Vortrag Martin Kretschmer: Einkommensverhältnisse von Kreativen (Fr 26.9. 13:45)
Martin Kretschmer fängt seinen Vortrag mit einem Bild des armen Poeten von Spitzweg an. Natürlich ist das ein Klischee, andererseits wird in der Folge seines Vortrags deutlich, dass die Situation eines heutigen Poeten tatsächlich nicht viel anders ist.
Die Untersuchung, die er zusammen mit seinem Kollegen Philip Hardwick im Zeitraum 2004-2005 durchführte und die im September 2007 veröffentlicht wurde, handelt nämlich davon, wie viel (oder besser gesagt wie wenig) Autoren mit ihrer Arbeit verdienen und wie sich diese Einnahmen aufteilen zwischen künstlerischer Arbeit und indirektem Verdienst z.B. aus Lehrtätigkeit, Stipendien oder Sponsoren, die natürlich mit der kreativen Arbeit zusammenhängen.
Kretschmer fängt an mit einem kleine Vorwort, in dem er in die Urheberrechtsgeschichte (er ist nämlich auch Co-Direktor eines Archivs, das primäre Quellen des Urheberrechts digitalisiert und im Internet zur Verfügung stellt) zurückschaut. Er zitiert Adam Smith („their numbers [of the ‘men of letters’] are everywhere so great as commonly to reduce the price of their labour to a very paultry recompence“ – es gibt also so viele Intellektuelle, die ihre Haut zu Markte tragen, das die Bezahlung leider drunter leidet) und die Rede von Thomas Babington Macaulay am 5. Februar 1841 im House of Commons, der feststellt, das ein Copyrightsystem nötig ist, um die Werke herzustellen, die der gebildete Mensch „for literary instruction and amusement“ dringend benötigt (interessanterweise sagt er darin, dass Copyright nur ein Teil einer Finanzierung von künstlerischen Werken darstellen soll, der andere Teil ist direkte Unterstützung von Außen, wobei man sich zwischen Sponsoring, Mäzenatentum und staatlicher Förderung durch Stipendien alles vorstellen kann).
Diese Rechtfertigung des Copyrights bzw. Urheberrechts zieht sich bis heute durch, meint Kretschmer. Zur Illustration zeigt er zwei Werbeslogans der Musikindustrie, die sich ja schon lange für eine Stärkung des Urheberrechts einsetzt, damit die Kreativen von ihrer Früchte Arbeit leben können. Weitere Hinweise für diese Denkweise finden sich in den Begründungen zur EU-Richtlinie zur Harmonisierung des Urheberrechts (2001/29/EC), in dem eine angemessene Vergütung für Urheber festgeschrieben wird (im Beweggrund 10) und das Urheberecht als Garantie für kulturelles Schaffen behauptet wird (Beweggrund 11). Kretschmers eigenes Interesse am Thema Urheberrecht beginnt Mitte der 90er, als er eine Lorenz-Kurve sieht, in der die Einkommensverteilung der komponierenden Mitglieder der UK Performing Rights Society (PRS), die Verwertungsgesellschaft der Musiker im Vereinigten Königreich, von 1994 dargestellt wird. Diese visualisiert, dass 10 Prozent der Komponisten 90 Prozent der Einnahmen der Verwertungsgesellschaft erhalten.
Dem wollten Kretschmer und seine Kollegen an der Bournemouth University genauer nachgehen und bemühten sich um konkrete Zahlen. 2005 erklärte sich schließlich die englische Entsprechung der VG Wort, die Authors’ Licensing and Collecting Society (ALCS), bereit eine Studie zu finanzieren, die die Verdienstsituation der englischen und deutschen Wortautoren vergleicht. Der Verdacht der englischen Verwertungsgesellschaft war nämlich, dass die unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen in Deutschland dafür sorgen würden, dass es deutschen Autoren finanziell besser geht. In Deutschland haben Autoren zum Beispiel Einnahmen aus der Kopiergeräteabgabe; es gibt ein Urhebervertragsrecht, das autorenfreundlicher gestaltet ist und auch die Persönlichkeitsrechte der Urheber werden stärker geachtet. Die daraus entstandene Studie ist 2007 fertig geworden und unter dem Titel „ALCS Study“ auf den Seiten des Centre for Intellectual Property Policy & Management online verfügbar. Die Zahlen über das Einkommen stammen dabei auf der englischen Seite aus einer Umfrage, die Kretschmer und sein Kollege Philip Hardwick unter den Mitglieder der ALCS durchgeführt haben, auf der deutschen Seite hatten sie Hilfe vom Verband Deutscher Schriftsteller und dem Verband der Drehbuchautoren. Außerdem analysierten sie Steuerdaten und das Einkommen aus den Erträgen der Verwertungsgesellschaften.
Sie mussten feststellen, dass es Autoren heute nicht besser als ihren komponierenden Kollegen 1994 geht. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass die Verteilung der Einkommen sehr ungerecht ist: Eine Minderheit der Autoren bekommt den überwiegenden Großteil der zu verteilenden Geldkuchens. Diese Ungleichgewicht kann man mit dem Gini-Index messen. Dieser Index misst die Abweichung von einer komplett gerechten Gesellschaft, in der jeder das Gleiche verdient, wo also zum Beispiel 10 Prozent der Autoren 10 Prozent der Einnahmen erzielen würden. Er wird in Bruchteilen von 1 gemessen und je näher er der Eins kommt, desto ungerechter ist die Gruppe. Der Gini-Index für die arbeitende Bevölkerung allgemein in Deutschland zum Beispiel beträgt 0,31, in Großbritannien 0.33 – das heißt, Deutschland ist ein bisschen „gleicher“ als Großbritannien, aber nicht wirklich viel. Schaut man sich den Gini-Index bei den Autoren an, dann beträgt er in Deutschland 0,71 und in England 0.83. Deutschland ist also auch hier etwas gleicher als die UK, aber auffälliger ist, dass das Einkommen bei Autoren wesentlich ungleicher verteilt ist, als das Einkommen normaler Arbeitnehmer.
Die etwas gleichmäßigere Verteilung der Einnahmen in Deutschland (nur im Vergleich mit UK, nicht im Vergleich mit anderen, nicht-künstlerlischen Einkommen) relativiert sich allerdings wieder, wenn man sich die absoluten Zahlen anschaut, denn Wortautoren verdienen in Deutschland etwa ein Drittel weniger als in England: etwa 12.000 Pfund (18.000 Euro) in England zu 8.000 Pfund (12.000) in Deutschland (es ist im Augenblick etwas schwierig zu vergleichen, da das Pfund im Vergleich zum Euro gerade sehr schlecht steht). 7,2 Prozent der Autoren in UK verdienen mehr als 100.000 Pfund, aber nur 1,7 Prozent der deutschen Autoren. Die genauen Zahlen (mit allen Lorenz-Kurven) finden sich in der Studie, die sehr lesenswert ist und den Diskussionen über Urheber und deren Verdienst eine empirische Basis gibt. Die Information ist allerdings nicht unbedingt im Sinne aller Urhebervertretungen. So meint etwa Wolfgang Schimmel von Verdi, dass ein starkes Urheberrecht notwendig ist, um die wirtschaftlichen Interessen der Urheber zu schützen. Die ALCS-Studie zeigt jedoch, dass die Einnahmen aus der urheberrechtlichen Verwertung für hauptberufliche Autoren noch ungerechter verteilt sind als die Einnahmen aus anderen Quellen (nur 20 Prozent der Autoren in Großbritannien leben ausschließlich vom Schreiben). Das heißt, dass das Urheberrecht keine große Rolle spielt, wenn es um die Einkommen des durchschnittlichen Autors geht.
Eine weiterer interessanter Punkt der Umfrage drehte sich darum, dass Autoren, die ihre Verträge nicht ohne weiteres hinnehmen, sondern verhandeln, sich also nicht mit dem ersten Angebot zufrieden geben, fast doppelt so viel verdienen, wie diejenigen, die das nicht tun. Es ist zwar nicht ganz klar, ob die Autoren, die verhandeln, vorher schon eine so guten Position gegenüber ihren Auftraggebern hatten, dass sie es sich erlauben konnten zu verhandeln, oder ob sie wirklich durch ihre Verhandlungen in der Lage waren, ihr Einkommen zu steigern. Trotzdem eine interessante Korrelation. Zusammen mit der Feststellung, dass das Einkommen aus urheberrechtlichen Quellen eher unerheblich ist, kann man zu dem Schluss kommen, dass die Marktsituation eine größere Rolle spielt als der Urheberrechtsschutz, um den Lebensunterhalt von Kreativschaffenden zu sichern.
Dieser Bericht ist notgedrungen gekürzt und wahrscheinlich habe ich auch einiges falsch wiedergegeben. Deshalb verweise ich bei Interesse noch einmal auf das PDF der vollständige Studie.
(1) Lizenziert unter der GNU Free Documentation Licence von The York Project via Wikipedia.
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