Christiane Floyd – Datenschutz muss immer wieder neu erkämpft werden
Seit Einführung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) wurde wohl nicht mehr so breit und engagiert über Datenschutz debattiert. Die staatliche Corona-Tracing-App, die im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie entwickelt wurde und Daten zu Personenkontakten sammelt, fachte das Abwägen von und das Ringen um Datenschutz neu an.
Die dahinterliegende Frage, welche Daten der Staat über seine Bürger*innen maschinell erfassen oder nutzen darf, erscheint angesichts dieser neuerlichen Debatten hoch aktuell – dabei ist es eine alte. Denn die Datenschutz-Bewegung hat gerade in Deutschland eine lange Tradition.
Zu den damaligen Akteur*innen aus Wissenschaft und Technik gehörte auch Christiane Floyd. Sie war in den 1970er Jahren nicht nur die erste weibliche Professorin für Informatik im deutschsprachigen Raum. Vielmehr dachte sie Informatik und Gesellschaft immer zusammen und engagierte sich früh in der Datenschutzbewegung der 1980er Jahre rund um die Volkszählung, die 1983 stattfinden sollte und gegen die es breiten Widerstand in der Bevölkerung gab.
Erfolgreiche Verfassungsklage gegen die Volkszählung
Kritisiert wurde damals die umfassende Befragung der Bürger*innen sowie die Zusammenführung von personalisierten und anonymisierten Daten und deren maschinelle Verarbeitung und Speicherung durch Computer. Gemeinsam mit vier Kollegen, darunter der Informatiker Klaus Brunnstein und der Verwaltungsjurist Klaus Lenk, reichte sie eine Verfassungsklage ein.
Letztendlich zog sie ihre Unterschrift zurück. Sie erzählt schmunzelnd, dass das Bundesverfassungsgericht sie in einem „sehr höflichen Telefonat“ darum gebeten habe. Floyd als Bewohnerin West-Berlins hätte als Mitunterzeichnerin das Gericht dazu verpflichtet, zuerst den Berlin-Status klären zu müssen. [Ob und wie West-Berlin zur BRD gehörte, zu dieser Frage legten beide deutsche Staaten das 1971 abgeschlossene Viermächteabkommen unterschiedlich aus. Eine verfassungsrechtliche Klärung des Berlin-Status schien in den 1980er Jahren aus staatspolitischen Gründen nahezu unmöglich. Anmerkung der Redaktion.]
Die Klage war erfolgreich, das Bundesverfassungsgericht stoppte die Volkszählung vorläufig und schrieb im sogenannten „Volkszählungsurteil“ erstmals das Recht auf „informationelle Selbstbestimmung“ fest. Eine Errungenschaft, von der wir bis heute profitieren, manifestiert sie doch das Recht der Bürger*innen selbst zu entscheiden, wer ihre personenbezogenen Daten erheben, speichern und weitergeben darf.
Datenmissbrauch eingehegt – aber Datenkapitalisimus nicht vorhergesehen
Floyd resümiert: „Wir haben Gesetze auf den Weg gebracht, die den Missbrauch der Daten ausschließen.“ Jedoch, so Floyd weiter, habe man sich in der Datenschutz-Bewegung damals vor allem an konventioneller Überwachung oder Computerkriminalität orientiert.
„Was wir am wenigsten vorausgesehen haben, sind die erschreckenden Möglichkeiten, mit Hilfe von Daten Profile von Menschen zu konstruieren. Man hat sich mit dieser Vorstellung nicht beschäftigt, dass man Profile und Gruppen von Menschen rekonstruieren und manipulieren kann.“
Die Informatikerin bezieht sich dabei auf das, was man heute „Datenkapitalismus“ nennt. Dienstleistungen im Internet werden zwar kostenfrei zur Verfügung gestellt, im Gegenzug speichern die jeweiligen Unternehmen die Daten der Nutzer*innen und nutzen diese für kommerzielle Interessen. Es bleibe, so Floyd, ein enormes Spannungsverhältnis zwischen der in Europa geltenden Datenschutzgrundverordnung und den „Big Five“, die weiterhin immer neue Mittel und Wege der Datenspeicherung suchen würden. Hier sieht sie die Nutzer*innen in der Pflicht, sorgsamer mit ihren persönlichsten Daten umzugehen. Datensparsamkeit wäre hier also ein Stichwort.
Vom Studium der Mathematik zur Informatik-Spitzenforschung in Stanford
Als Informatikerin entwickelte Christiane Floyd prozessorientierte, partizipative Methoden, die heute als Vorläufer des agilen Arbeitens gelten. Doch mit diesem Ansatz eckte die Vordenkerin ihrerzeit an. Sie erzählt, dass ihr Fachgebiet, die Software-Technik, zu Beginn ein rein formales und technisches Fach gewesen sei, das auf quantitative Empirie, formale Logik und formale Sprachen setzte.
Bereits während ihres Studiums der Mathematik in Wien und München sei ihr jedoch klar geworden, so erzählt Floyd, dass rein mathematische Fragestellungen nicht ihre „Lebensberufung“ seien. Zur Mathematik war sie gekommen, weil sie bereits als Vierjährige Rechnen konnte, ohne dass es ihr jemand beigebracht hatte. Sie vergleicht das im Rückblick mit dem Sprechenlernen: Man erinnert sich nicht an den Prozess, sondern man kann es einfach irgendwann. Ihre Familie sei deshalb von ihrer „mathematischen Genialität“ überzeugt gewesen, sagt Floyd und lacht.
Dabei habe sie im Studium zeitweise überlegt, in die Philosophie zu wechseln. Doch stattdessen landete sie durch ein Praktikum bei Siemens in München beim Programmieren. Dort arbeitete sie auch nach ihrer Promotion als Systemprogrammiererin. Wie sich im Nachhinein herausstellte, ein gutes Sprungbrett, um als wissenschaftliche Mitarbeiterin an die bereits damals für ihre Informatik-Spitzenforschung bekannte Stanford University zu wechseln.
Die Zeit dort bezeichnet sie heute als eine „zweite Geburt“, sowohl beruflich als auch privat. Trotzdem kehrte sie nach fünf Jahren auf Grund ihrer beruflich „eher praxisorientierten Interessen“ nach Deutschland zurück. Nach einer Station als Leiterin der Methodenentwicklung bei Softlab in München folgte sie dem Ruf an die Technische Universität Berlin und wurde dort Professorin im Fachbereich Informatik.
Ihr damals neuer Ansatz: Nutzer*innen in die Software-Entwicklung einbeziehen
Hier beschäftigte sich Floyd mit partizipativen Methoden, bei denen die Bedürfnisse der Software-Nutzer*innen in den Entwicklungsprozess integriert werden: „Damals entwickelte ich den Ansatz des ‘user-centered design‘. Das nannte man damals noch nicht so. Alleine die Hinwendung zu den Nutzern war damals völlig fremd. Es ist vielleicht übertrieben zu sagen, dass ich angefeindet wurde, das ist das falsche Wort. Ich bin belächelt worden, als ‘unwissenschaftlich, nichts Festes, ist halt eine Frau’. Das hat man nicht gesagt, aber wahrscheinlich gedacht.“ Und so entwickelte man die großen, renommierten Projekte ohne sie.
Trotzdem klingt ihr Rückblick versöhnlich: „Da muss ich ein Loblied auf Berlin singen“, sagt die heute 77jährige. „Meine Berliner Kollegen ließen mich einfach machen. Ich bin mir nicht sicher, ob das an anderen Universitäten so auch der Fall gewesen wäre“.
Als Gründungsmitglied und erste Vorsitzende des heutigen „Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung“ machte Floyd sich für eine Informatik stark, die sich ihrer gesellschaftlichen Relevanz bewusst ist.
So veröffentlichte sie 1985 das Papier „Wo sind Grenzen des verantwortbaren Computereinsatzes?“. Sie benennt darin als Kategorien „fachliche, zwischenmenschliche und politisch-moralische Grenzen“, die für sie bis heute relevant sind: „Die Menschen waren schon damals wie heute unheimlich computergläubig.“
Als Beispiel für einen Fall, in dem es um die „fachlichen Grenzen“ ging, nennt sie das Vorhaben des damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan, ein elektronisches Abwehrschild für sowjetische Raketen entwickeln zu lassen. Dies sei technisch nicht möglich gewesen. Da brauchte es verantwortungsvolle Informatiker*innen, die ein solches Projekt ablehnten, obwohl es dabei um viel Geld ging.
In der Gegenwart gilt für sie Vergleichbares für manche Projekte in der „Künstlichen Intelligenz“. Die „zwischenmenschlichen Grenzen“ wiederum kämen etwa dann zum Tragen, wenn es um Roboter in der Altenpflege gehe. Hier könnten sich zwar die Grenzen verschieben, aber es müsse klar sein, dass ein Roboter keine Menschen ersetzen könne – sei es die Verantwortung für Entscheidungen oder die menschliche Zuwendung. Zudem nennt Floyd politisch-moralische Grenzen: „Alles was ein Mensch nicht machen darf, darf auch nicht von einem Computer ausgeführt werden. Hier geht es also auch um Computerkriminalität“.
Soziales Engagement mit einer App für Frauen in Äthiopien
Heute engagiert sich die Informatik-Pionierin vor allem in Äthiopien. Der Kontakt kam vor über 20 Jahren über eine frühere Promovendin zustande, die Floyd als Leiterin des Fachbereichs Software-Technik an der Universität Hamburg betreute.
So begleitete Floyd kürzlich als wissenschaftliche Beraterin die Entwicklung einer Gesundheits-App für Frauen in Äthiopien im ländlichen Raum, die oftmals weder lesen noch schreiben können. Das Ziel: Die Senkung der Mütter- und Kindersterblichkeit. Dafür entwickelte das Team rund um die Forscherin eine Art Bildsprache.
„Ich bin außerordentlich erfreut darüber, dass die Methoden, die ich an der Technischen Universität Berlin entwickelt habe, genauso wie ich sie mir damals vorgestellt habe, nun in Äthiopien zur Anwendung kommen“, so Floyd.
Es ist ihr wichtig, dass die gesamte technische Entwicklung vor Ort an der Universität in Addis Abeba stattfand: „Die Herausforderung der Zusammenarbeit besteht ja darin, dass man die Bedürfnisse der Mütter so genau wie möglich zur Kenntnis nimmt und die Technik so entwickelt, dass es für sie passt“.
Man merkt Floyd an, dass das Projekt eine Herzensangelegenheit für sie ist, geht es doch ein weiteres Mal um ganz konkrete gesellschaftliche Auswirkungen einer technischen Applikation. Ihre Kolleg*innen dort haben mittlerweile auch eine App zum Schutz der Äthiopier*innen vor Corona entwickelt.
Auf die Frage, was sie von der deutschen Corona-Tracing-App hält, unterscheidet sie diese ganz klar von jener in Äthiopien: „Dort ist das eine App, die Informationen über gesundheitliche Fragen vermittelt. Die App kann auf ein Smartphone heruntergeladen werden und ist dann unabhängig.“
Dagegen helfe die in Deutschland verfügbare Tracing-App nur, „wenn sehr viele Menschen diese App benutzen, ihre Handys möglichst dauernd mit sich herumtragen und eingeschaltet haben. An so eine App gibt es anspruchsvolle technische Voraussetzungen, die nur auf hochwertigen Smartphones gegeben sind.“
„Woran ich geglaubt habe, hat sich als wegweisend herausgestellt“
Und wie schätzt sie es ein, dass mit Google und Apple zwei Firmen involviert sind, die bereits heute umfassend personalisierte Daten ihrer Nutzer*innen speichern? „Die wichtigsten Forderungen an die App sind: Datenschutz, Sicherheit und leichte Benutzbarkeit. Auf jeden Fall erfordert der Datenschutz eine dezentrale Speicherung. Ob sich dann der Datenhunger von Google und Apple wirklich lückenlos abwehren lässt, kann ich nicht beantworten.“
Mit ihrem ganzheitlichen Ansatz erlangte Floyd zwar keinen Weltruhm – im Gegensatz zu ihren berühmten Ehemännern, sie war mit zwei Turing-Preisträgern verheiratet. Trotzdem ist sie stolz auf ihr Lebenswerk: „Ich denke nicht, dass es sehr viele Menschen gibt, die, wenn sie auf ihre Tätigkeit zurückblicken, nicht etwas davon zurücknehmen wollen, beziehungsweise die nicht durch eine Entwicklung eines Besseren belehrt wurden. Ich bin in der herrlichen Position, dass sich alles, woran ich geglaubt habe, als wegweisend herausgestellt hat. Auch wenn ich nicht unbedingt als die Person wahrgenommen werde, die das auf den Weg gebracht hat.“
2 Kommentare
1 Christiane Floyd am 2. Juli, 2020 um 10:17
Liebe Frau Müller,
Das ist ein schöner Artikel geworden, in dem ich mich wiederfinde. Danke für Ihre sorgfältige Arbeit.
Mit herzlichen Grüßen,
Christiane Floyd
2 Ria Hinken am 14. August, 2020 um 17:19
Christiane Floyd ist wirklich eine echte Pionierin. Davon müssten wir sehr viel mehr haben. Ihr gilt mein aufrichtiger Dank für ihren unermüdlichen Einsatz. Vor allem aber, dass sie nicht aufgegeben hat, obwohl sie belächelt wurde.
Ich staune immer wieder darüber, dass dieselben Menschen, die einst so energisch gegen die Volkszählung gekämpft haben, heute völlig kritiklos ihre Daten preisgeben. Und nicht nur ihre eigenen Daten, sondern über Messenger wie WhatsApp auch die Daten ihrer Freunde und Verwandten.
Ich werde sehr gerne zu diesem Artikel verlinken.
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