kontrollierte Handlung, weil in der physischen Welt das Lesen eines Buches keine Kopie erfordert. Im Internet ruft dieselbe Handlung das Copyright-Gesetz auf den Plan, weil ein Buch zu lesen in der digitalen Welt immer bedeutet, zuerst eine „Kopie“ zu erstellen. Auf diese Weise verschwinden viele der gewohnten Freiheiten, wenn man sich online bewegt: Jede Verwendung eines urheberrechtlich geschützten Inhalts erfordert – wenigstens theoretisch – eine Genehmigung. Das Versäumnis, sich eine Genehmigung zu sichern, lässt eine Wolke der Ungewissheit über die Legalität der Nutzung aufziehen. (Die entscheidene Ausnahme ist nach amerikanischer Tradition „Fair Use“, worüber ich nächste Woche rede.)
Nun interessieren sich viele nicht für Ungewissheiten. Sie tun einfach, was sie wollen, und ignorieren die Folgen (und das nicht bloß im Netz). Aber es gibt einige und besonders einige wichtige Institutionen wie Schulen, Universitäten, Regierungen und Unternehmen, die in Anbetracht dieser Ungewissheiten zu Recht zögern. Manche, so eine wachsende Anzahl von Universitäten, verlangen nun ausdrücklich eine Genehmigung, um im Internet gefundenes Material im Unterricht zu verwenden. Andere, so eine wachsende Anzahl von Unternehmen, verbieten ihren Angestellten ausdrücklich, im Internet gefundenes Material in Präsentationen zu verwenden. In demselben Augenblick, in dem durch Internettechnologien die Möglichkeiten gemeinschaftlich kreativ zu werden und Wissen zu teilen sich exponentiell ansteigen, fängt die rechtliche Ungewissheit über Genehmigungen diese Zusammenarbeit störend zu beeinflussen.
Wir von Creative Commons dachten, dass dies eine Art von legalem Irrsinn wäre – genauer gesagt, ein vom Gesetz geschaffener Irrsinn. Nicht, weil wir glauben, dass die Leute dazu gezwungen werden sollten, zu teilen, sondern weil wir glauben, dass viele, die ihre Arbeit im Internet verfügbar machen, gerne teilen. Oder dass gerne bereit sind, für manche Zwecke zu teilen, aber nicht für andere. Oder dass sie unbedingt wollen, dass ihre Arbeiten ohne Rücksicht auf die Regeln des Copyright verbreitet werden. Und diese Leute, dachten wir, könnten ein einfaches Mittel gebrauchen, mitzuteilen, was sie wollen.
Diesen Überlegungen entstammte die Motivation für CC Lizenzen: ein einfacher Weg für Autoren und Künstler, die Freiheiten zu benennen, die sie ihren Schöpfungen mit auf den Weg geben wollen. Schöpfer, die sich „alle Rechte vorbehalten“ wollen, müssen dabei nicht mitmachen. Aber jene Schöpfer, die sich nur „einige Rechte vorbehalten“ wollen, können unsere Lizenzen verwenden, um ihre Vorstellungen leicht verständlich auszudrücken. Personen und Institutionen, die Arbeiten aus dem Internet verwenden wollen, können das dann tun, ohne befürchten zu müssen, mit solchen verwechselt zu werden, die keine Rechte respektieren, wenn es ums Copyright geht.
Wie die Freie-Software-Bewegung glaubten wir, dass ein solches rechtliches Instrument helfen würde, die Kreativität von einem Großteil der Last des Copyright zu befreien. Aber im Gegensatz zur Freie-Software-Bewegung war es nicht unser Ziel, die „proprietäre Kultur“ zu beseitigen (so wie einige in der Freie-Software-Bewegung proprietäre Software beseitigen möchten). Stattdessen glaubten wir, durch die Förderung freier Kultur (das heißt Kultur, die wenigstens für einige wichtige Zwecke frei verwendet werden kann) den Trends widerstehen zu können, die in die andere Richtung drängen. Damit meinten wir vor allem jenen Trend, der vom Wettrennen zum „digitalen Rechtemanagement“ (DRM) vorangetrieben wird.
Was stimmt nicht mit DRM? Und was ist mit „Fair Use”? Gute Fragen. Schalten Sie nächste Woche wieder ein für erste Antworten.
Übersetzung: Robert A. Gehring
Englische Originalversion:
creativecommons.org/weblog/entry/5668
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