Schärferes Urheberrecht bringt Nachteile
„Urheberrechtsschutz in der Musikindustrie – eine ökonomische Analyse“ lautet der schlichte Titel der Dissertation von Jochen Haller. Doch hinter einfachen Titeln verbergen sich oft komplexe Zusammenhänge, und so ist es auch in diesem Fall. Der Stuttgarter Wirtschaftswissenschaftler Haller hat sich nicht weniger vorgenommen, als herauszufinden, welches Niveau des Urheberrechtsschutzes „wohlfahrtsoptimal“ ist – also nicht optimal für die Rechteinhaber, sondern für die Gesellschaft als Ganze.
Um es vorwegzunehmen: Haller kommt zu dem Schluss, dass die Gesellschaft von einem strengeren Urheberrecht nicht profitieren würde. Zwar sei es nicht möglich, ein bestimmtes Schutzniveau zu empfehlen, das wohlfahrtsoptimal ist. Für eine derartig genaue Festlegung fehlen vor allem empirische Daten, etwa darüber, welche Kosten der Musikindustrie bei der Herstellung von Musik tatsächlich entstehen. Doch könne generell gesagt werden, dass ein „moderates Niveau an Urheberrechtsschutz wohlfahrtsoptimal ist“, wie Haller schreibt. Da aber das deutsche Urheberrecht bereits jetzt eines der strengsten der Welt ist, würde eine Verschärfung wahrscheinlich zu Wohlfahrtsverlusten führen.
Überblick über wichtige Studien
Eine Stärke von Hallers Arbeit ist der kritische Überblick, den sie über die wichtigsten ökonomischen Studien zum Thema Urheberrechtsschutz gibt. Dabei ist vor allem in der aktuellen politischen Diskussion aufschlussreich, dass keine einzige darauf schließen lässt, eine Verschärfung des Urheberrechts werde dazu führen, dass mehr Werke geschaffen würden – egal, ob es dabei um Musik, Literatur oder Software geht. Weiterhin habe keine der bisher unternommenen Studien einen Beleg dafür geliefert, dass das nicht-autorisierte Kopieren von Musik der Hauptgrund für die Umsatzverluste der Musikindustrie ist.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis darauf, dass niedrigere Preise ebenfalls ein Mittel dafür sein können, einen stärkeren Urheberrechtsschutz zu ersetzen. Sprich: Wenn CDs billiger verkauft würden, würden auch mehr davon verkauft; viele, die sich derzeit mit unautorisierten Kopien versorgen, würden dann zur Original-CD greifen. Erfolgreich vorgemacht habe das die Filmindustrie, so Haller: Seit der Einführung von Videos ist ihr Preis von 100 auf 15 Dollar gesunken, der Absatz aber derart angestiegen, dass der Umsatz, der mit Videos erzielt wird, die Einnahmen der Kinos übertrifft. In diesem Zusammenhang sind die Strategien der Preisdifferenzierung interessant, die deutsche Labels gerade erproben, etwa indem sie unterschiedliche Versionen von CDs mit den gleichen Aufnahmen anbieten.
Defizite des Modells
Haller selbst benennt in bester wissenschaftlicher Art auch die Defizite seines Modells. So wird darin unterstellt, dass eine „Zielkonvergenz“ besteht zwischen den Interessen der Künstler und denen der Musikindustrie. Das ist aber häufig nicht der Fall. Der Tonträgerhersteller ist meist nur daran interessiert, seinen Gewinn zu maximieren. Der Künstler dagegen hat ein Interesse daran, dass sein Werk zu weit wie möglich verbreitet wird, denn je größer seine Bekanntheit, desto größer auch sein Spielraum bei künftigen Vertragsverhandlung.
Die Band Wilco kann an dieser Stelle als prominentes Beispiel dienen. Nachdem ihre Plattenfirma es abgelehnt hatte, ihr Album „Yankee Hotel Foxtrot“ zu veröffentlichen und sie aus ihrem Vertrag entließ, stellten Wilco die gesamte Platte als Streaming-Version auf ihrer Website bereit. Nachdem die Musik etwa eine halbe Million Mal abgerufen worden war, standen bereits die Labels Schlange, um der Band einen neuen Vertrag anzubieten.
Weiterhin darf man nicht außer acht lassen, dass viele Musiker einen großen Teil ihres Einkommens durch Konzerte verdienen. Auch daher sind sie daran interessiert, dass ihre Musik eine große Verbreitung findet. Der internationale Verband der Plattenfirmen (IFPI) etwa rechnet mit einer Verdoppelung des Umsatzes bei Aufführungsrechten in den kommenden fünf Jahren.
Seltene Stimme der Vernunft
Gerade die offenen Fragen machen Hallers Studie lesenswert. Denn bei einem politisch derart aufgeladenen Thema sind Stimmen der Vernunft inzwischen selten geworden. Alle Seiten glauben sich im Besitz der letztgültigen Antworten, und Aussagen wie „Es ist unbestritten, dass Tauschbörsen der Hauptgrund für die Umsatzverluste der Musikindustrie sind“, werden durch Wiederholung nicht richtiger. Dass es noch immer nicht genug aussagekräftige empirische Untersuchungen des Musikmarktes gibt, ist bedauerlich – doch dafür kann Haller nichts.
Jochen Haller:
Urheberrechtsschutz in der Musikindustrie: Eine ökonomische Analyse
Verlag Josef Eul
ISBN: 3-89936-352-3
56 EUR
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