Schweiz: Arbeitsgruppe des Justizministeriums schlägt Verschärfungen des Urheberrechts vor
Die vom Schweizer Justizministerium in 2012 eingesetzte „Arbeitsgruppe Urheberrecht“ (Agur 12) legte kürzlich unter dem Titel „Empfehlungen zur Modernisierung des Urheberrechts“ ihren Schlussbericht der einjährigen Beratungen vor. Darin empfiehlt sie unter anderem, dass die Hosting-Provider verpflichtet werden sollten, unerlaubt hochgeladene Inhalte zu entfernen, dass Warnhinweise für das Hochladen auf Filesharing-Server eingeführt werden sollten, und dass Access-Provider illegal kopierte Dateien auf ausländischen Servern sperren sollten, wenn dies durch die Behörden angewiesen wird.
Mit diesen Vorschlägen erntet die Agur 12 sowohl Zustimmung als auch Kritik. Während die in der IFPI Schweiz organisierte Musikindustrie sie als „akzeptablen Kompromiss“ betrachtet, sieht die „Neue Zürcher Zeitung“ die Gefahr, dass die Grundrechte der Bürger und Verbraucher stark eingeschränkt würden. In einer näheren Betrachtung vergleicht die NZZ eine der vorgeschlagenen Regelungen mit einem „Kopfgeld auf Piraten“:
Einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte schlägt die „Agur 12“ bei der Bekämpfung von „Webportalen mit offensichtlich illegalen Quellen“ vor. Access Provider wie Swisscom oder Cablecom sollen „in schwerwiegenden Fällen“ solche Sites auf behördliche Anweisung über IP- und DNS-Blockierungen sperren. Im Gegenzug sollen die Access Provider für ihre Aufwände von jeglicher Haftung ausgenommen und entschädigt werden. Damit erhalten sie quasi ein Kopfgeld auf Piraten.
Was schwerwiegende Fälle sind, hat die Arbeitsgruppe nicht definiert. Sie hält einzig fest, dass die Schranke so anzusetzen sei, dass Access Provider nicht übermässig Sperrmassnahmen einrichten müssten, dass Overblocking (die Mitsperrung legaler Angebote) so weit wie möglich zu vermeiden sei und die technische Funktionsfähigkeit des IP- oder DNS-Systems nicht gefährdet werden dürfe. Damit wird eine Sperrung nahezu verunmöglicht. Denn auf jedem Portal, auf dem illegale Daten liegen, befinden sich auch legale.
Was die Verbraucher beträfe, betrachte die „Agur 12“ zwar den Download für den Privatgebrauch als weiterhin für zulässig, auch wenn illegale Quellen im Spiel sein sollten. Hier soll nach den Vorstellungen der Arbeitsgruppe mehr Aufklärung geleistet werden. Gleichwohl glaubt die NZZ in den „Agur 12“-Empfehlungen eine Tendenz zu erkennen, dass insbesondere den Rechteinhabern, sprich Lizenzinhabern und Verwertern, viele Privilegien zukommen würden:
Tatsächlich scheinen die Vorschläge stark von den Rechteinhabern geprägt worden zu sein. So schlägt die „Agur 12“ beispielsweise vor, dass Hosting Provider (Anbieter von Speicherplatz im Internet) unerlaubt hochgeladene Inhalte auf Anzeige der Rechteinhaber oder einer zuständigen Behörde entfernen müssen – ohne gesetzliche Grundlage. Stattdessen wird eine Selbstregulierung vorgeschlagen. Damit würde faktisch eine Zensurinfrastruktur ohne gerichtliche Prüfung mit den Hosting Providern als Hilfspolizisten aufgebaut. Der Zürcher Rechtsanwalt und Urheberrechts-Spezialist Martin Steiger spricht auf Anfrage von einer heiklen Lösung: „Die Rechteinhaber wollen offenbar eine Abkürzung nehmen und die Gerichte umgehen, statt den Rechtsweg zu beschreiten.“ Eine solche Zensur wäre zwar kein Novum. In Fällen harter Pornografie entfernen Provider bereits heute Inhalte im Netz.
Die NZZ vermutet, dass die vermeintliche Bevorzugung der Rechteinhaber als politisches Signal an die USA gerichtet sei. Seit Jahren wachse der Druck der US-Unterhaltungsindustrie auf das liberale Urheberrechtsgesetz der Schweiz, zudem gebe es seit März diesen Jahres mit den USA Gespräche darüber an einem „runden Tisch“.
Laut einer Meldung auf Urheberrecht.org werde das Justizministerium der Schweiz nun nach eingehender Analyse des „Agur 12“-Berichts über das weitere Vorgehen entscheiden und einen Gesetzesvorschlag erarbeiten, der in 2014 zügig beraten werden soll.
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