Zweitveröffentlichungsrecht und Causa Konstanz: Bundesverfassungsgericht vor Entscheidung

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Vom Bund zum Land zur Uni
Der Streit geht schon seit einigen Jahren. 2014 hatte das Bundesland Baden-Württemberg eine neue Regelung im Landeshochschulgesetz eingeführt. Diese sollte das 2013 auf Bundesbene eingeführte Zweitveröffentlichungsrecht für alle Forschende des Landes faktisch zu einer Zweitveröffentlichungspflicht machen. Die Universität Konstanz setzte die Vorgabe (als bisher einzige Hochschule) in einer hochschuleigenen Satzung um (siehe dort § 2 Abs. 2). Danach sind wissenschaftliche Beiträge, die „im Rahmen der Dienstaufgaben entstanden“ und „in einer periodisch mindestens zweimal jährlich erscheinenden Sammlung erschienen sind“, zwölf Monate nach Erstpublikation auf dem hochschuleigenen Repositorium öffentlich zugänglich zu machen.
Juristischer Widerstand aus der juristischen Fakultät
Das kam nicht überall gut an. In der juristischen Fakultät erzeugte die neue Satzung Widerstand: Mehrere Professor*innen richteten Anfang 2016 an ihren Rektor einen offenen Brief. Dieser scheint über die ursprüngliche Website derzeit nicht mehr abrufbar zu sein, ist aber beim Internet Archive gespeichert.
In dem offenen Brief wird die neue Satzung als „rechtlich übergriffig“, als „Verletzung des Grundrechts auf Wissenschaftsfreiheit“ sowie als „eine Verletzung der Gewähr geistigen Eigentums“ bezeichnet. Zwar sei man „nicht gegen die Idee von Open Access selbst“, wie es zum Ende des Schreibens wörtlich heißt, „wohl aber gegen den durch die Universität eingeschlagenen Weg, die Möglichkeit der Zweitveröffentlichung in ein auf diese Weise diskreditiertes Zwangsinstrument umzuwandeln.“ Die neue Regelung werde daher einmütig von den Professor*innen der juristischen Fakultät ignoriert. Diese würden ihre Publikationen nicht im Open-Access-Repositorium der Uni Konstanz zweitveröffentlichen.
Der offene Brief war aber erst der Anfang: 16 Professor*innen der juristischen Fakultät und ein Kollege oder eine Kollegin der Literaturwissenschaft zogen gegen die eigene Uni vor Gericht. Die 17 Professor*innen reichten beim Verwaltungsgerichtshof Mannheim eine sogenannte Normenkontrollklage gegen die Satzung der Uni Konstanz ein. Das Argument: Die neue Satzung verletze das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit, wie es in der Pressemitteilung der Universität heißt (ebenfalls nur noch per Internet Archive zugänglich).

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Mannheim übergibt nach Karlsruhe – Karlsruhe lässt auf sich warten
Eingereicht wurde die Klage im Jahr 2017. Das Mannheimer Gericht befand noch im gleichen Jahr, den Fall nach oben an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu reichen. Das Verwaltungsgerichtshof war der Auffassung, dass dem Land die Befugnis zum Erlass der Regelung, die wiederum Grundlage für die Satzung war, fehle. Es gehe hier um das Urheberrecht und für das sei ausschließlich der Bundesgesetzgeber zuständig, so das Gericht.
Wann das Bundesverfassungsgericht genau entscheidet, ist derzeit noch unklar. Immerhin hat es das Verfahren auf die diesjährige Liste der geplanten Entscheidungen geschafft (unter dem Kürzel „2 BvL 3/18“). Das heißt allerdings noch lange nicht, dass auch in diesem Jahr noch mit einem Richterspruch gerechnet werden kann. Die lange Verfahrensdauer monierte auch der Jurist Hanjo Hamann im Sommer 2022 in einem bissigen Beitrag beim Verfassungsblog.
Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens: Dass Angehörige einer Hochschule sich zusammentun, um gegen die eigene Arbeitgeberin zu klagen, kommt vor – selten, aber bisweilen eben schon. Dass es – wie in der Causa Konstanz – um Publikationsvorschriften geht, ist allerdings eine kleine Sensation. Insbesondere wenn man bedenkt, dass es in der betreffenden Uni-Satzung lediglich um Zweitveröffentlichungen geht. Was also ist für die Kläger*innen derart anstößig, dass sie deswegen vor Gericht ziehen?
Grundzüge des Zweitveröffentlichungsrechts
Um Antworten auf diese Frage zu finden, lohnt es sich, die Regelung in ihren Grundzügen zu betrachten. Das Zweitveröffentlichungsrecht nach § 38 UrhG soll die Abhängigkeit der Wissenschaft vom Verlagswesen verringern, die freie Zugänglichkeit von Forschung erhöhen und dazu beitragen, Autor*innen mehr Kontrolle über ihre Texte (zurück) zu geben.
Wann und wie Wissenschaftler*innen zweitveröffentlichen dürfen
Es gilt für Aufsätze aus wissenschaftlichen Fachzeitschriften, „die im Rahmen einer mindestens zur Hälfte mit öffentlichen Mitteln geförderten Forschungstätigkeit entstanden“ sind, wie es im Gesetz heißt. Die Zeitschriften müssen dafür fortlaufend als Periodikum erscheinen (mindestens zwei Mal jährlich). Ausgenommen sind Monografien (Bücher), Tagungsbände, Festschriften und ähnliche Herausgeberwerke. Autor*innen solcher Publikationen können sich nicht ohne Weiteres auf das Zweitveröffentlichungsrecht berufen.
Fällt ein wissenschaftlicher Text unter die genannten Bedingungen, darf er als „akzeptierte Manuskriptversion“ zwölf Monate nach dem ursprünglichen Erscheinen als Zweitpublikation öffentlich zugänglich gemacht werden. Viele Autor*innen nutzen dafür wissenschaftliche Repositorien oder die eigene Website; das ist legitim, solange die Zweitveröffentlichung keinem gewerblichen Zweck folgt. Die Erstpublikation, oftmals hinter einer digitalen Bezahlschranke („Paywall“) eines Verlags erschienen und/oder als Printfassung etwa in einer Bibliothek verfügbar, bleibt davon unberührt.
Wichtig dabei: Der Aufsatz darf nur als „akzeptierte Manuskriptversion“ zweitveröffentlicht werden, also nicht im Layout des Verlags, sondern nur in einer reinen Textfassung. Diese darf zur einwandfreien Zitierfähigkeit die Seitenzahlen der Erstpublikation enthalten (sogenannte Konkordanz). Die Quelle der Erstpublikation ist anzugeben.
Komplizierte Details, unklare Fragen
Es dauerte einige Jahre, bis sich das Zweitveröffentlichungsrecht in der Wissenschaft herumsprach und Anwendung im akademischen Alltag fand. Die verschiedenen Regelungen machen das Zweitveröffentlichungsrecht zudem kompliziert in der Praxis. Dazu kommt Unklarheit, wie bei ausländischen Verlagen zu verfahren ist, für die das deutsche Gesetz keine juristische Bindung hat. Da die deutsche Wissenschaft zunehmend international wird und sich dabei stark am angloamerikanischen Raum orientiert, stellt dies ein Problem dar. Näheres zu Geltungsbereich und Kritik am Zweitveröffentlichungsrecht beispielsweise hier oder hier.

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Das juristische Publikationswesen schützen
Das Zweitveröffentlichungsrecht zielt darauf ab, Verlagsabhängigkeiten zumindest teilweise abzubauen und die Reichweite der eigenen Forschung zu stärken. Publikationen sollen so langfristig digital auffindbar, sichtbar und zitierbar werden. Insbesondere gegen den zweiten Punkt kann keine Wissenschaftlerin per se etwas haben, wie auch der offene Brief der Konstanzer Jurist*innen klarstellt.
Trotzdem fühlen sich die Kläger*innen offenbar vom „Zwangsinstrument“ Zweitveröffentlichung bedroht und werten die Uni-Satzung als „übergriffig“. Die Gegenwehr ging eindeutig von der juristischen Fakultät aus. Auch der Rechtsweg als Mittel der Wahl legt die Vermutung nahe, dass es den Professor*innen insbesondere um das juristische Publikationswesen und die eigenen Gepflogenheiten beim Veröffentlichen geht.
Konservativ, in sich geschlossen, zaghaft bei Veränderungen: Färbt die juristische Fachkultur aufs Publizieren ab?
Studieren, forschen, lehren: Jura gilt als vergleichsweise konservative Disziplin, die akademische Rechtswissenschaft wirkt in sich recht geschlossen. Das Studienfach Jura bildet vor allem für den praktischen Arbeitsmarkt aus: Vielerorts wird Rechtswissenschaft stark als Rechtslehre praktiziert, die dazu dient, das Recht als zukünftige Richterin oder Anwalt auszulegen und anzuwenden. Der primäre Schwerpunkt im Jurastudium liegt also nicht – wie bei anderen Fachrichtungen – auf wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn und dafür nötigen Werkzeugen. Die Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit empirischen Daten, geeigneten Methoden zur Erhebung und Auswertung sowie mit wissenschaftlichen Theorien steht nicht im Vordergrund.
Die Geschlossenheit setzt sich beim Publikationswesen fort: Viele rechtswissenschaftliche Publikationsorgane liegen seit Jahrzehnten in der Hand weniger etablierter Verlage. Der finanzstarke Praxisbereich, vor allem Kanzleien, aber auch Gerichte und andere öffentliche Institutionen, ist in der Lage, hohe Abonnement-Gebühren für Fachpublikationen und Gesetzeskommentare zu bezahlen. Auf diese ist man in der täglichen Arbeit angewiesen.
Wenig beeindruckt von wissenschaftlichen Transformationen
Abgesehen von einigen Ausnahmen und verdienstvollen Initiativen (wie beispielsweise OpenReWi) ist (vor allem das verlagsunabhängige) Open Access in den deutschen Rechtswissenschaften weder verbreitet noch allgemein anerkannt.
Auch fortgeschrittene Begutachtungsverfahren mit Anonymisierung (double-blind review), die in den letzten Jahren aus den Naturwissenschaften stärker in Sozial- und Geisteswissenschaften Eingang fanden, sind in den deutschen Rechtswissenschaften kaum zu finden.
Generell war man an den juristischen Fakultäten recht gut darin, größere Trends und Transformationen von sich fernzuhalten. Das Drittmittelgeschäft ist in den Rechtswissenschaften zwar angekommen, aber bei weitem nicht so eklatant wie in anderen Disziplinen. Von universitären Budgetkürzungen bleiben die rechtswissenschaftlichen Haushalte im Wesentlichen verschont.
Die Ausrichtung auf den deutschen Rechtsraum macht internationale Kooperationen zwar interessant, aber nicht zwingend nötig. Auch Zitationsindizes und andere quantitative Messinstrumente spielen bei der Besetzung von Stellen – im Gegensatz etwa zu zahlreichen natur- oder sozialwissenschaftlichen Disziplinen – keine Rolle.

Rechtswissenschaft als Open Education: Mit OpenRewi zur gemeinschaftlichen Lehre
Rechtswissenschaftliche Bildungsmaterialien per Wiki gemeinsam verfassen, kollaborativ prüfen und offen nachnutzbar zur Verfügung stellen – diesen OER-Ansatz verfolgt die Initiative „OpenRewi“. Co-Gründer Maximilian Petras gibt Einblick in die Anfänge und die ersten Erfolge eines juristischen Pionierprojekts. » mehr
Öffentliches Geld, öffentliches Gut? Nicht so in der Causa Konstanz
Unterm Strich verwundert es nicht, dass die Rechtswissenschaft beim Publizieren bevorzugt auf bewährten Pfaden wandelt – und sich dabei, wie in Konstanz, nicht in die eigenen Gepflogenheiten reinreden lassen will. Praktischerweise kommt dazu das Vermögen, sich gegen unerwünschte juristische Innovationen (wie der satzungsmäßig vorgeschriebenen Zweitveröffentlichungspflicht) mit juristischen Mitteln zu wehren (in diesem Fall per Klage).
Am Publikationsgeschehen lässt sich gut erkennen, wie verflochten die akademischen Rechtswissenschaften mit dem juristischen Praxisbereich und Verlagswesen sind. Umso befremdlicher wirkt es, dass öffentlich finanzierte Forscher*innen sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, ihre Texte nach einer Schonfrist von zwölf Monaten öffentlich frei zugänglich zu machen.
Eine solche Regelung schadet weder dem Verlagswesen, das während der Schonfrist ja die Primärverwertung der übertragenen Urheberrechte wie gehabt durchführen kann. Noch schadet sie den Urheber*innen, deren Arbeit durch Anstellung beziehungsweise Verbeamtung ja bereits finanziert und dem öffentlichen Wohl verpflichtet ist.
Der Rechtsstreit blockiert Weiterentwicklung von Zweitveröffentlichungsrecht und Open Access
Die Uni Konstanz steht mit ihrer Zweitveröffentlichungspflicht bisher alleine da in der deutschen Forschungslandschaft. Die Klage der Professor*innen aus eigenem Hause dürfte abschreckende Wirkung auf andere Universitäten gehabt haben. Vermutlich warten diese lieber das Urteil ab, als eigenständig vorzupreschen.
Das ist auch deswegen schade, weil es Anwendung und Weiterentwicklung des Zweitveröffentlichungsrechts – so defizitär es in seiner derzeitigen Ausgestaltung auch sein mag – in anderen, progressiveren Disziplinen hemmt. Die strikte Weigerung von lediglich 17 Professor*innen, ein wenig private Macht beim Publizieren abzugeben und sich mehr zu öffnen, blockiert daher auch den größeren Prozess hin zu mehr wissenschaftlicher Offenheit.
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DOI für diesen Text: https://doi.org/10.59350/cxzmf-bpx98 · automatische DOI-Vergabe für Blogs über The Rogue Scholar
2 Kommentare
1 oliver hinte am 26. Februar, 2024 um 14:18
Wie lange soll sich das Verfahren noch hinziehen? Mittlerweile stehen schon die europäischen Rechtsgrundlagen vor einer Revision.
2 Georg Fischer am 27. Februar, 2024 um 10:57
Ich habe beim BVerfG nachgefragt und gerade folgende Antwort bekommen: “im Verfahren 2 BvL 3/18 ist ein konkreter Entscheidungstermin derzeit nicht absehbar.”
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