„Zum Schluss hätten wir chinesische Verhältnisse“
Zur Person:
Stefan Engeln arbeitet als Justitiar bei der 1&1 Internet AG. Die Antworten geben die persönliche Meinung des Interviewten wieder.
______________
iRights.info: Im Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet geraten immer wieder die Zugangsprovider ins Visier. In den USA soll in diesem Jahr das „Copyright Alert System“starten. Die Idee: Die Zugangsprovider drosseln für einzelne Kunden die Verbindungsgeschwindigkeit, wenn diese wiederholt wegen Urheberrechtsverletzungen verwarnt wurden. Ist es richtig, im sogenannten Copyright-War bei den Zugangsprovidern anzusetzen?
Stefan Engeln: Das entspricht der Tendenz, Zugangsprovider wie neuartige Rundfunkanbieter zu betrachten, die quasi das Internet ausstrahlen. Das ist der falsche Ansatz. Ein Zugangsprovider eröffnet als Dienstleister den Zugang zu einem Kommunikationsnetz, aber er ist nicht für das Kommunikationsverhalten der Nutzer in Haftung zu nehmen. Nutzer müssen darauf vertrauen können, dass ihr Dienstleister das Kommunikationsgeheimnis wahrt. Entsteht bei den Nutzern der Eindruck, Zugangsprovider würden sein Verhalten überwachen, wird dieses Vertrauen unterminiert.
Schließlich verbindet sich mit Warnhinweismodellen eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung, die abzulehnen ist. Es kann gesellschaftlich nicht erwünscht sein, die Zugangsprovider als Hilfssheriffs in Dienst zu nehmen, um die Nutzer wegen ihres Kommunikationsverhaltens im Netz zu bestrafen.
Angesichts der Bedeutung eines Internetanschlusses für das Privat- und Berufsleben scheint mir eine Sperrung wegen Urheberrechtsverletzungen auch absolut unverhältnismäßig. Meines Wissens nach hat der Medienwissenschaftler Volker Grassmuck dafür den Begriff der „digitalen Todesstrafe“ geprägt, was wohl nicht provozierend gemeint war. Der Begriff soll ja nur versinnbildlichen, welche Bedeutung der Netzzugang für die berufliche und gesellschaftliche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben hat.
„Schleierhaft, wie eine schärfere Rechtslage in der EU nutzen sollte“
iRights.info: Nun geht es bei der Kooperation zwischen Rechteinhabern und Providern in den USA nicht um komplette Anschlusssperren, sondern nur um eine Verlangsamung von Verbindungen, so dass Grundfunktionen erhalten bleiben…
Stefan Engeln: Es bleibt der falsche Weg. Ob der betroffene Nutzer dann nur noch Textmails versenden oder noch mehr machen kann, ist nur ein gradueller Unterschied zur kompletten Anschlusssperre. Ich wäre froh, wenn sich die Gesellschaft darauf verständigt, dass Einschränkungen der Internetnutzung einfach keine angemessene Sanktion sein können.
iRights.info: Aktuell besteht das Problem illegaler Portale fort. Nach der Schließung von kino.to sind immer noch viele ähnliche Portale im Netz und begehen gewerbsmäßig Urheberrechtsverletzungen. Müsste es neue Instrumente für die Ermittler geben?
Stefan Engeln: Es ist ein Problem, den Nachweis zu erbringen, wer hinter solchen Angeboten steht. Die Domainregistrierung kann zum Beispiel auf falschen Angaben beruhen. Im Fall kino.to war die Domain auf der Pazifik-Insel Tonga registriert, die Server waren in Russland. Es geht hier also um die Rechtsdurchsetzung im internationalen Umfeld. Mir ist schleierhaft, wie hier eine schärfere materielle Rechtslage in Deutschland oder der EU nutzen sollte.
iRights.info: Man könnte die am Datenverkehr beteiligten Provider in Haftung nehmen…
Stefan Engeln: Nein, selbst die genannten Fälle sind dafür keine Rechtfertigung. Die illegalen Angebote sind im Wesentlichen nicht in der EU angesiedelt. Gleichwohl wird gerade auf der Ebene der EU die Frage diskutiert, wie man das Internet „cleaner“ machen kann. Dann ist das ganze Potpourri an Forderungen wieder da – Warnhinweise, Netzsperren, Anschlusssperren, Providerhaftung. Auf europäischer Ebene läuft eine Diskussion, die wir in Deutschland bereits größtenteils hinter uns haben.
„Im Kern geht es um die Frage der Netzneutralität“
iRights.info: Technisch konnte bislang jede Maßnahme gegen Urheberrechtsverletzungen umgangen werden. Auch in den USA könnten Nutzer auf virtuelle private Netze (VPN) umsteigen, um ihren Datenverkehr geheim zu halten. Ist ein Copyright-War im Netz überhaupt zu gewinnen?
Stefan Engeln: Ein repressives Vorgehen ist nicht per aussichtslos, nur landet man am Ende bei Lösungen, die man nicht wollen kann. Zum Schluss hätten wir chinesische Verhältnisse. Schon deshalb, weil ständig ein neues Instrumentarium her muss, wenn das alte umgangen wird. Insofern halte ich den repressiven Ansatz vom Ende her gedacht für fehlgeleitet. Vielversprechender scheint es mir, wenn Rechteverwerter faire und nutzerfreundliche legale Angebote etablieren würden. Damit könnte das Problem in wesentlichen Teilen zufriedenstellend gelöst werden. Auf der anderen Seite wird man keinen Rechteverwerter dazu zwingen können, die Chancen, die das digitale Zeitalter bietet, in ein neues Geschäftsmodell umzumünzen.
iRights.info: Unklarheit besteht bei vielen Nutzern darüber, welche Provider in welcher Form bereits heute Verfahren wie das Deep Packet Inspection (DPI) einsetzen, um bestimmte Datenströme, etwa von Filehostern, auszubremsen. Sollte es über den Datenverkehr mehr Transparenz geben?
Stefan Engeln: DPI ist nur eine Technik. Im Kern geht es um die Frage der Netzneutralität. Da ist mir Transparenz zu wenig. Ich wäre für eine klare Regelung, wie die Netzbetreiber mit unterschiedlichen Inhalten umgehen. Geht man davon aus, dass der Sprachverkehr, Videos und Onlinespiele höhere Anforderungen haben als etwa der Mailverkehr, dann stellt sich bei unvermeidbaren Engpässen die Frage der Qualität. Mir wäre daran gelegen, Qualität und Netzneutralität kompatibel zu machen. Was nicht sein darf, ist das „Best Effort“ künstlich verknappt und gegen Qualität ausgespielt wird.
iRights.info: Sollte es gesetzlich ausdrücklich untersagt sein, DPI im Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen einzusetzen?
Stefan Engeln: Ja. Die Beispiele in den USA oder auch in Großbritannien zeigen ja, dass der Markt nicht alles regelt. Eine Regelung beim Thema Netzneutralität ist deshalb notwendig.
Abmahnwellen – „Den Gesetzgeber nicht zu stark kritisieren"
iRights.info: Viele hunderttausend Nutzer in Deutschland haben inzwischen die Erfahrung einer Abmahnung gemacht. Die Abmahnwellen basieren auf Auskünften der Zugangsprovider, zu denen sie bei einem entsprechenden Gerichtsbeschluss verpflichtet sind. Wie sehen Sie die Praxis der Auskunftsbeschlüsse?
Stefan Engeln: Mein Eindruck ist, dass die Gerichte und die Anwälte der Abmahngeschädigten die gleichen Schwierigkeiten haben: Es ist leider kaum nachvollziehbar, ob die massenhaft gesammelten IP-Adressen rechtskonform und sachlich zutreffend erfasst werden. Das Bundesjustizministerium hat ja jetzt einen Vorschlag gegen unlautere Geschäftspraktiken im Abmahnbereich angekündigt. Das könnte im Ergebnis die Lage verbessern.
iRights.info: Allerdings wurde der entsprechende Referentenentwurf auf Eis gelegt. Müsste die Bundesregierung schneller handeln?
Stefan Engeln: Den Gesetzgeber sollte man bei diesem Thema nicht zu stark kritisieren. Die Deckelung der Abmahnkosten ist ja schon nach heutiger Gesetzeslage beabsichtigt. Nur hat sich das in der Praxis nicht als erfolgreich erwiesen, weil Gerichte das anders interpretieren, als sich der Gesetzgeber das vorgestellt hatte.
„Kein Regelungsbedarf für ein ‚Notice-and-Takedown‘-Verfahren“
iRights.info: Auf EU-Ebene gibt es Erwägungen, einheitliche „Notice-and-Takedown“-Verfahren einzuführen (auch „Notice-and-action"-Verfahren genannt). Sie regeln, wie Internet-Service-Provider darauf reagieren sollen, wenn sie auf rechtswidrige Inhalte hingewiesen werden. Halten Sie entsprechende EU-weite Regelung für angebracht?
Stefan Engeln: Wir haben ohnehin in Deutschland die etwas unglückliche Situation eines quasi richterrechtlich geschaffenen „Notice-and-Takedown“ Verfahrens. Solche Verfahrensweisen sind in der Tat durch die USA inspiriert, wobei man berücksichtigen sollte, dass dort ein anderes Verständnis von Meinungsfreiheit herrscht.
Es gibt ja hierzulande vor allem deshalb keine missbräuchliche Ausnutzung urheberrechtlich begründeter Takedown-Begehren, weil das deutsche Äußerungsrecht ohnehin viele Spielräume eröffnet, gegen unliebsame Äußerungen vorzugehen. Und hier sehe ich in der Tat Schwierigkeiten mit „Notice-and-Takedown“. Oft geht es um juristische Abwägungen: Was ist eine Tatsachenbehauptung – was ist eine Meinungsäußerung? Wo beginnt eine unzulässige Schmähkritik oder gar Beleidigung?
Meines Erachtens bedürfte es klarer gesetzlicher Definitionen, wann ein Host-Provider positive Kenntnis eines Rechtsverstoßes erlangt hat, also insbesondere, wie der Rechtsverstoß nachzuweisen ist und wie „positive Kenntnis“ erlangt werden soll, wenn es um Rechtsfragen geht. Im Übrigen sollte klargestellt werden, dass ein in die Zukunft gerichteter Unterlassungsanspruch jeweils erneut voraussetzt, dass der Hoster wieder positive Kenntnis erlangt. Andernfalls drohen präventive Prüfungspflichten des Host-Providers mit Auswirkungen auf alle Nutzer.
Aber ganz deutlich: Im Hosting-Bereich gibt es hierzulande kein Problem bei der Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen und entsprechend keinen Regelungsbedarf für ein „Notice-and-Takedown“ Verfahren.
Was sagen Sie dazu?