Zeitungskrise, Verleger-Abgesänge: Das laute Pfeifen im Walde
Man hatte das in all den Jahren, in denen Zeitungsverleger traumhafte Renditen einfuhren, nicht geahnt, aber anscheinend handelt es sich bei dem Boden, auf dem in Deutschland Presse gedeiht, nur um eine ganz dünne Schicht. Jeder Windstoß aus der falschen Richtung kann sie wegblasen, und dann ist es vorbei mit der Pressefreiheit und Pressevielfalt in Deutschland. Der jüngste Sturm, der sie bedroht, ist angeblich die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes. Zig Millionen könnte allein die Umstellung kosten, warnen die Verleger, wenn sie ihre Zeitungsausträger so bezahlen müssten. Es drohe das Ende von Ausgaben vor allem im ländlichen Raum.
Alles, alles bedroht anscheinend die Presse in ihrer Existenz: Werbeverbote, Suchmaschinen, Aggregatoren, die vermeintliche Gratismentalität im Internet, öffentlich-rechtliche Online-Angebote und Apps, illegale Downloads, Lohn- und Honorarerhöhungen, die Umsatzsteuer. Auch das Jahr 2013 war ein einziges Lamento, ein anhaltender schriller Alarmton der Verlagslobby.
Dabei ist eine ihrer zentralen Forderungen in diesem Jahr wahr geworden: In letzter Minute, als viele die Sache schon abgeschrieben hatten, erfüllte die schwarz-gelbe Bundesregierung noch ihr Versprechen und schenkte den Zeitungs- und Zeitschriftenverlegern ein Leistungsschutzrecht – wenn auch in einer deutlich abgespeckten Version.
Inwieweit das den Verlagen oder gar dem Journalismus hilft, ist aber auch nach Inkrafttreten so offen wie vorher: Google, auf das das Gesetz mutmaßlich vorrangig zielt, ließ sich zunächst einmal von den Anbietern bestätigen, dass es eine Vorschau auf ihre Inhalte, wie gehabt, lizenzfrei anzeigen darf.
Die Verlage sind noch nicht so weit
Aber selbst wenn sie eines Tages etwa mithilfe einer Verwertungsgesellschaft die Rechte aus dem Gesetz geltend machen, spricht nichts dafür, dass das ein Befreiungsschlag wird. Es wird vermutlich um überschaubare Erlöse gehen, dafür aber viel Zeit und Gerichtsverfahren kosten. Auf der Strecke sind jetzt schon kleine Aggregatoren geblieben. Ähnlich wie bei der Auseinandersetzung mit ARD und ZDF geht es um Symbolik und ums Gesichtwahren – nicht um Ideen, wie das zentrale Problem des professionellen Journalismus mit der Digitalisierung gelöst werden kann: Das alte Geschäftsmodell, Journalismus gebündelt und gedruckt zu vertreiben und durch Kauf- und Werbe-Erlöse zu finanzieren, ist sichtbar endlich; Auflagen und Werbeerlöse bröckeln. Im Netz aber, wo die Nutzer sind, lassen sich keine vergleichbaren Erlöse durch Werbung erzielen.
Das ist nicht neu, aber das Jahr 2013 bot auch keinerlei Indizien, dass sich daran etwas ändern könnte. Allerdings gab es zwei prominente Versuche, auf diese Gemengelage zu reagieren, mit gegensätzlicher Stoßrichtung. Die Bild begann, Teile ihres Online-Angebotes kostenpflichtig zu machen. Sie inszenierte sich dabei als ein Vorkämpfer, der eine Schneise freimacht, die dem Journalismus insgesamt einen Weg zur besseren Finanzierung eröffnet. Das ist vor allem Hybris und Marketing, aber der Versuch von Bild.de ist spannend: Lassen sich Boulevard-Inhalte herstellen und online vertreiben, die so einzigartig sind, dass eine relevante Zahl von Nutzern dafür sogar zahlt?
Paywall hier, Billig-Produkt dort
Hinter der Paywall finden sich Exklusiv-Nachrichten wie die Enthüllung angeblicher Teilnehmer am nächsten Dschungel-Camp – deren Namen aber natürlich andere, kostenlose Medien sofort verbreiten. Zu aktuellen Nachrichten bietet Bild Plus gerne Hintergründe aus Archivmaterial, aber auch Bilderstrecken und einzelne aufwändig gestaltete Multimedia-Strecken. Es ist, bei aller Zweifelhaftigkeit dessen, was man bei Bild unter Journalismus versteht, ein Versuch der Axel Springer AG, etwas zu produzieren, das für die Nutzer einen Wert hat, der groß ist genug ist, dass sie dafür auch zahlen.
Im Kontrast dazu versucht der Burda-Verlag, den Aufwand so weit herunterzuschrauben, dass sich auch mit den vermeintlichen „Peanuts“, die sich laut Hubert Burda im Internet mit Journalismus verdienen lassen, erhebliche Gewinne erzielen lassen: Die deutsche Huffington Post, im Oktober gestartet, ist ein konsequentes Billig-Produkt: nicht nur durch die unbezahlten Blog-Beiträge, sondern auch eine Mini-Redaktion, die sich vor allem darauf konzentriert, abwegige, aber krawallig laute Schlagzeilen zu formulieren. Wenn das ein Erfolg wird, wäre es ein Sieg der Suchmaschinenoptimierung und der Lautstärke über den Journalismus und die Seriosität.
Der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, Mathias Döpfner, ist der profilierteste Gegner des Burda-Versuchs, aber auch er taugt schlecht als Lordsiegelbewahrer des professionellen Journalismus in Deutschland. Zu groß ist der Schock darüber, dass sich das Unternehmen ganz unsentimental von Marken wie dem Hamburger Abendblatt oder der Berliner Morgenpost trennt, die man gerade noch für einen unverzichtbaren Bestandteil des Konzerns hielt. Und zu unklar ist, was denn in der digitalen Welt, die Springer wie kein anderes Medienunternehmen in Deutschland zu erobern behauptet, die journalistischen Visionen sind. Döpfner musste sich schon in eine Wette flüchten: „Ich wette, dass in fünf Jahren der Qualitätsjournalismus bei Axel Springer eine noch größere Rolle spielen wird als heute.“ Das soll überzeugen, ist aber bezeichnend defensiv.
Journalismus in guten Händen?
Wenn auf die klassischen Verlagshäuser schon kein Verlass mehr ist – werden es in der neuen Welt wohl andere richten? Die Unternehmer, die in und mit der digitalen Welt reich wurden? Amazon-Chef Jeff Bezos kaufte 2013 die Washington Post, der Ebay-Gründer Pierre Omidar kündigte an, eine ganz neue Art Medienunternehmen zu gründen, mit prominenten investigativen Journalisten wie Glenn Greenwald. Doch den Berichten über solche Investitionen liest man den Zweifel an, ob der Journalismus dort in guten Händen ist, ob es sich um langfristige Engagements handelt und ob all das bedeutet, dass herausragender Journalismus in Zukunft in doppeltem Sinne ein Luxusprodukt ist: eines, das sich nur wenige Menschen leisten, und eines, dessen Finanzierung sich Millionäre als Mäzene leisten.
Die Unsicherheit, mit der Journalisten und Verleger in die Zukunft blicken, ist 2013 nicht gesunken. Und zunehmend sehen viele auch noch den Journalismus als den Feind des Journalismus. Immer lauter werden Forderungen, sich damit zurückzuhalten, die eigene Krise in der Berichterstattung zu thematisieren. „Nieder mit dem ewigen Abgesang“, überschrieb Jochen Kalka, Chefredakteur der Branchenzeitung Werben & Verkaufen ein Editorial im Herbst; klagte, dass „auch das Print-Lager selbst dazu beiträgt, sich kontinuierlich niederzuschreiben“, und fragte: „Wie doof kann man sein?“ Der Vermarktungschef von Axel Springer, Peter Würtenberger, jubelte ohne erkennbare Ironie auf Twitter: „Endlich mal ein Journalist, der schreibt, was gut für uns ist…“
Stefan Niggemeier, Jahrgang 1969, ist freier Medienjournalist in Berlin. Er absolvierte die Deutsche Journalistenschule in München und hat unter anderem für Süddeutsche Zeitung, Die Zeit, Spiegel und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung gearbeitet. 2004 gründete er zusammen mit Christoph Schultheis das Bildblog, seit 2006 bloggt er auch unter www.stefan-niggemeier.de, vor allem Medienkritisches. 2012 wurde er von der Gesellschaft für deutsche Sprache mit dem „Medienpreis für Sprachkultur“ ausgezeichnet.
Dieser Text ist im Rahmen des Heftes „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik 2013-2014“ erschienen. Sie können es für 14,90 EUR bei iRights.media bestellen. „Das Netz – Jahresrückblick Netzpolitik 2013-2014“ gibt es auch als E-Book, zum Beispiel über die Affiliate-Links bei Amazon und beim Apple iBook-Store, oder bei Beam.
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