Zu schön um wahr zu sein
[Dieser Text gibt aufgrund der technischen und politischen Entwicklungen nicht mehr den heutigen Stand der Dinge wieder. „All of MP3“ existiert nicht mehr und auch andere ähnliche Angebote sind unseres Wissens nicht vorhanden. Wir lassen den Text als Dokumentation online. Die Redaktion am 19.1.2012]
Die Musik-Downloadplattform „All of MP3“ aus Russland stellt auf den ersten Blick den Prototypen eines zwar kostenpflichtigen, aber komfortablen und umfangreichen Online-Musikshops dar: Über 300.000 Titel sind augenblicklich verfügbar. Bequeme Menüführung auf Englisch, Unterstützung aller gängigen Formate ohne Einschränkung der Nutzungsrechte, günstige Preise – die Downloads kosten ungefähr 1,6 Cent pro Megabyte – und kein restriktives digitales Rechtekontroll-Management (DRM). Auch das Angebot kann sich sehen lassen: zum Beispiel bietet „All of MP3“ zahlreiche, vor allem ältere, Stücke, die bei anderen Bezahldiensten nur eingeschränkt erhältlich sind.
Doch kann dies mit rechten Dingen zugehen? All diese Bequemlichkeiten rufen im Vergleich zu anderen kommerziellen Angeboten, die teurer und eingeschränkter sind, Skepsis hervor.
In Russland legal, in Deutschland nicht?
„All of MP3“ nimmt auf seiner Webseite Stellung zu den juristischen Hintergründen und beruft sich auf eine Übereinkunft mit der russischen „Multimedia and Internet Society“. Demnach fühlt sich der Anbieter nicht verantwortlich dafür, ob Nutzer außerhalb Russlands legal oder illegal handeln, wenn sie den Dienst nutzen.
Es ist also durchaus möglich, dass „All of MP3“ in Russland legal ist, zumal die russischen Musiker ihre Online-Rechte an die dortige Verwertungsgesellschaft ROMS übertragen haben. Die darf nach russischem Recht auch Tonträger von ausländischen Künstlern zum Download anbieten, wenn die Server sich in Russland befinden. Außerdem ist Russland bislang noch nicht vollständig internationalen Übereinkommen zum Urheberrecht beigetreten, wie sie vor allem im Rahmen der World Intellectual Property Organisation (WIPO) getroffen wurden.
Für eine Legalität nach deutschen Recht reichen all diese vorgebrachten Legitimationen nicht aus. Doch die Sache ist im Einzelnen sehr kompliziert.
Die Krux mit der Internationalisierung
Zunächst einmal scheint die juristische Bewertung eindeutig: Im Urheberecht gilt das so genannte Territorialitätsprinzip, nach dem der Betreiber eines Online-Angebots für alle Länder, von denen aus ein Herunterladen möglich ist, entsprechende Lizenzen erwerben muss. Die jeweiligen nationalen Verwertungsgesellschaften – in Deutschland sind es die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) und die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) – dürfen nur für das eigene Land entsprechende Lizenzen einräumen. Dies unterscheidet das Musikgeschäft von anderen Mediensektoren in Europa, wie zum Beispiel dem Satellitenfernsehen. Dort reicht es aus, eine Lizenz für das Gebiet des Sendelandes zu haben, um auch grenzüberschreitend in andere Länder zu senden.
Zwar haben zahlreiche Verwertungsgesellschaften im weltweiten „Santiago-Abkommen“ vereinbart, dass sie Internet-Content-Providern, die in ihrem Land ansässig sind, auch Lizenzen für Download-Dienste für andere Mitgliedsstaaten erteilen können. „All of MP3“ weist im entsprechenden Disclaimer jedoch ausdrücklich darauf hin, dass man internationale Abkommen gar nicht beachtet. In diesem Zusammenhang hat das Landgericht München I im Juli 2005 einem Antrag der Deutschen Phonoverbände (IFPI) auf eine einstweilige Verfügung statt gegeben.
Diese einstweilige Verfügung besagt zum einen, dass das Landgericht die Ansicht der IFPI teilt, dass es sich bei „All of MP3“ um ein in Deutschland rechtswidriges Angebot handelt. Zum anderen verbietet das Gericht damit, „geschützte Aufnahmen aus Tonträgern der Antragstellerinnen (der Mitglieder der IFPI, d.Red.) bzw. Vervielfältigungen derartiger Aufnahmen innerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland öffentlich zugänglich zu machen bzw. zugänglich machen zu lassen“ und „insbesondere über die Internetadresse www.allofmp3.com zum elektronischen Abruf bereitzuhalten“.
Welche Konsequenzen kann das für deutsche Nutzerinnen und Nutzer nach sich ziehen?
Auf den ersten Blick scheint die Rechtslage relativ eindeutig zu sein: Wird eine – auch gekaufte – Musikdatei auf der eigenen Festplatte oder einem sonstigen Endgerät oder Datenträger gespeichert, erfolgt eine so genannte Vervielfältigungshandlung, für die man entweder die Genehmigung des betroffenen Rechteinhabers oder eine entsprechende gesetzliche Erlaubnis benötigt.
„All of MP3“ kann eine solche Genehmigung nach der Entscheidung des Landgerichts München I nicht erteilen, da der Dienst selbst keine Rechte für den deutschen Raum erworben hat. Daher ist es fraglich, ob sich aus dem deutschen Recht eine Genehmigung für Downloads von „All of MP3″ ergibt. Das könnte etwa dann der Fall sein, wenn es sich beim Download um eine so genannte Privatkopie handelt. Diese setzt aber voraus, dass die herunter geladenen Dateien nicht von „offensichtlich rechtswidrig hergestellten Vorlagen“ angefertigt wurden.
Der Gesetzgeber wollte mit dieser Einschränkung der Privatkopieschranke – die im Ersten Korb der Reform des Urheberrechtsgesetzes 2003 eingeführt wurde – verhindern, dass rechtswidrig erstellte Kopien zulässig aus dem Internet kopiert werden dürfen. Gleichzeitig sollte durch die Formulierung „offensichtlich“ vermieden werden, dass die Internetnutzerinnen und -nutzer mit unverhältnismäßigen Prüfungspflichten beim Download von Dateien belastet werden.
Was ist offensichtlich?
Aber in welchem Fall handelt es sich um eine „offensichtlich rechtswidrig hergestellte Vorlage“? Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, denn das Urheberrechtsgesetz konkretisiert die Formulierung nicht weiter. Eine Klärung wird daher möglicherweise durch die Gerichte herbeigeführt werden müssen.
Offensichtlich ist jedoch, dass bei „All of MP3“ aufgrund der möglichen Legalität in ihren Herkunftsländern und den komplexen rechtlichen Fragen bei internationalen Zusammenhängen ein durchschnittlicher Nutzer kaum beurteilen kann, ob eine in Russland zum Download bereit gestellte Datei rechtmäßig oder rechtswidrig hergestellt wurde.
Da es bei dem gesetzlichen Begriff der „offensichtlichen Rechtswidrigkeit“ nicht darum geht, ob es zulässig ist, die Angebote zum Download bereit zu stellen, sondern einzig und allein um die Frage, ob es ein Nutzer eindeutig erkennen kann, dass die Kopiervorlagen rechtswidrig hergestellt wurden, ist die Sache einigermaßen klar: Um eine Rechtswidrigkeit im Falle von „All of MP3“ beurteilen zu können, müsste der deutsche Nutzer wissen, ob diese Dienste nach russischem Recht Vervielfältigungsstücke der Titel überhaupt hätten anfertigen dürfen. Die komplexen Rechtsfragen, die hierbei auftreten, sind für die meisten Laiennutzer kaum eindeutig zu beurteilen, so dass eine „offensichtliche Erkennbarkeit“ eher nicht vorliegt.
Restrisiko
Momentan bleibt aufgrund fehlender Rechtssprechung ein Restrisiko für die Nutzer dieser Dienste. Eine gesicherte Rechtlage liegt bislang nicht vor: Wie ein deutsches Gericht entscheiden würde, kann nicht mit absoluter Sicherheit prognostiziert werden.
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