Kompatibilität
Aus der letzten Folge:
Nächste Woche werde ich eine zweite Initiative beschreiben, die wir im Verlauf des nächsten Jahres an den Start bringen werden. Diese zweite Initiative wird nicht nur für Creative Commons wichtig sein, sondern für die Ökologie von Kreativität überhaupt von kritischer Bedeutung. Bleiben Sie dran.
Wie die Geschichte weitergeht:
Creative Commons hat die Idee freier öffentlicher Lizenzen nicht erfunden. Das war Richard Stallman. Zumindest war sein Ansatz der erste, der erfolgreich wurde. Creative Commons hat auch nicht die ersten freien Lizenzen für Inhalte (Text, Musik, Bilder) erfunden. Bevor wir unsere Arbeit aufgenommen haben, gab es viele andere, die Richard Stallmans Beispiel gefolgt sind, und freie Lizenzen für schöpferische Werke veröffentlicht haben. Die bekannteste dieser Lizenzen ist vielleicht die Art Libre License. Die Creative Archive Licenses der BBC sind die bekanntesten aktuellen Beispiele. Sie verschaffen freien Zugang zu wichtigen Teilen der britischen Kultur – jedenfalls für britische Bürger. Und nicht zu vergessen gibt es dann noch die GNU Free Documentation License (FDL) der Free Software Foundation. Ursprünglich wurde sie für die Dokumentation von Software entwickelt. Das bekannteste Beispiel für ihren Einsatz ist das Wikipedia-Projekt.
Diese freien Lizenzen verfolgen ein gemeinsames Ziel. Jede von ihnen unternimmt den Versuch, Schöpfern die Gelegenheit zu geben, anderen wichtige Freiheiten einzuräumen. Diese Freiheiten können sich im Einzelnen unterscheiden. So unterstützen beispielsweise die Creative Archive Licenses nicht alle das Copyleft-Prinzip [dass die Werke die unter Nutzung der freigegebenen Arbeiten entstehen wiederum unter einer freien Lizenz veröffentlicht werden. Anm. d. Ü.]. Und die Beschränkungen der FDL ist für viele Werke nicht geeignet, die zum Beispiel durch die Art Libre License besser abgedeckt werden können. Doch diese Unterschiede reflektieren die Vielfalt der schöpferischen Gemeinschaften. Wichtig sind nicht die Unterschiede, sondern das gemeinsame Ziel.
Allerdings haben alle diese freien Lizenzen, ebenso wie die aktuelle Version der Creative-Commons-Lizenzen, einen Fehler. Wie die Computerwelt der siebziger Jahre, oder die Welt der durch DRM geschützten Inhalte, grenzen diese Lizenzen schöpferische Werke auf eine Art und Weise ein, die zu Inkompatibilitäten im schöpferischen Prozess führt.
Nehmen wir zum Beispiel an, Sie sind ein Oberstufenschüler und arbeiten an einem Aufsatz über den Philosophen Ludwig Wittgenstein. Da Sie ein Schüler des 21. Jahrhunderts sind, bekommt Ihr Aufsatz nicht die traditionelle Form eines Essays. Statt dessen wird es ein Kurzfilm mit dem Titel „Wittgensteins Welt heute“. Als Grundlage für Ihren Film verwenden Sie Wittgensteins Biografie aus der Online-Enzyklopädie Wikipedia.
Ihr Plan ist einfach: Sie machen aus dem Text des Wikipedia-Eintrags einen Film, ergänzen ihn mit Bildern, die Sie bei Flickr finden und fügen Musik hinzu, die Sie von Opsound heruntergeladen haben.
Wie ich bereits vorher erklärt habe, ist die vielleicht wichtigste Eigenschaft von digitalem Content, dass ein solches Projekt aus technischer Perspektive trivial ist. Heutzutage ist es für schöpferisch Tätige mit vergleichsweise geringem Aufwand möglich, Geräusche und Bilder aus der uns umgebenden Kultur zu nehmen und sie zu etwas Neuem zu kombinieren. Verwendet ein Schüler handelsübliche Technologien, wird er keinerlei Probleme haben, den von mir gerade beschriebenen Remix vorzunehmen. Natürlich müssen Sie kreativ und kompetent sein. Selbst mit der besten Technologie ist es nicht so einfach, einen Film zu machen. Doch eine solche Herausforderung, könnte man sagen, ist genau die richtige Herausforderung für Kreative. Ist die Technologie aus dem Weg geräumt, verbleibt als schwierige Aufgabe der schöpferische Akt.
So einfach ist die Geschichte leider doch nicht, wie vielen Aktivisten für eine freie Kultur allmählich bewusst wird. Was die Technik anbelangt, mag es kein Problem sein, diese schöpferischen Elemente miteinander zu neu zu verbinden. Aber ist das auch rechtlich erlaubt? Gestatten die Lizenzen für freie Inhalte, dass man diese miteinander remixt?
Die erstaunliche – und für uns Juristen peinliche – Antwort ist Nein. Selbst, wenn alle Werke, die Sie für Ihren Remix verwenden möchten, unter einer Copyleft-Lizenz bereitgestellt worden sind, können Sie nicht einfach Werke mit unterschiedlichen Lizenzen miteinander mischen. Nehmen wir das Beispiel der Wikipedia, die unter der FDL-Lizenz steht. Von der Wikipedia abgeleitete Werke müssen – ausschließlich – unter der FDL lizenziert werden. Dasselbe gilt für die Creative-Commons-Attribution-ShareAlike-Lizenz, die sowohl die Opsound-Inhalte als auch viele Werke bei Flickr abdeckt. Als man alle diese Lizenzen geschrieben hat, hatte man den wichtigsten Fortschritt des digitalen Zeitalters aus dem Auge verloren – die Interoperabilität.
Wir werden Abhilfe schaffen. Jedenfalls werden wir es versuchen. Eine Möglichkeit wäre, wenn alle nur eine bestimmte Creative-Commons-Lizenz benutzen würden. Alle Welt dazu zu drängen, in Zukunft nur noch eine einzige Lizenz zu verwenden, verträgt sich aber weder mit unseren Wertvorstellungen noch empfiehlt es sich für die Ökologie der freien Kultur. Stattdessen rufen wir ein Projekt ins Leben, das es sich zum Ziel setzt, Interoperabilität zwischen einer hinreichend großen Anzahl verträglicher Lizenztypen herzustellen. Und wir werden uns Mühe geben, die Mitstreiter im Ökosystem der freien Lizenzen davon zu überzeugen, sich daran zu beteiligen.
Hier also die grundlegende Idee, mit der wir das Projekt angehen. (Berücksichtigen Sie aber bitte, dass es noch einer umfangreichen Diskussion bedarf, bevor der endgültige Plan feststeht.) Wie Sie sehen werden, gehen wir nach derselben Strategie vor, mit der wir die Kompatibilität von Lizenzen der unterschiedlichen Jurisdiktionen sicherstellen wollen:
Creative-Commons-Lizenzen bestehen aus drei Schichten: (1) einer Commons-Übertragungsurkunde, die die Freiheiten, die für das Werk gelten, in für Laien verständlicher Form beschreibt; (2) dem in Anwaltssprache verfassten Code – der Lizenz –, der die Freiheiten ihre Durchsetzbarkeit verdanken; und (3) den maschinenlesbaren Metadaten, welche die Freiheiten, die mit den Inhalten verbunden sind, für Computer verständlich macht. Die Zusammenhänge der drei Schichten lassen sich bildlich folgendermaßen darstellen:
[für größere Ansicht bitte auf Grafik klicken]
Wir haben schon frühzeitig damit begannen, unsere Lizenzen an andere Rechtsordnungen anzupassen, damit Menschen in aller Welt ihre Werke entsprechend ihrem lokalen Recht lizenzieren können. Während dieses Prozesses waren wir bestrebt, sicherzustellen, dass die lizenzierten Werke des eigenen Landes mit den lizenzierten Werken aus einem anderen Land kompatibel sind. In diesem Sinne vervielfachen wir die Lizenzen in der zweiten Schicht unserer Architektur, wobei etwa folgendes Bild entsteht:
Nun geben wir den Start eines Projektes bekannt, mit dem wir erkunden wollen, wie sich diese Interoperabilität über den Rahmen der Creative-Commons-Lizenzen hinaus ausweiten lässt. Wir haben damit begonnen, ein Beratergremium aufzubauen (bezeichnet als Creative Commons Legal Advisory Board, oder kurz ccLab), das sich aus Lizenzexperten aus der ganzen Welt zusammensetzen wird. Dieses Gremium wird Prozeduren festlegen, entsprechend derer eine von einem Lizenz-Kurator eingereichte Lizenz als „kompatibel“ eingestuft wird. Sollte eine bestimmte Lizenz als kompatibel eingestuft worden sein, werden ihr CC-Metadaten mit einer Beschreibung der Freiheiten, die mit dem Inhalt verbunden sind, hinzugefügt und ein Link auf eine Commons-Übertragungsurkunde gesetzt, der die diese Freiheiten erläutert. Danach können wir offiziell bescheinigen, dass diese Lizenz zu dem Verbund freier Lizenzen gehört, den wir aufbauen möchten. Diese Welt wird dann folgendermaßen aussehen:
Sind wir erfolgreich, wird es einfacher werden, beim Remixen von kreativen Werken die Lizenz zu wechseln. Die Austauschbarkeit von Lizenzen für kreative Werke wird ein wichtiges Signal an den Markt senden, welche der verfügbaren Lizenzen von der Gemeinschaft der freien Lizenzgeber als stabiler oder zuverlässiger angesehen werden. Freie Kultur wird dann nicht länger im Geltungsbereich einer einzelnen freien Lizenz isoliert sein. Stattdessen wird sie sich in den Geltungsbereichen aller kompatiblen Lizenzen bewegen können. So wird in der Welt der freien Kultur die „autistische Freiheit“ vermieden werden, die in der Welt der freien Software herrscht.
Selbstverständlich wird das Projekt nicht inkompatible Lizenzen kompatibel machen. So können nicht Werke, die unter einer Attribution-NoDerivatives-Lizenz zur Verfügung gestellt werden, mit solchen unter einer Attribution-ShareAlike-Lizenz gemischt werden. Diese Unverträglichkeit ist vom Autor beabsichtigt. Und auch, wenn ich mit den vielen einer Meinung bin, dass diese Art der Inkompatibilität ebenfalls verringert werden sollte, halte ich es doch für wesentlich wichtiger, in erster Linie die unabsichtlichen Inkompatibilitäten zu beseitigen. Kreative, die sich an der Bewegung für freie Kultur beteiligen, indem sie ihre Werke unter freien Lizenzen zur Verfügung stellen, bringen damit ihre Zustimmung zu den in diesen Lizenzen verankerten Wertvorstellungen zum Ausdruck. Die feinen Differenzen in der Rechtsprosa der unterschiedlichen Lizenzen kümmern sie nicht. Es liegt bei uns, die egozentrischen Juristen zurückzudrängen, damit die Kreativen ihre Wertvorstellungen endlich umsetzen können.
Dieses Projekt ist nicht einfach. Es braucht eine Menge Unterstützung. Und vor allem verlangt es von uns allen, die wir die Bewegung für eine freie Kultur unterstützen, unsere Eigeninteressen beiseite zu stellen und für das gemeinsame Ziel zu arbeiten. Wie es in einem bekannten Ausspruch von Richard Stallman heißt:
„Wenn wir nicht in einem Dschungel leben wollen, müssen wir unser Verhalten ändern. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass sich ein guter Bürger kooperativ verhält, wo es sinnvoll ist…“
Stallman hat absolut Recht. Die Kreativen, die sich für die Werte der freien Kultur entschieden haben, wünschen sich keine Welt, wo ihre Werke nicht in Übereinstimmung mit ihren Wertvorstellungen genutzt werden können. Als Bauherren der Infrastruktur der freien Kultur tragen wir Verantwortung dafür, dass ihre Wertvorstellungen respektiert werden.
In der nächsten Woche werde ich mich mit einigen Kritikern von Creative Commons auseinander setzen. Doch in dieser Woche, genau jetzt, benötigen wir immer noch Ihre Unterstützung.
Unser bleibt noch ein Monat für die Kampagne und wir haben noch einen langen Weg vor uns. Werfen Sie einen Blick auf die Dollar-für-Dollar-Initiative von Red Hat.
Übersetzung: Robert A. Gehring
Originalversion dieses Textes:
creativecommons.org/weblog/entry/5709
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